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Die Geschichte einer Geschichte
Die Geschichte einer Geschichte
Es war einmal eine Geschichte, die lebte in einer Microsoft Textdatei. Viele sind der Meinung, dass so eine Geschichte ein relatives lockeres Leben führt. Dem ist jedoch nicht so. Man kann gar vom kompletten Gegenteil sprechen.
Unsere Geschichte zum Beispiel war geplagt von allerlei Ängsten. Da wäre zunächst mal die Frage nach der reinen Qualität: Bin ich gut genug? Welche Kritiken bekomme ich? Wo werde ich überhaupt veröffentlicht? Schulaufsatz, Privatarchiv, Buchveröffentlichung, Internet… Nie zu wissen wo man hin kommt war für unsere Geschichte – Freunde nannten sie auch Erzählung, Story oder Märchen – besonders schlimm, da sie Heimweh nach ihrem flauschigen Desktop haben würde. Neben Arbeitsplatz und Solitär vegetierte es sich eben am Besten. Auch ihre Mutter, das Microsoft Word Dokument, würde sie vermissen. Ihr Schreiber hatte die Angewohnheit häufig gebrauchte Dokumente nur auf dem Eingangsbildschirm zu platzieren, weshalb sich dort Dateien aller Abstammungen tummelten.
Überhaupt dieser Schreiber… die Beziehung zwischen ihm und seiner Geschichte lässt sich als eine Beziehung der Angst beschreiben. Sie musste ständig Korrigierungen fürchten, wahre Gemetzel mit der Tastatur. Teilweise wurden Dutzende Wörter mit einem Schlag verschluckt. Er hingegen projizierte Kreativstörungen, grammatikalische Aussetzer und anderen Ärger rund um seine Geschichte direkt auf dieselbe, was ihr wiederum das Gefühl gab, gehasst zu werden. Nur in ihrer Angst vor der Veröffentlichung, respektive den Kritiken, hatten beide ein gemeinsames Problem. Während der Autor jedoch den Hohn und Spott anderer Autoren fürchtete, musste sie die Traktionen besser bewerteter Geschichten fürchten. Er konnte sich zumindest einer anderen Geschichte verschreiben, sie würde im oft beschriebenen Daten-Nirvana enden und, vermutlich zu Recht, schon bald vergessen werden.
Doch sie hatte es in gewisser Weise auch besser als ihre Vorfahren. Diese mussten über Jahrhunderte hinweg auf Handbeschriebenen Pergamenten permanent hoffen, nicht im nächsten Moment zerknüllt zu werden. Ein Fehler, eine Minute der schlechten Laune seitens des Autors, und schon war man erledigt. Als die Schreibmaschinen in Mode kamen wurde es noch schlimmer: Der Perfektion verschrieben wurden teilweise noch so gute Ansätze aus dem Gerät gerissen, zerknüllt und weggeworfen, nur weil sich ein Rechtschreibefehler eingeschlichen hatte.
Mit derlei Problemen musste sich unsere Geschichte immerhin nicht herumplagen, wenngleich es auch schon vorgekommen war, dass sie ihr Schreiber reumütig aus dem Papierkorb gezogen hat. Dies jedoch, ohne seiner Geschichte eine Falt zugefügt haben.
Nun begab es sich, dass der Autor allmählich zum Ende seiner Geschichte kam. Beide wurden zusehends aufgeregt, wussten sie doch, dass sich der Moment der Veröffentlichung mit Riesenschritten näherte. Ein letztes Mal Probe gelesen, die letzten Korrekturen vorgenommen, und los ging die Reise auf ins endlose Datengewirr des Internets. Unsere Geschichte wusste, dass auf sie eine Veröffentlichung im Internet zu kommen würde, bald darauf wurde auch klar wo genau dies stattfinden würde: www.kleine-maerchen.de, eine Seite, von der ihr andere Geschichten bereits erzählt hatten.
Wie aber wird sie sich in der freien Wildbahn zurecht finden, ihren natürlichen Feinden - Viren, Kritikern, dem "Bearbeitungsbutton" - zurecht finden?Fortsetzung folgt im nächsten Beitrag.