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Gedanken eines Physikers
Die Strahlen der Sonne, die sich spiegeln im Glas, brechen sich im Wasser. Duft von Mokkacafe mischt sich in der Luft mit einer Brise von Meersalz. Und das Rauschen der Straße bestimmt den Rhythmus. Er folgt den Buchstaben seiner Zeitung als ein Wort seine Aufmerksamkeit energisch einfordert. "Man muss sich diesem Begriff, als rational denkender Mensch, schon mit einer gewissen Distanz nähern" geht ihm durch den Kopf, als es schon fast zu spät ist. "Es ist doch nur ein Synonym für 'Gemütszustand', sollte also der weiteren Betrachtung nicht unbedingt Wert sein. Themawechsel, Ablenkung ist angesagt. Dieser Mokka ist wirklich gut und die weiblichen Vertreter der menschlichen Rasse, die auf der anderen Straßenseite ihrem Schuhwerkbesorgungsdrang frönen, integrieren sich malerisch in die Szene." Er nippt noch einmal an seinem Mokka und muß sich der Frage stellen: "Was sind Emotionen?" "Warum muss mir diese Buchstabenkombination gerade jetzt ins Auge fallen und ihr Abbild sich vor mir manifestieren. Der Kaffee ist lecker, das Wetter ist gut und der Anblick der vorbeiflanierenden Geschöpfe läßt das Auge kaum verweilen. Wieso werde ich gerade jetzt von meinem Kleinhirn mit so einer Frage beläßtigt? Sind es diese äußerst angenehmen Umstände die meine Gedanken bezwingen? Das Umfeld das mich derzeit positiv beeindruckt und beeinflußt? Aber, wenn Emotionen in einem Menschen ausgelöst werden, sind dies doch einfach nur biochemische Abläufe als Antwort auf irgendwelche äußeren oder inneren Reize. Und das heisst doch dann, dass ein Mensch nichts anderes als ein Haufen Biomasse ist, der gesteuert von div. Reizen und gesammelten Erfahrungen sich ziemlich chaotisch durch seine Umwelt bewegt. Von wegen Geist, Seele, Götter und Sinn des Lebens, alles Quatsch, es gibt nur den Reiz und die Reaktion darauf, die beeinflußt wird von zuvor erlebten und gespeicherten Erfahrungen."
Eine zarte Stimme weckt ihn samft aus seinen Gedanken und erkundigt sich ob der Platz an seinem Tisch noch frei sei. "Sicher" stottert er sich zusammen. "Es ist mir ein Vergnügen, nehmen sie doch bitte platz." Ein kleiner Plausch und eine kurze Unterbrechung durch die Kellnerin schließen sich an und schon verfällt er wieder in seine Gedankenstarre. "Hatte ich eigentlich denn das Wesen der Emotionen schon erschloßen? Sicher. Die Formel lautet Reiz, Reaktion, Emotion. Wobei die Reihenfolge von Reaktion und Emotion durchaus schon mal vertauscht in Erscheinung tritt." Seine Tischnachbarin aber läßt nicht von ihm ab und bekundet ihr Interesse an seinem Grübeln. "Darf ich erfahren worüber sie Ihre Stirn runzeln und sich den Kopf zerbrechen ?" "Hmm" entgegnet er ihr ein bißchen mißmutig mit dem Gefühl ertappt worden zu sein. "Ich eruiere nur den Terminus Emotion, und gelange gerade zu dem Schluß, dass der Mensch nur ein Haufen Biomasse mit unkoordiniertem Bewegungsdrang ist." Er sieht förmlich die Fragezeichen in ihren Augen und sie kann seinen Schlußfolgerungen wirklich nichts positives abgewinnen. "Oh, das glaub ich aber nicht." entgegnet sie leicht entgeistert. "Das sollten sie besser auch nicht, das sind nur Gedanken eines Physikers an einem fast perfekten Tag." Er nimmt noch eine Schluck von seinem Mokka, rollt die Zeitung zusammen, verabschiedet sich höflich, und macht sich auf den Weg.