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Die Mondsüchtigen

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16.08.2003
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Die Mondsüchtigen

„Du weißt doch dass die Welt irgendwann untergehen wird?“, fragte der Großvater wieder. Das war seine Lieblingsfrage. Großvater Harrold war ein paranoides 70 Jahre altes Kind, dass sein Leben damit verbrachte Pläne zu schmieden. Pläne, wie man die Welt verändern könnte, wie man sie besitzen könnte, wie man sie zerstören könnte. Er hatte seid seiner Kindheit einen leichten Verfolgungswahn, nichts ernstes, nur dass seine Kindergartenzeichnungen Schlachtplänen ähnelten. Irgendwo im Kern seiner Seele war er sich bewusst, dass er nichtig und unbedeutend war, und das war sein Antrieb. Der Drang von der Menschheit geliebt werden zu wollen. Nein, der Drang, von ihr gefürchtet zu werden. Doch es blieb auch nur bei einem Drang. Denn dadurch bestand Harrolds Leben schließlich. Aus scheiternden oder schlechten Plänen über die Welt. Aus ihm hätte ein genialer Philosoph werden können, vielleicht eine Führungsperson, vielleicht ein einsamer Poet, der die Welt verabscheuen würde. Doch aus Harrold wurde ein Großvater. Wie? na ja so wie jeder normale Mann mit viel Sinn für Humor und einer glänzenden Zukunft plötzlich Opa wird. Man macht einfach nur den größten Fehler seines Lebens.
Doch was spielte das schon für eine Rolle. Harrold war ein einziger Fehler in Person, da machten Frau, Kind und Enkelkind auch nicht viel aus. Und jetzt, jetzt wo er alt geworden war, hatte sein Leben Sinn für ihn ergeben. Er wartete auf den Tod, und dies schien ihm so unbeschreiblich sinnvoll und erfüllend, dass er jede Sekunde genoss. Er fühlte diesen Sinn nahezu, das war ES! Natürlich hatte sich an seiner Paranoia und seinem wahnsinnigen Blick nichts geändert, doch jetzt hatte die Welt keine Bedeutung mehr, nein, nicht für ihn. Der Tod hatte Bedeutung. Die Welt war nichtig! Nichtig und unbedeutend. Und Harrold hatte angefangen im späten Alter an das ENDE der Welt zu glauben. Und nicht nur, dass er daran glaubte, er erfreute sich daran. Daran dass die armen Menschen, die, die Welt doch so lieben, sie irgendwann verlieren werden. Und keiner, keiner von ihnen wird sie dann noch besitzen können. Nicht nur Harrold würde es nicht können, nein KEINER!!!
Und dann stellte er sich vor wie er zu dieser Zeit schon tot unter der Erde liegt, und nur die armseligen lebenden Menschen dann verzweifelt durch die Gegend laufen und schreien. Herrlich. Jetzt, jetzt war das Leben für Harrold schön.
„Du weißt doch, dass die Welt irgendwann untergehen wird!“, wiederholte der alte Sack, zum dritten mal.
Timmy kratzte sich gelangweilt am Kopf und drehte sich zu dem alten Großvater. Das Fenster durch das er in den schwarzblauen Nachthimmel blickte, stand weit offen und halb zitternd vor Kälte versuchte sich der kleine Timmy auf Großvater Harrolds Fragen zu konzentrieren. Der alte Kerl, war so krank im Kopf, da konnte man eigentlich antworten, was man wollte, er würde es sowieso falsch interpretieren. Er würde anfangen irgendwelchen Mist vor sich hin zu brüllen von dem er dachte, dass dieser Sinn ergebe. Doch Timmy mochte Großvater Harrold. Auch wenn er sich bewusst war, dass dieser einem Psychopathen ähnelte. Harrold war für Timmy jemand, bei dem er sich wohl fühlte, weil er das sein durfte was er war. Ein einfacher, typischer, kleiner Junge. Kein schlauer Knabe, wie für einen Lehrer. Kein rebellisches Vorbild, wie für seine Freunde. Kein männliches und ausgereiftes Mitglied der „Stoneheads“, wie für seinen Vater. Und auch nicht irgendetwas Liebenswürdiges und Stolzerfüllendes, wie für seine Mutter. Nein, hier war er, er selbst. Und das war auch Harrold. Sie mussten einander nichts vortäuschen. Harrold konnte zeigen, dass er ein paranoider, alter Idiot war und Timmy musste nicht verbergen, dass er nichts besonderes war. Und das, das war das besondere an Timmy und Harrold. Und dadurch waren sie frei, hier irgendwo waren sie frei.
„Ich weiß!“, antwortete Timmy und drehte sich zu Harrold. Die Augen, des Alten wurden rötlicher und von allen Seiten bedeckte sich sein Gesicht mit Falten, aller Art.
„Ja! Und du hast keine Angst?!!“, brüllte er entsetzt. Er war nicht wirklich entsetzt, doch so wirkte es immer, wenn er versuchte zu diskutieren.
Timmy versuchte das Zittern einzustellen, doch der kalte Winterwind hatte sich schon in Haut und Haaren festgesetzt. Harrold sagte ihm nicht das Fenster zu zumachen. So etwas sagte Harrold Timmy nicht. Timmy sollte machen was er wollte. Wenn er frieren wollte, sollte er es doch tun. Freier Wille, war das Maß aller Dinge. Oder so.
Er drehte sich wieder leicht zurück. Zurück zum Sternbedeckten Himmel und zum weiß glühendem Mond, der aussah wie ein pigmentgestörter Pfannkuchen. Falls es so was gibt.
„Einbisschen.“, antwortete Timmy schniefend. „Einbisschen Schade wäre es schon.“
„Einbisschen?!!“, erhob sich die bärenartige Stimme von Harrold. „Was meinst du mit ‚Einbisschen schade’??? Es wäre Einbisschen sehr schade! Die Welt hier ist das aller beste, was dir kleinem Nichts, nur passieren konnte. Stell dir doch nur mal vor, was wäre wenn sie plötzlich weg wäre?!!“
Um seinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen, hob Harrold zitternd die rechte Hand, und versuchte bedeutungsvolle Gesten zu machen, wie er es aus alten Kriegsdokumentarfilmen oder ähnlichem kannte. Es sah nicht ganz so aus, wie es sollte. Harrolds Gesichtsausdruck und seine affenartige Handbewegung erinnerte einen an einen Schimpansen.
„...Ist nicht das schönste...“, murmelte Timmy leise. Wer wiedersprach schon gerne einem Kerl wie Harrold. Doch hier, hier in der Parallelwelt in der Timmy und Harrold einander zeigten wie sie wirklich waren, und einander akzeptierten. Hier gab’s keine Lügen. Timmy musste klare Antworten geben.
„Die Welt ist nicht das schönste.“, sprang es aus Timmys mit Mut erfüllten Lippen „Ich fände es gar nicht so schlimm, wenn sie untergehen würde, da der Mond ja noch da wäre! Ich finde den Mond viel schöner, als diese ganze Welt hier.“
Timmys Stimme klang entschlossen, wichtig, schlau. Er hatte seinen Brustkorb beim Reden aufgerichtet, ohne es zu merken, und sah jetzt aus wie ein Musterschüler. Wie ein Soldat.
Er ließ seinen Körper wieder zusammensacken. Das wollte er nicht. Er wollte nicht schlau und bedeutend klingen. Denn das wollte er nicht sein.
Sie waren beide all der Besonderheiten, die sie vortäuschen mussten, müde.
„Solange der Mond existiert, kann mir die Welt egal sein.“, flüsterte Timmy noch mal leise.
Timmys Blick glitt wieder durch in das Fenster und verlor sich dort irgendwo im sternübersätem Himmel. Das leichte Zittern kam wieder zurück.
Harrold saß etwas verwirrt in seinem Sessel. Irgendetwas hatte ihn aus seiner fesselnden und leidenschaftlichen Diskussion gerissen, und ließ ihn jetzt irgendwie nicht mehr los.
Timmys Atem bildete blaugraue Wölkchen die durch dann zum schwarzen Himmel emporstiegen. Er atmete die kalte, elektrisierende Winterluft ein. Und je mehr sich der Kleine herausstreckte, desto mehr verschwand sein Kopf in dieser tiefen Dunkelheit.
Dort ganz unten, unter den Sternen war dieser kleine unsichtbare schwarze Schatten und nur zwei klitzekleine leuchtenden Pünktchen waren zu sehen. Zwei kleine Augen in denen sich der weiß leuchtende Mond wiederspiegelte.

© Copyright by Alissa Berger
ein etwas älterer Text, daher der andere Schreibstil.

 

Hi Delena

Für mich ist diese KG recht konfus. Vorallem das der Grossvater manchmal mit viel Wärme und Zuneigung und dann wieder mit echtem Hass beschrieben wird. Am Anfang der Geschichte mag man ihn und dann wird alles kaputt gemacht, ich wusste dann gar nicht mehr, ja is er nun nett oder ein arsch?
das ist schade und verwirrend.

Sehr zwiespältig, aber vielleicht war das von dir auch so beabsichtigt.

Nimm es mir nicht krumm!
Liebe Grüsse
Muchel

 

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