Die Selbstmord- Uhr
Teil1:
Ein Zeiger legt sich über den anderen, und das Gerät fängt an die weiche Stimmung des Morgens hart zu klopfen.
Ein Mal, zwei Mal…
Der leise Puffer in seinem Kopf schaltet sich ein, als er aufwacht, und die Realität wie eine Wand vor ihm steht.
Seine Gehirnwindungen sind in Watte gepackt, und der Puffer hält die Wirklichkeit, die ihn sonst erschlagen würde, von ihm fern.
Das taubenartige Gurren des Weckers steigert sich plötzlich zu einem nervenaufreibenden Kreischton.
Mit der flachen Hand holt er die Stille zurück.
Seine nackten Füße tragen ihn erst ins Badezimmer, dann in die Küche.
Zwei Eier brutzeln in der Pfanne, das Radio ist ausgeschaltet.
Auf dem kleinen Frühstückstisch steht eine Kanne Kaffee, heiß.
Seine Augen sind hinter dem Fenster, auf der Straße, dem Gehsteig, und seine Ohren sind draußen in der kalten Luft über dem Asphalt und zwischen den Häusern.
Er denkt an die Bombe, und doch ist er aufmerksam.
Er denkt an den Mechanismus, mit dem er den Fußabstreifer verdrahtet hat.
Die dünnen Kupferdrähtchen, die sich wie lange Insektenbeine, unter den Dielen zu der digitalen Radiouhr neben dem Herd erstrecken.
Dort warten sie, die Fußmatte, die Drähte und die Uhr, auf den richtigen Moment.
Wie jeden Tag wechselt sein Blick zwischen der Straße und den grün schimmernden, segmentierten Ziffern der Digitalanzeige hin und her.
Wenn es genau sieben Uhr ist.
Sieben Uhr.
Teil2:
Er hat sich heute Morgen einen Schiefer am Stiegenaufgang eingezogen.
Die Zeitung fliegt in hohem Bogen auf den anderen Stiegenaufgang, vor der Haustür.
Vielleicht Morgen.
Um genau sieben Uhr sieht er, wie der Junge seine Lieferung macht:
Weit ausholender Arm, schlampige Zielführung.
Er sieht wie die Zeitung die Hand verlässt, sich von ihr loslöst, sich in die Luft begibt, sich in der Luft dreht, und dabei eine große Kurve beschreibt, und immer weiter aufsteigt, während sie fliegt, und langsam auf das Haus zukommt, so gefährlich wie ein brennendes Streichholz, dass auf einen mit Petroleum überschütteten Menschen zufliegt.
Und es fliegt…
Vielleicht trifft er morgen.
Um die Zeit herum, als er eigentlich hätte aufpassen sollen, nicht, dass das einen Unterschied gemacht hätte, las er gerade einzelne Cornflakes vom Küchenboden auf.
Er hasste er, barfuss irgendwo rein zusteigen.
Als ihm die wichtigste Sache überhaupt wieder einfällt, schnellt er hoch.
Das Dynamit flackert kurz in seinem Kopf auf, das Dynamit, und dann sieht er den Zeitungsjungen davonfahren, zum nächsten Haus, mit der nächsten Zeitung in der Hand.
Wieder nicht getroffen.
Diesmal hat er ganz genau aufgepasst:
Unter seinem aufmerksamen Gesicht, brutzeln die Eier im Fett, sein Blick ist auf den Jungen fixiert, auf das Bündel in seiner Hand, dessen Gewicht er in seiner Hand wiegt, bevor er es mit einer abgehackten Bewegung aus dem Handgelenk schleudert.
Er fährt weiter, die Zeitung fliegt weiter… auf die Matte zu.
Die Matte…empfängt sie, geruhsam, unschuldig.
Ganz sachte, landet das Paket. Der Adler ist gelandet, der Adler ist endlich gelandet…
In letzter Sekunde sieht er auf die Uhr: 7:00
Teil3:
Der Junge behält die nächste Matte im Auge, in seiner Hand: eine zusammengerollte Zeitung.
Ich werde langsam besser, denkt er sich.
Beim vorigen Haus hab ich genau getroffen.
Er will gerade werfen, als ein alles zerreißender Knall, ihn vom Fahrrad stoßt.
Einzelne Trümmer- Beton, Holz, Schutt und anderes Zeug, fliegen über ihn hinweg.
Irgendwo geht eine Alarmanlage los. Klingt wie ein mechanischer Protest gegen diese ungehörte Verletzung der allmorgentlichen Routine.
Der Hagel legt sich langsam, und der Junge blickt zögernd auf.
Seine Haare sind weiß vor Staub, und überall liegen Scherben, und Verputz.
Ein Krater dort, wo vorher noch ein Haus war.