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Ein Stammplatz auf Wolke 7

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08.07.2003
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Ein Stammplatz auf Wolke 7

Wäre die sprichwörtliche Wolke 7 ein Restaurant, so wäre ich der Gast, der einen Freundschaftsbonus und ein Glas Rotwein gratis bekommt. Der, für den am Feiertag der beste Platz freigehalten wird. Der die Kellner mittlerweile duzt.
Wenn ich mich daran zurückerinnern wollte, jemals nicht verliebt gewesen zu sein, so müsste ich in jene fernen Tage zurückblicken, als ich noch barfuß im Micky Mouse-Shirt mit meiner Babypuppe auf der Gartenschaukel gesessen bin. So unwahrscheinlich es klingen mag: Meine klare, bewusste Erinnerung geht bis zu dem Tag zurück, an dem Amors Pfeil mich zum ersten Mal erwischt hat. Und wenn auch das Gift dieses Pfeils in meinem kindlichen Körper nicht vollends zur Entfaltung kam, so brachte es mir doch zahlreiche verträumte Stunden auf der Veranda ein. Ich war sechs Jahre alt und so stolz darauf, dass mir die Verantwortung übertragen wurde, mit einem Zwanzigdollarschein vier Straßen weiter zu laufen, um sowohl Zigaretten und das Wochenendblatt für meinen Vater als auch Wolle und ein hübsches Fotoalbum für meine Mutter zu kaufen.
Vier Straßen, das war ganz schön weit. Dort befand ich mich bereits in einem neuen Stadtviertel. Einem modernen Stadtviertel mit viel Verkehrslärm und Werbeplakaten auf den Litfaßsäulen. Und eines dieser Plakate zeigte ein Brautpaar. Der Bräutigam hatte hellbraune Locken und grüne Augen. Sie würden mich noch eine Ewigkeit verfolgen. Zumindest eine Sechsjährigenewigkeit.
Das war der Zeitpunkt, wo ich anfing, Fotos von Liebes-und Brautpaaren aus den Magazinen meiner älteren Schwester auszuschneiden und in eine Mappe zu kleben. Ich kramte die angestaubten Liebesromane meiner Mutter hervor. Ich hatte gerade erst mit meiner Schulausbildung begonnen und konnte noch nicht besonders gut lesen. Aber ich sah die Titelbilder, sah die Ladys mit wallenden Haaren, die immer von einem gutaussehendem Mann in den Armen gehalten wurden, und schloss daraus, die Bücher müssten einfach gut sein. (Als ich diese ganz offenbar feststehende Tatsache meiner Schwester Patty mitteilte, wurde ich ausgelacht. Egal.)
Später, so etwa mit elf Jahren, habe ich ebendiese Bücher auch wirklich gelesen. Obwohl ich bei den meisten von der Schreibweise nicht sehr angetan war, fand ich sie immer noch gut. Die Autorinnen dieser Romane hatten nämlich das Wichtigste im Leben erfasst. Sie schrieben nicht von unwichtigen Dingen wie Steuern, Verantwortung oder kaputten Rasenmähern. Ihr Augenmerk galt ausschließlich der Liebe, und das war gut so.
Liebe. In wie vielen der zahlreichen Wörterbüchern meiner Mutter hatte ich diesen Begriff nachgeschlagen. Mit acht Jahren konnte ich Übersetzungen dieses Wortes ins Lateinische, Englische, Französische, Italienische und Kroatische(das zerfledderte Spanischwörterbuch ging nur bis zum Buchstaben K).
Mit neun Jahren wurde der Unbekannte auf dem Werbeplakat von einem durchaus bekannten Gesicht abgelöst, denn ein Neuer war an unsere Schule gekommen. Ich malte ihn mindestens zwanzigmal auf meinen Zeichenblock. Ja, schon damals liebte ich die Liebe, und ich war immer überrascht, wenn meine ehrgeizzerfressenen Klassenkameradinnen stundenlang über eine verpatzte Arbeit redeten. Oder wenn meine Eltern stundenlang im Wohnzimmer über Politiker diskutierten. Vor allem bei Letzteren überstieg es meinen Verstand, wie sie sich mit solch unnötigen Dingen aufhalten konnten. Immerhin waren sie eines Tages so gewesen wie das Brautpaar auf dem Plakat. Sie hatten das Wichtigste im Leben erfahren, und dennoch beschäftigten sie sich mit weißhaarigen, lamentierenden Personen, die von Steuererhöhung und Weltfrieden schwadronierten.
Habe ich schon erwähnt, dass ich seit meinem neunten Geburtstag zwei Meerschweinchen besaß? Er hieß Bobby, sie hieß Twinkle. Sie waren ein Paar. Mama hatte Bobby kastrieren lassen, damit es nicht zum unerwünschten Nachwuchs kam. Als ich gerade zwölf geworden war, wurde Bobby krank. Mehrere Monate kämpfte er. Der Tierarzt zuckte ratlos mit den Schultern. Nur Twinkle saß neben ihm, Tag und Nacht wärmte sie den immer dünner werdenden Bobby mit ihrem dichten, langen Fell. Im darauffolgenden Sommer starb Bobby. Ich tröstete Twinkle, so gut es ging. Doch bald sah ich ein, dass es nichts gab, was sie trösten konnte. Sie verweigerte das Futter, kam nicht mehr aus dem Nest, wenn man sie lockte. Eines Morgens fand ich sie reglos in der Käfigecke, in der auch Bobby zwei Wochen zuvor gestorben war. Ab dem Moment, als ich das tote Meerschweinchen dem Tode ergeben so zusammengerollt daliegen sah, habe ich nie wieder daran gezweifelt, dass es wahre Liebe gab.

Liebe war mein Lebenselixier. Nahrung und Wasser hielten meinen Körper am Leben, das war mir bewusst. Doch was wäre ich ohne dieses wahnsinnige, überlebensgroße Gefühl, das kahle Zimmer plötzlich wie Ballsäle und ungemütliche Vorortviertel wie den Himmel auf Erden aussehen ließ?
Ich las „Madame Bovary“ und konnte mich mit Emma identifizieren wie noch mit keiner Romanheldin zuvor. Die Liebe, das war etwas, das dich voll und ganz mitreissen musste, um auch wirklich wahr zu sein. Andernfalls waren es Spülwasserbeziehungen mit fadem Nachgeschmack wie die meiner Eltern, wie die aller Eltern in Springville, die Sonntag abends vor dem Fernseher saßen und sich Dokumentationen über afrikanische Elefanten ansahen. Ich jedenfalls, so hatte ich es schon lange beschlossen, würde mein Leben dem widmen, was wirklich wichtig war.
Mit vierzehn Jahren war ich bereits achtmal verliebt gewesen, zweimal waren es Klassenkollegen, dreimal Schauspieler, einmal ein junger Lehrer und zweimal gleichaltrige Bekannte.
Ich erledigte alle meine anderen Aufgaben mit spielerischer Nebensächlichkeit, um mich dann möglichst schnell wieder auf meinen Lebenssinn zu konzentrieren.
Abends ging ich oft schon um sieben Uhr ins Bett, nicht um gleich einzuschlafen, sondern um mich meinen wunderbaren, rosenumrankten Träumen hinzugeben, in denen sich stets alles um Liebe drehte.
Ich las eine wissenschaftliche Erklärung zum Thema Verliebtsein, tat alles mit einer Handbewegung ab und ging schlafen. PEA, Dopamin, Serotonin-wenigstens konnte ich nach dem Lesen dieses Artikels die Stoffe benennen, die mich am Leben erhielten.
Tagaus, tagein lebte ich auf den strahlenden Wogen meines Glücks. Doch dann geschah etwas Furchtbares.

Ich hatte Matthew, den letzten Auslöser meiner lebenserhaltenden Stoffe, dabei gesehen, wie er ein anderes Mädchen am Schulhof küsste.
Natürlich war sofort klar, dass er keinen Zutritt mehr zu meinen Traumschlössern haben würde.
Nach nächtelanger Trauer kam der dumpfe Schmerz, und dieser wurde bald abgelöst von unbändiger Wut ihm gegenüber. Doch eines Morgens wachte ich auf und bemerkte, dass alles weg war-der Schmerz, die Wut, alles.
Und ich kam zu einer Erkenntnis, die mich in meinen Grundfesten erschütterte: Ich war nicht mehr verliebt. Nicht in Matthew, und auch in keinen anderen.
Es traf mich wie einen Krebskranken seine Diagnose. Ich sah die unbemalten, abbröckelnden Mauern des alten Bahnhofsgebäudes, die monotonen Schulunterlagen, ich hörte die nichtssagenden Gespräche meiner Klassenkollegen, Lehrer und Eltern. Und sah zum ersten Mal, wie das Leben wirklich war: Grau, langweilig und uninteressant. Ich war verzweifelt. Noch nie im Leben hatte ich so eine schlimme Trostlosigkeit gefühlt. Ich war von meiner Wolke Sieben gefallen, aus meinem rechtmäßigen Heimatort verbannt.
In den darauffolgenden Wochen war ich praktisch nur außer Haus. Ich ging von Kino zu Kino, von Theater zu Theater, von Subwaystation zu Subwaystation. Irgendwo musste doch jemand sein, der mich wieder in meinen glücksseligen Zustand zurückkatapultieren konnte!
Doch Wochen, Monate und schließlich Jahre vergingen, und die Welt war immer noch grau und traurig. Das Dopamin, das Serotonin und alle anderen Botenstoffe der Liebe blieben in ihren urprünglichen Gehirnarealen, eingesperrt wie schöne Prinzessinnen in einem Turm, die darauf warteten, dass ein edler Ritter sie befreite.
Meine Leistungen in der Schule fielen rapide ab. Heute wundere ich mich, wie ich mit meinen Noten überhaupt die Abschlussprüfung geschafft habe.

Ich wachte auf. Nicht nur aus meinem physischen Schlaf. An diesem verregneten Märzmorgen in meiner kleinen Wohnung wurde mir zum ersten Mal meine Lage mit aller Klarheit bewusst.
Ich war vor einigen Tagen zwanzig geworden. Die meisten meiner Freundinnen wohnten schon längere Zeit mit ihren Partnern, mit denen sie sehr glücklich waren, zusammen. Melly McKay hatte sogar schon einen Verlobungsring am Finger. Nur ich wachte alleine auf. Es war eine bittere Ironie des Schicksals: Ausgerechnet meine Wenigkeit, die ihr Leben voll und ganz der Liebe widmen wollte, hatte mit zwei Jahrzehnten auf dem Buckel noch nicht einmal das Gefühl eines verliebten Kusses auf ihren Lippen erfahren.

Das ist jetzt acht Jahre her.
Ich sitze im Garten und genieße die leichte Brise. Vor einer Minute hat Cathleen angerufen und mich und Mike ins Restaurant eingeladen. Ihr Mann Jeffrey wird auch mitkommen. Wir werden uns einen richtig netten, gemütlichen Abend zusammen machen. In zwei Stunden werden wir uns in Jeffreys Wohnung treffen.
Florabelle, die Katze, streicht schnurrend um meine Beine. Es ist ein schöner Tag, auch wenn der Nachrichtensprecher für heute abends Regen angesagt hat. Aber da werden wir vier schon längst in einer bequemen Ecke im Hawthorne’s sitzen, gebratene Scampi essen und einfach nur stundenlang quatschen.
Ich sehe Mike an. Er steht gebückt auf der anderen Seite unseres kleinen Rasens. Seit Stunden repariert er mit Hingabe den kaputten Rasenmäher. Ich liebe ihn trotzdem.

 

Der Text ist größtenteils eine vergnügliche Plauderei, die sich sehr flüssig und sehr unterhaltsam liest. Ein wenig enttäuschend ist dann aber doch das Ende: Zeitsprung, Situationswechsel, man fragt sich: fehlt da nicht die eigentliche Geschichte?

Noch eine technische Anmerkungen: Die Erzählerin ist in den USA (oder Kanada) lokalisiert, aber weshalb dann eine Übersetzung des Wortes 'Liebe' ins Englische? Auch stellt sich die Frage, weshalb die Kellner die Protagonistin duzen sollten, es gibt ja eben nur das 'you'.

 

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