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Die Katze
Sherry blickte zurück. Da war niemand. Trotzdem verschwand das Gefühl nicht, beobachtet zu werden. Sherry lachte laut auf. Sie war zu albern. Das war eine typische Szene dieser Teeniehorrorfilme. Frau läuft nachts alleine herum, Mann beobachtet sie, überfällt sie und ermordet sie auf grässliche Art und Weise. Wie viele Male hatte sie das schon gesehen?
Deshalb spielte ihr ihre Fantasie einen Streich. Niemand beobachtete sie und niemand würde aus dem Gebüsch springen. Punkt. Dennoch beschleunigte Sherry ihren Schritt etwas. Sie wollte schnell zu Hause sein. Vor allem weil dieses kribbelnde Gefühl der Angst nicht verschwinden wollte.
Ein Geräusch! Ein lautes Rascheln!
Erschrocken und zu allem bereit drehte sich Sherry um und stolperte beinahe über die kleine Katze, die aus dem Gebüsch gesprungen war. Eine Katze?! Sie hatte solche Angst gehabt wegen einer Katze?! Sherry lächelte über ihre Dummheit. Das hatte sie davon, dass sie sich solche Filme ansah. Sie streichelte der Katze durch das dunkle Fell. Die grünen Augen glühten zufrieden.
Sherry lief weiter in schnellem Tempo. Ihre Wohnung war schon in Sicht. Sie bemerkte nicht die leisen Schritte, die ihr folgten oder den Schatten, der an ihr vorüberhuschte. Sie drehte den Schlüssel um und war im Haus. Erleichtert atmete sie aus. Genug Aufregung und Angst für heute. Den Mantel warf sie wie üblich auf den Stuhl. Danach ging sie ins Schlafzimmer, um ihren Pyjama anzuziehen. Da hörte sie etwas. Es klang so als hätte jemand die Lampe angestossen, die unentschlossen von der einen auf die andere Seite wankte. Ihr Puls schien sich zu verdoppeln, in der Schnelligkeit und in seiner Lautstärke. Unentschlossen ging sie Richtung Wohnzimmer, woher das Geräusch kam. Der Weg dahin dauerte eine Ewigkeit und noch immer hörte sie die Lampe wanken, von der einen auf die andere Seite.
Das Zimmer war dunkel, sie konnte nichts erkennen. Doch das Geräusch wurde langsam leiser. Die Lampe kam zum Stehen. Sherry wollte sich umdrehen und einfach nicht nachsehen. Es würde alles in Ordnung sein. Ihre Hand jedoch ging wie von selbst zum Lichtschalter und betätigte ihn. Der Raum wurde erhellte und Sherry sah-
-nichts.
Das Zimmer war leer, nichts. Doch die Lampe wankte noch immer ein bisschen. Sherry bemerkte beruhigt, dass das Fenster offen war. Wahrscheinlich hatte ein kräftiger Windstoss die Lampe zum Wanken gebracht. Und sie hatte sich vor Angst fast in die Hosen gemacht. Und das alles wegen einer wankenden Lampe.
Sie machte zwei Schritte zum Schlafzimmer, als sie plötzlich ein Klicken vernahm. Es war das Klicken des Lichtschalters. Entsetzt sah sie zurück, doch wegen der Finsternis im Wohnzimmer erkannte sie nichts. Wo war eine Waffe, oder so etwas Ähnliches? Die Polizei, sie musste die Polizei verständigen. Mit dem Gesicht dem Zimmer zugedreht, arbeitete sie sich rückwärts zum Telefon hin. Ihr Herz raste, sie konnte kaum klar denken. Da stolperte sie und fiel direkt in das Telefontischchen. Es war aus Glas. Sie spürte wie einige Scherben das Fleisch durchbohrten und sie spürte, wie ihr warmes Blut den Rücken hinablief. Ein ekliges Gefühl. Während dem Fallen registrierte sie einen Schatten vor der Türe. Jetzt war es aus.
Sie schlug auf dem Boden auf und wagte es nicht sich zu rühren oder gar die Augen zu öffnen. Sie lag da und wartete. Wartete eine lange Zeit- jedenfalls kam es ihr so vor- doch egal was sie erwartet hatte, trat nicht ein. Sherry öffnete die Augen, aber es stand kein Irrer mit einer Axt vor ihr, auch kein Maskierter mit einer Kettensäge. Da war niemand. Hatte sie es sich nur eingebildet? Aber das Licht im Wohnzimmer hatte sie nicht selbst ausgeschaltet. Sie hatte das Klicken genau gehört. Der Schmerz in ihrem Rücken hatte etwas nachgelassen. Sherry wollte nicht wirklich wissen, wie es aussah. Das hätte sie nicht ertragen. Sie griff nach dem Telefon und handelte sich weitere Scherben, diesmal an den Fingern, ein. Überzeugt die Leitung wäre tot, hielt sie sich den Hörer ans Ohr. Und beinahe hätte sie geweint, als sie das vertraute Freizeichen hörte. Sie wollte gerade die Nummer der Polizei wählen, da berührte sie etwas am Fuss. Es fühlte sich schwielig und dazu sonderbar feucht an. Ohne hinzusehen stiess sie schreiend mit dem Fuss zu und spürte den Widerstand. Sie fühlte wie etwas davonflog und gegen die Wand prallte. Weil die Tränen ihre Sehkraft trübten, erkannte sie nur den Fleck an der Wand. Mehr wollte sie auch nicht sehen. Sie kroch so schnell sie konnte in ihr Schlafzimmer und schloss ab. Sie würde hier sicher sein.
Schon hörte sie die leisen Schritte wieder. Sie kamen näher und blieben vor ihrer Tür stehen. Obwohl Sherry ganz angestrengt lauschte, hörte sie nichts als ihren eigenen Atem und das Tropfen des Wasserhahns. Jäh kratzte es an der Tür. Dieses Geräusch bohrte sich in ihr Trommelfell. Kratzen, dann nicht, wieder Kratzen, dann nicht. Es trieb sie ihn den Wahnsinn. Sie drängte sich zurück an die Wand, die am weitesten weg von der Tür war, direkt unters Fenster, wo sie sich zusammenkauerte. Der Schmerz in ihrem Rücken nahm wieder zu. Sie wollte am liebsten schreien. Aber dann würde es ganz bestimmt nicht weggehen. Ihr war in diesem Moment nicht bewusst, dass sie so auch Hilfe holen konnte. Sie hatte nur Angst. Es war nicht mehr dieses kleine, hohle Gefühl im Magen. Diese immense Angst liess ihren ganzen Körper wie verrückt zittern, raubte ihr den Atem und sie spürte den Puls in den Ohren. An ein rationales Überlegen war nicht zu denken. Die Angst frass alle Gedanken auf und liess nur Platz für dieses starke Gefühl. Sherry wimmerte leise, da hörte das Kratzen auf. Diese Stille war kaum beruhigender.
Ein Quietschen durchdrang die Stille, es war der Türknauf, der gedreht wurde. Ungläubig starrte Sherry den Knauf an, gleich würde er ganz herumgedreht sein. Dann wäre es aus. Der Knauf war gedreht, langsam, wie in Zeitlupe, öffnete sich die Tür. Das war nicht möglich! Sie hatte doch abgeschlossen. Als wolle die Tür das Gegenteil beweisen, quietschte sie etwas. Diese Szene hätte sich in einem Horrorfilm sehr gut gemacht. Wegen dem Licht warf es einen riesigen Schatten auf Sherry, die nur Schemen sah. Grosser Schatten! Tap, tap, tap. Es kam näher. Sherry wollte nicht mehr hinsehen, wenn sie es sah, würde sie den Verstand verlieren. Kopflos schlug sie die Scheibe des Fensters ein, wobei ihr die scharfen Scherben Gesicht und Arme zerkratzten, und stand auf das Geländer. Noch ein letztes Umdrehen und sie sah, was es war. Ein irres Lachen entrann ihrer Kehle, das mehr wie ein Aufschluchzen klang, als sie es erkannte. Es war zu spät, sie verlor das Gleichgewicht und stürzte mit einem Schrei aus dem fünften Stock.
Der Mann, der unten stand und einziger Zeuge war, konnte hören wie ihre Knochen brachen und splitterten, als sie auf dem Betonboden aufschlug. Blut war überall, Zähne und Hautfetzen lagen herum. Der Mann musste sich übergeben. Doch sie war noch nicht tot. Der Mann eilte zu ihr und sie versuchte zu sprechen, aber spuckte den Mann nur mit Blut voll. Sie zeigte nach oben. Dann erschlaffte ihr Arm, sie war tot. Eine groteske Maske aus einem Grinsen und Entsetzen mauerte sich in ihr Gesicht. Der Mann sah nach oben und ein unerklärliches Schauern erfasste ihn. Auf dem Fensterbalken, von dem die Frau gesprungen war, sass eine schwarze Katze und starrte ihn mit glühenden grünen Augen an...
Die Katze