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Gejagt
Die hölzerne Tür der Gaststätte wurde hastig aufgerissen. Ein verschwitzter Mann sprang hinein, warf sie scheppernd wieder ins Schloss und stemmte sich mit aller Kraft dagegen.
„Schnell ... die Türe abschliessen!“
Der Mann sah sich gehetzt um und versuchte den Wirt im dunklen Zwielicht der Gaststätte ausfindig zu machen. Er sah zwei Männer, an der Theke sitzend, von schweren Rauchschwaden fast verdeckt. Und die Wirtin, die hinter dem Tresen kauerte. Sie sah ihn misstrauisch an, reagierte aber überhaupt nicht.
„Schnell! Die Tür abschließen! Da draußen ... da ist was ... Hat mich gejagt. Eine Bestie!“
Endlich bewegte sie sich. Sie trat hinter dem Tresen hervor und kramte unter ihrer Lederschürze in einer Tasche herum. Etwas klimperte, ein schwerer Schlüsselbund. Der Mann trat zur Seite und die Wirtin drehte den Schlüssel im Schloss herum.
Ihr Haar lag ziemlich fettig am Kopf an, der Körper war sehr hager, fast schon ausgezehrt. Sie wirkte irgendwie krank. Fast schon gleichgültig musterte sie den Neuankömmling.
Er war ein Mann mittleren Alters. Blondes Haar. Gepflegte Erscheinung, wenn auch im Moment sehr gehetzt aussehend. Schweißtropfen zierten seine Stirn.
„Um Gottes Willen! Haben sie irgendwo Fenster offen? Oder einen Hintereingang?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Hinten befinden sich noch ein Lagerraum, ein Schlafraum und die Küche. Dann noch die Keller- und die Lieferantentür. Aber dort ist abgeschlossen.“
Sie schien jetzt ihre Überraschung überwunden zu haben.
„Was ist denn passiert, erzählen sie doch mal“, sagte sie und rückte die Schürze zurecht.
Auch der Fremde schien sich jetzt etwas gefangen zu haben. Jedenfalls wirkte er nicht mehr so aufgeregt.
„Sie kommen wohl nicht aus der Gegend!“, rief ihm einer der Männer zu, die bisher nicht recht zu erkennen waren. Er stand auf und trat näher.
„Nein. Bin nur auf der Durchreise. Entschuldigung, Phil Decker mein Name. Ich habe das Schild an der Hauptstrasse gesehen, und dachte, es wäre eine gute Idee eine Kleinigkeit zu mir zu nehmen.
Auf dem Weg hierher habe ich ein großes Tier bemerkt, das mir gefolgt ist. Hab’s im Rückspiegel gesehen! Als ich aus dem Auto ausstieg, sah ich es weit hinten aus dem Dickicht hervor treten und auf mich zulaufen. Es hatte mich schon fast erreicht, als ich herein trat. Der Mantel ist jedenfalls hin.“
„Ein Tier? Was denn für ein Tier?“, fragte der Gast.
„Vielleicht hat er ja einen Hund gesehen. Oder eine streunende Katze?“
Der andere Mann, den Phil bisher noch nicht sehen konnte, kam heran.
„Entschuldigen sie. Ich bin Hank und der da ist Alex. Und die werte Dame hier ist Martha. Mach’ unserem Gast doch was zu Trinken fertig, hörst du, Martha.
Also, was war das für ein Tier?“
Phil kratzte sich nachdenklich an der Nase. Was er gerade erlebt hatte, kam ihm jetzt schon fast unwirklich vor. Hatte ihn tasächlich eine Bestie gejagd?
„Es war ziemlich dunkel und ich konnte nur Umrisse erkennen. Das Tier war aber sehr groß. Fast wie ein Bär.“
„Ein Bär? Die gibt es hier seit hundert Jahren nicht mehr.“
„Nein, es sah nur ähnlich aus. Aber es war sicher kein Bär.“
In weiter Ferne war jetzt ein Donnergrollen zu hören. Ein Gewitter zog langsam auf. Die Dämmerung war der Dunkelheit endgültig gewichen.
„Was denn? Ein Wolf? Könnte es ein Wolf gewesen sein?“
„Hm. Vielleicht. Aber es war viel größer als ein Wolf.“
„Größer als ein Wolf? Aber kein Bär! Da bleibt nicht mehr viel. Wölfe wurden hier auch schon seit sechzig Jahren keine mehr gesehen. Seit der letzte von einer Kugel zerfetzt wurde.“
Hank lachte rau.
Draußen vor der Gaststätte brannte eine Beleuchtung. So konnten sie den Schatten sehen, der pötzlich vor die Eingangstür fiel. Ein intensives Schnüffeln folgte. Irgendetwas Großes roch an der Tür und grollte böse. Phil trat erschrocken einen Schritt zurück.
Ein dunkles Knurren und Kratzen wie von schweren Pfoten, ein Scharren im Schotter. Dann schlug etwas mit großer Wucht von außen gegen die Tür. Sie erzitterte unter der ungeheuren Wucht des Schlages.
„Heiliger Gott! Was ist das?“, raunte Alex und bekreuzigte sich.
Die Tür begann zu knarren, als lehne sich etwas unter gewaltigem Druck dagegen. Und sie bog sich tatsächlich leicht durch. Gleich würde das Schloss nachgeben...
Dann ein erneuter Schlag und noch einer. Und Stille.
Die Männer lauschten eine Zeitlang. Das Knurren und Kratzen war verschwunden. Im Hintergrund ein Donnergrollen, das nicht mehr allzu fern klang.
„Ist es weg?“, fragte Alex unsicher.
„Du kannst ja aufmachen und nachsehen!“, rief Hank ihm zynisch zu. “Das war sicherlich kein streunender Hund, der da die Tür gerade fast eingedrückt hat. Was immer das war, ich will es ganz bestimmt nicht kennen lernen!“
Martha, die Wirtin, sah die Männer aus entsetzten Augen an. Sie zitterte stark.
„Was kann es gewesen sein?“, fragte sie ängstlich und wischte sich mit einem schweißnassen Handrücken durchs Haar.
Phil zuckte mit den Achseln und zog seinen zerrissenen Mantel aus. Es war sehr warm in der abgelegenen Gaststätte. Flüchtig sah er sich um. Die Einrichtung war reichlich altertümlich und sehr rustikal. Ausgestopfte Tierpräparate hingen an den Wänden, Köpfe von Wildschweinen und Hirschen.
Hank zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung.“
Er sah, das Phils Hemd an einer Seite mit Blut bekleckert war.
„Sie bluten, Phil. Hat sie das Biest doch erwischt? Zeigen sie doch mal her.“
Plötzlich hörten sie ein Poltern über ihren Köpfen. Es klang, als liefe jemand im Raum über ihnen.
„Was ist da oben?“, wollte Phil wissen.
„Ein alter Heuboden“, raunte die Wirtin ängstlich. „Er wird aber schon lange nicht mehr genutzt und steht fast leer.“
„Gibt es eine Verbindung nach unten, hier in diese Räume?“
„Äh, ja. Aber die ist durch eine Luke verschlossen.“
Über ihnen begann jetzt jemand, Gegenstände an die Seite zu räumen. Mit großer Wildheit.
Pranken kratzen hart über den Boden und schnüffelnde Geräusche drangen bis zu ihnen nach unten.
„Da ist es wieder!“, bebte Alex.
„Wir müssen die Luke sichern! Wo befindet sie sich?“, wollte Phil wissen.
Martha zeigte hinter den Tresen.
„Im Schlafzimmer. Aber mein Mann schläft dort. Er war gestern Nacht jagen und sehr müde. Darum hatte er sich nachmittags hingelegt...“
Phil rannte einfach hinter die Theke durch eine Pendeltür.
Über ihnen tobte die unbekannte Bestie und es hörte sich an, als würde sie den Boden komplett aufreißen.
Die Anderen liefen hinter ihm her, durch einen kurzen Flur in das kleine Schlafzimmer. Und mit Schrecken sahen sie, das im hinteren Teil ein schmales Fenster offen stand.
„Wo ist Willi?“, wollte Hank wissen und schloss hastig das Fenster.
„Die Luke!“, rief Phil. „Wir müssen sie irgendwie blockieren, bevor die Bestie sie entdeckt und darauf tritt.“
Er sah sich um. An der Seite stand ein solider Schrank. Wenn sie den unter die Luke rückten konnten...
Zu dritt schoben sie ihn dorthin, sodass die Luke jetzt nur noch wenige Zentimeter weit geöffnet werden konnte.
Oben tappte die Bestie nun scheinbar ziellos umher. Sie hörten das rasselnde Schnüffeln bis nach hier unten. Dann war es plötzlich wieder ruhig.
Martha lief aufgeregt herum, auf der Suche nach ihrem Mann. Sie konnte ihn nirgendwo entdecken.
„Mein Gott. Willi! Er wird doch nicht nach draußen gerannt sein?“
„Etwa durchs Fenster?“, wollte Alex wissen. „Da passt er doch kaum durch.“
Plötzlich sahen sie einen dunklen Schatten vor dem Fenster auftauchen. Krallenbewehrte Pranken schlugen gegen die Glasscheibe und zertrümmerten sie. Scherben regneten ins Zimmer und dunkles Fell quoll durch die Öffnung. Dann ein schreckliches Fauchen und ein riesiger Kopf versuchte, sich durch den Rahmen zu winden. Der fürchterliche Kopf einer Bestie, wie es sie eigentlich nicht geben dürfte!
Martha schrie wie am Spieß.
Das Biest knurrte wütend und zeigte drei oder vier Reihen scharfer Zähne. Schaum umgab seine Lefzen und fauliger Atem wehte den entsetzten Menschen entgegen.
„Was ist das?“, fragte Alex verstört.
Das Biest versuchte ins Zimmer zu gelangen. Als es merkte, das es sich nicht durch die enge Öffnung winden konnte, begann es, den Fensterrahmen mit seinen Pranken zu bearbeiten. Holzstücke flogen durch die Gegend, als die schrecklichen Krallen sich durch den maroden Rahmen wühlte.
Endlich kam Bewegung in die vor Schreck starren Menschen.
„Raus hier!“, brüllte Phil, als er sah, das sich das Biest jetzt doch durch die Öffnung wand.
Sie rannten zurück ins Lokal. Planlos und ohne Orientierung.
„Was sollen wir machen?“
Martha schrie immer noch. Alex sah sich gehetzt um und entdeckte die Bestie, die durch die Pendeltür herein sprang.
„Vater unser im Himmel...“, betete Hank.
Das Biest sah aus wie ein riesiger deformierter Wolf. Es hatte langes, zottiges Fell und einen riesigen Kopf. Muskelberge zeichneten sich unter der Haut ab. Sie zeugten von Stärke und Wildheit.
Es knurrte böse und dampfiger Atem verließ das Maul.
Mit einem riesigen Satz sprang das Vieh die hysterische Wirtin an und zerfetzte sie von der Kehle bis zum Schritt. Organe und Eingeweide fielen aus ihrer klaffenden Bauchwunde. Marthas Schrei verstummte und wurde durch ein ersticktes Röcheln ersetzt.
Schnüffelnd betrachtete die Bestie ihr Werk und begann lautstark damit, die dampfenden Därme zu fressen.
Hank brüllte verzweifelt und versuchte, durch die Gaststättentür zu entkommen. In seiner Panik vergaß er, das sie abgeschlossen war.
Das Biest taxierte ihn und sprang in zwei Sätzen auf ihn zu. Hank rappelte an der Klinke, als sich scharfe Krallen in seinen Rücken bohrten und ihn zerfetzten. Das Wolfwesen riss den Mann förmlich auseinander.
Alex versuchte an dem Biest vorbei zu laufen und hinter den Tresen zu gelangen. Aber es bemerkte sein Vorhaben und sprang ihn an. Blitzende Zähne bohrten sich in seinen Nacken und es knackte hässlich, als sein Genick brach. Der Wolf schleuderte Alex hin und her, wie ein Kind, das seine Puppe schüttelt.
Phil war immer noch starr von Schrecken. Blutspritzer trafen sein Gesicht.
Der Wolf näherte sich ihm langsam. Er sah ihn aus schrecklichen Raubtieraugen an und begann, an ihm zu schnüffeln. Geifer und Blut rann ihm aus der geöffneten Schnauze.
Phils Zähne klapperten wie Billardkugeln, wenn sie zusammen stoßen. Er war zu keiner Bewegung fähig, gelähmt vor Angst. Heißer stinkender Atem wehte ihm entgegen.
Dann drehte sich das Biest um, nahm Marthas Leiche knackend in sein Maul und trottelte hinter den Tresen in den angrenzenden Raum. Phil hörte, das es sich durch das zerstörte Fenster drängte, dann herrschte Stille.
Das Biest war weg und hatte ihn verschont. Warum?
Phil spürte ein warmes Kribbeln in seinen Blutbahnen. Seine Haut begann leicht zu jucken, aber nicht unbedingt unangenehm. Er spürte ein Ziehen im Gesicht und an den Gliedmassen. Was war das?
Er sah an sich herab und sah, wie lange schwarze Haare an seinen Handrücken wuchsen. Es war ein schönes Gefühl. Überall sprossen ihm Haare hervor, seine Kleidung spannte und zerriss. Sein Aussehen veränderte sich schnell. Wurde er jetzt auch zu so einem Biest? Die Vorstellung war gar nicht mal so schlimm. Im Gegenteil, sie gefiel ihm sogar. Und er bekam Hunger...