ein gespräch
Ein Gespräch
X: Du schaust die Nachrichten.
Y: Ja.
X: Täglich siehst du Bilder von Krieg, Angst, Tod und Gewalt. Glaubst du noch an das Gute im Menschen?
Y: Ja, das tue ich.
X: Was verleitet dich dazu?
Y: Der Mensch ist nicht unfehlbar. Er hat ein natürliches Bestreben zu überleben, manche mehr als andere. Der Mensch ist kein Monstrum, auch wenn man den Weltereignissen zufolge diesen Eindruck gewinnen könnte.
X: Das beantwortet meine Frage nicht.
Y: Ich glaube an das Gute im Menschen, weil ich Hoffnung habe. Man kann schnell einen einseitigen Eindruck gewinnen, doch der Mensch vollbringt auch viel Gutes. Es gibt Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen, die nach dem Guten streben. Ich zähle mich selbst auch dazu.
X: Würdest du dich selbst als Optimist bezeichnen?
Y: Ja. Ich versuche stets nach dem Guten zu forschen. Ich habe Hoffnung. Kriege, Not, Elend, der Tod und Gewalt sind Begleiterscheinungen unserer Gesellschaft, vielleicht auch zwangsläufige Zustände die den Umständen entsprechen. Aber ebenso bildet sich dazu ein Gegenpol. Nehmen wir zum Beispiel die Friedensbewegung. Eine überidealisierte, aber moralisch absolut gerechtfertigte Sache. Jeder Mensch empfindet irgendwo eine Moral, die er vielleicht zu seinem Ideal macht. Das kann eine Religion sein, das kann eine Vision sein oder auch nur eine politische Gesinnung. Jeder Mensch verfolgt ein Ziel, das er auf verschiedene Art und Weise versucht durchzusetzen. Ob Ziel und Mittel einer Moral entsprechen, der ich mich anschließen kann, ist jedoch zu hinterfragen. Ist dies der Fall, unterstütze ich das angestrebte Ziel mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln.
X: Wer bestimmt über die „richtige“ Moral?
Y: Jeder Mensch bestimmt das für sich alleine. Genau genommen gibt es keine „richtige“ Moral. Man könnte diese nach demokratischem Prinzip ermitteln, das heisst, man erkennt die Moral, der die meisten Menschen folgen als die absolute an, aber selbst ein demokratisches Verfahren unterliegt einer Moral- und Wertevorstellung, die bis jetzt nicht von jedem anerkannt und akzeptiert wird.
X: Man kann also deiner Meinung nach keine absolute Moral festlegen.
Y: Genau. Jeder muss seine moralischen Maßstäbe selbst festlegen. Natürlich legt die Verfassung eines Staates, dem man angehört, schon ein Mindestmaß an Moral fest. Doch das heisst nicht, dass jeder Staatsangehörige diese Verfassung akzeptiert. Man wird zwar gezwungen, die Grundgesetze eines Staates, sofern sie existieren, um des Zusammenlebens Willen zu befolgen, das heisst aber noch lange nicht, dass sie jeder verinnerlicht hat. Das könnte ein Problem sein. Nein, ich verbessere mich: Das ist eine Problematik. Eine Jahrtausende alte noch dazu. Es gibt viele Menschen, die versucht haben, diese Problematik zu lösen, doch letztendlich ist es fast unmöglich. Man müsste den Menschen an sich verändern können. Doch auch das ist moralisch einseitig. Nach welcher Moral würde man den Menschen verändern? In Anbetracht dessen, dass eine absolute Moral nicht existiert halte ich es für gefährlich, dem Menschen eine absolute Moral anzudichten.
X: Spielst du auf absolutistische Systeme an?
Y: Auch. Der Nationalsozialismus, der Marxismus/Leninismus, aber auch Länder, deren Politik von einer Staatsreligion gelenkt wird haben dem Menschen eine Moral und ein Ideal aufgezwungen. Im Grunde ist die Demokratie auch ein aufgezwungenes Ideal. Was die Demokratie jedoch von den absolutistischen Staaten unterscheidet ist, dass sie dem Menschen eine gewisse Freiheit zugesteht, allein durch die Menschenrechte, die den demokratischen Grundstein bilden.
X: Aber wer die demokratischen Ideale nicht befolgt, wird vom System bestraft.
Y: Du spielst auf verfassungswidrige Gruppierungen an?
X: Nicht nur. Ich will nur zum Ausdruck bringen, dass jedes politische System eine Ideologie vorraussetzt, die die Menschen, die in dem System leben, befolgen müssen. Ist das nicht der Fall, so werden sie vom System bestraft.
Y: Das ist das Prinzip eines Systems, ja. Sonst würde es nicht funktionieren.
X: Wie stehst du zu Staaten wie Amerika, die eine Art „Kreuzzug für die Demokratie“ führen?
Y: Das ist eine zwiespältige Angelegenheit, ein Paradoxon. Wenn die Amerikaner im Irak einfallen unter dem Vorwandt, dort eine Demokratie errichten zu wollen, dann ist das einer absoluten Moral unterworfen, in dem Fall der amerikanischen Moral. Ich bin der Meinung, dass man Demokratie nicht aufzwingen kann. Man kann nicht mit einem vorgefertigten Ideal auf die Menschen zustürmen und ihnen sagen: So müsst ihr es machen, sonst werdet ihr bestraft. Das war der Fehler des Leninismus. Die Amerikaner sind momentan die Kaderpartei für die ganze Welt. Das ist eine fatale Einstellung die schnell in extreme Richtungen führen kann. Wenn man mit Gewalt eine Ideologie und/oder eine Moral durchsetzt, dann ist das in meinen Augen schon extremistisch und wider jeder Vorstellung von Demokratie.
X: Du meinst, eine Demokratie muss sich entwickeln.
Y: Ja. Sie muss aus dem Willen der Bevölkerung entstehen. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Demokratie von dem Menschen verinnerlicht wurde, dann erst kann sie richtig funktionieren. Sollten die Amerikaner im Irak oder in Afghanistan eine Demokratie errichten nach ihren Vorstellungen und diese als vorgeschneiderten Anzug der Bevölkerung aufzwängen, so werden sie auf viel Ablehnung stoßen, vielleicht sogar bei potentiell demokratisch gesinnten Menschen. Denn solch ein Verfahren ist nicht demokratisch.