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Es gibt Dinge, die getan werden müssen...

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21.04.2002
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Es gibt Dinge, die getan werden müssen...

"Einst war ich ein kleiner Drache, und man hieß mich „Flitze Feuerzahn“.
Ich war das einzige Kind in der Höhle, Mutter und Vater umhegten mich sehr.
Für mich allein war ich Herrscher der Lüfte und tobte wie der Derwisch umher.
Doch beim Spielen mit den Drachenkindern, da wurde schnell klar
Das ich nicht wie die and’ren Drachen war.
Ich spuckte kein Feuer, ich flog nicht wie sie
Fortan war ich beim Spiel nicht von der Partie.
Schlußendlich schlossen sie mich aus aus dem Kreis
Und ich umgab mich mit einer Mauer aus Eis.
Inzwischen sind Jahre ins Land gegangen,
das Eis hat zu tauen angefangen.
Zart noch knospt im Drachenknab‘
Verstand, der im Eise gefangen ward.
Die Augen endlich ausgeweint
Erkennt er wieder Freund und Feind.
Doch tief herab den dunklen Schlund
Tut sich ein neues Unheil kund.
Das Herz ist immer noch vereist
Und es ist der beste Schutz von einst
In dem ich das Verhängnis ahn‘:
An mich ließ ich keine Frau heran
Damit sie das letzte Traumbild von „Flitze Feuerzahn“
In mir nicht zerstören kann."

Am Anfang konnte ich es kaum erwarten, auf die Welt zu kommen. Mutters erstes und einziges Kind wurde als Wassermann geboren. Der Arbeitsraum meines Vaters wurde mein Kinderzimmer.
Ich war ein aufgewecktes Kind. Stellte viele Fragen und hatte meine Ohren überall. Meine Phantasie war grenzenlos. So daß meine Eltern mir öfters genervt den Mund verbaten. Was ich nicht verstand.
Die Welt war ein großes, schönes Spiel.
Meine Welt wurde größer, die Spiele verlagerten sich aus der Wohnung in den Innenhof. Und der Held wurde entzaubert. Ich war kein guter Verlierer. Gemessen an meinem Alter stand ich in der Hierarchie ganz weit unten. Ich war derjenige, der beim Versteckspiel am längsten suchen mußte und der letzte, der beim Ballspiel gewählt wurde.
Auch der Kindergarten machte mir wenig Freude. Auch hier herrschte bereits eine festgefügte Hierarchie, in der für mich kein Platz zu sein schien. Die anderen Kinder waren untereinander befreundet und hatten ältere Geschwister, die über die Zuteilung des Spielzeuges entschieden. Neues Spielzeug hatte ich einige wenige Sekunden in den Händen und dann erst wieder, wenn von den anderen keiner mehr damit spielen wollte.
Da wollte ich es auch nicht mehr.
Ich heulte oft vor Enttäuschung. Mit Worten kam man ihnen nicht bei, und meine Versuche, Gewalt anzuwenden, scheiterten an der Kläglichkeit des Versuchs. Am Ende mußten mich die Kindergärtnerinnen immer aus einer Traube anderer Kinder befreien.
Mein Stolz war tief verletzt. Ich mied fortan außerhalb des Kindergartens den Kontakt mit den anderen Kindern. Ich war ein Ritter, der in den Mauern gefangen war, die er selbst verteidigte. Ich spielte in der Wohnung. Ganz für mich alleine. Selten mit meinem besten Freund. Und ich lernte zu lesen. Las viel. Meine Eltern sagten stolz, ich könne mich gut selbst beschäftigen. Ich lernte schwimmen.
Die letzte Zeit im Kindergarten und während der Grundschule spielte ich oft mit Martin. Martin war Asthmatiker. Seine Eltern hatten ein Haus, und wir spielten gerne in ihrem Garten.
Wir waren Clowns. Nicht die einzigen und auch nicht die schlimmsten in der Klasse. Aber wir gehörten zum gehobeneren Level. Martin und ich sind gemeinsam aus der Kindergruppe der evangelisch-lutherischen Gemeinde rausgeflogen. Und man hat uns vom Musikunterricht „befreit“. Trotzdem waren wir gute bis passable Schüler. Wegen Martin wechselte ich vom Schwimmen zum Handball.
Leider hat mich Martin arg hintergangen.
Während meiner gesamten Grundschulzeit war ich ständigen Hänseleien ausgesetzt. Man wollte mich „explodieren“ sehen.
Zwar hat mich Martin oft getröstet. Zunehmend wurde mir aber bewußter, das Martin das Ganze bewußt anstachelte. Der Verdacht kam mir, als ich bemerkte, das Martin mich und einen Mitschüler anheizte, mit der Herabstufung des Anderen um seine Gunst zu werben.
Ich habe Martin erst vor zwei Jahren wiedergetroffen und habe ihm jetzt verziehen. Das es für mich so schlimm weiterging, daran ist Martin aber trotzdem mitschuldig.
Ich blieb beim Handball. Was ein Fehler war. Inzwischen wußte nämlich die ganze Schule von meiner Schwäche. Man nahm mich nicht ernst. Man applaudierte mir höhnisch. Man lachte. In meiner Mannschaft gab es eine Clique, die eine Klassenstufe unter mir auf dieselbe Schule ging. Sie gingen anschließend auch fast alle auf dasselbe Gymnasium.
Wo ich bereits dieselben Probleme hatte. In der Außenseitergruppe war ich das Außenseiterkind. Einziges Einzelkind – also der Egomane. Einer aus meiner Gruppe spielte zu allem Überfluß mit Martin, der inzwischen zum Hockey gewechselt war, in einer Mannschaft. Julian spielte den Treiber. Diese Rolle übernimmt er immer noch gerne. Gab es Ärger, so war er die Unschuld vom Lande.
Sein ausführendes Organ war Dennis, der später mein bester Freund werden sollte. Ich weiß heute, das er getreten hat, um Halt zu finden.
Damals war es hart für mich. Ich hatte mich gerade das erste Mal unsterblich verliebt. Verliebt, das es wehtat. Auf der Klassenreise fanden sie mein Tagebuch. „Ich liebe Marie.“ Ein Jahr lang mußte ich mich schikanieren lassen, unter der ständigen Drohung des „Verrats“.
Denn ich hatte Angst. Ohne die Anderen konnte ich zur Not fertig werden, aber Ablehnung von einem Wesen, das ich abgöttisch liebte, wäre zu viel gewesen. Ich begann, meine Gefühle zu verstecken. Sonderte mich wieder ab.
Mit Christian verband mich vor allem in den ersten Jahren des Gymnasiums eine tiefe Freundschaft. Wir waren unglücklich mit uns und der Reaktion der anderen auf uns. Wir waren beide überdurchschnittlich reif in unseren Gesprächen, die sich zumeist um Selbstmord drehten. Klingt paradox, ich weiß.
Ich fing an, abzublocken. Plötzlich begannen meine Eltern, sich für meine Probleme zu interessieren. Nun hatte ich eine weitere Front, an der ich kämpfen mußte. Denn meine Eltern sollten so wenig wie möglich wissen.
Ich verabscheue Denunziantentum. Und meine Eltern konnten mir nicht helfen. Das habe ich später immer wieder in Streitgesprächen festgestellt. Sie begreifen nicht einmal, wo mein Problem lag und liegt.
Ich habe noch mehr gelesen. Nirvana gehört. Ich wollte nicht mehr unbedingt sterben. Ich wollte die Welt verändern. Politiker wäre das mindeste. Ich schiß auf die Meinung der anderen.
Fast. Auf einer Handballfahrt kam der härteste Schlag für mich. Mannschafts-„kameraden“ bezeichneten mich vor einem Mädchen, in das ich mich verknallt hatte – was meiner immer wieder aufflammenden Liebe zu Marie nicht im Wege stand, es war nur eine Verknalltheit – als „behindert“.
Ich habe nichts gegen Behinderte. Man meinte das aber ganz deutlich als Stigma.Ich fühlte mich abgestempelt.
Ich drehte jedes Wort zweimal um und fuhr oft aus der Haut. Das keimende Selbstbewußtsein wurde mit höchster Alarmbereitschaft gesichert.
An die Mädchen in meiner Klassenstufe traute ich mich nur sehr bedingt heran. Seit dieser Zeit ist es meine Methode, mich freundschaftlich und großzügig zu den Geliebten zu verhalten. Wenn sie einen als reinen Freund sehen, bekommt man das mit.
Ich verliebe mich immer in Mädchen, die für mich unerreichbar sind. Meist schon einen Freund haben. Freundliche, strahlende Wesen, die mich anziehen wie das Licht die Mücke. Zu nahe, und ich verglühe.
Wir kifften. Schon sehr jung. Dennis und ich waren keine Feinde mehr. Thomas wurde ein guter Freund. Er wohnte in einer Jugendwohnung, wo wir uns fortan regelmäßig trafen. Wir waren wieder wie Kinder. Waren albern in der Schule. Flitzten Nachts über den Friedhof.
Die Schule lief bei mir immer wie nebenher.
Die Clique wurde kleiner.
Ich habe einige und einiges aus den Augen verloren.
Ich habe es immer noch nicht geschafft, den letzten, engsten Schutzwall aufzugeben.
Mich zu öffnen.

Im Moment werfe ich Anker.
Seit über einem Jahr.
Irgendwo muß einmal einer hängenbleiben, ob diesseits oder jenseits des jetzigen Seins.

[ 29.05.2002, 15:11: Beitrag editiert von: Kristin ]

 

hi mad :-),
soll ich dir mal ganz ehrlich sagen, welches gefühl ich habe? hm - da du schweigst, werte ich das als ein "ja" *g*! ist es möglich, dass diese geschichte ein selbstpotrait ist?
in einer fiktiven geschichte achtet man, so wie auch du sonst immer, auf harmonie. die elemente der geschichte werden nach harmonischen kriterien ausgewählt. anders sieht es aber aus, wenn die elemente der geschichte bereits existieren. und genau dieses kommt bei deiner geschichte zum vorschein. es ist eine aneinanderreihung von ereignissen mit sprachlichen mitteln unterstrichen.
sie war durchaus interessant. ich mag die schilderung des abkapselns.

Plötzlich begannen meine Eltern, sich für meine
Probleme zu interessieren.
diese stelle fand ich zum kugeln *g* - ich konnte mir die betonung richtig vorstellen (so mit augenverdreh).
hm - dein gedicht würde ich lieber unberücksichtigt und unkritisiert lassen *seufz*.
meiner ansicht nach bist du ein wesentlich besserer geschichtenschreiber. *smile*
bye
fenris

 

Yes, Sir - Selbstportrait, und ein Dichter bin ich wohl auch nicht, aber... DER EINZIGE GROSSE DICHTER IST FÜR MICH EBEN VILLON... Und es war ein Test meiner im Deutsch-LK angelernten "Fähigkeiten", wobei ich jetzt auch weiß, das man eh ziemlich überflüssigerweise in die Schule geht...

 

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