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Elsa
Auf dass ich nie mehr von dir scheiden muss
Wind des Westens, weis' zurück mich nicht
Schenk mir deinen samtig kalten Kuss
"Es wird nie wieder das Gleiche sein, nie wieder.", Elsa hielt schon seit ein paar Minuten den Revolver ausgestreckt in ihrer Hand. Der Geruch verbrannten Schwarzpulvers lag noch immer in der Luft. "Ich meine das Meer. Hörst du, Anton? Die Brandung, achte auf die Brandung. Sie klingt.... anders. Nicht mehr so voll und dröhnend wie vorher." Sie rührte sich nicht und starrte immer noch auf diese eine Stelle, auf der ihr Blick scheinbar unwiderbringlich geheftet war. Nur ein leichtes Zucken in die Richtung, in der sich Anton befand, verriet, dass sie eine Antwort erwartete. Anton schwieg.
Wühle, grabe, erforsche mein innerlichstes Bangen
Achte auf jeden leidvoll schreiend' Schmerz
Sind doch alle Morgen erlebt; alle Nächte sind vergangen
"Ich wollte niemals, dass es soweit kommt. Aber er liess uns keine Wahl, Anton. Wir mussten es tun, ich musste es tun."
Ihr Flüstern vermengte sich mit dem Meereswind und säuselte dem nächtlichen Sternenhimmel entgegen. "Wir hatten diese Art Leben satt, nicht wahr? Ja, es ist besser so. Wir sind jetzt frei! Niemand wird uns je wieder wehtun. Gleich morgen nehmen wir den ersten Flug. Egal wohin, hauptsache weg von hier. Ich hasse diesen Ort, ich ertrage ihn nicht. Anton?" - Doch Anton machte nicht die geringsten Anstalten, ihr irgendetwas zu entgegnen.
Elsa war schön: Ihre gebräunte samtige Haut bedeckte einen makellos athletischen Körper, und das lockere Seidenkleid, das sie trug, flatterte im Wind und tanzte mit ihrem glatten schwarzen Haar um die Wette. Aber sie zitterte, jede Faser ihres Körpers war angespannt. Und ihre Augen gebaren dünne Tränen, die vereinzelt über ihre Wangen rannen: Über Narben, Schnitte und Blutergüsse hinweg, die ihr schönes Gesicht entstellten. Heute war er besonders brutal gewesen.
Brandend' Forderung: Ich will es nicht ertragen
Schweig, mein Herz! Schweig jetzt ganz still!
Lausch' dem tiefen Wassers lockend Klagen.
"Anton, bitte rede mit mir! Dein Schweigen macht mir Angst, ich brauche dich jetzt! Bitte entzieh dich mir jetzt nicht. Ich habe das für uns beide getan. Ich.... liebe dich!" - Statt einer Antwort lagen nur diese Worte in der Luft, schwer und träge. Und es war, als ob der Wind eben diese Worte anklagend in Elsas Ohr zurückmurmelte. Endlich liess sie langsam den Arm sinken. Der Sand unter ihren Füssen war feucht und sie schwankte, fiel schliesslich auf die Knie.
"Anton! Ich stehe das nicht alleine durch. Bitte komm zu mir und halte mich! Nimm mich in den Arm!"
Elsas Stimme war jetzt nicht mehr als ein Wimmern. Sie begrub ihr Gesicht in den Händen. Aber Anton kam nicht zu ihr. Er liess sie allein, auf ewig allein! Niemals wieder wird sie ihn berühren können, nie mehr wird sie Trost von ihm bekommen und sie wird ihn nie mehr küssen! Doch auch misshandeln wird er sie nie wieder, wie er es heute wieder getan hat! Er hat ihr so viel Gutes und Schlechtes angetan, aber das ist vorbei, für immer. Und in diesem Augenblick wurde Elsa dies alles bewusst, wie ein Schlag, wie ein Kuss. Antons lebloser Körper lag vor ihr im Sand, eine Kugel steckte ihm im Kopf, und jede aufbrandende Welle nagte schon an ihm, zerrte ihn jedesmal ein Stück weiter ins Meer hinein. Lange würde es nicht mehr dauern bis das Wasser ihn hinaustrug, um ihn auf ewig zu verschlingen. Und der grösste Teil von Elsas Leben wird mit ihm verschwinden. So erniedrigend es auch gewesen ist, aber es war ihr Leben.
"Was hab ich getan?" - ein gebrochenes Flüstern.
Sie weinte bitterlich und fühlte den Schmerz in den tiefsten Tiefen ihrer Seele. Wollte sie selbst allein weiterleben? Sie spürte die Leere in sich. Dieser eine Schuss tötete ihre Qual - aber auch sie selbst. Sie wusste nicht, was sie noch auf dieser Welt wollte.
Schluchzend hob sie den Revolver wieder, setzte ihn an....
Mein Herz, bezeug' mir diesen Neubeginn!
Tausendfarbig scheint in mir das neue Glück
Ich kann es fühlen wie Feuer mit jedem Sinn
Die Sterne am Himmel waren in dieser Nacht besonders hell, und der Mond schickte sein Licht in zahllosen tanzenden Facetten auf das Meer. Ein steter sanfter Wind liebkoste die Blätter der Palmen am Strand und verlieh ihnen zaghaftes Leben, die Zikaden sangen ihr ryhtmisches Lied. Und als die Ruhe dieses Moments am trügerischsten war, erschallte ein ohrenbetäubender Schuss.
Ein Schwarm Seevögel floh flatternd davon. Weisser, vom Mondlicht gleissender Rauch vermengte sich mit der Schwärze der Nacht, und der Lauf des Revolvers starrte ihm nach. Elsa zitterte nun nicht mehr. Fest und entschlossen hielt sie den Revolver wie eine Fackel gen Himmel. Ihre Augen funkelten, als wollten sie das Ende eines düsteren Kapitels verkünden. Sie stand auf und warf die Waffe weit von sich ins Meer. Der Wind spielte mit ihrem Kleid. Dann sah sie noch einmal auf Antons seelenlose Hülle hinunter, die ihr dort zu Füssen lag und in Brandungsgischt getränkt war. Ein erleichterter Seufzer enstprang ihrer Kehle, als sie sich schliesslich umwandte und ohne noch einmal zurückzublicken davonging.
Für den Bruchteil einer Ewigkeit stand sie am Abgrund. Aber sie hatte sich entschieden und fühlte, dass sie es niemals bereuen würde....