Was ist neu

Dschungelgeflüster

Mitglied
Beitritt
21.11.2000
Beiträge
23

Dschungelgeflüster

Die Sonne senkt sich. Die Arbeiten in der Mine werden gerade eingestellt. Bald wird das Dschungelgeflüster und der traurige Gesang der Minenarbeiter das einzige sein, was durch die schwarze Nacht dringt. Wie ich diese Nächte hasse - jede einzelne Nacht habe ich gehasst und werde ich hassen. Die Abende waren erträglicher, als mein Geschäftspartner noch hier war. Vor elf Wochen ist er mit einem Trupp loyaler Wächter in Richtung Westen gereist, um in der Nähe der Elfenbeinküste ein paar Neger für unsere Mine gefangen zu nehmen. Er ist schon zu lange weg - meine letzte Hoffnung schwindet Tag für Tag dahin. Dieser gottverdammte Dschungel. Schweigsam wird der Tee serviert. "Stell ihn auf den Schreibtisch und verschwinde. - Barunga - keine Störungen mehr heute." Ein leichtes, behutsames Nicken des Kopfes deutet an, dass er verstanden hat. Verschwiegen - er spricht nur selten und dann nur von seinem Land, seinen Leuten - wie in einem Traum. Am Anfang habe ich gedacht, dass er mich eines Tages umbringen würde. Soviel Hass in seinen dunklen Augen. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Mein Partner und ich haben ihn damals verschleppt. Einige Leute aus seinem Dorf haben wir getötet, andere mitgenommen. Aber was hätten wir tun sollen? Selber in die Mine kriechen und nach Gold scharren? Das wäre wohl nicht angemessen gewesen - aber all dieser Hass... Und eines Tages rettete er mir das Leben: Er schubste mich zur Seite, als ein Teil der Decke im Stollen einbrach. Ich hab ihn oft gefragt, warum er das getan habe. Er hüllt sich in Schweigen. Dann musste ich ihn aus dem Stollen nehmen. Die anderen Arbeiter hätten ihn sonst getötet. Für sie war die Handlungsweise Barungas wahrscheinlich genau so uneinsichtig, wie für mich. Und so wurde dieser Neger mein Diener. Ein treuer Diener. Trauen tue ich ihm dennoch nicht.

Zeit für den Tee. Das einzigst gute und zivilisierte in diesem gottverdammten schwarzen Kontinent. Ich liebe diese goldbraune Farbe, dieser dezente, unaufdringliche zarte Duft - und heiß muss er sein, heiß. Ich genieße es, den aufsteigenden Dampf zuzusehen, wie er ruhig und unbeschwert aufsteigt und im Nichts verschwindet. Ein Stückchen Zucker, eine Zigarre ... der Brief, ich darf den Brief nicht vergessen: "Meine Geliebte Frau, ich hoffe, ... dass Du und die Kinder wohl auf sind. Wenn sich die Ader weiter so als ergiebig erweist, dann kann ich Dir erfreulicherweise mitteilen, dass ich vielleicht schon nächstes Jahr nach England zurückkehren werde.... Ich kann Dir nicht mit Worten mitteilen, wie mir dieses Stück Zivilisation fehlt.... Doch die Jahre, die ich auf diesem schwarzen Kontinent für uns und unsere Kinder verbracht habe, wird uns ein wohlhabendes Leben in der Zukunft bescheren. ..." Es fällt mir von Brief zu Brief schwerer, ihr zu schreiben. Im Inneren liebe ich sie, die Kinder natürlich auch... aber alles ist so weit weg. Zwei Jahre ist eine lange Zeit. Ich habe allmählich das Gefühl, dass ich nicht mehr viel zu sagen habe. Vielleicht wird es wirklich Zeit, die Mine zu schließen. Gold haben wir - ich - nun genügend. Und es wird täglich mehr, keine Ende abzusehen. Doch selbst das Gold liebe ich nicht mehr so wie am Anfang. Zu Beginn hätte ich mich am liebsten in Gold gebadet, es verschlungen - den ganzen Tag umarmt. Diese göttliche Schwere, diese Reinheit. Jetzt lässt mich der Anblick kalt. Vielleicht ist es dieser verdammte Dschungel, der mich verändert hat. Von Habgier zur vollkommenen Gleichgültigkeit. Flieht ein Sklave, ich bestrafe keine anderen mehr dafür. In den letzten Wochen ist die Mine wirklich heruntergekommen. Mein Partner würde mich dafür würgen. Er wurde des Goldes niemals überdrüssig. Er hatte jeden Tag Gefallen daran, die Sklaven zu bestrafen, sie noch tiefer in die Stollen zu jagen. Dieser verdammte Dschungel mit seinen tausend Stimmen und seinen schwarzen Nächten. In solch einer Nacht hat Barunga mir erzählt, dass es die Stimmen seiner Vorfahren sind, die unentwegt in die Nacht rufen - einsame, verlorene Seelen.

"Was ist das für ein verdammter Lärm? Was ist da los? Barunga, was soll der Tumult? Ist schon wieder ein Sklave abgehauen?" Verachtung in Barungas Blick: "Master Weldon." Dieser verdammte Kerl. Hat ihn der Dschungel doch nicht verschlungen. "Tom. Verdammt noch mal, wo warst Du die letzten elf Wochen. Ich war schon fast überzeugt, dass Dich die Ameisen gefressen hätten." "Das hätte Dir wohl gepasst. Meinen Anteil mit einzustecken... nur ein Scherz, nimm es nicht zu ernst. Ich habe Brandy, Zucker, Salz und - Du wirst es nicht glauben, echte Havannas mitgebracht. Wie sind die Geschäfte in den letzten Wochen verlaufen?" "Exzellent. Wir haben mehr Gold abgebaut als je zuvor. Schlechte Nachricht: fünf Arbeiter sind abgehauen. Einer liegt im Lazarett. Hat sich Gelbfieber eingefangen." "Fünf! Bist Du noch zu retten? Wie konnte das passieren? Verflucht. Willst Du uns ruinieren? Ich hab nur zehn neue Neger mitgebracht und Du sagst mir einfach so, dass fünf abgehauen sind... und einer am krepieren ist? Was hast Du Dir nur dabei gedacht?" "Denkst Du nicht, dass wir genügend Gold haben, um für den Rest unseres Lebens wie Könige zu leben?" "Genug. Ich hab niemals genug. Ich werde das letzte Korn Gold aus diesem verfluchten Berg herauskratzen lassen! Hast Du mich verstanden?" "Ja. Sicher. Lass uns morgen darüber reden."

Der nächste Morgen dämmert. Die Maschinen des Bergwerkes durchbrechen das immerwährende Geflüster des Urwaldes. Die erste Stunde nach Tagesanbruch ist wohl die angenehmste in diesen Breitengraden. Ich nutze diese Stunde, um auf meinem Balkon meinen Tee zu trinken. Von hier oben kann ich das Geschehen in der Mine beobachten. Eine von Toms Havannas wird mir die Stunden zusätzlich versüßen. Toms herrische Stimme... "Barunga, was ist unten in der Mine los? Was soll das Geschrei?" Er zeigt mit dem Finger in die Mine hinab. Durch mein Fernglas sehe ich Tom, der auf einen der Sklaven einschlägt. Er scheint sich zu weigern in der Mine zu gehen. Das kann nichts Gutes heißen. Die Zigarre werde ich mir wohl erst später gönnen.

"Tom. Was ist hier los?" "Dieser verdammte Neger will nicht in die Mine. Nach dem heutigen Tag wird er wissen, was Arbeiten hier bedeutet!" "Ich glaube, er hat genug. Wenn Du weiter auf ihn einschlägst, dann ist er die nächsten Tage nicht mehr arbeitsfähig." "Stellst Du Dich jetzt schon auf die Seite der Neger?" "Ich stelle mich auf gar keine Seite. Schlag weiter zu. Schlag ihn tot. Aber mach mich dann nicht verantwortlich, dass wir keine Arbeiter mehr haben. Ich kümmere mich um diese Angelegenheit. Ich würde es begrüßen, wenn du einen Blick auf die Buchhaltung wirfst. Das wird Dich sicherlich aufheitern." Der Schwarze liegt auf dem lehmigen Boden. Seine Augen weit offen, keine Anzeichen von Schmerz, nur Hass - obwohl das Blut stark aus den offenen Wunden fließt. Kein Wunder, dass Tom ihn mitgebracht hat. Starke Arme, starke Beine, äußerst muskulös. Sein Gesicht hat etwas würdevolles und stolzes. Wir hatten schon viele Sklaven hier, dessen Stolz Tom in ausführlicher Kleinarbeit gebrochen hat. Aber dieser hier, den wird er wohl töten müssen. Nur ein Gefühl. "Barunga. Bring ihn in das Krankenlager und versorge ihn soweit es möglich ist." Er steht von alleine auf. Kein Anzeichen von Schmerz. Er ist riesig - wunderschön. Mein Blick folgt Barunga und dem Geschlagenen - trotz seiner Fesseln bewegt er sich anmutig - ja - anmutig, wie ein König.

Die Nacht löst den Tag ab. Die Gesänge der Sklaven sind wehmütiger als an den Abenden zuvor. Tom greift immer hart durch. Früher waren Tom und ich uns ziemlich gleich. Wir hatten ein Ziel - Gold - und wir taten alles dafür, um dieses Ziel zu erreichen: Wir mordeten, wir verschleppten, wir bestraften. Doch Tom ist seiner Natur niemals überdrüssig geworden, er ist und bleibt der Alte. Ich könnte heute nicht einmal mehr mit Gewissheit sagen, ob ich noch einen Neger umbringen könnte. Vielleicht. Aber warum sollte ich? Ich habe keine Gewissensbisse für das, was wir getan haben. Irgendwie erschreckt mich der Gedanke. Warum wohl? Vielleicht habe ich einfach zu viel Zeit zum Nachdenken. Die Mine läuft prächtig, meine Anwesenheit ist eigentlich nicht mehr erforderlich. Aus der Distanz erscheint mir nun das ganze Unternehmen grausamer, als wenn ich selbst noch die Schläge austeilen würde. Menschlichkeit - das wird wohl der Schlüssel zu allem sein. Damals war ich als Sklaventreiber so gut wie Tom. Ich schlug hart, sehr hart. Und es machte mir nichts aus, diese weinenden und gepeinigten Affengesichter anzusehen. Ich fühlte nur Zorn, Ärger, Hass gegen alles, was nicht so ablief, wie ich es mir vorgestellt hatte. Im Prinzip war ich nichts besseres als eine besessene Bestie - wie ein Tier, obwohl wir damals die Schwarzen eigentlich als Tiere betrachtet haben. Die Erinnerung an diese Zeit fällt sehr schwer. Irgendwie ist alles wie vernebelt - so unwirklich. Hab ich all das getan? Sicher - die Mine ist der Beweis. Aber zu welchem Preis? Bereue ich nun? Fühle ich Reue für meine Taten? Ist es dazu nicht ein wenig zu spät? Was soll ich denn bereuen, es sind doch nur Wilde, Tiere! Lüg dich doch nicht selber an. Vielleicht macht mich nur dieser Dschungel verrückt. "Barunga! Bring den Sklaven hier rauf, den Du heute verarztet hast. Und bring mir noch ein wenig Tee."

Ich höre den Stimmen des Urwaldes zu. Barunga führt den Sklaven herein. Ich trinke vorsichtig meinen heißen Tee und betrachte mir diesen Menschen, der vor mir in der Mitte des Raumes steht. Seine Haut ist straff und tiefschwarz. Das seichte Licht des Raumes glänzt auf seiner Haut. Der Körper ist bemerkenswert, wunderschön. Ich lasse gerne meine Augen auf ihm verweilen. Ich schaue ihn mir gut an... wie in einem Zoo betrachte ich ihn. Mir wird allmählich schlecht von mir selbst. Was...., nein, die Frage muss heißen, wer steht vor mir? Ich kann diesen Ort allmählich nicht mehr ertragen. Ich kann meine Lüge nicht mehr ertragen. Wir haben gemordet. Wir waren die Wilden, die Tiere. Nur ein Tier tötet ohne Reue. - Vielleicht macht mich nur der Dschungel verrückt. Was würde wohl Tom sagen? Doch im Anblick dieses Schwarzen macht mir das Dschungelgeflüster nichts mehr aus. Er überstrahlt dieses imperialistische Zimmer mit seiner Seele Afrikas und macht den Gesang des Dschungels auch in diesem Zimmer heimisch. Wir gehören nicht auf diesen Kontinent.

"Barunga, wie ist sein Name?" "Ich kann für mich selber sprechen." Der ungläubige Blick eines getretenen Tieres. "Du verstehst uns?" "Ist das so ungewöhnlich?" "Barunga, nimm ihm die Fesseln ab und gehe dann zu den Hütten und machst das gleiche mit den anderen. Es wird Zeit, dass ich... Tom! - Hör auf, Barunga zu schlagen. Er öffnet die Fesseln auf meinen Wunsch hin!" "Bist Du noch zu retten. Der bringt Dich um - ohne nur mit der Wimper zu zucken. Was machst Du hier eigentlich? Was macht er hier? Ich glaube, Du schuldest mir eine Erklärung, Partner. Sag schon, was macht er hier.... Na, was macht er hier?" "Hör auf ihn zu schlagen." "Warum sollte ich? Ich hab Lust dazu." "Hör auf ihn zu schlagen. Hör auf! - Ich bin dieser Miene überdrüssig. Hör auf ihn zu schlagen." "Na, was willst Du denn machen?" Der Klang des Fleisches bricht das Dschungelgeflüster.

Vielleicht verwirrt nur der Dschungel meine Sinne, vielleicht auch das Geschrei von Tom oder nur der Klang von sich öffnenden Fleisches. Ich wende mich ab und betrachte die Bilder an der Wand. Bilder von meiner Familie, meinen Freunden, Bilder von Tom und mir in London. Damals hatten wir unseren Entschluss gefaßt nach Afrika zu gehen, um nach Gold zu suchen. Ja, damals schmiedeten wir unsere dunklen Pläne, dunkler als die Gläser Guinness, die sich vor uns auf den Tresen stapelten. Ja, damals in London. Was hatten wir damals zu verlieren? Nicht viel. Ich höre, wie sich das Fleisch entzweit. - Ich nehme einen Revolver aus einer Schublade, fühle die Kälte seines Stahls. Ich öffnen die Trommel und lassen die Kugeln herausfallen. Welch Melodie. Ich summe eine belanglose Melodie, betrachte mir die Perfektion der Kugeln: Klar in der Form, rein, kalt, schwer - das Gegenteil, was dieses Land hier ist. Ich umschließe die Kugeln fest, ich will dran festhalten. Sie bedeuten alles was ich bin.

Ein Blick aus dem Fenster in die Schwärze des Urwaldes. Mein Summen verstummt und ich verliere mich in dem Gesang des Dschungels - welch Harmonie jetzt darin liegt! Wir gehören hier nicht hin. Der Klang des Fleisches verstummt nicht. Ich fühle die warme Hand Barungas auf meiner Schulter. Einsam und verloren blickt er mich an, verschwiegener und geheimnisvoller denn je. Ich öffne meine Hand und betrachte die Kugeln wieder. Sie sind alles, was ich bin. Ich öffne die Trommel des Revolvers und lasse zwei Kugeln hineingleiten. Ich schließe die Trommel und presse den Revolver in Barungas Hand. Meine Augen sind geschlossen. Ich höre den ersten Schuß. Der Dschungel verstummt, um dann wieder auf das Neue zu flüstern. Der Hahn des Revolvers spannt sich neben meinem Ohr. - Die Kugeln sind alles, was ich bin. Meine Augen sind geschlossen. - Barungas warme Hand legt den Revolver in meine.

Am nächsten Tag ist die Mine wie ausgestorben. Alle Sklaven sind weg - die Vorarbeiter..., sogar Barunga ist gegangen. Der Revolver liegt in meiner Hand - bereit meinem Ende zu dienen. Aber das wäre zu einfach. Ich überlasse es dem Dschungel, über mein Schicksal zu entscheiden. Schaffe ich es bis zur Küste, dann geht es zurück... zurück, ja... in die Heimat. Eine merkwürdige Vorstellung... Meine Frau, meine Kinder... vielleicht ist das Gute von mir in England zurückgeblieben und kann es am heimischen Herd wieder finden. Ich werden dann ein guter Bürger sein, ein guter Vater, ein guter Mann - ein guter Lügner. Ich bin verdammt für das, was ich diesem Land, den Menschen hier angetan habe und der Dschungel weiß dass. Er flüstert, leise, verlockender als je zuvor.

 

Hallo ChristianKarl

Die Geschichte von Karl und Joseph gefällt mir einiges besser, da sie runder ist. Diese Story ist aber auch sehr gut geschrieben und die Gefühle & Gedanken deines Prot. sind gut ausgedrückt.

Schade, finde ich, dass du den majestätischen Schwarzen nicht genauer ausgeführt hast. Schön und auch spannend wäre es, würde dein Prot. eine Chance für ein Gespräch mit ihm kriegen und Tom käme erst später dazu.

Sehr gut gefällt mir, wie du die Gegend, die Gesänge & den Hass der Sklaven und die Entfremdung des Prot. zur Familie beschreibst.

Weiter so! :thumbsup:

Lieber Gruss
Muchel

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom