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Es war Montag. Oder: I want you...
Es war Montag
Die Zeit verstrich schnell, und ich war müde. Ich sass im Bus und weinte leise Tränen. Mein Discman gab immer und immer wieder dieselbe Schnulze von sich. Weil ich auf „Repeat“ gedrückt habe. Weil ich dieses Lied liebte. Wieder dachte ich an die vergangene Woche, und wieder stach der Schmerz in meine Brust, und weitere Tränen liefen meine Wangen runter. Der Regen klatsche gegen das Fenster, gegen das ich meine linke Gesichtshälfte gedrückt hatte. Ich hasste diesen Morgen. Ich hasse jeden Morgen. Und ich hasse es ganz besonders, wenn Montagmorgen ist. Und es regnete. Ich leckte meine trockenen Lippen ab.
Als ich die alte Eiche am Strassenrand sah, stand ich auf und schlurfte zur Tür. Seit fünf Jahren fuhr ich nun Morgen um Morgen diese Strecke, und diese Eiche war für mich seit eh und je das Zeichen, aufzustehen und den roten „Stop“-Knopf zu drücken. Der Bus kam langsam zum Halten. Ich klappte meinen Schirm auf und stürzte mich in das Unwetter. Ich sah meine Freundin Katie auf der anderen Strassenseite, wie sie auf mich wartete. Das macht sie nun seit einem Jahr. Als ich sie erreichte, machte ich mir nicht die Mühe meine Musik auszuschalten, was sie offensichtlich verärgerte. Ihr Lächeln war nicht besonders herzlich, und ihr Blick war giftig und gehässig. Wie ich dieses Mädchen hasse. Katie ist der egoistischste Mensch denn ich kenne. Ich wischte mir die Tränen au den Augen und hoffte, sie würde fragen, weswegen ich geweint hatte. Als ich aufblickte und mich schon auf ein besorgtes Gesicht freute, sah ich jedoch nur, dass Katie schon wieder in ihre Zeitung vertieft war, und musste den Kloss der sich in meinem Hals befand mit Bitterkeit runterschlucken.
„Dave kommt jeden Augenblick… Wartest du noch, oder möchtest du schon weiter gehen?“ Sie sah mnich fragend an.
Dave? Mein Dave? Ich konnte es nicht fassen. Sie stand da, sah mir in die verweinten Augen und erklärte mir, dass sie auf ihren Freund wartete, den sie mir eine Woche zuvor ausgespannt hatte, und zuckte nicht mal mit der Wimper.
„Seit ihr jetzt zusammen?“ Meine Stimme krächzte und ich hatte bewusst ein Zittern in meine Frage integriert. Ich wollte ihr Mitleid.
„Ja! Es ist echt toll…Du warst auch mal mit ihm zusammen, stimmt’s?“
Tu nicht so… Ich hatte Katie zwar nie etwas davon erzählt, aber sie wusste es, sie wusste es ganz genau. Sie hatte mich und ihn gesehen, ausserdem war ich mit Dave ein Jahr zusammen, sie sollte es doch wissen… Ich umklammerte mein Sackmesser. Ich hatte es immer dabei.
„Ja, wir waren zusammen… Aber nicht lange!“ Jeder Mensch hätte diese Anspielung gecheckt, aber Katie nickte nur, und hielt weiter Ausschau nach Dave. Ich beschloss, nicht weiter darauf zu achten, und ging weiter.
„He! Joan! Sag mal, hab ich dir schon gesagt, wie froh Dave darüber ist, dich loszuhaben?“ Abrupt blieb ich stehen. Ihre Stimme sprühte über von Sarkasmus. Dieser plötzliche Ausbruch ihrer wahren Gefühle machte mir Angst… Ich spürte eine innere Hitze in mir hoch kommen… Katie war meine Freundin! Warum tat sie das? Also ob sie meine Gedanken gelesen hätte, sagte sie: „Komm schon! Wir wissen beide, dass unsere Freundschaft nur auf gegenseitiger Ausnützung beruht! Du brauchtest mich, weil du sonst niemanden hattest, und ich war immer froh wenn du mir wieder mal ein bisschen Geld geliehen hast! Und vor allem wollte ich Dave. Jetzt wo ich alles habe brauch ich deine Hilfe nicht mehr! Er gehört mir!“
Ich fühlte mich plötzlich unglaublich stark. Ich drehte mich langsam um, und sah Katie in die Augen. Es ging alles auf. Sie war nie wirklich nett zu mir gewesen, aber eben alles was ich hatte. Dave war knapp ein Jahr mein Freund. Kurz nachdem ich mit ihm zusammen kam, fing sie an, „nett“ mit mir zu sein. Ich war überrascht und doch froh, über das plötzliche Interesse an mir und wohl zu blind um zu checken was wirklich abging.
Ich schritt auf Katie zu. Langsam liess ich den Schirm fallen und die kalten Regentropfen vermischten sich mit meinen Tränen und wuschen mein Gesicht. Sie wuschen es von allem Leiden und Schmerz sauber. Sie machten Platz für ein neues Gesicht. Ein wutverzerrtes, hartes Gesicht. Da ich mich immer schon sehr früh mit Katie traf, wusste ich, dass kein Mensch da war, um ihre Schreie zu hören. Ich stürzte auf sie los. Mein Schweizer Sackmesser schnellte in die Höhe. Immer und immer wieder. Katies Schreie lösten in mir eine unglaubliche Befriedigung aus und das Messer drang weiter in sie ein. Manchmal hielt ich inne, um mir mein Werk anzusehen. Ich lächelte. Katie hatte inzwischen aufgehört zu schreien, und ihre Schreckensgeweiteten Augen begannen langsam zu sterben. Doch das reichte mir nicht. Ich holte aus. Das Messer blitzte in der, sich hinter den Wolken versteckender Sonne. Der Regen tropfte von meiner Nase. Ich liess meine Hand hinuntersausen. Als das Messer Katies Haut durchdrang, begann ich laut zu lachen. Ich lachte, und stiess weiter auf den wehrlosen Körper unter mir ein. Katie hatte sich am Anfang gewehrt, doch jetzt war sie völlig kraftlos und stöhnte nur noch schmerzerfüllt. Dann sackte sie plötzlich unter mir zusammen und mein Werk war vollbracht. Ich stand auf. Die ganze Zeit über lief mein Discman und die Schnulze begann wieder von vorn. Ich hob meinen Schirm von der Strasse auf, bald würde der Bus kommen, in dem Katies echte Freundinnen sassen. Und Dave würde kommen. Sie alle würden mein Werk sehen und mich verabscheuen, aber das taten sie ja sowieso. Ich hatte nichts zu verlieren. Zufrieden lief ich Richtung Schule. Immer wieder wiederholte Elvis Costello seine Worte: „I want you…“ Ich liebe dieses Lied!
Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus und dort blieb es. Selbst als zwei Männer in Weiss mich in einen Wagen mit Gummiwänden zerrten, die vergitterte Tür zuschlugen und mich an einen Ort fuhren, der der Hölle glich. Ich lächelte immer.
Jetzt lächle ich. Ich stehe auf dem Fenstersims von meinem Zimmer, welches im 7. Stock steht. Ja, seit drei Jahren halten sie mich nun in dieser Klinik fest. Halten mich für geisteskrank. Bin ich auch. Der Wind bläst mir ins Gesicht und ich lächle. Langsam beuge ich meinen Körper nach vorn. Und dann falle ich. Mit dem Gesicht, mit dem lächelnden Gesicht nach unten.
Es ist Montagmorgen. Und es regnet.