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Eine rote Pfütze

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16.10.2004
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Eine rote Pfütze

Eine rote Pfütze bildete sich, langsam, sich durch einzelne, rhythmisch fallende Tropfen füllend, unter seinem schmerzverzerrten Gesicht. Es brannte, sehr. Er genoss die zunehmende Taubheit seiner Haut, die Stumpfheit seiner Fingerspitzen, was er auch berührte, es war ihm gleichgültig. Der Schmerz verschwand, langsam, wie ein Alligator, der, seine Beute einmal erlegt, langsam ins Wasser zurück gleitet. Das Wasser, das aus dem Duschkopf über ihn floss, er bemerkte es nicht mehr.
War es nicht das, was er wollte, diese tumbe Taubheit, das Schwächen all seiner Sinne, das Abtöten jeglichen Empfindens? Er wäre unbesiegbar, jede Faust, die sich in seinen Magen bohrt, einschlägt, wie Steinschlag, jeder Tritt gegen seinen Kopf, er würde ihn nicht mehr spüren, es würde ihm nichts mehr anhaben. Wenn er das nächste Mal in eine solche Rauferei, solch eine Gerechtichkeits-Geschichte, hineingeraten würde, er wäre wie aus Stahl, alles würde an ihm abprallen, seine Gegner, seine Feinde, sie würden verzweifeln.

Zwei Uhr nachts, er steigt in den Bus. Erschöpft ist er, müde, ein Pfeifton in den Ohren, er fühlt sich wie eine Brausetablette im großen Wasserglas der Stadt. Langsam löst er sich auf, um in tausend kleinen Partikeln zu verschwinden.
Er schließt die Augen, schläft ein.
Sein Schlaf ist pechschwarz und traumlos.
Geweckt wird er durch Poltern, ein dumpfes Knallen. Hinter ihm Keuchen, husten aus der Tiefe der Kehle, gemischt mit wehleidigem Wimmern.
Er dreht sich um, zur hälfte sieht er noch pechschwarz. Auf dem Flur des Busses krümmte sich ein Asiatisch aussehender Mitzwanziger, umringt von drei Männern. Keine Haare, geballte Fäuste, widerliche Spucklaute aus ihrem Rachen, schwarze, hoch geschnürte Stiefel, scharlachrote Köpfe. Ihr Gesichtsausdruck gleicht dem eines Maschinengewehrs, eine Ladung Schroth schießt aus ihrem Blick. Sie schreien durcheinander, Speichelfetzen fliegen aus ihren weit aufgerissenen Mäulern.
Der Bus steht, ist leer, alle Fahrgäste hatten die Flucht ergriffen, draußen hört man den Busfahrer, er stammelt ins Telefon.
Es dauert einige Sekunden ehe er die Situation begreift, dass er alleine ist mit drei Menschgewordenen Baseballschlägern.
Die Gespaltenheit, diese Zögerlichkeit, die ihn nun Packt, schmerzt mehr, alles andere, das er je gefühlt hat. Die Polizei, sie wird gleich kommen. Ich kann hier nichts ausrichten, ich bin machtlos. Der arme Kerl, wie gerne würde ich...
Seine Faust ballt sich, die Nägel bohren sich in die Innenfläche seiner Hand, aber er spürt nichts. Er spürt keinen Schmerz außer dem der Zerrissenheit. Die Baseballschläger prasseln nieder auf den asiatischen Menschen, Blut hängt auf der unteren Hälfte seines Gesichts.
Die Polizei, wo bleibt die Polizei? Sie werden zu spät kommen, zu spät.
Du feiges Arschloch, was willst du tun?
Es ging alles einfacher, als er dachte.
„Hey!“
Sie treten weiterhin zu
„HEY!“
Sie hören auf, eine Sekunde, was nun, kein zurück, ich kann nicht, ich muss.
„Halts Maul du scheiß Spasti, gleich kriegste auch inne Fresse!“
„Ach ja?“ was soll man darauf antworten. Einer der Baseballschläger geht auf ihn zu, will ihn am Kragen packen, greift daneben, er duckt sich, entkommt, ich muss, denkt er, schreit, ballt die Faust, sammelt alle Kraft, ich bin ein Torpedo, ich sprenge euch in die Luft, seine Faust schnellt hervor, trifft, in den Magen, er will tiefer bohren, will sich durchkämpfen, wutzerfressen, angstbesessen, taubstumpf für alles, mitten im Tunnel seines Endes, denkt er, kurz, denn Denken kann er jetzt nicht. Der Mensch am Boden weint, Blut und Tränen.
Der nächste Schlag der Glatze trifft, mit der Faust ins Gesicht, es blinkt vor seinen Augen, pechschwarz, alles, Karusselfahrt seiner Sinne, aber er fängt sich. Nicht jetzt, denkt er, ich muss. Er schlägt um sich, tritt um sich, trifft, verfehlt, Gegenstände, Arme, Köpfe, Magengruben, Weichteile, er taumelt, alle drei Schläger sind nun bei ihm, er spürt eiserne Hände um seine Arme, tritt, wie eine Schlange, die gegen eine Vogelspinne kämpft, ums Überleben und alles dreht sich darum, wer dem anderen als erstes eine tödliche dosis Gift verpasst. Der Bus stürzt Kopfüber und steht jetzt senkrecht für ihn, mit der linken Gesichtshälfte liegt er, ebenfalls blutend, auf dem Busflur, ein Tritt muss ihn wohl grade in die Rippen getroffen haben, von fern her schleicht der Schmerz heran, noch nimmt er ihn nur als Echo wahr.
Und dann ist es vorbei, dann lassen die Tritte nach, die Schläge, die Schreie, das Prasseln von Speichel auf seinem Gesicht und seiner Kleidung, die Schläger verschwinden und es wird wieder Pechschwarz.

Der Mensch auf dem Boden des Busses, er überlebt. Der Mensch, der ihn retten wollte, ebenfalls.
Alle anderen Menschen waren verschwunden.

 

Hallo shinichi,

eine wirklich beängstigende Situation, die Du da beschreibst.
Ich muss zugeben, ich weiß nicht, ob ich den Mut hätte, zu helfen. Sicher in einigen Situationen, in der ich glauben würde, eine Chance zu bekommen, wirklich zu helfen. Aber hier sicher nicht, schon gar nicht, wenn ich eines der Kinder dabei hätte. Leider. Und leider auch bestimmt viele andere nicht.
Eine sehr nachdenklich stimmende Geschichte, die sehr gut umgesetzt ist. Deine Rechtschreibfehler solltest Du noch dringend aussbessern. ;)

Liebe Grüße, Susie

 

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