Was ist neu

Die Motivation der Routine

adi

Mitglied
Beitritt
21.03.2004
Beiträge
25
Zuletzt bearbeitet:

Die Motivation der Routine

Er hielt inne. Die Töne zitterten, sie klangen sauber, ehe sie langsam verhallten. Es musste perfekt klingen, denn Marc hielt etwas auf sich. Er spielte weiter, seine Finger glitten blitzschnell über die Saiten, die Augen waren geschlossen. Marc war ein guter Gitarrist und das wusste er. Zwar hatte er niemals vor Publikum gespielt, doch immer wenn er übte, dachte er ans Auftreten. Er arbeitete nur auf diesen Moment hin. Carolin würde da sein.

Der nächste Tag war gerade so warm, dass man draußen sitzen konnte, wenn man eine Jacke trug. Sie sprachen alle von dieser einen Band, Marc kannte sie nicht. Michael hatte das Thema angesprochen und danach überboten er und Carolin sich in Lobgesängen über die Gruppe. Marc sagte nichts. Abends, auf dem Heinweg, fuhr er an der Bücherei vorbei und lieh zwei CDs der Band aus. Er hörte sie beide, dann dachte er, es könnte nicht schaden, sie ein zweites Mal zu hören. Doch schon bei der ersten schlief er ein.

Die Wolkendecke bestand aus einer dicken, grauen Masse und die Regentropfen prasselten an die dünnen Scheiben. Carolin starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Marc tat so, als sähe er sie nicht und ging weiter. Später traf er Michael, der ihm erzählte, dass die Band am nächsten Tag in der Stadt auftreten würde und dass sie alle hingingen, nur Carolin müsste er noch fragen. Marc sagte zu.
Zu Hause angekommen fragte er die große Schwester über deren letzte Konzertbesuche aus. Sie erzählte von Alkohol, Lärm und Tanzerei. Weil er nicht tanzen konnte, ließ er sich einen Tanz zeigen und übte ihn bis in die Nacht hinein.

Marc konnte seinen Atem sehen. Er war etwas zu früh, aber die anderen waren schon zu sehen. Nur Carolin und Michael hatten Verspätung. Das Konzert gefiel Marc, trotzdem tanzte er nicht lange. Danach gingen sie in eine Kneipe und tauschten Eindrücke aus, dann sprach man über Biersorten. Marc wurde still. Hier konnte er nicht mitreden. Es erschreckte und beeindruckte ihn gleichermaßen, dass Carolin auch hier nicht nur ein beachtliches Fachwissen, sondern auch eine Menge Erfahrung besaß.
Er fuhr etwas früher und traf zu Hause noch seinen Vater im Wohnzimmer. Nachdem er über den Abend erzählt hatte fragte er ihn nach sämtlichen Biersorten, die er kennte und deren Besonderheiten.

Samstagabend ging Marc zu Michaels Party, weil er wusste, wen er zu erwarten hatte. Es gab das gleiche Bier wie gestern und Marc konnte einem Freund, der das Konzert am Vortag nicht besucht hatte, eine Menge erzählen. Carolin verschwand während der Feier über lange Zeit hinweg. Marc wartete geduldig, und als sie wiederkam waren die meisten Gäste bereits gegangen. Als er merkte, dass sie auch gehen wollte, holte er schnell seine Sachen und folgte ihr. Sein Puls raste, am liebsten hätte er sie einfach gehen lassen, aber er zwang sich, sie einzuholen. Sie lächelte ihn an, der kühle Nachtwind blies ihr die Haare in die Stirn. Eine Zeit lang gingen sie nebeneinander, Marc erzählte von dem Konzert, von der Band, von der Party, Carolin ging schweigend nebenher. Dann fragte er sie, wo sie gewesen wäre und sie sagte, sie hätte es auf der Feier nicht mehr ausgehalten. Marc nickte. Ein Stückweit liefen sie noch, bis sich ihre Wege trennten. Marc dachte noch lange über das Gespräch nach. Erst nach einiger Zeit fiel ihm auf, wie wenig Carolin seine Gesprächsthemen interessiert hatten. Frustriert kam er zu Hause an und fiel in sein Bett.
Sonntagmorgen beim Frühstück sprach seine Schwester von einem Buch, was sie gerade zu Ende gelesen hätte. Marc erinnerte sich, dass er Carolin einmal von dem Autor hat schwärmen hören. Er borgte das Buch aus, bis zum Abend hatte er gut die Hälfte gelesen.

Montag saßen sie auf der Tischtennisplatte, nur Carolin war nicht da. Die Sonne schien und Marc genoss die Wärme. Michael unterhielt die Runde mit Witzchen, da kam Carolin an. Sie grüßte in die Runde, Michael sagte nichts. Dann führte er seine Spielchen weiter. Auf einmal fing er an, Marc zu sticheln. Der reagierte nicht. Seine Witze wurden fieser, das Lachen der anderen lauter. Marc wurde es unangenehm. Nach einem weiteren Seitenhieb verteidigte er sich unbeholfen, Michael wehrte den Gegenangriff geschickt ab und sah sich nun berechtigt, Marc offen zu attackieren. Dieser tat noch ein wenig, als würden ihn die Angriffe nicht stören, doch schließlich wurde es ihm zu viel. Er stand auf und ging.
Zuhause ließ er sich auf sein Bett fallen und war unfähig, irgendetwas zu tun. Erst viel später raffte er sich auf und lief zu seinem Schrank. Nach langem Suchen fand er, was er gesucht hatte: eine Videokassette mit dem Mitschnitt einer Comedy-Sendung. Ein Jahr ist es her, dass er sie das letzte Mal angesehen hatte. Nun analysierte er den Ablauf der Sendung bis ins kleinste Detail, gute Sprüche schrieb er sich auf und er versuchte auch, sich das Verhalten der Akteure einzuprägen. Ihm fiel vor allem auf, dass sie sehr selbstbewusst waren.

Carolin und Michael saßen alleine auf der Tischtennisplatte. Sie waren dicht zusammengerückt, weil es fröstelte. Erst als ein paar andere Freunde hinuntergingen, traute Marc sich, ebenfalls dazu zu stoßen. Michael war diesmal nicht auf einen Streit mit Marc aus, er war gut gelaunt und nett zu allen. Er erzählte, dass er seit ein paar Tagen Gitarre spielte und die anderen hörten gespannt zu. Marc fragte, was für eine Gitarre das sei, und lauter Sachen, die man nur fragt, wenn man beweisen will, dass man etwas vom Fach versteht. Carolin schlug Michael vor, eine Band zu gründen. Der wusste nicht so recht, aber Carolin drängte ihn immer weiter und Michael versprach, darüber nachzudenken.

Als Marc zu Hause war, nahm er seine Gitarre und übte. In den letzten Tagen war er nicht immer dazu gekommen, das wollte er aufholen, schließlich hielt er etwas auf sich. Seine Finger glitten blitzschnell über die Saiten, die Augen waren geschlossen. Marc war ein guter Gitarrist und das wusste er. Zwar hatte er niemals vor Publikum gespielt, doch immer wenn er übte, dachte er ans Auftreten. Er arbeitete nur auf diesen Moment hin. Carolin würde da sein.
Seit einer Stunde saß er dort. Die Stadt lag still unter ihm. In den Zimmern brannte kaum noch Licht, nur die Laternen unten und die Sterne erhellten die kleinen Häuser mit ihren Gärten.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo adi,

deine Geschichte ist ganz schön deprimierend. Marc führt ein Retortenleben. Natürlich ist er nicht künstlich entstanden, aber anstelle der eigenen Erfahrungen liest er sich schlau. Er trinkt nicht, er büffelt Biersorten, so wie er gute Sprüche anderer lernt, anstatt er selbst zu sein. Ob Carolin ihn so erhören wird, bleibt fraglich, auch wenn er darauf hofft.
Ein bisschen zu viel "dann", "danach" oder ähnliches verwendest du mir. Dadurch bekommt deine Geschichte so ein bisschen den Touch einer Nacherzählung oder eines Erzählung eines aufgeregen Kindes, das seinen Eltern erzählt, was alles passiert ist. Ansonsten gefallen mir deine schlichten Sätze für diese Geschichte sehr gut. Ich finde sie überaus passend.
Ein paar Anmerkungen habe ich noch:

Die Töne blieben klangen sauber, ehe sie langsam verhallten.
Irgendwas fehlt in diesem Satz, eventuell nur ein Komma zwischen blieben und klangen.
Michael hatte das Thema angesprochen und danach überboten sich er und Carolin in Lobgesängen über die Gruppe.
Ist zwar so auch richtig, aber mE klänge es runder, wenn es und danach überboten Carolin und er sich in ... hieße.
Nachdem er über den Abend erzählt hatte fragte er ihn nach sämtlichen Biersorten, die kenne und deren Besonderheiten.
Biersorten, die er kennen würde (ich bin nicht ganz sicher, aber "kenne" scheint mir der falsche Tempus zu sein)
Marc wartete geduldig, so dass nur noch wenig Menschen da war, als sie wiederkam.
Hier hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Es waren ja nicht nur noch wenige Menschen dort, weil Marc geduldig gewartet hat. Oder sind die anderen deshalb gegangen?


Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim,
Vielen Dank fürs Lesen. Den Begriff "Retortenleben" finde ich interessant. Er zeigt, wie vorprogrammiert das Verhalten Marcs und die Ergebnisse dieses Verhaltens sind. Er bleibt immer einen Schritt hinter den anderen, ohne dass diese ihren Vorsprung ausbauen. Seine Motivation aber lässt nicht nach, weil er stets hofft, diesen einen Schritt aufholen zu können.

Ich hab die Geschichte nochmal überarbeitet und unter anderem die danns und danachs etwas reduziert. Was den Konjunktiv 2 des Verbes "kennen" angeht, so lautet der "er kennte" (oder "er würde kennen"), also hattest du recht. Ich hab mich für aber "kennte" entschieden

Lieben Gruß, adi

 

Hallo adi noch mal,

ohne die vielen danns und danachs liest es sich wirklich besser. Ich hoffe, dass du das auch so empfindest. :)
Allerdings hast du vor "kennte" noch ein er vergessen. ;)

Lieben Gruß, sim

 

Jetzt aber. Manche Sätze wollen und wollen einfach keine Ruhe geben :)

Lieben Gruß, Adi

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom