Durstig
Ich knalle die Tür hinter mir zu. Das Treppenhaus ist frisch gewischt und riecht säuerlich nach Zitronenkonzentrat. Ich weiß, wie frische, gerade vom Baum gepflückte, Zitronen riechen, in meiner Heimat, im Garten meiner Kindheit, in einem Land hinter der Grenzen der Zeit, da wo die Erinnerung wie eine Spinne dünne Fäden über das Tal der Zeit Spinnt, Fäden, die immer in einem Fatamorgana enden, dort dufteten die Zitronen süß - nicht sauer.
Ein unangenehmer Geschmack steigt meinem Magen hoch. Ich laufe schnell die Treppen hinunter, der Ausgang wartet mit offenen Armen, um mich in Empfang zu nehmen. Ich atme die feuchte Luft ein und der Regen prasselt gegen mein Gesicht, wie die Berührung eines Fremden, die bald lästig wird und wie eine Schnecke eine feuchte, schleimige Spur der Sehnsucht nach Fremdem auf meinem Körper hinterlässt. Ich laufe bis zur Bushalltestelle und warte. Um mich herum läuft der selbe Film wie immer, in dem ich eine Statistenrolle habe - einfach an der Bushaltestelle stehen und warten; Morgens aufstehen, Leyla für die Schule fertig machen; frühstück vorbereiten; Mahmud wecken; zur Arbeit gehen, putzen; essen; schlafen; ficken.
Nach dem Kino hat er mich geküsst, seine kräftigen jungen Arme verschlangen meinen Körper, und ich verschmolz in sein Fleisch, „ich liebe dich, lass uns heiraten.“ Wie ein Automat, den man mit ein paar Cents füttert, spukte ich ihm meine Liebe entgegen. Seit damals klebt sie wie ein alter, labbriger, lang gezogener Erdbeerkaugummi zwischen seinem Schuh und der heißen Asphalt der Zeit, ohne den fruchtigen Geschmack, der einem das Wasser im Mund laufen lässt, ohne die Lust, die Süße aus ihm auszusaugen und ihn dabei zwischen den Zähnen festzuhalten.
Es regnet noch immer, die Bushaltestelle füllt sich mit Gestalten, die Schutz vor dem Regen suchen, sie drücken sich an einander und sind wegen dieser unerwarteten Nähe verlägen, versuchen teilnahmslos in die Ferne zu schauen und ignorieren einander. Ich trete ein Schritt vor und stehe im Regen. Die Menge im Häuschen der Haltestelle breitet sich erleichtert aus und verschluckt meine Abwesenheit, so wie dieser Novembermorgen seinen durchsichtigen grauen Schleier auf die Stadt ausbreitet, um die Farben zu verschlucken, und ich spüre wieder die Regentropfen auf meinem Gesicht und stelle mir vor, es sind Tränen, die ich nicht zu weinen wage, die meinen Wangen hinunter stürzen.
Der Bus kommt mit einem Schnaufen vor mir zu stehen. Die Gestalten drängen sich an mir vorbei und steigen ein. Ich laufe doch lieber die Straße hinunter und ziehe es vor, mich von dem nassen Wind peitschen zu lassen.
Ich spüre seine Vorwürfe wie dicke Seile um meinem Leib, sie wickeln sich um mich und ziehen mich in ihren Bann, wie ein böser Zauber an dem die alten Frauen aus unserem Dorf glauben. „Wie kannst du uns verlassen“, höre ich ihn sagen,“ was fehlt dir, ich dachte, du liebst mich ein Leben lang, das haben wir uns doch versprochen, vor unseren Eltern, vor Gott.“
„Mahmud, ich selbst fehle mir“, hatte ich ihm gesagt oder vielleicht auch nur gedacht.
Meine Beine tragen meinen plumpen Körper zurück und schon stehe ich wieder vor der Tür, die mich so bereitwillig hinaus lies, ich sehe, wie meine Hand die Tür öffnet, es riecht noch säuerlich im Treppenhaus, ich bin durchnässt und hinterlasse eine vergängliche nasse Spur hinter mir, bis zur Wohnungstür, bis in den Flur, bis ins Schlafzimmer. Ich ziehe mich aus und lege mich ins Bett. Ich höre wie sich ein Schlüssel im Schloss dreht. „Mama, Mama“ Ich höre, wie sie ihre Schultasche im Flur hinschmeißt und ihre kleinen Schritte ungeduldig in der Wohnung nach mir suchen, da steht sie schon vor mir am Bett. „Was hast du Mama, bist du wieder krank, schau mal, es hat aufgehört zu regnen“. Sie steht vor mir, ihre dunklen Augen saugen sich in meine und ich schäme mich, „ Mama, was hast du denn, schau mal die sonne lacht.“ "Ja mein schatz ich weiß, die Sonne scheint, ich vermisse nur den Regen.