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Die Herren Planck und Steinbrecher

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31.03.2004
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Die Herren Planck und Steinbrecher

Die Herren Planck und Steinbrecher​

Karl Steinbrecher langweilte sich – was auch sonst. Es war Freitagmorgen und eine endlose Buerowoche im Finanzamt, Buchstabe H bis J, neigte sich seinem Ende zu. Er blickte sinnierend an die Wand vor seinem Schreibtisch und beschloss das Planck’sche Gesetz zu aendern.
Wie er und wir alle in der Schule gelernt haben, besagt diese Erfindung nicht mehr und nicht weniger, als dass die Energieabstrahlung eines warmes Koerpers in seine Umgebung abhaengig von dessen Temperatur ist, allerdings zum Ueberfluss noch viermal mit sich selbst multipliziert.

Auch Steinbrecher konnte dies aus eigener Erfahrung bestaetigen, denn warmer Leberkaese kuehlte seines Erachtens immer viel zu schnell ab, waehrend kalter Leberkaese einfach kalt blieb – den ganzen Tag, bis die faden Reste zur Nacht dann endlich in der Muelltonne verschwanden.

Da alle Erfindungen genehmigungspflichtig waren, bereitete es ihm natuerlich keine Muehe herauszufinden, wer dafuer zustaendig war: Lisa Holzinger, Abt. Patente/Physik im 4. Stock des Oberstorzinger Aemterzentrums. Er hing das “Bitte nicht stoeren” Schild vor die Tuere und machte sich auf den beschwerlichen Weg nach unten.

“Sie muessen aber erst diesen Antrag ausfuellen”, floetete Lisa, die bereits ihr Wochenendmakeup aufgetragen hatte und einen ganz und gar unterbeschaeftigten Eindruck machte. Kein Wunder, denn Patente, Physik, Planck’sche Gesetze und Aehnliches standen auf den Aemtern im Landkreis Oberstorzing nicht hoch im Kurs.
“Ja, selbstverstaendlich wird die Aenderung gleich vollzogen; wir sind schliesslich online”, kommentierte sie Steinbrechers dementsprechende Frage schnippisch. “Kommen Sie einfach in heute Nachmittag nochmal runter; dann kriegen Sie einen akutalisierten Ausdruck der ‘Physikalischen Gesetze’. Und bitte hier noch die Formelaenderung ankreuzen und unterschreiben”, ermahnte sie Steinbrecher.

Er kreuzte “einfache Abhaengigkeit” an, trug vorsichtshalber noch in der Spalte “loeschen” die Formel ‘T hoch 4’ ein, unterschrieb und machte sich wieder auf den Weg in den 7.Stock, Buchstabe H bis J.

Es wurde ein kurzweiliger Vormittag, denn so knapp nach Elf Uhr fing ploetzlich der Computer im Raum an zu stinken und gab einige Minuten spaeter keinen Mucks mehr von sich. Steinbrecher blickte erschrocken von seinem Bildschirmschoner auf und sah sich erstaunt um: obwohl es ein herrlicher Fruehlingstag gewesen war, schien nur noch fahles Daemmerlicht von aussen herein. Aber gut, im Nebenzimmer sass sein Kollege Neubauer, der in solchen Sachen immer Rat wusste – als begeisterter Hobbybastler hatte er alle Folgen von “Potzblitz – die Erfinderwerkstatt” auf Video und konnte ihm sicher sofort sagen, was passiert war.

Erstaunlich war nur, dass Neubauer ebenfalls etwas verwirrt vor seinem erloschenem Computerbildschirm herumsass aber wie immer einen sehr guten Rat wusste: “Wir gehen erst mal in die Kantine zum Mittagessen, das gibt frische Kraft fuer den Tag.” Gesagt, getan oder besser gesagt: gelaufen, denn vor der Tuere mussten sie feststellen, dass der Aufzug irgendwo steckengeblieben war. Zu allem Ueberfluss war es im Flur fast dunkel, da die Lampen an der Decke nur noch ein leichtes Glimmen von sich gaben.

Sieben schrecklich lange Treppen spaeter betraten die Beiden endlich die Kantine im Erdgeschoss, voellig ausser Atem und mit leichten Schweissausbruechen. “Steinbrecher, Du solltest mehr Sport machen, Du schwitzt ja wie ein Affe”, stichelte Neubauer und wischte sich die hochrote Stirn. “Den Affen sieht man Dir ja nicht an, dafuer hast Du zuwenig Haare” frotzelte Steinbrecher zurueck, aber wunderte sich insgeheim trotzdem, wieso ihm heute so heiss war, obwohl er doch nur ein luftiges Kurzarmhemd anhatte.

Erst mal in der Kantine, war der kurze Disput allerdings sofort vergessen; ueberall standen Gruppen von diskutierenden Beamten, deren Computer auch ihre Taetigkeit eingestellt hatten. Zu allem Ueberfluss machte Hanna, die Kantinenbewirterin, die fuer das leibliche Wohl ihrer Amts- und Stubenhocker sorgte, auch einen etwas ratlosen Eindruck.

“Ich kann Euch heute nichts anbieten – nur kalten Leberkaes oder rohe Bratwuerste”, gestand sie verzweifelt. “Die Microwelle macht nicht warm und der Elektrogrill funktioniert auch nicht. Ich weiss nicht, was heut los ist und unser Hausmeister ist unterwegs um die Heizung zu reparieren.”

So langsam daemmerte es Steinbrecher und er sah sich nochmal aufmerksam um: fahles Daemmerlicht von aussen, gestrandete Autos auf der Strasse vor den Kantinenfenstern mit gestikulierenden Menschen drumherum, matte Gluehbirnenbeleuchtung und zu allem Ueberfluss kalter Leberkaese – er fing an ueber Herrn Planck nachzudenken, und wo der denn ueberall sein Gesetz noch versteckt haben koennte.

“Ich muss mal schnell zu Lisa”, entschuldigte er sich bei Neubauer und steuerte den kleinen Tisch in der Ecke an, wo er sie zusammen mit ihrem Chef, Herrn Moser, grad entdeckt hatte. Gustav Moser war, wie es sich fuer den Leiter der Abteilung Patente/Physik geziemte, kein normaler Beamter, sondern Physiker und Doktor noch obendrein, den er fuer irgendwelche Kern-, Element-, Teilchen- oder wasauchimmer-Forschungen erhalten hatte.

“Darf ich mich mal kurz zu Ihnen setzen Hr. Dr. Moser, Fr. Holzinger?”, fragte er anstandshalber und sass. Lisa ruempfte kurz die Nase als sie Steinbrechers durchgeschwitzes Hemd sah und roch und tupfte sich demonstrativ mit dem Taschentuch die feuchte Nase.

Die naechste Viertelstunde wurde zur unangenehmsten seines Lebens, als er zuerst beichtete, was er beantragt hatte, sich binnen Minuten einer tiefenphysikalischen Belehrung unterziehen musste, was denn die schrecklichen Konsequenzen moeglicherweise sein koennten, wie z.B. dass dieses Desaster in der Kantine erst der Anfang sei, und er letztendlich noch die giftspritzenden Blicke von Lisa aushalten musste, die in seinem Beisein einen ordentlichen Anpfiff bekam, weil sie ungeprueft einen derartigen Antrag ins System eingegeben hatte.

“So, was tun wir denn jetzt? Die Computer sind ja offensichtlich infolge Prozessorueberhitzung ausgefallen – jaja Hr. Steinbrecher, das macht die mangelnde Waermeabstrahlung !”, tadelte Dr. Moser.

“Ich habe noch ein paar Papierantraege im Fach – vielleicht hilft das?”, schlug Lisa vor.

“Hmm, das koennte gehen”, ueberlegte Dr. Moser und setzte seine Beamtenmiene auf. “Wenn ich ihn auf der Stelle unterschreibe und als Eilumsetzung autorisiere, wird der Antrag nach $14.2, Absatz 3e sofort gueltig. Los, gehen Sie schon und holen ein Formular. Sofort!”

Lisas Blick als sie sich auf den Weg zum 4. Stock machte, wuerde Steinbrecher nicht vergessen – und auch nicht den, als sie 5 Minuten spaeter voellig ausser Atem wieder zureuckkehrte und sich mit schweissnasser Bluse wieder an den Tisch setzte. ‘Natuerlich funktioniert auch die Waermeabstrahlung des menschlichen Koerpers nicht mehr richtig’, musste Steinbrecher einsehen, fand aber den Anblick nicht gaenzlich unangenehm.

Der Antrag selbst war relativ einfach ausgefuellt, nur die Spalte “Funktion” machte den Dreien einiges Kopfzerbrechen. Steinbrecher konnte schwoeren, dass die original Abhaengigkeit ein “T hoch 4” war, aber Dr. Moser meinte, er koenne sich nie und nimmer an so etwas erinnern.

“Hoch 4 – das ist ja viermal mit sich selber multipliziert – so ein Quatsch”, bemerkte er. “Alle Gesetze, die ich kenne sind ein aesthetisches ‘e hoch Pi’ oder ‘Logarithmus h-quer’ oder vielleicht mal eine dritte Potenz, aber nie ein ‘hoch-4’ – laecherlich !”

Derart eingeschuechtert traute sich Steinbrecher natuerlich nicht zu wiedersprechen und Lisa konnte sich ohnehin keine Zahlen merken. Letztendlich folgte er Dr. Mosers Vorschlag und trug ein (e+1) in das entsprechende Kaestchen ein. Er war nicht ganz ungluecklich darueber, denn er wurde belehrt, dass der Zahlenwert etwa 3.7 ist; also nicht allzu weit entfernt von seinem Vorschlag mit der Vier, und ausserdem musste er zugestehen, dass die endgueltige Formel eine gewisse Eleganz aufwies: proportional zu T hoch E Plus 1 – das war schon was.

Noch die Unterschriften drunter und Sekunden nachdem Dr. Moser den Dienststempel abgesetzt und Lisa den gelben Durchschlag fuer Steinbrecher abgetrennt hatte, wurde es ploetzlich wieder Licht. Von aussen fiel gleissender Sonnenschein herein, die Menschen auf der Strasse blickten sich erstaunt um, und die Lampen im Aemtergebaeude verbreiteten wieder nuechterne Helligkeit.

Eine halbe Stunde spaeter war endgueltig wieder der Alltag eingekehrt; die Bratwuerste brutzelten auf dem Grill, der Leberkaese fand nach dem vertrauten Pling des Mikrowellengeraetes seine Abnehmer und an Arbeit war an diesem Freitagnachmittag auch nicht mehr zu denken. Die Computer im Haus blieben dauerhaft stumm und so sass Steinbrecher mit Neubauer bei einigen Tassen Kaffee in H bis J und die Beiden sinnierten, wieso Steueraenderungen keine solch erkennbaren Auswirkungen hatten wie Aenderung der Physik – es war schon seltsam in dieser Welt.


An und fuer sich waere auch nichts mehr zu berichten, nur noch, dass die Klimakatastrophe immer noch auf sich warten laesst, was alle Experten, die noch mit veralteten hoch-Vier Abhaengigkeiten rechnen, nicht so recht erklaeren koennen, und an manchen Schulen und Unversitaeten der Welt die Lehrkraefte ins Straucheln kommen, wenn sie das Planck’sche Gesetz herleiten sollen. Den Schuelern und Studenten ist es meist egal – in den Heften sind ohnehin alle Arten von Abhaengigkeiten und numerischen Ergebnissen zu finden und erlaubt.

Und sollten Sie lieber Leser, einmal gar nicht mehr weiterkommen bei der Loesung eines verzwickten Problems und manche Dinge seltsam finden in dieser Welt: einfach Steinbrecher im Amt anrufen – wer weiss, was die wieder geaendert haben ?

 

ungeachtet aller inhaltlichen fehler und schwächen: ich mag deinen schreibstil, es macht einfach spass den text zu lesen!

 

Dankescheon

Danke erstmal.
Ich finde es ja super, dass es diese (und aehnliche) websites gibt, auf der man sein Geschreibsel einem breiterem Publikum preasentieren kann, dies sogar gelesen wird und darueberhinaus mit (konstruktiver) Kritik versehen wird.

Zu letzterer: danke, dass Euch der Schreibstil im Prinzip gefaellt. Dass es vielleicht keine umwerfende Idee ist, gerade das Planck'sche Gesetz zu nehmen - zugestanden. Aber als gelernter Physiker hat man eben seine Macken, und die Maxwell'schen Gleichungen wuerden die Geschichte auch nicht ueberschaubarer machen, fuerchte ich.
Aber das war grad meine Absicht: sowas Todernstes, millionenfach Abgesichertes und Bewiesenes aus den exakten Naturwissenschaften ins Laecherliche zu ziehen und von ignoranten Beamten einfach abaenderbar zu machen (alle Beamten dieser Welt moegen mir verzeihen).
Ausfuehrung der Idee - ja gut, ich uebe und arbeite dran.
Und warum grad im Finanzamt? Hmm - ich verspreche: die naechste Story spielt im Wasserwirtschaftsamt !!

So long from sunny California :cool:
Roland

 

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