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Ein wahrer Krieger

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07.09.2004
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Ein wahrer Krieger

Ein wahrer Krieger

„Ich bin in gar keinem Krieg,“ stellte Hermann fest. Und diese Feststellung war kein Anlass zur Freude für ihn, wie der Leser jetzt noch annehmen könnte. Im Gegenteil. Hermann war niedergeschlagen. Er wollte nämlich Krieger sein. Für oder gegen irgendeine Sache kämpfen. Der genaue Inhalt war eigentlich sekundär. Doch in ihm pulsierten die wütenden Energien der Jugend, die Sehnsucht nach einer höheren Aufgabe! Seine Tage mit maximalen Vergnügen zu erfüllen, das war ihm als Lebenssinn einfach zu wenig. Ja, in ehrlichen Momenten schaute er sogar ein wenig herab auf das Volk der Hedonisten, welches so zahlreich geworden war in diesen Tagen. Die hatten nur Spaß, Spaß, Spaß im Sinn. Konnten sie tatsächlich glücklich damit sein, die Woche stumpf durchzurackern, mit dem Blick fest auf die Erlösung des Wochenendes gerichtet? Er konnte es einfach nicht glauben.

Kämpfen also. Doch wofür nun? Die klassischen Kriege, bei denen man nicht von einer Metapher sprechen würde, waren anscheinend überall, nur nicht bei ihm. Als wenn sie sich gegen ihn verschworen hätten. Na toll. Er schaltete den Fernseher ein. Stumme Demonstranten liefen durchs Bild. Sie schauten ernst und entschlossen. Manche trugen Transparente und Schilder. Hartz IV, schoss es ihm durch den Kopf. Und dass er eine Niete im Handwerkern war. Diese Schilder hätte er nie hinbekommen.
„Vielleicht sollte ich mich auch gegen Hartz IV auflehnen,“ überlegte er. Dummerweise ging es ihm aber gar nicht so schlecht finanziell. Und aus Solidarität kündigen, seine frische Stelle als Einzelhandelskaufmann, das ginge ja dann doch zu weit. Oder? Für einen kurzen Augenblick wehrte sich in seinem Inneren die Sehnsucht nach kompromissloser Radikalität. Doch die lebenslang genährte „Stimme der Vernunft“ blieb weiter ungeschlagen im Ring. „Vielleicht zum letzten Mal“, dachte er. „Kann schon sein, dass ich schon bald mein Leben völlig auf den Kopf stelle. Wenn ich meinen Krieg gefunden habe.“
Doch Hartz IV war nun wirklich nicht so recht sein Thema, befand er. Alles, was er wusste aus TV und BILD-Schlagzeilen war, dass Hartz IV irgendetwas ganz Schreckliches wäre, und dass die Regierung sogar die Sparbücher der Kinder einsacken würde. Das fand er nun echt nicht schön. Die armen Kinder! Das würde Tränen geben. Sollte er nicht doch den Kampf führen? Als „Rächer der enterbten Kinder“? Nein. Dafür war er nicht kinderlieb genug.

Was blieb noch? Für einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, Internetpartisan zu werden. Anarchie und Chaos zu bringen wie ein Racheengel auf Speed. Unter schneidigem Pseudonym einen Krieg gegen alle und jeden zu führen. Unter bemühte Beiträge „Arschnase“ zu setzen. Vorteil war: er musste die Wohnung nicht verlassen, und die potentiellen Kriegsschauplätze waren Legion. Und viel konnte einem nicht passieren. Nachteil war, dass er ja doch lieber für das „Reich des Guten“ kämpfen wollte. Für eine böse Sache zu streiten behagte ihm nicht so recht. Aber was dann? fragte er sich zerknirscht und griff in die Chipstüte vom Vortag. Wale retten? Nee, das war irgendwie out, und die Japaner ließen sich eh nix vorschreiben. Auf so einer kleinen Insel konnte man halt auf keine Nahrungsquelle verzichten. (Ob es dort einen McWhale gab? Na, wahrscheinlich nicht. Wenn Greenpeace das rausbekäme, wären die goldenen Bögen geliefert weltweit. Gab ja auch keine FrogNuggets in Frankreich.)

Apropos Nahrung. Sollte er den Hunger in der dritten Welt bekämpfen? Hmm... Kickte auch nicht so recht. „Bei dieser weltweiten Globalisierung kann man ja eh nie sagen, wer schuld an allem ist“, resignierte er. Waren es europäische Bauern, der CIA, die WTO, Osama, alle gemeinsam? Oder war der Schuldige in Wahrheit jemand Unbekanntes, den niemand auf der Rechnung hatte? Er könnte eine Art Enthüllungskrieg führen, und finstere Machenschaften auf den Tisch bringen! Hungergate! Für einen Augenblick liebäugelte er mit den Schlagzeilen: „Globaler Horror-Hunger: Schuld sind die Freimaurer!“, gekoppelt mit seiner rühmlichen Erwähnung. Aber nicht lange...

Er merkte, dass er nicht recht weiterkam, so wie er da auf seiner Couch saß. „Und da heiße ich schon Hermann, wie der berühmte Feldherr.“ Es war ihm fast peinlich. Sein Namensvetter hatte die ganze deutsche Nation davor bewahrt, Latein reden zu müssen und sicherlich noch vor Schlimmeren, und er?- Saß auf der Couch herum und kaute auf laffen Chips. Der Gedanke an seinen tapferen Verwandten ließ ihn unwillkürlich gerader sitzen. „Also: wofür kämpfe ich jetzt?“ fragte er, nun eine Spur schneidiger. Eine Entscheidung musste her...

Hermann ist Söldner geworden. Teilzeitkrieger, gewissermaßen. Wenn es eine Demo in der Stadt gab, lief er mit, grimmige Miene, erste Reihe. An der Volkshochschule hatte er sogar einen Schreinerkurs belegt, und hielt nun auf den Demos mit stolzer Miene dessen Sprössling in die Höhe: ein Schild mit der Aufschrift „Protest!“. Das Gute an dem Schild war, das es auf jeder Demo hervorragend passte, und stets ein grimmig-beifälliges Nicken der Mitstreiter erntete. Jede gute Sache konnte auf sein Schwert hoffen. Seine Unterschrift wurde zum zornigen Pfeil des Widerstands: gegen Sozialabbau, Brandrodung, dumme PISA-Kinder und schlaue Kapitalisten. CDU, SPD, PDS und Grüne konnten auf seine aktive Mitgliedschaft zählen. Sein Eifer in Debatten wurde zur Legende. Und als er dann eines Tages das Hermann-Denkmal besuchte, kamen ihm fast die Tränen. Er hatte es geschafft, endlich hatte er es geschafft...

 

re

Gut geschrieben, nur wieso kämpft dieser Typus nur auf einer Seite? Dieser Typus kämpft auf jeder Seite, und da verläuft ein Bruch in deiner Geschichte.


Außerdem:

was", sagte er.

Gruß von Fllic

 

danke erst einmal für deine Kritik! Wenn man Hermann als Typus betrachtet, dann gebe ich dir recht, dass er auf beiden Seiten auftaucht. Allerdings war die erwähnte "böse Sache" für mich mit unsichtbaren Anführungszeichen versehen, und sollte eher aus Hermanns etwas eindimensionaler Weltsicht betrachtet werden. Gut und Böse sind ja meist subjektive Konstrukte der Akteure (wobei ich jetzt keinen absoluten Werte-Relativismus proklamieren wollte).

Rheinischer Gruß!

 

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