Freispruch

[Mike_Thompson]

Freispruch

Als ich mich hinknie spüre ich die klamme Feuchtigkeit durch meine Hose dringen. Der Frühling ist ja gerade erst dabei die Erde aufzutauen, ist erst ein paar Wochen alt.
Der milde Wind – angenehm, ich habe ihn vermisst. Der Winter ist lang gewesen.
Ich richte einen umgekippten Blumentopf wieder auf.
Wie die Blumen in ihm heißen weiß ich nicht, sie sind gelb und haben einen markanten Geruch. Nicht aufdringlich und auch nicht zu süß. Irgendein gnädiger Gärtner hat sie hierhin gestellt. Nicht der Alte, der die Kieswege harkte und das Unkraut wegbrannte, der ist schon seit einem halben Jahr nicht mehr gekommen. Vielleicht in Pension. Vielleicht gestorben.
Schritte auf dem Kies, ich erkenne sie sofort. So lange habe ich auf sie gewartet.

Nichts an ihr verrät ihre Absicht. Das Schwarz hat sie längst abgelegt.
Sie geht ebenfalls in die Knie.
Ich berühre ihre Schulter, ein leises Schaudern läuft an ihr herab auf die ordentlich geharkte Erde.
Sie fängt an zu erzählen, von ihrem Tag, ihrer Woche, ihrem Monat. Ein Jahr ist es noch nicht geworden.
Keine Ausflüchte, keine Gründe und doch jedes Wort eine stille Entschuldigung für ihr langes Fortbleiben, jede Träne ein Selbstvorwurf, jeder unsichere Augenaufschlag eine Bitte um Verzeihung.
Ich höre ihr schweigend zu. Langsam versiegt ihr Redefluss. Die Worte tropfen nur noch spärlich, die Tränen dafür zahlreicher.
Ich lege den Arm um sie, streichle ihr Haar. Mein Mund ganz nah an ihrem Ohr. „Ist schon gut. Ich bin dir nicht böse.“
Ihr Körper zuckt unter einem letzten Schluchzen, dann hebt sie den Kopf. Verwundert, doch mit einem Blick, der um vieles leichter ist, als der mit dem sie sich vor dem Viereck aus dunkler Erde niedergekniet hatte.
„Ich liebe dich.“ Sie flüstert es nur. Reibt die helle Stelle an ihrem Ringfinger.
„Ich weiß.“ Endlich bricht sich ein Lächeln bahn. Sie steht auf. Scheint nun gerader zu stehen, aufrechter. Sie steht noch etwas so, doch nicht allzu lang.
Sie hat bekommen, weshalb sie hier war. Auch wenn sie nicht weiß woher dieses plötzliche Gefühl der Erleichterung kommt, sie hat es gesucht und nun gefunden. An dem Ort, an den sie nie zurückkehren wollte.
Das hat sie sich geschworen, ich weiß es. Sie hat es sich geschworen an dem Tag vor fast einem Jahr, als sie das erste Mal hier war. An dem Tag, an dem so viele Tränen auf dieses Stück Erde gefallen sind.
Nun sind es nur noch ihre, die auf die Blätter der einsamen Blume tropfen und schließlich mit deren Geruch vermischt von der auftauenden Erde aufgesogen werden.

Sie wendet sich ab, verlässt mich wieder. Diesmal endgültig,
alles ist gesagt.
Und auch ich verlasse sie endgültig, kann es nun endlich tun. Nun, da ich sie freigesprochen habe, da ich ihrer Selbstquälerei ein Ende gesetzt habe durch meine Vergebung.
Und so stehe ich auf, genieße zum letzten mal ihren Anblick, fühle Wehmut in mir aufkommen; ich liebe sie auch. Doch es ist entschieden.
Ich rieche zum letzten Mal den Frühling, als ich mich umdrehe und das Grab hinter mir lasse auf dem mein Name steht.

 

[MisterSeaman]

Hi Mike,

Nun sind es nur noch ihre, sie auf die Blätter der einsamen Blume tropfen und schließlich mit deren Geruch vermischt von der auftauenden Erde aufgesogen werden.

Der Satz ist ein bisschen holprig. Besser "und" weg und zwei draus machen.

Und die Geschichte ist etwas kurz.

Ansonsten: Phantastisch! Auch wenn das Bild mit dem eigenen Grab kein neues ist, hat es den Leser (mich) kalt erwischt. Sehr nette Geschichte, die ich nur wegen ihrer Kürze nicht in den Empfehlungsthread schicke.

Gruß

MisterSeaman

 

[Mike_Thompson]

Danke!! Allein schon die Erwähnung des Wortes "Empfehlungsthread" in Zusammenhang mit einer meiner Geschichten ehrt mich

Meinst du mit "zu kurz" das noch etwas fehlt und sie ausgebaut werden sollte,
oder einfach nur kurz, aber in sich abgeschlossen?
wüsste nämlich nicht, was ich noch einfügen sollte

 

[Juschi]

Hallo Mike,

auch mir hat Deine Geschichte gut gefallen. Sie ist schön geschrieben und die überraschende Auflösung kommt erst mit dem letzten Satz - gut gemacht.
Ich finde übrigens, dass die Geschichte gerade aufgrund ihrer Kürze sehr dicht und intensiv wirkt. Aber das ist Geschmackssache.
Eine Sache ist mir aufgefallen: Du beschreibst die Geschichte ja aus seiner Perspektive. Dafür kennt er aus meiner Sicht ihre Gedanken und Gefühle an einigen Stellen fast schon zu gut.

Die Formulierung, die MisterSeaman bereits erwähnt hat, hat mich auch stutzig gemacht. Vielleicht wolltest Du eher

Nun sind es nur noch ihre, die auf die Blätter der einsamen Blume tropfen

schreiben?
Ansonsten nur noch ein Fehler:

Ich lege den Arm um sich

Ich lege den Arm um sie

Liebe Grüße
Juschi

 

[Frederik]

Hallo Mike

Ich mochte die Geschichte irgendwie, hauptsächlich von der Idee her, allerdings gefällt mir die Umsetzung noch nicht sonderlich. Einige Formulierungen wirken etwas stolperig.

Der Frühling ist ja gerade erst dabei die Erde aufzutauen, ist erst ein paar Wochen alt.
Der milde Wind – angenehm, ich habe ihn vermisst. Der Winter ist lang gewesen.

Dreimal Substantiv mit Artikel am Anfang. Das häuft sich... und es ist nicht die einzigste Stelle im Text. "Der Winter ist lang gewesen" klingt für mich ebenso etwas schräg. Man erwartet halt "Der Winter war kalt", aber das kann auch durchaus Geschmackssache sein, schließlich ist grammatikalisch beides erlaubt.
Im Laufe des Textes häufen sich dann die Textanfänge mit Personalpronomen, insbesondere "Ich" und "Sie". Ich weiß nicht, ob du das beabsichtigst (ich mache das von Zeit zu Zeit auch), es wirkt eher ungeschickt. Hauptsächlich weil es in direktem Kontrast zu einem kurzen, auslassenden Schreibstil ist("Der Frühling ist ja gerade erst dabei die Erde aufzutauen, ist erst ein paar Wochen alt.
Der milde Wind – angenehm"). Was mir zuletzt nicht gefiel, war die teilweise kitschige Wortwahl (steckt oft in Adjektiven oder Substantiven, die in einer normalen Situation überzeichnen "endgültig", "Selbstquälerei", etc.) und auch der etwas kitschige Schluss. Was nicht heißt, dass der ganze Schluss kitschig ist, das bestimmt nicht, denn der Schluss gefiel mir am besten. Vielleicht solltest du deinen Protagonisten etwas unemotionaler gestalten, um dem aus dem Weg zu gehen.

Wie dem auch sei. Die Idee finde ich sehr schön, ich hätte sie auch gerne gehabt. Möglicherweise überarbeitest du deinen Text nochmal. Dann würde ich ihn gerne nochmal lesen, vielleicht als etwas längeren Text.

Liebe Grüße
Frederik

 

[Mike_Thompson]

@ Juschi Danke Habe die Flüchtigkeitsfehler berichtigt. Was die Sache
mit ihren Gedanken angeht..nun ja, sie waren verheiratet, da kennt man sich außerdem dachte ich, da er tot ist, dürfte er ruhig ein wenig allwissend rüberkommen.

@Frederik Es ist die erste Version der Geschichte, ich werde sie wohl noch mehr als einmal überarbeiten
Zum Thema kitschig. Nun ja, ich sehe schon ein, dass manche Worte etwas übertrieben sind, aber ihn emotionsloser schreiben? Ich weiß nicht, er hat ein Jahr an seinem Grab auf sie gewartet, da darf er in seinem letzten Minuten ruhig ein wenig tragisch werden, finde ich

 

[peanutmonster]

Hallo Mike!
Ich find die Geschichte nicht zu kurz, und gut geschrieben ist sie auch. Emotionsloser darf es auf keinen Fall werden, schließlich besteht sie doch aus Emotionen und nicht aus der großen Handlung!
Ich weiß nicht, ob man das hätte besser machen können, aber mir gefiel nicht so gut, dass ich schon nach dem ersten Absatz geahnt hab, dass es sein Grab ist an dem sie sich treffen. Deswegen war die Spannung (bei mir zumindest) nicht so recht da.
Der Schlußsatz ist aber trotzdem klasse, vor allem der Gegensatz Frühling-Tod!

MfG
Peanutmonster