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Fürsten, Lanzen, Blut und ein Zeichen des Gerechten
Zitternd kauerte die junge Frau, die nicht mehr als zwanzig Sommer gesehen haben konnte, in dem notdürftigen Lager. Das feuchte Holz weigerte sich hartnäckig eine Flamme hervorzubringen, welche mehr als die Idee von Wärme vermittelt. Selbst das dichte Blätterwerk des gigantischen Schattenkronenbaumes konnte die Fluten, die sich seit dem Nachmittag des vergangenen Tages vom Himmel ergossen nicht abhalten. Fhaella fror.
Das leichte Unterkleid, welches die Lanziers Cormyrs unter der schweren Rüstung trugen, war ebenso nass wie alles um sie herum. Seit Stunden hatte sie aufgehört sich das nasse Haar aus dem Gesicht zu streichen. Sie blickte zu dem Knaben, der eingerollt in ihren Mantel neben dem Feuer schlief, dort wo am wenigstens kaltes Nass durch das Blätterwerk drang. Seine Hautfarbe schien schon etwas gesünder und sein Atem ging regelmäßiger und kraftvoller. Seit sie hier Unterschlupf gesucht hatten, am Nachmittag des gestrigen Tages, hatte er die meiste Zeit über geschlafen.
Sie hatte keine Kraft mehr gehabt ihn noch weiter zu tragen. Und wohin auch? Um sie herum gab es nichts als Wald. Lichten Wald, dichten Wald, sumpfigen Wald... und Steppe. Dort würde der scharfe Wind die fallenden Wassermassen vor sich herpeitschen. Es schien als würden die Unsterblichen selbst ihrem Unmut in Form von Tränen Ausdruck geben.
Ein erneuter erfolgloser Versuch das Feuer zu einer lichteren, wärmespendenden Flamme zu animieren, dann kauerte sie wieder mit dem Rücken zum majestätischen Stamm des alten Baumes nieder.
Fhaellas Gedanken kehrten zurück zu den Ländereien von Ravasaadi und Cormyr.
Das kleine und milde Fürstentum, eingebettet zwischen dem Gebirgszug der die Sturmhöhen ausmacht im Norden und Westen, und den Gebieten König Azoun V von Cormyr auf allen anderen Seiten, erschien ihr wie ein entfernter Traum. Der Gedanke an Ravasaadi wärmte ihr Herz, und der Gedanke ein Teil davon zu sein erfüllte sie mit Stolz. Es war nicht die hochmütige, herrschsüchtige, zur Schau getragene Art von Stolz, vielmehr der innere Halt, und die Dankbarkeit ein Teil jenes wundervollen und friedlichen Flecks von Toril zu sein, und ihn zu kennen.
Seit Yenamros Ravasaadi vor einigen Generationen diese Ländereien für seine Verdienste im Heer des damaligen Königs von Cormyr geschenkt worden waren, wurde es von seinen Nachfahren geführt. Und während der Name des früheren Ritters den Gelehrten und Historikern Cormyrs noch ein Begriff ist, hält das idyllische Fürstentum, welches mit ihm ins Leben gerufen wurde, im wesentlichen nur für diejenigen innerhalb dessen Grenzen eine Bedeutung.
Die meisten der vereinzelten Reisenden, die es passieren, bemerken nicht einmal, dass sie sich in einem formell unabhängigen Gebiet befinden. Sie treffen auf keine Wachtposten, Befestigungen, oder sonstige Hinweise die darauf aufmerksam machen würden. Alle folgenden Könige von Cormyr, und auch der derzeitige König, Azoun V, respektierten die lange zurückliegende Schenkung.
Politisch und wirtschaftlich unbedeutend, ist Ravasaadi doch vor allem nicht wenigen Barden und Künstlern ein Begriff, und es gibt ein Sprichwort unter den Reisenden Artisten, welches besagt:
"Wenn Ihr ein Stück erschaffen wollt, um das Herz der Geliebten zu schmelzen, oder das Auge der Zuhörer mit einem Regenbogen zu zeichnen, dann geht nach Ravasaadi. Liira selbst, bezaubert von diesem Ort, verbringt dort jeden Tag einige Stunden, und inspiriert den Suchenden."
Fhaella war die einzige Tochter des Fürsten Ravasaadi, der neben ihr noch einen älteren Sohn hat. Die Mutter verschied bei ihrer Geburt. Behütet im väterlichen Fürstentum wuchs sie zu einer hübschen jungen Frau heran. Und wie ihre Mutter entwickelte sie einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, den sie stets mit ebenso ausgeprägtem Temperament vertrat.
Als Augapfel ihres Vaters, hatte sie leichtes Spiel, ihre Wünsche durchzusetzen und verbrachte den Großteil ihrer Jugend in Arabel, wo sie wie viele andere - wenngleich meist männlichen - Sprößlinge der noblen Häuser in der Kriegskunst und den allgemein bildenden Künsten unterwiesen wurde.
Obwohl nicht ungeschickt im Umgang mit der Waffe, so ist es doch mehr ihrem aufgeweckten Geist und ihrer noblen Abstammung zuzuschreiben, dass sie in die prestigeträchtigen Reihen der 'Lanziers des Lichtes Cormyrs' aufgenommen wird. Diese bilden die schwer gepanzerte, berittene Kavallerie des königlichen Heeres und genießen hohes Ansehen bei den einfachen Soldaten, wenn auch keine offizielle Befehlsgewalt über diese.
In Arabel war es auch, dass sie mit den Lehren Tyrs in Berührung kam, und es ist vor allem der tiefgehenden Freundschaft mit dem alten Messdiener des dortigen Tempels, und ihrer Bewunderung für seine Weisheit zuzuschreiben, dass sie sich mehr und mehr mit den Lehren des Gerechten befasste, und versuchte nach seinen Richtlinien zu leben.
Die Ereignisse der letzten Wochen hatten sich überschlagen, und obwohl die Erinnerung frisch war, hatte sie Schwierigkeiten diesen Zeitraum als Teil ihres Lebens einzuordnen.
Als die Nachricht kam, dass sich die Barbaren im Norden wieder einmal regten und mehrere Dörfer und Siedlungen nahe der Grenze überfallen hatten, und dass König Azoun V einen Teil seiner Truppen zur Unterstützung der lokalen Milizen entsenden würde, wurde die junge Fhaella, gleich den meisten frisch ausgebildeten Soldaten und Lanziers, vom Fieber des Tatendranges ergriffen. Die Stimmung war ein Vorgeschmack auf Heldentum unter dem Banner der Gerechtigkeit, im Kampf gegen das Böse und Gemeine. Die erfahrenen Truppen und Veteranen belächelten die jungen Recken, die noch keine Schlacht, ausser mit stumpfen Lanzen und hölzernen Schwertern erlebt hatten. Die Offiziere heizten die Stimmung, die einen Aufbruch in eine bessere Welt verhieß, noch an.
Erhobenen Hauptes und gekleidet in die schillernden Platten der Lanziers des Lichtes brach sie nach Norden auf, hoch zu Rosse, den Fußtruppen voran. Metall glänzte in der Sonne, die langen Lanzen strahlten in ihrer Reinheit und Unbeflecktheit.
Weit im Norden des Landes trafen sie auf den Feind. Rund viertausend rauhe Gestalten, die auf diese Entfernung nicht voneinander zu unterscheiden waren, auf der anderen Seite. Dreihundert Lanziers, vierhundert Schützen, vierhundert Piken, und achthundert Schwerter, sowie rund zweitausend bunt durcheinandergewürfelte und hastig ausgerüstete Lokalmilizionäre auf dieser Seite.
Gegenüber waren nur die Reiter als gesonderte Einheit auszumachen, den Rest bildete ein unüberschaubares Gewirr von Speeren, Äxten, Schwertern und Schilden aller erdenklicher Farben und Formen. Diesseits wohl geordnete Reihen, Banner, Formationen.
Mit einem Male erbebte der Boden. Der gesamte Horizont hatte sich in Bewegung gesetzt, auf sie zu, und aus tausend Kehlen erscholl Kampfgebrüll. Der Himmel verdunkelte sich von Geschossen. Fhaella hob ihren Schild.
Zu ihrer rechten marschierten die Piken los, dicht gefolgt von den Schwertern, in drei Blöcken zwischen den Lokalmilizen. Die berittenen Lanziers blieben vorerst wo sie waren. Erst später würden zwei Teile die linke Flanke umrunden, während der dritte Teil hinter die feindlichen Reihen zu den Bogenschützen vorstoßen würde.
Fhaella vermeinte den Aufprall zu spüren, als in der Mitte des Feldes Stahl auf Stahl, Holz, Fleisch und Knochen prallte. Auf das Zeichen hin gab sie ihrem Pferd die Sporen.
Oft genug hatte sie den Umgang mit der Lanze trainiert um fest im Sattel zu bleiben, als die Spitze sich duch den improvisierten Brustpanzer eines Nordlandbarbaren bohrte. Aber sie war nicht vorbereitet gewesen auf das weiche Gefühl von Fleisch und splitternder Knochen, das sich über die Metallspitze und den hölzernen Schaft bis in ihr Innerstes zu übertragen schien. Und sie war nicht vorbereitet gewesen auf die Augen des Nordländers, die sich im letzten Augenblick an die ihren hefteten, und in sie hineinzublicken schienen. Zu spät ließ sie los, und wäre beinahe vom Pferd gefallen als sich das beißende Metall in den Boden hinter den feindlichen Krieger bohrte, durch ihn hindurch.
Der Rest des Tages, war unwirklich, aus einer anderen Realität, nicht der ihrigen. Schreie. Blut. Berstende Pferdebeine. Blut. Hass. Verzweiflung. Reue. Panik. Agonie. Und immer wieder Blut.
Fast ein Viertel der Truppen von Cormyr sollte den Einbruch der Nacht nicht mehr erleben. Ein weiteres Viertel war zu schwer verwundet um weiter vorzurücken. Aber die Barbaren waren geschlagen. Der intakte Teil der Truppen rückte weiter nach Norden vor, kleine und zersprengte Überreste der Nordländer vor sich hertreibend. Die Grenzen mussten neu befestigt werden, die lokalen Milizen wieder aufgebaut, und die Truppen Cormyrs sicherten das Land jenseits der Grenze, um den geschwächten Grenztruppen den Wiederaufbau zu ermöglichen.
Vereinzelt trafen sie auf Widerstand in den grenznahen Gebieten der Nordländer, immer wieder wurden sie von kleineren Einheiten überfallen. Dann kam es zu dem Ereignis, das die Welt, wie sie sie bisher gekannt hatte für immer verändern sollte.
Die grenznahe Siedlung Irk-hai sollte eingenommen werden, immer wieder waren von dort aus Störangriffe gestartet worden, und oft hatten sich kleine Einheiten der Nordländer nach Scharmützeln dorthin zurückgezogen. Fhaella sollte mit einem Teil der Truppen vom Westen her angreifen, sich dann zurückziehen, und die Hauptwelle die von süden her angriff unterstützen.
Als sie sich nach dem Ablenkungsmanöver von süden her dem Dorf nähern, ist die Siedlung schon gefallen. Dichter schwarzer Rauch liegt über der gesamten Dorfschaft, sämtliche Hütten sind in Brand. Die lehmigen Wege sind übersät mit Blut und Toten. Einige Krieger sind darunter, aber vor allem Frauen, Greise, Kinder, und Vieh. Der Rauch der schwelenden Brände legt sich barmherzig über die Farben des Grauens, und trägt bei zur Surrealität des ihr dargebotenen Bildes. Nur wenige der Toten halten eine Waffe in der Hand, viele der toten Hände halten noch ein in Decken eingewickeltes, erst kürzlich geborenes Bündel, die meisten Wunden sind auf den Rücken und Hinterköpfen der Dorfbewohner.
Wie im Traum reitet sie durch das Bild des Grauens, als sie ein Röcheln und einen gurgelnden Laut hört. Ein Junge, nicht älter als acht Sommer, liegt im Staub, zu Füssen ihres Pferdes, und versucht Luft durch das Blut in seiner Lunge zu ziehen. Zwei Pfeile haben den Brustkorb auf der rechten Seite durchdrungen, und auf dem Rücken klafft rosa die durch ein vorüberreitendes Schwert zugefügte Wunde.
Dieses Blut ist die einzige Farbe in ihrer vom Rauch der Brände und dem Nebel des Unterbewußtseins verhüllten Welt, und Fhaella sitzt ab und kniet nebem dem todgeweihten Kind.
Mit den Händen versucht sie den Lebenssaft zurückzuhalten und die Wunde zu schließen. Sie fleht Tyr an ihr zu vergeben, und jenen die dies angerichtet haben. Sie fleht ihn an das Geschehene ungeschehen zu machen, und das Leben dieses Kindes zu schonen.
Und unter ihren Händen schließt sich die Wunde, das Blut hört auf zu fließen, und aus dem gurgelnden Ringen um Luft wird ein schwaches, aber stetiges Atmen.
Die Umstehenden blieben stumm und griffen nicht ein, als Fhaella schweigend ihren Panzer ablegte, ihr Schwert und ihre Lanze niederlegte, und die Zügel ihres Pferdes einem Lanzier überreichte. Sie war keine Heilerin, kein Priester, und niemand verstand was sich soeben abgespielt hatte, nicht einmal sie selbst.
Sie wusste nur, sie musste weg von hier, dieser Ort war für sie der Inbegriff des Grauens. Also hob sie den Knaben auf, kehrte der auf ewig verdammten und entweihten Erde dieser Ortschaft und den Lanziers des Lichtes den Rücken, und wanderte nach Norden, weg von den Wirren und irreversiblen Untaten dieses unheiligen Krieges. Bis in alle Ewigkeit würden ihr die einst strahlenden Lanzen des Lichts mit dem Blute unschuldiger befleckt erscheinen.
Nach wenigen Schritten über die Grenze des Dorfes setzte ein leichter Regen ein, wie um die Erde von dieser Schande zu reinigen. Am nächsten Tag wurde aus dem Regen eine Sturmflut.