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Die Idee

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07.06.2004
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Die Idee

Die Idee

Zwei überzeugte Junggesellen lebten bereits seit einigen Jahren zusammen in Wohngemeinschaft. Wohngemeinschaft bedeutete für sie, daß sie ihre sonst liebgewonnene Einsamkeit durch das Zusammenleben, durch gelegentliche Unterhaltungen unterbrechen konnten. So besuchten sie sich gegenseitig in ihren Zimmern, immer wenn sie eine Abwechslung für nötig hielten und sprachen über die Dinge, die sie beschäftigen.
Nun war dem einen, der Alfred hieß, aufgefallen, das sein Mitbewohner, der sich Alfons nannte, immer Einfälle, Ideen hatte, die zwar von kleiner, sehr schlichten Art und Weise waren, deren Entwicklung und praktische Umsetzung aber oft einen großen Vorteil, einen großen Nutzen hervorbrachte.
Zum Beispiel erblickte Alfred eines Tages einen hübschen Blumentopf im Zimmer seines Wohngenossen, in dem Mutterblümchen gepflanzt waren und dem Zimmer sogleich ein viel angenehmeres Ambiente zu geben vermochten. In dem Zimmer, in dem nur Möbel aus dunkelbraunem Holz standen und das mit einem dunkelgrünen Teppich ausgelegt war und in dem die Fenster mit verrauchten Gardinen behängt waren, blinkten die bunten Blütenblätter und das Zimmer erhielt eine Frische, wie sie in seinem eigenen Zimmer trotz seiner mühevollen Auswahl aller seiner Accessoires nicht zustande zu bringen war.
Oder ein anderes Mal mußten sie den unangenehmen Geruch, der aus der Toilettenschüssel entströmte, eindämmen. Alfred kaufte daher alsbald das beste Putzmittel, das auf dem Markt zu haben war und das eine erhebliche Summe Geldes gekostet hatte. Noch am selben Abend machte er sich daraufhin daran die Toilettenschüssel zu putzen und zu schrubben, den Geruch fortzubürsten. Doch wollte ein Erfolg nicht eintreten. Der Gestank vermischte sich lediglich mit dem des Putzmittels und mochte die Lauge in der Toilettenschüssel auch blubbernd jede einzelne Bakterie fressen, dieser penetrante Geruch blieb und verschlimmerte sich noch, je mehr er von dem Putzmittel in die Schüssel gab. Alle seine Bemühungen, sein stundenlanges Schrubben, konnten diesen Geruch nicht verdrängen und er mußte sein Vorhaben ohne Erfolg abbrechen.
Sein Wohngenosse hingegen verließ die Wohnung für einen Augenblick, kaufte einen Toilettenstein für wenig Geld, hängte ihn in die Toilettenschüssel; der Geruch war wie fort geblasen.
Es ließen sich auch noch viele andere Beispiele benennen, so auch die klebrige Fliegenfalle anstatt der Fliegenklatsche oder anstatt bloßer Plastiktüten eine Ledertasche mit Rollen. Immer war es so, daß Alfons mit einer Idee brillierte, die nicht nur einen vorher nachteiligen Zustand verbesserte; sondern der die zumeist erhebliche Verbesserung auch mit geringsten Mitteln zu bewirken wußte; dagegen Alfred ungeschickt und tölpelhaft zu sein schien.
Alfred war aber über diese Ideengabe, dieser praktischen Fähigkeit seines Mitbewohners sehr neidisch, zumal er selbst sich eingestehen mußte, seinem Nachbarn gegenüber, zumindest was den Ideenreichtum anlangte, bislang hoffnungslos unterlegen zu sein. Wenn er also nicht alsbald alle seine Kraft anspannen würde, um etwas sehr Großartiges zu entsinnen, etwas, das alles vorher gewesene übertreffen würde, müßte er alle Zeit im Schatten seines Nachbarn stehen.
Daher schritt er schleunigst zur Tat und schloß sich in sein Zimmer ein, um alle seine Konzentration anspannen, um auch zu einer Idee kommen zu können, die in ihrer Effizienz in nichts zurückstehen und deren Zweck im Wert in allem höher stehen sollte, als die seines Nachbarn. Diese Idee sollte an Wert mit einem Schlage jede Idee seines Nachbarn übertrumpfen können und dieses Mal ihn als überlegenen Intellekt in Szene setzen. Eine Idee, von deren Großartigkeit die Nachwelt noch sprechen sollte.
Mehrere Tage also, so daß sich Alfons sehr wundern mußte, ob er nicht an irgendeiner Krankheit litt, vergrub Alfred sich in seinem Zimmer. Alfons konnte nur noch sehr selten mit ihm sprechen und wenn sie sprachen, konnte er die wahnsinnig leuchtenden Augen, das schiefe Lächeln im Gesicht sehen und Alfons folgerte, daß in Alfred etwas eigentümliches, etwas heimliches, ihm nicht zugängliches vorgehen mochte. Anstatt daß Alfred mit ihm wie gewöhnlich zu Mittag aß, hörte er ihn mittlerweile nur noch Nachts das Türschloß drehen und in die Küche schleichen, wo er gierig und schmatzend sich die Nahrung in den Bauch stopfte, um sogleich wieder zurück in das Zimmer zu huschen und die Tür wieder zu verriegeln. Dagegen hörte er des Tags ein Poltern im Zimmer, daß er sich fürchterlich erschrak und in heftigen Befürchtungen, seinem Wohnungsgenossen mochte etwas zugestoßen sein, zur Tür eilte, klopfte und ihn zu sprechen wünschte. Doch aus dem Zimmer, daß ihm verschlossen blieb, hörte er nur die heisere Stimme, daß er keine Zeit für ein Gespräch hätte.
Nach einem Monat fürchtete sich Alfons, selbst hinaus aus seinem Zimmer zu gehen, weil immer wieder heftige Flüche und scheppernde Wutausbrüche aus dem Zimmer stießen. Er glaubte, die Vorstellungen seines Wohnungsgenossen nicht mehr richtig einschätzen zu können; alsbald verlor er jegliches Vertrauen in Alfreds Vernunft; er dachte darüber nach, ob er nicht doch die nächste Psychiatrie benachrichtigen, ihn abholen lassen sollte. Mittlerweile hörte er immer wieder das Hämmern mit den Fäusten auf den Tisch, minutenlanges Hämmern; eine kleine Stille und wieder andauerndes, donnerndes Hämmern, dann einen Wutausbruch, lautes Schimpfen und Fluchen, Stille. Wieder Hämmern. Wieder Fluchen. Lautes Bitten, fluchende Appelle, Mahnungen und Ultimaten an Gott. Dann ein Hämmern mit dem Kopf auf den Tisch und ein beständiges und gequältes „Nein, Nein.“ Den ganzen Tag und auch in der Nacht.
Doch eines Tages, gerade als Alfons leise ins Badezimmer schleichen wollte, öffnete sich die Tür seines Wohnungsgenossen. Vor Schreck blieb Alfons mitten im Flur stehen und konnte kaum einen weiteren Schritt gehen. Er erblickte Alfred, wie er aus dem Zimmer in den Flur trat. Zunächst Gedanken versunken nahm Alfred plötzlich Alfons wahr und sein verschwitztes Gesicht lächelte freundlich. Ihm war die Anstrengung seiner wochenlangen, geistigen und körperlichen Tätigkeit anzusehen; seine Stirn schien mit einigen Beulen und blauen Flecken gezeichnet.
Freudig erklärte Alfred: „Hör zu mein Freund, ich werde dir meine neue Idee darstellen. Hast du einen Moment Zeit?“ Alfons war noch im Bademantel und er hätte sich lieber die Zähne geputzt und ein Frühstück zu sich genommen. Als er jedoch Anzeichen einer Unentschlossenheit gab, schien sich das Gesicht seines Wohnungsgenossen zu verdunkeln und er besann sich anders. So folgte er Alfred ins Zimmer.
Das Zimmer war über und über mit Papierknäueln und irgendwelchen mit Bleistift angefertigten Zeichnungen überhäuft. Was die Zeichnungen bedeuteten, konnte Alfons nicht entschlüsseln, da sie regelmäßig nur bekritzelt schienen, immer wieder als Explosion oder als Feuer oder als Wasser oder als Himmel zu betrachten waren. Eigentlich waren die Blätter nur mit undefinierbaren Flächen bemalt. Aber daß sein Wohnungsgenosse zu solchen Zeichnungen fähig war, flößte ihm weitere Ängste ein.
Alfred setzte sich an den Schreibtisch und Alfons holte sich noch einen Stuhl herbei, um sich gleich neben ihn zu plazieren.
„Also, meine Idee.“
„Ja, ich bin auch schon gespannt“, log Alfons.
„Also, meine Idee wird die Welt verändern, verstehst du?“ Bedeutungsvoll hob Alfred den Finger in die Luft und seine Augen leuchteten irre auf. „Sie wird alles verändern, du wirst sehen.“
Er nahm eine Zeichnung hervor und auf ihr konnte Alfons eine Rakete sehen, aus deren Hinterteil ein gewaltiger Feuerschweif zog.
„Also, wir werden, um es ganz deutlich und ohne Umschweife zu sagen, mit Hilfe einer Rakete unseren Atommüll in die Atmosphäre schießen.“
Erwartungsvoll blickte Alfred auf Alfons. Alfons müßte nun etwas sagen. Alfons müßte nun diese Idee bewerten. Er konnte die hohe Erwartung, die sein Wohnungsgenosse an die Bewertung seiner Idee stellte, spüren und er überlegte, ob er ihn anlügen oder die Wahrheit sagen sollte. Immerhin schien Alfred nicht ganz zurechnungsfähig zu sein, dessen Idee seine Befürchtungen bestätigt hatte.
Daher sagte er sehr vorsichtig: „Ja, Alfred, deine Idee ist gar nicht so schlecht.“
„Ach, ich wußte doch, daß meine Idee gut ist, ich habe es gewußt“, jubelte Alfred und euphorisch vertiefte er seine Erklärungen, gab er weitere Details seines Geniestreichs: „Also, wir werden eine solche Rakete bauen, siehst du? Ist das nicht eine tolle Rakete? Die ist groß, die ist so ungeheuerlich energiegeladen, siehst du den Feuerschweif? Zischschhh, so wird sie in die Luft steigen.“ Alfred ahmte mit seiner Hand den Start und den Flug der Rakete nach. „Aber vorher“, Alfred nahm eine neue Zeichnung hervor, auf der nichts anderes als ein großer glimmender Bleifleck zu erkennen war, „vorher werden wir allen unseren Atommüll in die Rakete verfrachten. Endlich ist die Lösung da. Endlich können wir effektive“, bei diesem Wort hob er stolz seinen Kopf, „effektive Entsorgung betreiben, dann können die Atomkraftwerke noch viele, viele Jahre produzieren und viel Energie erzeugen, welche die Atomkraftwerkbetreiber in viel, viel Geld umsetzten können. Und was glaubst du wohl, wem ich diese Idee verkaufen werde? Na? Natürlich diesen Atomkraftwerkbetreibern. Und du kannst dir sicher sein, daß auch ich viel, viel Geld verdienen werde, daß ich endlich Millionär werde und vielleicht gebe ich dir auch einen kleinen Teil.“
Alfons überlegte, ob er noch einen weiteren Test durchführen sollte, um die Vernunft seines Wohnungsgenossen sicherheitshalber noch Mal auf die Probe zu stellen. So fragte er: „Aber die Umsetzung deiner Idee wird ein sehr großes Vorhaben sein. Dazu werden viele Menschen benötigt, viele Arbeitskräfte und jedes Detail muß gut kalkuliert, geplant und berechnet worden sein, bevor ein solches Wagnis auch wirklich in die Tat umgesetzt werden kann. Hast du denn auch alles berechnet? Hast du denn auch alles bedacht? Kann uns die Radioaktivität auch nicht auf den Kopf regnen?“
Auf diese Frage reagierte Alfred mit einem unverständigen Kopfschütteln. „Siehst du meine Zeichnungen denn nicht? Siehst du meine Bemühungen denn nicht? Eine Rakete wird starten, sie wird uns vom Atommüll befreien und ich werde Millionär.“
„Gut“, sagte Alfons noch und beeilte sich, aus dem Zimmer zu kommen. Als er aber noch einen Blick auf seinen Wohnungsgenossen warf, konnte er sehen, wie dieser mit seiner Hand den Start der Rakete nachahmte, mit einem Zischschh und einer Meldung an die Bodenstation seine Hand quer durch das Zimmer fliegen ließ. Alfons schloß schnell die Tür hinter sich zu.

 

Moin Cipollo,

Ja, ich muß mich meinen Vorrednern leider teilweise anschließen. Wirklich lustig fand ich die Geschichte auch nicht. Einen gewissen urigen Charme strömt sie aber dennoch aus und daher hab ich mich insgesamt doch ganz gut unterhalten gefühlt.
Allerdings mußte ich mich teilweise durch deine Sätze wühlen, weil sie für meinen Geschmack manchmal ziemlich komplex und unnötig aufgebauscht daherkommen. Die Pointe mit der Abfallentsorgung fand ich leider auch eher enttäuschend, zumal du hier auch mit der Geschichte brichst. Bis dahin hatte sie einen gewissen Charme durch die vielen kleinen Details (Klostein, Fliegenpapier) - da ist die Müllrakete einfach zu groß. Keine Ahnung, ob rüberkommt, was ich meine, aber die Rakete paßt irgendwie nicht...

 

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