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Dreiundzwanzig Flamingos

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13.06.2002
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Dreiundzwanzig Flamingos

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Naja, ich biß herzhaft in meine Mettwurst und habe Kurt einfach reden lassen. Er hielt gerade irgendeinen Monolog über ein paar Asiaten, die mit Hilfe neuer Industrienormen die Weltherrschaft an sich reißen wollten oder so.
"Es geht ja darum", sagte er gerade, "daß wir alle hier - also du und ich und sogar die Uschi vom Edeka - daß wir alle also quasi mit dabei involviert sind sozusagen."
"Kurt, du bist ein verdammter Schwätzer."
"Halt die Klappe! Was weißt du denn schon?" Er nahm einen Schluck Bier, rülpste einmal laut und fiel dann in Ohnmacht. Vielleicht war er auch einfach eingeschlafen oder tot, aber auf jeden Fall bewegte er sich nicht mehr. Ich nutzte die Gunst des Augenblicks, um seinem Wortschwall zu entkommen, zahlte meine Wurst und verließ den Imbiß.

"Dreiundzwanzig."
"Was?"
"Dreiundzwanzig Minuten und dein armseliges Leben wird sein wohlverdientes Ende finden." Vor dem Imbiß stand eine weißharige Greisin im Schottenrock, die mich geifernd anbrüllte, während ihr letzter Zahn verheißungsvoll in der Sonne funkelte. "Du wirst sterben, Manfred Tröpper."
"Woher kennst du meinen Namen? Wer bist du eigentlich?"
"Ich bin der Engel des Todes und gekommen, um dein Ende zu verkünden."
"Mußt du dabei so laut schreien? Ich meine, ich bin ja nicht taub oder so."
"In dreiundzwanzig Minuten wirst du es sein." Dann sagte sie gar nichts mehr, sondern verfiel in ein irres Kichern. Ich gab der Alten eine schallende Ohrfeige, sie trat mir zur Strafe vors Schienbein und redete dann weiter. "Du wirst Besuch bekommen. Von dreiundzwanzig singenden Flamingos, die dreiundzwanzig Mal die Tonleiter rauf und wieder runter singen werden. Danach, um exakt dreiundzwanzig Uhr dreiundzwanzig, wirst du noch dreiundzwanzig Atemzüge machen, bevor du stirbst. Und dann, Manfred Tröpper, ist das Ende der Welt gekommen!" Den letzten Satz brüllte sie mir wieder ins Ohr, als wolle sie meinen Ohrenschmalz durch puren Schalldruck aus meinem Kopf vertreiben.
"Ja, schon Recht", sagte ich. "Hier hast du zwei Euro. Aber nicht alles auf einmal versaufen."

...

Gut gelaunt und ein kleines Liedchen pfeifend - immerhin hatte ich nicht nur Kurts Monolog überlebt, sondern auch einer armen Frau einen schönen Abend ermöglicht - machte ich mich also auf den Weg nach Hause. Während ich ein kleines Stückchen Wurst aus meinen Zähnen pulte, bemerkte ich, wie sich der Himmel langsam verfinsterte. Das wurde aber auch mal Zeit, dachte ich bei mir, immerhin war es schon elf Uhr abends durch.
Aber die Dunkelheit war nicht durch die untergehende Sonne bedingt, sondern durch eine dichte Wolkendecke, die sich über den Himmel legte und erste Regentropfen auf die Erde schickte. Schützend hob ich die Hände über den Kopf, als neben mir ein schwarzer Wagen hielt, drei Gestalten ausstiegen und mich hineinzogen.
Die Tatsache, daß wir mit insgesamt fünf Mann in dem Wagen saßen, wurde noch durch drei kleine Aspekte verschlimmert. Zum Einen war unser Auto ein Fiat Punto, dessen Fenster sich zum Zweiten nicht öffnen ließen, was eigentlich nur deshalb wirklich schlimm war, da zum Dritten einer meiner Entführer Blähungen hatte.
"Tut mir leid... ich kann echt nichts dafür", sagte er mit verkniffenem Gesicht.
"Nicht? Wer mußte denn eben unbedingt noch den serbischen Feuertopf ausschlecken?"
"Ja, aber der war halt so lecker. Ich steh nunmal auf Bohnen."
"Aber ich hab dir noch gesagt, Horst, hab ich gesagt, laß das mit den Bohnen. Nachher furzt du uns die Karre voll und du weißt ganz genau, daß die Fenster da kaputt sind. Hab ich das gesagt oder hab ich das nicht gesagt?"
"Ja... ja, das hast du gesagt. Aber trotzdem..."
"Ich will ja nicht stören", begann ich und meinte das auch vollkommen ernst, "aber mich würde mal interessieren, wo ihr mich hinbringt."
"Zur Chefin."
"Ach so." Beruhigt über die Erkenntnis, daß diese Deppen offenbar nicht aus eigenem Antrieb handelten, sondern jemand im Hintergrund zu sitzen schien, der hoffentlich einen Plan hatte, schlug ich die Augen zu und schlummerte ein.

...

Ich wachte auf, als mir jemand ins Gesicht hustete.
"Aber sonst geht's gut, ja?", fragte ich berechtigterweise.
"Abgesehen von den Hämorrhoiden, dem fiesen Ausschlag am Rücken, meinem chronisch juckenden Hintern, dem eingewachsenen Zehennagel und den Hühneraugen? Ja... ja, ansonsten geht's mir ganz gut. Danke der Nachfrage."
"Du hast mir voll ins Gesicht gehustet."
"Heuschnupfen." Erst jetzt traute ich mich, die Augen zu öffnen und bemerkte, daß mein Gegenüber eine Frau war - vermutlich die Auftraggeberin meiner Entführer. Und was das für eine Frau war. Sie hatte den Hintern von Jennifer Lopez, die Oberweite von Pamela Anderson und die Beine von Claudia Schiffer. Ein absoluter Traum also. Einen kurzem Moment erlag ich einer äußerst erotischen Phantasie über mich selbst, diese Frau, eine Fliegenklatsche und ein Tigerfell vor offenem Kaminfeuer. Doch dann erinnerte ich mich daran, was sie vorhin über ihren Ausschlag gesagt hatte und die Realität hatte mich wieder.
"Was wollen Sie von mir?", fragte ich.
"Es geht um das Ende der Welt."
"Ach so... was?"
"In exakt vier Minuten werden dreiundzwanzig Flamingos an deine Wohnungstür klopfen. Sie wollen dir ein Ständchen singen. Danach wird die Welt untergehen."
"Ach was... echt?"
"Ja, echt. Wenn sie dich aber nicht antreffen, können sie nicht singen und alles wird gut."
"Ja, das macht Sinn", log ich. In Wirklichkeit verstand ich kein Wort.
"Na also. Wir müssen jetzt also nichts weiter tun, als zu warten, bis es dreiundzwanzig Uhr dreiundzwanzig ist. Dann ist die Gefahr vorbei... Horst! Komm her und rubbel mir mal die Hornhaut von den Fußsohlen!"
"Sehr wohl, Fräulein Opalia."
"Opalia?", fragte ich.
"Ja, ich finde, das klingt irgendwie besser, als Martha Ulbrich. Findest du nicht?"

...

Während Horst dabei war, die Füße Fräulein Opalias mit einer Feile zu bearbeiten und dabei ziemlich unappetitliche Geräusche von sich gab, klingelte es an der Tür. Da außer mir alle beschäftigt schienen, ging ich selbst und öffnete.
"Bist du Manfred Tröpper?", fragte der rosane Vogel.
"Wer will das wissen?"
"Wir sind die dämonischen Flamingos des Armageddon. Mein Name ist Armando und wir werden dir jetzt das letzte Lied deines Lebens singen." Er kratzte sich mit einem Fuß am Kopf und summte ein hohes C. Die anderen stimmten ein und schon bald erklang eine lupenreine Tonleiter aus dreiundzwanzig Vogelkehlen.
"Verdammt, sie sind hier! Horst, hol die Katzen!", keifte Fräulein Opalia. Der Angesprochene legte in aller Seelenruhe die Feile weg und ging in ein Hinterzimmer. Er kam zurück mit einer handvoll kleiner Kätzchen, die einem Gizmo in Punkto Niedlichkeit jederzeit das Wasser hätten reichen können.
"Faßt!", rief er, aber die Tiere gähnten nur träge und blinzelten ihn aus treuen Augen großherzig an. "Los jetzt!" Mit diesen Worten warf Horst die Kätzchen einfach mitten unter die Flamingos. Das weckte die kleinen Fellknäuel und es folgte ein Gemetzel allererster Güte. Die rosanen Federn flogen nur so durch die Gegend und als alles vorbei war, stand ich Auge in Auge mit vier niedlichen blutgetränkten Katzen, die ein Wollknäuel zum Spielen suchten.

"Gut gemacht, Horst", sagte Fräulein Opalia.
"Ist die Welt damit gerettet?", fragte ich.
"Naja, wie man es nimmt... Die Liga des dämonischen Armageddon hat die Schlacht verloren. Darum gehört die Welt nun uns."
"Und... und wer genau ist dieses 'uns'?"
"Wir sind die Liberale Gewerkschaft aufstrebender Jungapokalyptiker."
"Und ihr werdet die Erde nicht zerstören?"
"Doch... natürlich. Aber es wird viel origineller werden, als es die Feinde geplant hatten." Mit diesen Worten lachte sie leicht manisch. Ein Fenster splitterte und hereingeflogen kam eine Horde Pinguine, die laut schnatternd ihre Lieblingsstellen aus dem Kama Sutra zitierten.

Dann war es dreiundzwanzig Uhr dreiundzwanzig.

 

Wieder mal eine Wettbewerbsgeschichte eines anderen Forums (diesmal hab ich sogar gewonnen). Die Vorgabe waren neunzig Minuten Zeit zum Schreiben und die Zahl 23 als Inspiration.
Herausgekommen ist dieser kleine Trip. Nicht hinterfragen, nicht drüber wundern - einfach lesen...

 

Hey gnö!
Erst einmal herzlichen Glückwunsch für deinen Sieg bei dem Wettbewerb :kuss:

Wie du schon drum gebeten hast: Ich habe die geschichte einfach gelesen, hinterfrage sie nicht, wundere mich auch nicht, sondern sage einfach nur: hehe, lustig. war durchaus nett. Ich musste sogar das ein oder andere Mal schmunzeln.
Und das von mir, einem der humorlosesten menschen ;)

Netter Happen für zwischendurch.
Brav, weitermachen :D

bye bye

 

Eintausendeinhundertundelfzigster Beitrag:

Hi Moony:

Ja, wenn sogar du drüber schmunzeln konntest (und dann soger mehrmals), ist das für mich schon fast eine Art Ritterschlag.
Ein kleiner Text für Zwischendurch - mehr ist es wirklich nicht, aber das reicht manchmal auch.


Moin illu (alias "der wo meine Geschichten besser kennt, als wie ich selbst"):

Auch dir vielen Dank für Lesen und Loben

Ich weiß nicht, wie du das machst, aber du hast das Talent den größten Blödsinn schriftlich niederzuschreiben. Kompliment.
Danke.
Den Gag mit dem Ohrenschmalz finde ich selbst allerdings cool, der bleibt drin (nur ein kleines Detail wird verbessert). Aber sowas ist immer Geschmackssache.


:schiel: (den Smilie setze ich nur, weil ich ihn eben erst entdeckt habe, er witzig aussieht und das hier mein Eintausendeinhundertundelfzigster Beitrag war)

 

Ich sag immer: Eine Geschichte muss reifen wie guter Wein. Manche Geschichten werden bei diesem Prozess auch zu Hartkäse. Wie auch immer: Diese wurde beendet, bevor sie fertig war, was aber nicht die Schuld des Autors, sondern die des Wettbewerbs ist, was meine Meinung über Schreibwettbewerbe beziehungsweise deren Vorgaben, die nichts mit der tatsächlichen Tätigkeit eines Autors zu tun haben, mal wieder mit einer neuen Lage Schnellbindezement festigt.
Dass der Erzähler entführt wird, hätte ich fast überlesen, weil es nur in einem Wort im Nebensatz stattfindet ("hineingezogen"). Diese Action-Aktion ist doch eine dankbare Stelle, um humorvoll aufbereitet zu werden.
Klar liest sich die Story insgesamt ganz lustig, es sind auch ein oder zwei witzige Ideen drin, der Rest ist aber spontanes Durcheinander sowie sinnlose, andauernde Wiederholung des Wettbewerbs-Vorgabe-Stichworts 23 (gewann etwa der, der die meisten 23 eingebaut hat?) und unter dem Strich dann doch etwas dünn.

Fazit: sprachlich ungeschliffen, inhaltlich Kuddelmuddel, kein echtes gnoebel-Flair.

Gewinn keine Wettbewerbe, schreib geile Geschichten!

Uwe
:cool:

OTPS: Kommst Du zu eurer letzten Saisonpleite ins Ruhrstadion?

 

Moin Uwe,

Ja, deinem Fazit gebe ich durchaus Recht (bis auf das mit dem gnoebel-Flair, da ich die Geschichte schon typisch für mich empfinde). Wie ich ja schon angemerkt habe, handelt es sich hier keinesfalls um eine Geschichte, mit der ich größere Intentionen verfolgt habe. Ich nehme aber die Kritik an und werde ab jetzt diese Ergebnisgeschichten nicht mehr einfach so hier reinstellen, ohne sie vorher nochmal zu überarbeiten (mache ich hier noch).

An solchen Wettbewerben nehme ich relativ oft teil (viele Geschichten hier auf KG.de stammen daher - ich schreib das nur nicht immer dazu) und nutze sie, um mal Dinge auszuprobieren, die ich normalerweise nicht machen würde. Hier habe ich einfach mal den Grad des Absurden just for fun einen Tick weit überreizt und sozusagen "die Sau rausgelassen". Manchmal macht es einfach Spaß, rumzublödeln.
Das Ergebnis hat mir selbst dann ganz gut gefallen und darum hab ichs hier mal reingestellt. Wenn es dann noch ein paar Leute unterhält, reicht mir das für diesen Text - mehr wollte ich hier nicht erreichen. Daß es dir jetzt nicht gefallen hat (hab ich mir ja fast schon gedacht) ist natürlich schade.
Meine nächsten Texte werde ich sicher wieder ernsthafter angehen.

OTPS: Kommst Du zu eurer letzten Saisonpleite ins Ruhrstadion?
Hach... du weißt doch, ich bin chronisch pleite :(

 

Tachi gnoedel

Ein Zucken in den Mundwinkeln - ein Schmunzeln - ein fettes Grinsen -> ungebremstes Losprusten und Ablachen :rotfl:


Mehr sag ich nich dazu :)

Außer dass mich das Ende irgendwie an die Stadion/Palasteinbruchszene aus "Das Leben des Brian" erinnert hat.

ipy Hagen

 

Hej gnoe,

zum Glück sind mein göttergatte und ich nicht immer einer Meinung, und ich muss sagen, dass ich den typischen gnoebel-Humor durchaus in Deinen Zeilen gefunden habe, genauso, wie ich immer wieder breit grinsen musste.
Ja, die 23 ist wirklich ein paarmal zu häufig untergebracht, und mit mehr Zeit wäre die Geschichte noch praller gefüllt mit Deinem absolut göttlich-schrägen Humor, aber mir hat sie - als der vielgenannte Happen für Zwischendurch - gut gefallen.

chaotische Grüße von der queen :cq:

 

Hätte mir einer die Augen verbunden und gesagt: „Lies das mal!“
Hätte ich gesagt: „Gnoebel!“

...............
Abgesehen von den Hämorrhoiden, dem fiesen Ausschlag am Rücken, meinem chronisch juckenden Hintern, dem eingewachsenen Zehennagel und den Hühneraugen? Ja... ja, ansonsten geht's mir ganz gut.
..............
Und was das für eine Frau war. Sie hatte den Hintern von Jennifer Lopez, die Oberweite von Pamela Anderson und die Beine von Claudia Schiffer. Ein absoluter Traum also.
...............
Du hast meine Welt zerstört!
Warum machst du das? Darf ich keine Träume haben? Gönnst du mir nicht die Illusion des Perfekten?
Die haben Ausschlag und chronisch juckende Hintern?
Danke! Gut gemacht! Träum ich eben künftig von schneebedeckten Bergen!
Oder kommen die in deiner nächsten Geschichte vor?

Egal.......


Hat mir gefallen!

 

Moin,

Freut mich, da es euch gefallen hat.
Ja, die 23 ist wohl echt ein bißchen oft drin - werde ich noch ändern. Überhaupt wollte ich diesen Text noch mal gründlich überarbeiten und verlängern. Dann wird es vielleicht mehr, als der kleine Happen für Zwischendurch :D

Hätte mir einer die Augen verbunden und gesagt: "Lies das mal!"
Hätte ich gesagt: "Gnoebel!"
Wenn mir einer die Augen verbindet und sagt, ich soll irgendwas lesen, würde ich ihn fragen, ob er mich veralbern will...
Über schneebedeckte Berge schreib ich nicht, weil ich Höhenangst habe

 

Wenn mir einer die Augen verbindet und sagt, ich soll irgendwas lesen, würde ich ihn fragen, ob er mich veralbern will...
He, dann hast du mich verstanden! :D :D
Genau, es war einfach nur eine Albernheit!
Ich meine einfach, daß dein Stil für mich fast unverwechselbar ist.

 

Hallo Gnoebel

wollte Dir nur kurz sagen, dass mir deine Story gut gefällt und ich endlich mal wieder einen Grund hatte herzhaft zu lachen!

Hab die Story das erste mal am 10.05. gelesen und heute nochmals und ich konnte immer noch lachen....

:thumbsup:

Lieber Gruss
Muchel

 

23 Flamingos - directors cut

"Acht ums Vorderholz... Du weißt, was das heißt, Manfred", sagte Kurt, den hier alle nur den Dude nannten und blinzelte mich vergnügt an. Ja, ich wußte, was das hieß. Der typische Verliererwurf, bei dem alle Pins bis auf den Vordersten umfallen. Gemäß der Tradition mußte jetzt die ganze Bowlingtruppe eine Runde Schnaps trinken - und das auf meine Rechnung.
Es gab hier in der Gegend nur wenige Traditionen, aber neben dem alljährlichen Saustechen war diese die einzige, deren Gepflogenheiten jeder Einheimische im Schlaf aufsagen konnte. Es wurde getrunken, wenn jemand alle Pins mit einem Wurf schaffte, wenn jemand zu spät kam, wenn eine Kugel auf die Nachbarbahn sprang, wenn man keinen einzigen Pin traf, wenn man außer der Reihe auf Klo mußte und manchmal sogar wenn draußen ein Hund bellte. Man könnte jetzt natürlich sagen, daß uns der Sport nur als Vorwand diente, um uns mal richtig die Kante zu geben, aber das wäre falsch. Wir gaben uns hier schließlich nicht die Kante, sondern dem sportlichen Wettkampf eine gewisse festliche Note.
Nach dieser Runde machten wir eine offizielle Pinkelpause, die ich nutzte, um mir an der Bar was zu Essen zu bestellen. Und wie ich so da saß, meine Zigarrette in der einen Hand, das Sandwich mit Käse und Tomaten in der anderen, setzte sich der Dude neben mich.

"Weißt du, daß sie die Tomaten mit Rattengift besprühen?", sagte er und bestellte ein Bier.
"Nein... nein, das wußte ich nicht. Warum sollten sie sowas tun?"
"Das ist alles Teil des Plans, weißt du? Sie wollen uns auf diese Art verdummen, damit wir nichts von ihren Machenschaften bemerken."
"Machenschaften?"
"Ja. Manche Leute sagen, es geht ihnen um die Weltherrschaft. Aber wenn du mich fragst, haben sie dich schon längst. Vermutlich wollen sie die Welt zerstören."
"Durch vergiftete Tomaten?", fragte ich und ließ mein Sandwich sinken.
"Ja. Durch vergiftete Tomaten und Tom Jones." Er spuckte auf den Boden und lachte. "Ach, komm schon! Nimm nicht alles so ernst... nur ein Spaß. Laß es dir ruhig schmecken."
"Arschloch, du hast mir den Appetit verdorben. Wenn du ein Stück abhaben wolltest, hättest du einfach fragen können."
"Nein, ich mag keinen Käse. Weißt du doch. Und weißt du nochwas? Sie existieren tatsächlich und planen im Hintergrund. Ganz große Sachen sind da am Laufen. Was meinst du denn, warum Deutschland bei der letzten WM zweiter wurde?"
"Du meinst..."
"Ja, sicher. Denkst du denn, daß hatte irgendwas mit Fußball zu tun gehabt?"
Ich biß herzhaft in mein Käsebrot und habe Kurt einfach reden lassen. Sein Monolog schwankte thematisch irgendwo zwischen dem letzten Film von Roland Emmerich und ein paar Asiaten, die mit Hilfe neuer Industrienormen die Weltherrschaft an sich reißen wollten oder so.
"Es geht ja darum", sagte er gerade, "daß wir alle hier - also du und ich und sogar die Uschi vom Edeka - daß wir also alle quasi mit dabei betroffen sind sozusagen."
"Kurt, du bist ein verdammter Schwätzer."
"Halt die Klappe! Was weißt du denn schon?" Er nahm einen Schluck Bier, rülpste einmal laut und fiel dann in Ohnmacht. Vielleicht war er auch einfach eingeschlafen oder tot, aber auf jeden Fall bewegte er sich nicht mehr. Ich nutzte die Gunst des Augenblicks, um seinem Wortschwall zu entkommen, zahlte mein Brot und verließ den Laden. Auf Bowling hatte ich irgendwie keine Lust mehr.

"Dreiundzwanzig."
"Was?"
"Dreiundzwanzig Minuten und dein armseliges Leben wird sein wohlverdientes Ende finden." Vor dem Imbiß stand eine weißharige Greisin im Schottenrock, die mich geifernd anbrüllte, während ihr letzter Zahn verheißungsvoll in der Sonne funkelte. "Du wirst sterben, Manfred Tröpper."
"Woher kennst du meinen Namen? Wer bist du eigentlich?"
"Ich bin der Engel des Todes und gekommen, um das Ende zu verkünden." Sie rollte dramatisch mit den Augen, um der Brisanz ihrer Aussage Ausdruck zu verleihen.
"Mußt du dabei so laut schreien? Ich meine, ich bin ja nicht taub oder so."
"In dreiundzwanzig Minuten wirst du es sein." Dann sagte sie gar nichts mehr, sondern verfiel in ein irres Kichern. Ich gab der Alten eine schallende Ohrfeige, sie trat mir zur Strafe vors Schienbein und redete dann weiter. "Du wirst Besuch bekommen. Ich werde dir dreiundzwanzig singende Flamingos vorbei schicken, die dir Lieder von Tom Jones singen werden. Danach, um exakt dreiundzwanzig Uhr dreiundzwanzig, wirst du deinen letzten Atemzug machen. Und dann, Manfred Tröpper, ist das Ende der Welt gekommen und wir haben gewonnen!" Den letzten Satz brüllte sie wieder, so als wollte sie meinen Ohrenschmalz durch puren Schalldruck aus meinem Kopf vertreiben.
"Ja, schon Recht", sagte ich. "Hier hast du zwei Euro. Aber nicht alles auf einmal versaufen."

...

Gut gelaunt und ein kleines Liedchen pfeifend - immerhin hatte ich nicht nur Kurts Monolog überlebt, sondern auch einer armen Frau einen schönen Abend ermöglicht - machte ich mich also auf den Weg nach Hause. Während ich ein kleines Stückchen Tomatenschale aus meinen Zähnen pulte, bemerkte ich, wie sich der Himmel langsam verfinsterte. Das wurde aber auch mal Zeit, dachte ich bei mir, immerhin war es schon elf Uhr abends durch.
Aber die Dunkelheit war nicht durch die untergehende Sonne bedingt, sondern durch eine dichte Wolkendecke, die sich über den Himmel legte und erste Regentropfen auf die Erde schickte. Schützend hob ich die Hände über den Kopf, als neben mir ein schwarzer Wagen hielt, drei Gestalten ausstiegen und mich brutal hineinzogen. Ich stieß mir den Kopf an der Türfassung, was sie aber nicht sonderlich zu stören schien. Eigentlich beachteten sie mich während der gesamten Fahrt überhaupt nicht, sondern vertrieben sich die Zeit mit Skatspielen.

Die Tatsache, daß wir mit insgesamt fünf Mann in dem Wagen saßen, wurde abgesehen von meinen Kopfschmerzen noch durch drei kleine Aspekte verschlimmert. Zum Einen war unser Auto ein Fiat Punto, dessen Fenster sich zum Zweiten nicht öffnen ließen, was aber eigentlich nur deshalb wirklich schlimm war, da zum Dritten einer meiner Entführer Blähungen hatte.
"Tut mir leid... ich kann echt nichts dafür", sagte er mit verkniffenem Gesicht.
"Nicht? Wer mußte denn eben unbedingt noch den serbischen Feuertopf ausschlecken? Siebzehn."
"Ja, aber ich steh nunmal auf Bohnen. Siebzehn kann ich."
"Ich hab dir noch gesagt: Horst, hab ich gesagt, laß das mit den Bohnen. Neunzehn. Nachher furzt du uns die Karre voll und du weißt ganz genau, daß die Fenster da kaputt sind. Hab ich das gesagt oder hab ich das nicht gesagt? Einundzwanzig."
"Einundzwanzig hab ich. Ja, das hast du gesagt. Aber trotzdem..."
"Ich will ja nicht stören", begann ich und meinte das auch vollkommen ernst, "aber mich würde mal interessieren, wo ihr mich hinbringt."
"Zur Chefin. Dreiundzwanzig."
"Ach so." Beruhigt über die Erkenntnis, daß diese Deppen offenbar nicht aus eigenem Antrieb handelten, sondern jemand im Hintergrund zu sitzen schien, der hoffentlich irgend einen Plan hatte, schlug ich die Augen zu und schlummerte ein. Horst spielte Pik Hand.

...

Ich wachte auf, als mir jemand ins Gesicht hustete.
"Aber sonst geht?s gut, ja?", fragte ich berechtigterweise.
"Abgesehen von den Hämorrhoiden, dem fiesen Ausschlag am Rücken, meinem chronisch juckenden Hintern, dem eingewachsenen Zehennagel und den Hühneraugen? Ja... ja, ansonsten geht?s mir ganz gut. Danke der Nachfrage."
"Du hast mir voll ins Gesicht gehustet."
"Heuschnupfen." Erst jetzt traute ich mich, die Augen zu öffnen und bemerkte, daß mein Gegenüber weiblich war - vermutlich die Auftraggeberin meiner Entführer. Und was das für eine Frau war! Sie hatte den Hintern von Jennifer Lopez, die Oberweite von Pamela Anderson und die Beine von Claudia Schiffer. Ein absoluter Traum also. Einen kurzem Moment erlag ich einer äußerst erotischen Phantasie über mich selbst, diese Frau, eine Fliegenklatsche und ein Tigerfell vor offenem Kaminfeuer. Doch dann erinnerte ich mich daran, was sie vorhin über ihren Ausschlag gesagt hatte und die schmerzhafte Realität hatte mich wieder.
"Was wollen Sie von mir?", fragte ich.
"Es geht um das Ende der Welt."
"Ach so... was?"
"In exakt zwei Minuten werden ein paar Flamingos an deine Wohnungstür klopfen. Sie wollen dir ein Ständchen singen. Danach wird die Welt untergehen."
"Ach was... echt?"
"Ja, echt. Wenn sie dich aber nicht antreffen, können sie nicht singen und alles wird gut."
"Ja, das macht Sinn", log ich. In Wirklichkeit verstand ich kein Wort.
"Na also. Wir müssen jetzt also nichts weiter tun, als zu warten, bis der Moment ihrer Ankunft vorüber ist. Dann ist die Gefahr vorbei... Horst! Komm her und rubbel mir mal die Hornhaut von den Fußsohlen!"
"Sehr wohl, Fräulein Opalia."
"Opalia?", fragte ich.
"Ja, ich finde, das klingt irgendwie besser, als Martha Ulbrich. Findest du nicht?"

...

Während Horst dabei war, die Füße Fräulein Opalias mit Bimsstein zu bearbeiten und dabei ziemlich unappetitliche Geräusche von sich gab, klingelte es an der Tür. Da außer mir alle beschäftigt schienen, ging ich selbst und öffnete.
"Bist du Manfred Tröpper?", fragte der rosane Vogel.
"Wer will das wissen?"
"Wir sind die dämonischen Flamingos des Armageddon. Mein Name ist Armando und wir werden dir jetzt das letzte Lied deines Lebens singen." Er kratzte sich mit einem Fuß am Kopf und summte ein hohes C. Die anderen stimmten ein und schon bald erklang eine lupenreine Version von Tom Jones' Sexbomb aus dreiundzwanzig Vogelkehlen.
"Verdammt, sie sind hier! Horst, hol die Katzen!", keifte Fräulein Opalia. Der Angesprochene legte in aller Seelenruhe den Bimsstein weg und ging in ein Hinterzimmer. Er kam zurück mit einer handvoll kleiner Kätzchen, die einem Gizmo in Punkto Niedlichkeit jederzeit das Wasser hätten reichen können. Wobei es, wenn sie das wirklich getan hätten, mit der Niedlichkeit natürlich vorbei gewesen wäre.
"Faßt!", rief er, aber die Tiere gähnten nur träge und blinzelten ihn aus treuen Augen großherzig an. "Los jetzt!" Mit diesen Worten warf Horst die Kätzchen einfach mitten unter die Flamingos. Das weckte die kleinen Fellknäuel und es folgte ein Gemetzel allererster Güte. Die rosanen Federn flogen nur so durch die Gegend und als alles vorbei war, stand ich Auge in Auge mit vier niedlichen blutgetränkten Katzen, die ein Wollknäuel zum Spielen suchten.

"Gut gemacht, Horst", sagte Fräulein Opalia.
"Ist die Welt damit gerettet?", fragte ich.
"Naja, wie man es nimmt... Die Liga des dämonischen Armageddon hat die Schlacht verloren. Darum gehört die Welt nun uns."
"Und... und wer genau ist dieses 'uns'?"
"Wir sind die Liberale Gewerkschaft aufstrebender Jungapokalyptiker."
"Und ihr werdet die Erde nicht zerstören?"
"Doch... natürlich. Aber es wird viel origineller werden, als es die Feinde geplant hatten." Mit diesen Worten lachte sie leicht manisch. Ein Fenster splitterte und hereingeflogen kam eine Horde Pinguine, die laut schnatternd ihre Lieblingsstellen aus dem Kama Sutra zitierten.

Dann war es dreiundzwanzig Uhr dreiundzwanzig.

 

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