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Endstation Herbst

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04.07.2004
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Endstation Herbst

Er traute sich endlich, das Licht anzumachen. Die Lampe flackerte grell auf und ließ ihn die Augen kurz zusammenkneifen. Wie jeden Abend wenn er nach Hause kam. Der ganze Weg bis nach Hause war dunkel- die Straße, die Treppenhäuser, selbst sein Auto. Mehrmals hatte er sich gefragt warum er an solchen Tagen nicht wenigstens in seinem Auto das Licht einschaltete, wenn er schon an dunklen Treppenhäusern so einen Gefallen fand; erst vor Kurzem wurde ihm klar, dass er die Dunkelheit brauchte. In der Dunkelheit konnte man sich vor sich selbst verstecken, das Licht deckte die Persönlichkeit auf, mit all ihren Bestandteilen, mit Schwächen und Stärken, mit Ängsten und Hoffnungen. Er brauchte die Dunkelheit und doch fehlte ihm das Tagelicht. Der Herbst war wahrhaftig ein Fluch! Er wusste, dass der Herbst an allem Schuld war- oder zumindest wollte er das glauben... Er warf seinen Blazer auf das Sofa, befreite sich von der Krawatte; dunkles Wohnzimmer, und nur das Licht aus der Diele zeigte die ganze Fläche des Raumes, sehr groß, eigentlich viel zu groß für ihn allein. Allein. Einsame Menschen hatten Katzen, und er wusste genau, dass er auch eine Katze hätte wenn er sich nicht sicher sein würde, dass das Tier bei seinem Tagesablauf kläglich verhungert wäre. Und er war nicht einsam. Er wusste genau, dass er nicht einsam war; täglich brauchten ihn Menschen. Brauchten. Er aber brauchte sie nicht. Jedenfalls nicht so wie er einen Menschen brauchen wollte.
Er ging ins Bad und sah in den Spiegel. Und wieder offenbarte ihm das Licht die Wahrheit. Erste Lachfältchen um die blauen Augen, ebenfalls einige um den Mund herum, der fahle Teint nach einem langen Arbeitstag. Müde- die ganze Erscheinung war müde. Er sah kurz weg, dann wieder in den Spiegel und strich sich durch das dunkelblonde Haar. Wann eigentlich hatte ihm eine Frau das letzte Mal gesagt, dass sie ihn attraktiv findet? Er wusste es nicht mehr und ebenfalls wusste er nicht ob er so eine Aussage jetzt noch glauben würde. Er glaubte kaum noch etwas- zu viele Erfahrungen hatte er mit Lügen. Die Fältchen bestätigten das. Er fragte sich, ob sie unbedingt sein mussten- er war doch erst Anfang dreißig! So schnell verging sie, die allmächtige Zeit, dämmerte ihm ein- wie lange ist das her, dass er als Student die Tage auf dem Campus verbrachte, ganz woanders. Die allmächtige Zeit... Und nun das hier!
Die Küche war eiskalt. Ihm fiel auf, dass ein Pullover auf dem Boden lag, und er lächelte wahrscheinlich zum ersten Mal an diesem Tag. Wenigstens das hatte sich seit seiner Jugend nicht verändert. Er zog sich den Pullover über und hatte das Gefühl, dass genau dies das wahre Glück war- die kleinen Dinge im Leben. Im nächsten Moment seufzte er: Das alles hatte wohl keinen Sinn. Er holte eine Flasche Wein aus einem der Küchenschränke, entkorkte sie, goss die dunkelrote Flüssigkeit in ein Glas und betrachtete sich in der Fensterscheibe. Was er sah, war ein großer junger Mann mit jetzt unordentlich aussehendem dunkelblonden Haar und blauen Augen, in einem grauen Rippenpullover. Dahinter war die Dunkelheit. Die unendliche Dunkelheit der Großstadt, durchwachsen von Tausenden von Lichtern. Eine Stadt, die er kannte und liebte. Nur nicht jetzt. An allem war der Herbst schuld!
Er strich sich übers Gesicht und stütze sich mit einer Hand am Fenster ab. Das Einzige, was er jetzt konnte, war nachdenken. Und er dachte nach, krampfhaft versuchend sich selbst auf die Schliche zu kommen. Hatte er nicht Erfolg? War er nicht beliebt? Gebraucht? Gesehen? Gesehen... Er dachte an diese Begegnung und wusste nicht, ob man das, was ihm widerfahren war, überhaupt so bezeichnen konnte. Es war eine Vision, ein Traum, eine nebelhafte Erinnerung, obwohl es erst heute Nachmittag passiert war. Sie stand am Fenster, und ihr rotes Haar glänzte in der herbstlichen Sonne. Zuerst konnte er nur ihr Profil erkennen und er erstarrte, um die Vision zu erhalten, denn schon damals war ihm klar, dass es nur eine Vision war. Ihr Gesicht war gegen die Sonne gerichtet, aber der Kopf etwas nach unten geneigt, als ob sie nachdenken würde. Sie war wie ein Lichtstrahl in der Welt des grauen Granits und schwarzer Kleidung, und er vergaß sofort wo er war. Sie hielt den linken Arm etwas in die Höhe, und er vermutete, dass sie eine Zigarette in der Hand hielt; aber im nächsten Augenblick drehte sie sich um, und er sah, dass es ein Plastikbecher aus dem Kaffeeautomat war. Von irgendwo her tauchte auf einmal eine Menschenmenge auf und überfüllte alles. Er machte einen Schritt zu ihr, als wollte er ihre zierliche Gestalt vor der bedrohlichen Flut beschützen, aber die Flut erfasste sie, riss sie mit und trug sie in den Saal. Die Tür ging zu, und sie war verschwunden. Und dann bezweifelte er, dass sie tatsächlich da war, und nicht nur seiner fast eingefrorenen Fantasie entsprungen. Und nur der Name am Aushang ließ ihn wissen, dass sie aus Fleisch und Blut war. Aber an den Namen konnte er sich nicht mehr erinnern, er war ihm entglitten wie sie selbst. Doch das hatte keine Bedeutung; sie war nicht real, eine Illusion, eine Fata Morgana, die wie ein Blitzschlag in sein Leben getreten war und ebenso blitzartig wieder verschwunden. Für immer.
Erneut seufzte er- warum kamen ihm auf einmal solche Gedanken? Was war jetzt anders als früher? Als schon immer? Wenn die letzten vier Jahre als `schon immer` zu bezeichnen waren... Er spürte, dass sein Leben so wie es war nicht mehr ausreichte. Es war wie ein Vitaminmangel, den man im Frühling bekam. Und im Herbst. In diesem verdammten, sadistischen, tristen Herbst! Plötzlich sah er hoch und blickte sich wieder im spiegelwirkenden Fenster an. Herbst. Ihr Name war Herbst, und er fragte sich wie er das hatte vergessen können. Herbst! So deutlich und klar wie die kühle Sonne, der frische Wind und die bunten Blätter... Er stellte sein Glas auf dem Fensterbrett ab und ging zurück ins Wohnzimmer. Auf dem Couchtisch lag das metallisch glänzende Telefon. Und dann wurde ihm klar, dass sein Leben an einem Tiefpunkt angelangt war, aus dem kein Tageslicht allein heraushalf. Er sah das Telefon an als wollte er es hypnotisieren. Es antwortete nicht, und er nahm den Hörer in die Hand. Herbst. Einfach nur Herbst!..

 

hallo lady,
deine geschichte lässt mich ratlos zurück. also ein gut dreissig jähriger mann, abgeschlossenes studium, im leben stehend (wird "gebraucht") - kommt mit dem leben nicht mehr klar. ist allein und sucht jetzt anschluss an eine fatamorgana. sei mir nicht böse, aber das ist für mich nicht nachvollziehbar - vielleicht fehlt es einfach an fantasie bei mir!

einige dinge technischer art sind mir im text aufgefallen und ich möchte sie dir nicht vorenthalten:

- du verwendest alle nasen lang das wort "WISSEN" in verschiedenen abwandlungen (wortwiederholungen machen einen text unnütz schwer)

- wie kann dein prot im auto OHNE licht fahren, obwohl es dunkel ist? - du solltest rechtzeitig die polizei alarmieren!

Auto. Mehrmals hatte er sich gefragt warum er an solchen Tagen nicht wenigstens in seinem Auto das Licht einschaltete, wenn er schon an dunklen Treppenhäusern so einen Gefallen fand;
- wo ist hier der zusammenhang?

- die "Lachfalten" im gesicht sollen klarmachen, dass die "ganze erscheinung müde" ist?

- warum ist die zeit "allmächtig"? und das zweimal hintereinander?

Die unendliche Dunkelheit der Großstadt, durchwachsen von Tausenden von Lichtern. - ein Widerspruch in sich (dunkelheit + lichter)

- du wiederholst viele dinge (was durchaus ein stilmittel sein kann, sofern man es nicht zu oft tut. beispiel: Das Einzige, was er jetzt konnte, war nachdenken. Und er dachte nach

oder: sie war nicht real, eine Illusion, eine Fata Morgana.... übrigens: kann eine fata morgana (etwas surreales, weiches, zerbrechliches...) wie ein BLITZ EINSCHLAGEN? - lies dir diesen satz mal selbst laut vor und lass ihn auf dich einwirken. es lohnt sich

- "Er spürte, dass sein Leben so wie es war nicht mehr ausreichte." --- wozu reichte es nicht? war es zu kurz? werde bitte genauer und eindeutiger in deinen aussagen

es lohnt sich, die geschichte zu überarbeiten! mach was draus, bitte

herzliche grüße
ernst

 

Aufbruch, Erkenntnis?

Der Text skizziert eine Erkenntnissituation im Leben eines jungen Mannes. Es ist Herbst, Abend, Feierabend, der Protagonist ist allein, in seiner Wohnung angekommen und in den Komplex Abend, Dunkelheit, Herbst mischen sich Gedanken über das eigene Alter.

Doch ist es keine widerspruchsfreie Gedankenkette; die Dunkelheit taugt, um sich daran vor sich selbst zu verstecken. Und der Protagonist will sich verstecken: das eigene Ich, das junge Ich (als Frühling?), werden nicht miteinander in Einklang gebracht, das wiederholte Betrachten der eigenen Gestalt führt zu einer Selbstentfremdung, einer hilflosen Nichtakzeptanz des eigenen Ichs. Zur Gefangenschaft in der Sinnentleertheit. Die Befreiung, Sinngebung kann nicht von außen kommen; der Umwelt wichtig, gar unentbehrlich zu sein, auf sie aber verzichten zu können stellt sich als eine unbefriedigende Situation dar.

Die Seelenlage des Protagonisten ist Resultat von "Lügen", die an aller Wahrheit zweifeln lassen. Hierüber erfährt der Leser vielleicht zu wenig, vielleicht ist es aber auch nur ein unwichtiger Nebenschauplatz. Doch weshalb findet er dann Erwähnung?

Die Geschichte endet, wo es interessant werden könnte. Die Erkenntnis, an einem "Tiefpunkt" angelangt zu sein bringt den Protagonisten seltsamerweise dazu, zum Telefon zu greifen. Wen wird er anrufen, Frau Herbst? Und wozu? Oder wird er das Telefon aus dem Fenster werfen?

Gesetzt, er will sie, die Vision, anrufen; kann sie, von außen, seine Situation verändern? Das Ende erscheint mir nicht wirklich stimmig. Hoffnungslosigkeit motiviert Aufbruch nicht wirklich.

Der Umgang mit Sprache, erscheint mir ausgereift, es finden sich schöne Formulierungen wie "eingefrorene Fantasie", "er [der Name] war ihm entglitten wie sie selbst" und "in diesem verdammten, sadistischen, tristen Herbst" (um nur einige Beispiele zu nennen, die Sätze vor allem sind gut geformt).

Die Formulierung "schon damals war ihm klar" halte ich jedoch für eine schlechte Wahl, das 'damals' paßt nicht.

Neben dem m.E. nicht stimmigem Schluß halte ich auch den raschen Stimmungswechsel, der mit "das alles hatte wohl keinen Sinn" eingeleitet wird, für eine holperige Stelle. Natürlich macht ein auf dem Boden liegender Pullover keinen Sinn. Vielleicht ist hier gemeint, daß es für den Protagonisten keinen Sinn macht, in der Vergangenheit zu verharren, das sollte man aber vielleicht etwas besser herausarbeiten.

 

Kurze Stellungnahme zu Ernst Clemens:

Dunkelheit: Ich finde, die Dunkelheit, die auch das Lichtermeer einer nächtlichen Großstadt nicht besiegen kann - welche Schwierigkeiten ergeben sich daraus?

 

hallo cbrucher,

"Die unendliche Dunkelheit der Großstadt, durchwachsen von Tausenden von Lichtern." - die UNENDLICHE dunkelheit passt für mich nicht zu licht. sorry, ist einfach so mein gefühl beim lesen
ernst

 

Danke für Eure Kommentare, Leute! Wie immer sind natürlich einige Erklärungen notwendig.
An Ernst Clemens: Ich denke, es ist nicht die féhlende Fàntasie, die für dich die Geschichte unschlüssig macht, sondern die Abwesenheit der Erfáhrung einer Herbstdepression, die statistisch gesehen, in Deutschland gar nicht mal so selten ist. Eine solche Erfáhrung habe ich gemacht und mich deshalb mit diesem Thema beschäftigt; in einer solchen Situation mache ich mir auch Gedanken über mein Leben. Ich könnte mir vorstellen, dass ein Mann von Anfáng 30, dessen Leben zum grössten Teil aus seinem Beruf besteht, sich fragen könnte, ob da nicht doch mehr sein könnte...
An cbrucher: Dein Kommentar liest sich sehr gut, wie eine richtige Rezension! Aber auch hier möchte ich einige Erklärungen anstellen!
1. Wozu würde der Mann diese Frau anrufén wollen? Ganz einfách, weil sie ihm gefállen hat und weil er sie wiedersehen möchte ;-)... Ich denke, eine hübsche Frau wäre durchaus in der Lage, einem Mann den Herbst zu versüßen *gg* Aber die von dir aufgestellte Möglichkeit, der Mann würde sein Telefón aus dem Fènster werfén, hat mir auch (theoretisch) sehr gut gefállen! Ich möchte auch so Einiges aus dem `Fenster werfén wenn ich mich so fühle wie der Protagonist in meiner Geschichte *gg*
2. Zitat: "Hoffnungslosigkeit motiviert Aufbruch nicht wirklich." Hier werden wahrscheinlich die Unterschiede in den Persönlichkeiten deutlich. Je schlechter es mir geht desto mehr gebe ich mir Mühe, etwas an der Situation zu ändern. Insoférn kann Hoffnungslosigkeit als´Motivation zum Aufbruch dienen! Ist aber natürlich meine subjektive Meinung!..

 

Hoffnungslosigkeit

Lady!

Noch einmal wegen der Hoffnungslosigkeit: ich stimme mit Dir überein, wenn Du "Die Unerträglichkeit einer Situation" meinst. Aber ist mit einem Aufbruch nicht die Hoffnung auf eine Verbesserung verbunden? Und wenn ja, dann kann doch nicht von Hoffnungslosigkeit die Rede sein. Dann ist es doch gerade die Hoffnung, die motiviert.

 

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