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Gänseliebe

Pat

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24.11.2001
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Gänseliebe

Einträchtig saßen sie am Rand des Teichs. Eulalia auf einem umgekippten Bierkasten, den Elisabeth ihr aus dem nahe gelegen "Schustereck" stibitzt hatte, das Mädchen auf einer kleinen Grasnarbe, das Gesicht in ihrem Spanischlehrbuch vergraben.
Eulalia hatte die Augen geschlossen.
Den Kopf weit in den Nacken gelegt genoß sie die letzten warmen Strahlen der Abendsonne.

Ein heller Schrei zerriss die Ruhe. Elisabeth schreckte mit aufgerissenen Augen hoch und ließ ihr Buch in das trockene Gras fallen.

"Wildgänse." lächelte Eulalia. "Ein Pärchen."
Mit einer Hand schützte sie ihre Augen vor der Sonne und schaute in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war.

"Da vorn - am Bootssteg!" rief Elisabeth und zeigte aufgeregt auf das graue Gänsepärchen, das sich anschickte, gemeinsam ins Schilf zu schwimmen.

"Manche sagen, sie seien die treuesten Tiere der Welt." sagte Eulalia, die Hand immer noch vor den Augen.
"Wenn zwei Wildgänse sich gefunden haben, bleiben sie für immer zusammen."
Und fast flüsternd fügte sie hinzu: "Bis in den Tod."

Ihre junge Freundin schaute ihr verwundert ins Gesicht.
"Eulalia...?"

Die alte Frau wandte sich dem Mädchen zu.
"Das alles ist schon über siebzig Jahre her. Ich war ein sehr junges Mädchen, fast noch ein Kind, und verbrachte, wie jeden Sommer, die Ferien bei einer befreundeten Familie auf dem Land." begann sie.
Elisabeth setzte sich auf ihrem Grasbuckel bequemer hin, voll freudiger Erwartung der nun unweigerlich kommenden Geschichte.

"Ganz in der Nähe unseres Häuschens gab es einen kleinen Weiher." fuhr Eulalia mit leiser Stimme fort.
"Jedes Jahr im Frühling kam ein Schwarm Wildgänse, verbrachte den Sommer bei uns und flog im Herbst wieder in den Süden. Jedes Jahr, immer der gleiche Kreislauf.

An einem Herbsttag vor vielen Jahren flogen die Gänse wieder davon.
Eine Gänsefrau jedoch konnte sie nicht begleiten, ihr Flügel war verletzt.
Sie war dazu verurteilt, den kalten Winter krank und allein zu verbringen - ein Todesurteil!

Es dauerte zwei Tage, bis ihr Gänsemann zu ihr zurückgeflogen kam. Erst nachdem die Gänse schon eine weite Strecke geflogen waren, hatte er die Abwesenheit seiner Partnerin bemerkt."

"Wie süß!" rief Elisabeth. "Das nenne ich wahre Liebe! Wie ging es weiter mit den beiden?"

Eulalia senkte den Kopf und blickte auf ihre dünnen, weißen Hände hinab.
"Sie verbrachten den Winter gemeinsam an dem kleinen Weiher im Schilf." fuhr sie fort.
"Mein Bruder und ich hatten alles beobachtet und wollten ihnen helfen. Weißt du, die Winter waren damals noch richtige Winter."

Sie lächelte, gefangen in ihren Erinnerungen.
"Schneegestöber, eine dicke, weiße Schneedecke, die viele Wochen liegenblieb."

"Klingt Klasse!" unterbrach sie das Mädchen. "Aber für die Gänse war es sicherlich weniger schön!"

"Nein." nickte Eulalia. "Für sie war es das gewiß nicht."
Sie setzte sich ein wenig aufrechter hin und streckte die schmerzenden Füße. Dann holte sie tief Luft und sprach weiter.

"Mein Bruder und ich gingen jeden Tag zu ihnen und brachten ihnen Körner, altes Brot - was immer wir in der Vorratskammer fanden. Sie waren sehr scheu, mußt du wissen, und es dauerte einige Zeit, bis sie ein klein wenig Vertrauen zu uns gefasst hatten.
Jedenfalls, der Gänsemann kümmerte sich rührend um seine kranke Frau. Er legte das Futter vor ihren Schnabel, und nachts schmiegte er seinen Hals an ihren und wärmte sie mit seinem flaumigen Körper. Er blieb den ganzen Winter bei ihr und wich kaum von ihrer Seite.
Bis schließlich der Frühling wiederkam."

Eulalia war verstummt.
Elisabeth lächelte.
"Das ist eine hübsche Geschichte." sagte sie.
"Sie ist noch nicht zu Ende." erwiderte Eulalia leise.

"Die Tage begannen bereits wieder wärmer zu werden, und der Schnee schmolz langsam." fuhr sie fort.
"Der Flügel der kleinen Gänsefrau war mittlerweile geheilt. Wir waren so glücklich, daß die beiden es geschafft hatten! Dann, eines Morgens, es waren nur noch wenige Tage bis zu Ankunft der Wildgänse, gingen wir wieder zum Weiher.
Und da sahen wir es.
Eng an ihn geschmiegt saß die Gänsefrau neben ihrem toten Partner."

Elisabeth saß ganz still. "Was war passiert?" fragte sie nach einer Weile.
"Er war vor Schwäche gestorben". sagte Eulalia.
"Den ganzen langen, harten Winter über hatte er bei seiner kranken Frau, die ohne ihn nicht überlebt hätte, ausgeharrt und sie umsorgt. Bis sie wieder gesund war.
Schließlich war sie es, die überlebte."

"Das ist ungerecht!" rief das Mädchen. "Und traurig."
Sie senkte den Kopf, damit Eulalia ihr glitzernden Augen nicht sah.
"Ja." antwortete die alte Frau nur.

Nachdem beide eine Zeitlang ihren Gedanken nachhängend still nebeneinander gesessen hatten, legte Eulalia schließlich ihre kleine Hand auf die magere Schulter des Mädchens.
"Komm - hilf mir auf!"
Elisabeth stützte sie und Eulalia erhob sich schwerfällig.
Schweigend und Arm in Arm liefen beide langsam den kleinen Sandweg entlang in das Dorf zurück.

 

Hallo Pat,

eine sehr schöne Geschichte.
Was mich jedoch gestört hat: "das Mädchen auf einer kleinen Grasnarbe, das Gesicht in ihrem Spanischlehrbuch vergraben.
Eulalia hatte die Augen geschlossen."
Da war mir nicht ganz klar, wer denn "das Mädchen" ist.

Hier bin ich auch ein wenig gestolpert: "den kalten Winter krank und allein zu verbringen - ein Todesurteil!"
Schliesslich erzählt die alte Dame da immer noch, da würde ich den Gedankenstrich umformulieren. Ungefähr so:
"den kalten Winter krank und allein zu verbringen, was einem Todesurteil gleichkommt!"

Und die vielen Leerzeilen sind auch nicht gerade vorteilhaft für den Lesefluss.


Gut gefallen hat mir, wie du das Verhältnis zwischen Eulalia und Elisabeth geschildert hast. Das nicht mehr so kleine Mädchen (Spanischlehrbuch...?) und die alte Freundin, die gerne in Erinnerungen schwelgt und Geschichten erzählt.
Die Geschichte der Wildgänse hat mich auch sehr beeindruckt. Von der Treue dieser Tiere habe ich nichts gewusst, aber man lernt ja nie aus! :shy:
Schade, dass es nicht viele so treue Menschen gibt. Das Leben wäre um einiges angenehmer...

Gruss, sabberbacke

 

Hallo Pat,

eine hübsche, kleine Geschichte. Aber der Anfang und der Übergang zu dem Punkt, an dem die alte Frau anfängt, die Geschichte zu erzählen, haben mich ein wenig verwirrt. Zuerst dachte ich, dass Elisabeth plötzlich anfängt zu erzählen, nachdem der Anfang nur die Einleitung war.
Das hat sich natürlich schnell wieder gegeben, aber vielleicht hast Du ja mal Lust Dir den Anfang anzusehen :)

Liebe Grüße,
gori

 

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