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Ein blutiger Alptraum

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07.02.2004
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Ein blutiger Alptraum

Nein.
Sonst hätte er das nicht gemacht.
Normalerweise hätte es sich ganz anders abgespielt.
Normalerweise würde er jetzt das Haus verlassen. Er würde wie jeden Morgen die alte Frau Koschnik mit ihrem Langhaardackel sehen, sie grüßen, und sich darüber wundern, dass sie immer noch lebt.
Dann würde er die Straße weiter hoch gehen. Links und Rechts mehrere Boutiquen hinter sich lassen. Er würde zum Café an der Ecke gehen, sich seinem Stammplatz nähern, vorher noch einen Cappuccino bestellen.
Er würde wie immer ganz hinten rechts am Fenster sitzen, hinaussehen und das langsame Erwachen der Stadt beobachten.
Aber jetzt. Jetzt ist alles anders.
Er sitzt fassungslos auf seinem Bett, kann nicht verstehen was passiert ist.
Wenn alles anders gekommen wäre, dann würde er sich jetzt weiter auf den Weg zu seinem Arbeitsplatz machen. Er würde das Café verlassen, immer in Richtung Rathaus. Er besitzt ja ein kleines Anglergeschäft unmittelbar neben dem Rathaus.
Er würde es wie jeden Morgen öffnen und schauen, ob er Post hat.
Angeln ist seine große Leidenschaft. Er kann stundenlang am See neben der Stadt sitzen, und darauf warten, den großen Fang zu machen.
Der große Fang!
Den hatt er vor 10 Jahren gemacht. Da lernte er seine wunderschöne Frau Yvonne kennen. Es dauerte kaum 2 Jahre bis er sie heiratete. Die Ehe dauerte bis zum heutigen Tage.
Heute.
Heute, wo er sonst um diese Zeit die ersten Kunden erwartete. Ja, jetzt würde normalerweise Herr Schmitz vom Bäcker gegenüber vorbeischaun. Wie jeden Morgen.
Aber statt Hernn Schmitz sieht er nun die Fotos an der Wand. Auf dem einen Er und Yvonne in Rom, auf den anderen Yvonne und Er in Paris, Madrid oder gar Hongkong. Sie hatten viele Reisen gemacht. Viel gesehen.
Die schönen Erinnerungen schweifen in seinem Kopf umher. Er träumt sich für einen Moment aus seiner Verzweiflung. Doch ein Blick auf seine noch von Blut verschmierte Hand, holt ihn wieder in die Realität zurück. Er merkt aber nicht, dass es schon Mittag ist, und er sonst jetzt das Wasser für seine ´5Minuten Terrine´ aufsetzen würde. Er würde dann wie immer Nudeln in Ramsoße essen. Er würde aber vorher den Laden schließen, denn er empfände es als unhöflich, wenn seine Kunden ihn essend sähen. Er würde lieber alleine im Büro sitzen, und seine Pause genießen.
Allein.
Allein ist er jetzt auch. Allein, verzweifelt, fassungslos. Er sitzt noch immer auf der Bettkante, betrachtet immer noch die Fotos. Doch sein Kopf ist leer. Diese schreckliche Leere bereitet ihm Angst. Eine Gänsehaut breitet sich auf seinem gesamten Körper aus.
Sonst hatte er Gänsehaut immer nur in schönen Momenten mit Yvonne.
Wie konnte er nur. Wie konnte er Das nur tun. Ein Rätsel. Wie war es überhaupt möglich?
Sonst würde doch jetzt Yvonne in das Geschäft kommen, sich ein bisschen um die Buchhaltung kümmern.
Aber jetzt. Jetzt spürrt er nur noch ein wenig den Alkohol, den er gestern in dieser schmutzigen Kneipe getrunken hatte. Aber warum musste er auch vorher so heftig mit Yvonne streiten?
Warum musste er gerade gestern so vorwurfsvoll sein? Warum so ungerecht?
Ungerecht. Das war es. Mehr als das.
Und wenn er nicht betrunken gewesen wäre, und wenn er dann nicht sofort nach Hause gegangen wäre, und wenn er dann nicht die Tür aufgeschloßen hätte, dann würde Yvonne jeden Moment die Tür seines Geschäftes öffnen.
Aber er war betrunken, er ging nach Hause, er öffnete die Tür, und er sah Es. Er hatte Es gesehen. Ihm blieb es nicht erspart, denn die Tür zum Schlafzimmer stand offen. Außerdem vernahm er deutlich die Geräusche.
Sonst hätte er das nicht gemacht. Niemals. Doch nicht seine Yvonne.
Aber gestern sah er nur noch Yvonne und Ihn. Und er sah seine Schreibtsischschublade halb offen stehn. Er sah seine Für – Notfälle – Pistole blinken. Und er sah Yvonne und Ihn.
Und jetzt. Jetzt sitzt er auf seiner Bettkante, den Blick mittlerweile auf das Bettlaken gerichtet. Auch das ist Rot.
Rot. Rot war auch Yvonne gestern. Ihn, dieses Ekel, hatte er gar nicht beachtet, aber Yvonne war Rot.
Und er, er sitzt da und kann nicht verstehen. Denn sonst würden sie doch gemeinsam das Abendessen vorbereiten.
Sonst hätte er keine Schmerzen im gesamten Körper. Sonst hätte er nicht Yvonnes Blut an den Fingern. Sonst hätte er nicht die Bilder von Yvonne und Ihm, dieser Kreatur, im Kopf. Die Bilder, die solche Wut auslösten. Die Bilder, die sein Handeln erst ermöglichten. Dann war da noch der Alkohol, welcher ihn nicht mehr klar sehen ließ. Denn normalerweise trinkt er ja nicht.
Aber gestern. Da war alles anders.
Und jetzt. Jetzt will er nur noch aus diesem Alptraum erwachen. Aus diesem Alptraum der nicht seiner Vorstellungskraft entspricht. Dieser Alptraum, der völlig abstrakt und doch real ist.
Jetzt ist es die Realität, die ihn auffrisst und zerstört. Die ihn erkalten lässt, die ihn steif macht, die ihn fesselt und niemals wieder loslässt.

 

Hi Agnes Cole,

herzlich willkommen auf KGde,

eine schlimme, traurige Geschichte, die auch in -Alltag- gepasst hätte.
Denn wie oft liest man ähnliches in den Tageszeitungen.
Man ist entsetzt und geneigt den Mörder als böses Ungeheuer zu sehen.

Doch wenn man, so wie du es beschreibst, die Hintergründe kennen lernt, kann der Täter einem schon fast leid tun.
Trotzdem liegt in deinem Prot ein unbeherrschtes Wesen, sonst würden wir alle irgendwann mal zu Mördern werden.

Du bringst die Reue des Mannes, das Bewußtsein seines zerstörten Lebens und seine ewig währende Schuld, sehr gut rüber.
Was bleibt ihm noch?

glg, coleratio

 

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