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07.04.2004
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Max war acht Jahre alt und spielte täglich auf dem Hof, der von einem Rettungsdienst als Abstellplatz für seine Fahrzeuge genutzt wurde. Der Junge wohnte mit seiner Familie im Haus dahinter. Heinz, Zivildienstleistender, war 22 und fuhr für besagten Rettungsdienst kranke Leute durch die Gegend. Mehrmals am Tag traf er auf den spielenden Max, wenn er gerade mal wieder von einer Tour zurückkehrte. Die beiden verstanden sich prächtig. Heinz machte immer Scherze, über die sich der Kleine köstlich amüsierte. Das währte so lange, bis der junge Mann seinen Zivildienst beendete. Er verließ den Ort und zog in die Stadt.

Es vergingen einige Jahre. Heinz war nun schon Mitte dreißig, stattete hin und wieder aber noch seiner alten Heimat einen Wochenendbesuch ab. Gern ging er dann mit den Kumpels von früher in die Dorfdisko. Während seines letzten Besuchs traf er dort auf einen Glatzkopf in Bomberjacke und Springerstiefeln, der ihn am Eingang der Diskothek im alkoholisierten Zustand unsanft anrempelte. Anstelle einer Entschuldigung folgten ebenso unsanfte Worte:

„Hey, du Zecke! Pass gefälligst auf, wo du hinlatscht – Penner!“

Auf Glatzen reagierte Heinz äußerst sensibel. Angst hatte er keine, seine zehnjährige Kampfsporterfahrung verlieh ihm die nötige Selbstsicherheit für derartige Situationen. Nein, eher noch neigte er dann zur Provokation, insbesondere wenn er selbst Alkohol getrunken hatte, was an diesem Abend der Fall war.

„Sieh dich vor, Scheißnazi! Auf Typen wie dich habe ich heute Abend richtig Bock!“

Diese Sätze bildeten den Auftakt zu einem Handgemenge. Der Glatzkopf packte Heinz an den Kragen, der konnte sich jedoch blitzschnell befreien und wartete auf weitere Kampfhandlungen seines mehr als zehn Jahre jüngeren Gegners. Zu jedem Angriff hatte Heinz eine adäquate Verteidigung parat, die den Mann in Springerstiefeln stets ins Leere laufen ließ, ihn der Lächerlichkeit preisgab.

Natürlich hatte sich inzwischen Publikum angesammelt. Vor so vielen Leuten – darunter waren seine Freundin sowie die Kameraden aus der lokalen Neonaziszene – konnte sich der Skinhead nun wirklich nicht von einer um einiges schwächer als er anmutenden alten „Zecke“ herumschubsen lassen. Die Ausweglosigkeit aus dieser peinlichen Lage trieb ihn zu einer folgenschweren Entscheidung, die sich innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde unter seiner Glatze vollzog: kurzes Aufblitzen einer Klinge, ein gewaltiger Stoß mit derselben…

Heinz hatte einen Augenblick lang nicht aufgepasst. Er war sich seiner Sache zu sicher gewesen. Jetzt stöhnte er schwer. Das Stöhnen vermischte sich mit schmerzvollem Jammern. Er lag auf dem Boden und versuchte vergebens, das Blut zurückzuhalten, was da aus seinem Bauch heraustrat. Polizei und Rettungsdienst – übrigens derselbe, bei dem der Ex-Zivi früher gearbeitet hatte – waren schnell vor Ort. Die Sanitäter kamen für ihren ehemaligen Kollegen jedoch zu spät. Max indes wurde von der Polizei abgeführt. Wen er da auf dem Gewissen hatte, war ihm nicht klar. Auch Heinz wird den Namen seines Mörders nicht mehr erfahren. Dass die beiden einmal Freunde waren, weiß Gott allein.

 

Hallo Jens,

Deine Geschichte ist sehr kurz und kühl geschrieben, sie wirkt eher wie ein neutraler Bericht über das Geschehen. Das passt zum Inhalt und hat mir daher ganz gut gefallen. Die Botschaft ist klar: es gibt viele Situationen im Leben, die anders verlaufen würden, wenn man sich die Zeit nehmen würde den Menschen gegenüber wirklich wahrzunehmen.

Einziges Manko: ab dem zweiten Absatz ist klar, dass der Gegner von Heinz sein ehemaliger Freund ist. Außerdem frage ich mich, ob Du den Nazi und die damit verbundenen Klischees in Deiner Geschichte brauchst oder ob sie ohne diese nicht genauso funktioniert hätte.

Liebe Grüße von
Juschi

 

Hello Jens Ossa,

die Botschaft Deiner Gechichte ist klar: Erst fragen, dann zustechen ;-)
Ansonsten stimme ich Juschi zu - es macht wenig Sinn, eine kleine Geschichte durch Nazi-Klischees aufzubauschen, sie wird dadurch nicht größer. Trotz des Berichtstons schmeckt der Leser durch, dass Dir die 'Glatze' unsympathisch ist - das ist schade, denn Schlüsse sollte der Leser, gelenkt durch eine überzeugende Handlung, selbst ziehen.

Kann man jemanden auch sanft anrempeln? ;-)

Grüße vom gox

 

Hi Juschi, hi gox,
danke erst mal für eure Kommentare!
Nun, um Juschis Frage zu beantworten: durch den Auftritt eines Nazis ließ sich die Brücke zur Gewalt besser aufbauen. Vielleicht habe ich es mir tatsächlich dadurch ein bisschen zu leicht gemacht.
Dass bereits im zweiten Absatz klar wird, mit wem es Heinz zu tun hat – gut, das liegt bei einer derart kurzen Geschichte nahe, aber so offensichtlich finde ich das hier nicht.

Nun zu dir, gox: Muss ich als Autor neutral bleiben? Malt ein Maler neutrale Bilder? In jeder Kunst steckt doch ein Teil des Künstlers?
Du fragst micht außerdem, ob man jemanden auch sanft anrempeln kann. Es gibt in der Literatur (in einer Berichterstattung sollte sie es vielleicht nicht geben) jede Menge überflüssige Füllwörter. Generell benutze ich sie, um dem Lesefluss einen gewissen Rhythmus zu geben oder um die Sätze auszuschmücken. Ohne "unsanft" würde der Satz für mich an Würze verlieren.

Liebe Grüße von Jens

 

Hello Jens Ossa,

natürlich muss ein Autor nicht neutral bleiben, ist er sowieso nie.
In einer Geschichte aber sollte der Leser selbst darauf kommen, wer gut und wer böse ist, er will es 'sehen' und nicht berichtet bekommen. Ein zu stark 'meinender' Autor läuft Gefahr, dass seine Leser den Text (bei gleicher Meinung) als anbiedernd empfinden oder (bei anderer Meinung) als abstoßend. Wäre schade um so eine Geschichte.

Du hast schon recht:
Ohne 'Unsanft' funktioniert Deine Satzkonstruktion nicht mehr. Dennoch schliessen sich 'Anrempeln' und 'sanft' aber völlig aus - nichts gegen Füllwörter, aber den weissen Schimmel würdest Du auch weglassen. In diesem Fall wäre es ja auch ein schwarzer Schimmel ;-)

Viele Grüsse vom gox

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin gox,
danke, werde mal in mich gehen. Aber ganz im Ernst, abgesehen davon, dass mir rechte Glatzen wirklich nicht sympathisch sind, kann es doch sein, dass ich es exakt so beobachtet habe. An welcher Stelle tue ich denn meine Meinung kund? Ich kann doch z. B. sehen, wer von zwei Kontrahenten in einer peinlichen Lage ist. Letztendlich geht am häufigsten grundlose Gewalt von faschistoiden Elementen aus. Außerdem habe ich auch Heinz ein negatives Attribut verpasst, nämlich dass er gern nach Alkoholgenuss provoziert. Über einen konkreten Hinweis wäre ich dankbar.

Gruß von Jens

 

Hallo, Jens

Auch auf die Gefahr, mich als kompletten Idioten zu outen: Ich habe nicht nach dem zweiten Absatz kapiert, wer die Glatze ist, mich hat es überrascht.

Ich glaube dir, dass du derartiges exakt so beobachtet hast, und dass es auch jeden Moment genau so passieren kann, keine Frage. Das Problem dabei, ist nur, dass es einen Leser nicht unbedingt überrascht, wenn es in der Geschichte exakt so passiert. Dass der Glatzkopf so reagieren würde, wie er es getan hat, damit habe sogar ich gerechnet.
Davon abgesehen, find ich die Geschichte aber nicht übel.

 

Hi Woodwose,
nein, nein – keine Sorge! Ich wollte ja am Ende einen Überraschungseffekt hervorrufen. Ist mir wohl nicht bei allen Leserinnen und Lesern gelungen.
Es ging in den vorangegangenen Kommentaren aber auch weniger um die Vorhersehbarkeit des gesamten Handlungsablaufs, als eher darum, inwieweit ich meine Position durchschimmern lasse, die ich hier als Verfasser beziehe.

Gruß,
Jens

 

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