- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 12
Dreiundzwanzig Flamingos
hier klicken, um die zweite Version des Textes zu lesen (exklusiv für KG.de)...
Naja, ich biß herzhaft in meine Mettwurst und habe Kurt einfach reden lassen. Er hielt gerade irgendeinen Monolog über ein paar Asiaten, die mit Hilfe neuer Industrienormen die Weltherrschaft an sich reißen wollten oder so.
"Es geht ja darum", sagte er gerade, "daß wir alle hier - also du und ich und sogar die Uschi vom Edeka - daß wir alle also quasi mit dabei involviert sind sozusagen."
"Kurt, du bist ein verdammter Schwätzer."
"Halt die Klappe! Was weißt du denn schon?" Er nahm einen Schluck Bier, rülpste einmal laut und fiel dann in Ohnmacht. Vielleicht war er auch einfach eingeschlafen oder tot, aber auf jeden Fall bewegte er sich nicht mehr. Ich nutzte die Gunst des Augenblicks, um seinem Wortschwall zu entkommen, zahlte meine Wurst und verließ den Imbiß.
"Dreiundzwanzig."
"Was?"
"Dreiundzwanzig Minuten und dein armseliges Leben wird sein wohlverdientes Ende finden." Vor dem Imbiß stand eine weißharige Greisin im Schottenrock, die mich geifernd anbrüllte, während ihr letzter Zahn verheißungsvoll in der Sonne funkelte. "Du wirst sterben, Manfred Tröpper."
"Woher kennst du meinen Namen? Wer bist du eigentlich?"
"Ich bin der Engel des Todes und gekommen, um dein Ende zu verkünden."
"Mußt du dabei so laut schreien? Ich meine, ich bin ja nicht taub oder so."
"In dreiundzwanzig Minuten wirst du es sein." Dann sagte sie gar nichts mehr, sondern verfiel in ein irres Kichern. Ich gab der Alten eine schallende Ohrfeige, sie trat mir zur Strafe vors Schienbein und redete dann weiter. "Du wirst Besuch bekommen. Von dreiundzwanzig singenden Flamingos, die dreiundzwanzig Mal die Tonleiter rauf und wieder runter singen werden. Danach, um exakt dreiundzwanzig Uhr dreiundzwanzig, wirst du noch dreiundzwanzig Atemzüge machen, bevor du stirbst. Und dann, Manfred Tröpper, ist das Ende der Welt gekommen!" Den letzten Satz brüllte sie mir wieder ins Ohr, als wolle sie meinen Ohrenschmalz durch puren Schalldruck aus meinem Kopf vertreiben.
"Ja, schon Recht", sagte ich. "Hier hast du zwei Euro. Aber nicht alles auf einmal versaufen."
...
Gut gelaunt und ein kleines Liedchen pfeifend - immerhin hatte ich nicht nur Kurts Monolog überlebt, sondern auch einer armen Frau einen schönen Abend ermöglicht - machte ich mich also auf den Weg nach Hause. Während ich ein kleines Stückchen Wurst aus meinen Zähnen pulte, bemerkte ich, wie sich der Himmel langsam verfinsterte. Das wurde aber auch mal Zeit, dachte ich bei mir, immerhin war es schon elf Uhr abends durch.
Aber die Dunkelheit war nicht durch die untergehende Sonne bedingt, sondern durch eine dichte Wolkendecke, die sich über den Himmel legte und erste Regentropfen auf die Erde schickte. Schützend hob ich die Hände über den Kopf, als neben mir ein schwarzer Wagen hielt, drei Gestalten ausstiegen und mich hineinzogen.
Die Tatsache, daß wir mit insgesamt fünf Mann in dem Wagen saßen, wurde noch durch drei kleine Aspekte verschlimmert. Zum Einen war unser Auto ein Fiat Punto, dessen Fenster sich zum Zweiten nicht öffnen ließen, was eigentlich nur deshalb wirklich schlimm war, da zum Dritten einer meiner Entführer Blähungen hatte.
"Tut mir leid... ich kann echt nichts dafür", sagte er mit verkniffenem Gesicht.
"Nicht? Wer mußte denn eben unbedingt noch den serbischen Feuertopf ausschlecken?"
"Ja, aber der war halt so lecker. Ich steh nunmal auf Bohnen."
"Aber ich hab dir noch gesagt, Horst, hab ich gesagt, laß das mit den Bohnen. Nachher furzt du uns die Karre voll und du weißt ganz genau, daß die Fenster da kaputt sind. Hab ich das gesagt oder hab ich das nicht gesagt?"
"Ja... ja, das hast du gesagt. Aber trotzdem..."
"Ich will ja nicht stören", begann ich und meinte das auch vollkommen ernst, "aber mich würde mal interessieren, wo ihr mich hinbringt."
"Zur Chefin."
"Ach so." Beruhigt über die Erkenntnis, daß diese Deppen offenbar nicht aus eigenem Antrieb handelten, sondern jemand im Hintergrund zu sitzen schien, der hoffentlich einen Plan hatte, schlug ich die Augen zu und schlummerte ein.
...
Ich wachte auf, als mir jemand ins Gesicht hustete.
"Aber sonst geht's gut, ja?", fragte ich berechtigterweise.
"Abgesehen von den Hämorrhoiden, dem fiesen Ausschlag am Rücken, meinem chronisch juckenden Hintern, dem eingewachsenen Zehennagel und den Hühneraugen? Ja... ja, ansonsten geht's mir ganz gut. Danke der Nachfrage."
"Du hast mir voll ins Gesicht gehustet."
"Heuschnupfen." Erst jetzt traute ich mich, die Augen zu öffnen und bemerkte, daß mein Gegenüber eine Frau war - vermutlich die Auftraggeberin meiner Entführer. Und was das für eine Frau war. Sie hatte den Hintern von Jennifer Lopez, die Oberweite von Pamela Anderson und die Beine von Claudia Schiffer. Ein absoluter Traum also. Einen kurzem Moment erlag ich einer äußerst erotischen Phantasie über mich selbst, diese Frau, eine Fliegenklatsche und ein Tigerfell vor offenem Kaminfeuer. Doch dann erinnerte ich mich daran, was sie vorhin über ihren Ausschlag gesagt hatte und die Realität hatte mich wieder.
"Was wollen Sie von mir?", fragte ich.
"Es geht um das Ende der Welt."
"Ach so... was?"
"In exakt vier Minuten werden dreiundzwanzig Flamingos an deine Wohnungstür klopfen. Sie wollen dir ein Ständchen singen. Danach wird die Welt untergehen."
"Ach was... echt?"
"Ja, echt. Wenn sie dich aber nicht antreffen, können sie nicht singen und alles wird gut."
"Ja, das macht Sinn", log ich. In Wirklichkeit verstand ich kein Wort.
"Na also. Wir müssen jetzt also nichts weiter tun, als zu warten, bis es dreiundzwanzig Uhr dreiundzwanzig ist. Dann ist die Gefahr vorbei... Horst! Komm her und rubbel mir mal die Hornhaut von den Fußsohlen!"
"Sehr wohl, Fräulein Opalia."
"Opalia?", fragte ich.
"Ja, ich finde, das klingt irgendwie besser, als Martha Ulbrich. Findest du nicht?"
...
Während Horst dabei war, die Füße Fräulein Opalias mit einer Feile zu bearbeiten und dabei ziemlich unappetitliche Geräusche von sich gab, klingelte es an der Tür. Da außer mir alle beschäftigt schienen, ging ich selbst und öffnete.
"Bist du Manfred Tröpper?", fragte der rosane Vogel.
"Wer will das wissen?"
"Wir sind die dämonischen Flamingos des Armageddon. Mein Name ist Armando und wir werden dir jetzt das letzte Lied deines Lebens singen." Er kratzte sich mit einem Fuß am Kopf und summte ein hohes C. Die anderen stimmten ein und schon bald erklang eine lupenreine Tonleiter aus dreiundzwanzig Vogelkehlen.
"Verdammt, sie sind hier! Horst, hol die Katzen!", keifte Fräulein Opalia. Der Angesprochene legte in aller Seelenruhe die Feile weg und ging in ein Hinterzimmer. Er kam zurück mit einer handvoll kleiner Kätzchen, die einem Gizmo in Punkto Niedlichkeit jederzeit das Wasser hätten reichen können.
"Faßt!", rief er, aber die Tiere gähnten nur träge und blinzelten ihn aus treuen Augen großherzig an. "Los jetzt!" Mit diesen Worten warf Horst die Kätzchen einfach mitten unter die Flamingos. Das weckte die kleinen Fellknäuel und es folgte ein Gemetzel allererster Güte. Die rosanen Federn flogen nur so durch die Gegend und als alles vorbei war, stand ich Auge in Auge mit vier niedlichen blutgetränkten Katzen, die ein Wollknäuel zum Spielen suchten.
"Gut gemacht, Horst", sagte Fräulein Opalia.
"Ist die Welt damit gerettet?", fragte ich.
"Naja, wie man es nimmt... Die Liga des dämonischen Armageddon hat die Schlacht verloren. Darum gehört die Welt nun uns."
"Und... und wer genau ist dieses 'uns'?"
"Wir sind die Liberale Gewerkschaft aufstrebender Jungapokalyptiker."
"Und ihr werdet die Erde nicht zerstören?"
"Doch... natürlich. Aber es wird viel origineller werden, als es die Feinde geplant hatten." Mit diesen Worten lachte sie leicht manisch. Ein Fenster splitterte und hereingeflogen kam eine Horde Pinguine, die laut schnatternd ihre Lieblingsstellen aus dem Kama Sutra zitierten.
Dann war es dreiundzwanzig Uhr dreiundzwanzig.