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Gewitterfliegen

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10.09.2016
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Gewitterfliegen

Vom Brand hatte ich in den Nachrichten gelesen. Natürlich hat es etwas Schockierendes, wenn sich ein Unglück vor der eigenen Haustür zuträgt. Plötzlich hat man das Gefühl, im Mittelpunkt eines größeren Zusammenhanges zu stehen. Genau genommen war es nicht meine Haustür, sondern die Haustür meiner Eltern, meines alten Zuhauses – immerhin stand mein Name an der Klingel. Als ich am Berliner Südkreuz aus dem Zug stieg, um die letzten Stationen mit der S-Bahn zu fahren, bemerkte ich die Gewitterfliegen, die zwischen den Haaren auf meinen Armen und Beinen krochen. Doch das Gewitter, das den Brand hätte löschen können, ließ seit Wochen auf sich warten.

Als ich die Haustür aufschloss, war zunächst alles wie früher. Meine Mutter machte mir eine Apfelsaftschorle mit zu viel Sprudel. Mein Vater faltete seine Zeitung zusammen und dann noch einmal und noch einmal und noch einmal und legte sie auf den lackierten Küchentisch und gab mir einen Kuss.
„Der Grunewald brennt“, sagte ich, als wäre das eine geeignete Gesprächseröffnung.
Meine Eltern bestätigten mir diese Tatsache.
„Furchtbar“, stellte ich fest.
Sie wiederholten das Wort wie Schauspieler in einer Komödie.
„Ich wollte bei euch sein, wenn es passiert“, sagte ich.
„Es ist in der Zeitung“, erwiderte mein Vater. „Plötzlich steht man im Mittelpunkt dieser Sache.“
„Der Klimakrise“, korrigierte ich, als hätte mein Vater das auszusprechen nicht über die Lippen gebracht.
„Willst du es sehen?“, fragte meine Mutter.
„Ich dachte“, sagte ich. „Aber jetzt, wo ich hier bin … weiß nicht.“
Mein Vater deutete auf seinen Unterarm, sah mich an und runzelte die Stirn.
„Ach, die stören mich nicht“, sagte ich. „Nur ein paar Gewitterfliegen.“

Als meine Eltern außer Haus waren, ich allein in unserer großen Küche saß, tat ich nichts, außer in den gut bewässerten Garten zu starren, den meine Mutter mit grünem Daumen pflegte. Alles wie immer: Die Wicken, der Oleander, die Rosen, der Apfelbaum, die Linde, die Kastanie, der Rhododendron, die Hortensien. Ich bemerkte nicht, wie sich etwas Kleines, Flinkes meiner Hand näherte. Erst als es auf ihr krabbelte, entdeckte ich das Insekt: Eine Kakerlake von der Größe einer Schreckschusspatrone. Kurzentschlossen schlug ich mit der flachen Hand drauf und tatsächlich zerplatzte der kleine Körper augenblicklich und mit einem Geräusch, das ungefähr so klingt: Krrk. Verwundert stellte ich fest, dass es sich um eine mir unbekannte, wenig widerständige Art handeln musste. Was mich am meisten ekelte, war nicht der Umstand, dass ihre Innereien an meiner Hand klebten, sondern, dass diese Szene sich hier im Haus meiner Eltern zutrug. Das war nicht wie früher. Kakerlaken hatte es hier nie gegeben, das wusste ich. Um den Schrecken zu verarbeiten, toastete ich mir ein Brot, wobei ich auf kleinste Bewegungen achtete. Doch das Brot blieb Brot: braun, ruhig, beständig. Und selbstverständlich wusch ich mir vor der Zubereitung gründlich die Hände.

Wenig später konfrontierte ich meine Eltern mit dem Vorfall.
„Die kommen aus dem Garten“, sagte meine Mutter.
„Aber die gab’s doch früher nicht.“
„Ja, früher“, meinte mein Vater. „Aber die Kakerlaken sind nicht das größte Problem.“

In den folgenden Stunden beobachtete ich, wie meine Eltern mit je einer Fliegenklatsche goldglänzende Fliegen erschlugen. Dass die Fliegen so zahlreich waren, musste ich übersehen haben. Ihre schmierigen Überreste wischten sie mit Taschentüchern von den Fensterscheiben. Wie Tennisspieler hielten sie sich jederzeit zum Schlag bereit. Klar schloss ich mich ihrer Sache an. Wo ich konnte, erschlug ich Fliegen – manchmal mehrere auf einen Streich – gelegentlich kam mir auch eine Kakerlake unter die Finger. Die Sache mit den Gewitterfliegen hatte sich ebenso wenig gegeben. Zunehmend ekelte ich mich auch vor ihnen. Wo ich sie bemerkte, zerquetschte ich sie auf der Haut oder streifte sie mir ganz einfach von Armen und Beinen.

Wie meine Eltern das Problem mit den Kakerlaken und Fliegen tolerieren konnten, war mir ein Rätsel, wahrscheinlich hatten sie sich bloß an diesen Zustand gewöhnt. Ihre Maßstäbe hatten sich verändert und das scheinbar auch über das Insektenproblem hinaus. Anderen mag es wie eine Kleinigkeit erscheinen, sie mögen sich fragen: was will er mit diesem Fleckchen Grün? Doch eben das war der springende Punkt. Der Rasen in unserem Vorgarten war – und das sah ich erst, als ich selbst darauf stand – völlig vertrocknet, braun und überhaupt unansehnlich. Ich rieb mir die Gewitterfliegen von den Armen, ohne mich zu vergewissern, ob überhaupt welche da waren. Als erwartete ich das Gewitter. Als läge da nicht umsonst eine Spannung in der Luft, die dazu führte, dass der ganze schwitzende Körper juckte und nach Erlösung schrie.

„Willst du nicht zum Abendessen kommen?“, fragte meine Mutter. Ich hatte mich in mein altes Zimmer zurückgezogen in der Hoffnung, Abstand von den unliebsamen Neuerungen zu gewinnen, die mich ereilt hatten. Noch war es zu früh, abzureisen.
„Vielleicht später“, sagte ich nur. Die Schritte entfernten sich von der Tür.
Bereits schaute ich nach einer Zugverbindung, die mich noch heute in mein neues Zuhause bringen konnte. Das war in Halle und hundertachtzig Kilometer entfernt und sicher gab es auch dort Kakerlaken, Fliegenplagen und Dürre. Halle aber war nicht meine Heimat und vielleicht schmerzte der Gedanke deshalb weniger. Doch wegen einer Zugstörung fiel die letzte Verbindung aus und außerdem kam ich mir einigermaßen lächerlich vor, so buchstäblich vor der Realität fliehen zu wollen.

Als ich endlich zur Ruhe gekommen war, bemerkte ich, dass zwei Fliegen im Zimmer kreisten. Wie konnte das sein? Die Tür war doch verschlossen. Wie waren sie also ins Zimmer gelangt? Oder hatten sie gar nicht erst hineinfinden müssen, waren hier womöglich erst geschlüpft oder auf andere Weise zum Leben erwacht? Ich hätte sie jagen, mit einer Zeitung meines Vaters erschlagen oder in einem Glas nach draußen geleiten können. Doch die Initiative fehlte. Unentschlossen beobachtete ich ihr Kreisen. Ein kaum vernehmbares sssss, das so in der Luft hing. Ich ließ sie fliegen.

In der Nacht wurde ich geweckt, ich spürte, wie sich etwas auf mir bewegte. Als ich das Licht einschaltete und die Decke lüftete, sah ich, wie sich darunter einige der fremdartigen Kakerlaken tummelten, wie sie auf meinen Pyjama krabbelten und über meinen Körper. Ich hätte schreien müssen, sie zumindest abschütteln oder zerquetschen, doch ich ließ sie gewähren. Sogar auf die Hand nahm ich eine von ihnen und besah sie mir genau. Bald verstand ich, dass sie es auf die Gewitterfliegen auf meinen Armen und Beinen abgesehen hatten. Ob sie sie fraßen, fiel mir schwer zu beurteilen. Jedenfalls gesellten sie sich zu ihnen. Auf einmal fühlte ich mich selbst wie eine Gewitterfliege, die in einem wohlwollenden, ja geradezu symbiotischen Verhältnis zu jenen Kakerlaken stand. Mit diesem versöhnlichen Gedanken endlich fiel ich in tiefen, erholsamen Schlaf.

Am nächsten Morgen fuhr ich noch vor dem Frühstück mit dem Auto meiner Eltern, einem ausgedienten VW Phaeton, in Richtung Grunewald. Nahe der Avus stellte ich den Wagen ab und gelangte über Betriebsgelände, Parkplätze und Absperrband in den Wald. Der Geruch ähnelte dem von Lagerfeuer und unweigerlich musste ich an Stockbrot und einen mit Federschmuck und Ledertracht verkleideten Mann aus einem beliebigen Freizeitpark denken. In der Ferne sah ich Rauchschwaden aufsteigen. Hier blieb ich stehen und schaute dem Spektakel zu. Dabei verspürte ich eine Mischung aus Trauer, Neugier und dem unbestimmten Gefühl, im Mittelpunkt eines größeren Zusammenhanges zu stehen. Etwas krabbelte an meinen Armen und Beinen. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass sie schwarz waren vor Gewitterfliegen. Was, wenn sie bloß immer mehr werden würden, das Gewitter aber nur ein leeres Versprechen war? In ebendiesem Moment brach der Himmel auf, es donnerte, blitzte, und in der Ferne brannte der Grunewald. Doch der Regen, der das Feuer hätte löschen können, blieb aus.

 

Hey @Proof ,

danke für deinen Kommentar, schön, dich zu lesen.

Solastalgie

Kannte ich noch nicht; aber ja, ist einen Begriff wert, finde ich.

Mit den Fliegen hätte ich am Ende etwas mehr auf die Kacke gehauen wegen des Horrortags.
Als er darüber nachdenkt, ob sie ihn vielleicht auffressen, hatte ich mich schon gefreut, aber dann bleibt das doch recht bodenständig.
Schlimmer Unfall ist schlimm, aber den zu beschreiben ist nicht gleich eine Horrorgeschichte im Sinne des Genres.

Vielleicht ist der Horrortag auch einfach nicht angebracht. Trotzdem ist die Idee mit der Horrorwendung dieser Fliegensache noch nicht ganz vom Tisch. Vielleicht kommt das noch. Danke auf jeden Fall für die Rückmeldung.

Die Wiederholung ist natürlich Absicht, aber ich find’s ohne besser: „Als ich die Haustür aufschloss, war zunächst alles wie früher. Meine Mutter machte mir eine Apfelsaftschorle mit etwas zu viel Sprudel, mein Vater faltete seine Zeitung zusammen und dann noch einmal und noch einmal und noch einmal, legte sie auf den lackierten Küchentisch und gab mir einen Kuss.“

Hab ich rausgenommen. Danke.

„Der Klimakrise“, korrigierte
Das Wort würde ich rauslassen. Ich zumindest fühle mich da zu sehr an die Hand genommen.

In Ermangelung einer besseren Alternative steht es da aktuell noch. Aber ich habe es auf dem Schirm.

fast wohlwollenden, ja geradezu symbiotischen Verhältnis
Das zweite klingt mir zu kühl, analytisch, distanziert, ohne ist wärmer, wenn auch auf eine für den Prot unangenehme Art.

Mit der Wirkung gebe ich dir recht. Finde aber beides wichtig. Weil da eine Steigerung drin steckt, die noch mal so ein Innehalten und Verwundertsein transportiert. Wenn ich das weglasse, ist das zu schnell abgefrühstückt. Es ist ohnehin nicht allzustark motiviert. Da finde ich es dann zumindest wichtig, dass der Prot (und mit ihm der Erzähler, der diesen Moment so schildert) es selbst nicht so recht zu verstehen scheint bzw. darüber zunächst überrascht ist.

einem ausgedienten VW Phaeton
Hier habe ich überlegt, ob der Autotyp für was ganz Bestimmtes stehen soll. Also außer, dass auch der Prot Abgase in die Atmosphäre bläst. Phaeton ist ja in die Industriegeschichte eingegangen als der Versuch eines Autoherstellers für die durchschnittsverdienenden Massen, in der Oberklasse mitzuspielen. Hat ja dann nicht oder nur bedingt geklappt, weil wer die Kohle für Auto ausgibt, will Stern oder Ringe drauf haben. Woher hat der Prot eigentlich das Geld, fällt mir gerade auf? Liest sich jetzt nicht, als führe er nach Hause in die alte Villa.

Das wäre für mich tatsächlich ein Argument, die Erwähnung der Autoklasse da rauszunehmen. Super reich sollte das jetzt nicht rüberkommen und ist ja auch nirgends so angelegt. Aber diese mythologische Phaeton-Referenz gefällt mir. Und ganz abwegig ist es für das Milieu ja auch nicht, wenngleich vielleicht ein bisschen überzogen. Das Wort 'ausgedient' spielt dabei ja auch noch eine verstärkende Rolle, weil es das Luxusobjekt noch mal abwertet. Andererseits eröffnet es ja auch die Möglichkeit, dass das Auto eventuell sogar gebraucht gekauft wurde, (edler) Firmenwagen ist oder übernommen wurde.

Danke Prof, für deinen Besuch und die konstruktive Rückmeldung!
Carlo


––––––––


Es gibt hier vieles, was zerfasert; die Sprache vor allem, und wie der Erzähler zu den restlichen Objekten im Text steht, so seltsam apathisch, is ihm drissejaal. Er kann ja tatsächlich sich so verhalten, aber du verschränkst immer wieder sehr genaue, deskriptive Passagen der Umgebung und der veränderten Wetterlage, bzw auch der Insekten: da hat er ja doch einen Fokus, er ist nicht nur passiv, passiv in der Beobachtung.
Also, auf diese Kürze, da würde ich mir einen Fokus aussuchen. Das stärkste Motiv ist hier ja ganz klar für mich diese Insekten, diese Suspense, wo kommen die her, was machen die, was soll das alles?

Danke, @jimmysalaryman , dass du noch mal vorbeigeschaut hast. Hat mich sehr gefreut; auch wenn ich jetzt nicht mehr so genau weiß, ob ich den Text wirklich noch mal umgeschraubt bekomme, ohne ihn platt zu machen. Er fühlt sich schon halbwegs ausgeglüht an. Ich finde ihn in der aktuellen Form auch nicht schlecht, aber es stimmt natürlich, wenn du sagst, dass er durch eine Zuspitzung auf einen der zwei Motoren dieser Geschichte noch gewinnen würde. Er würde vielleicht ein bisschen holzschnittartiger werden, aber am Ende würde er davon wahrscheinlich profitieren. Er ist halt nicht so angelegt worden. Keine Ahnung, ob ich das hinkriege. Aber sollte ich den Text noch mal groß überarbeiten, probiere ich das aus. Konkreteres kann ich gerade nicht versprechen.

Ich würde eventuell auch versuchen, die Sprache zu entschlacken. In dem Island-Text passt das besser, finde ich, da ist der näher an dem Milieu und auch an einer gewissen Selbstsicht
da müsste, wie ich finde, mehr Verunsicherung sein

Ja, da hast du recht. Ich würde jetzt mal einwenden, dass der Erzähler hier halt auch mehr Distanz zum Ich des Textes hat als im Islandtext. Der Islandtext ist unmittelbarer, hier liegt diese fast schon antiquierte Erzählschicht drüber. So eine vage Inspiration ist da Roald Dahl – habe ich neulich mal wieder reingelesen und mich auch erinnert, wie ich das sehr jung verschlungen habe ("Küsschen Küsschen"). Wirklich krasse Geschichten (zumindest in meiner Erinnerung; keine Ahnung wie das gealtert ist). Vielleicht ist der Erzähler deshalb so süffisant, ironisch, weil er das eben ein Stück weit aus dem Lehnstuhl erzählt.

Aber so ganz stimmig scheint das alles nicht zu sein. Habe ich auf einer Busfahrt geschrieben (nach Berlin, wohin sonst) und dann noch mal redigiert.

Danke, dass du noch mal was dazu geschrieben hast!
Viele Grüße
Carlito

 

Moin Carlo!

Die Story hat was. Ich mag das Weirde, das Zeitgeistige, auch das Zwischenmenschliche. Ich vermisse den Satz über den Rauch, von dem er denkt, er könne vielleicht die Luft reinigen. Das war mein Höhepunkt. Gerade, weil er so weird ist, passt er gut. Er ist praktisch Versinnbildlichung und Verinnerlichung deines Prots, dass die Welt auf dem Kopf steht. Er verliert für einen Gedanken ein wenig den Boden unter den Füßen. Ich kenne solche Gedanken, ich denke mir manchmal, die gehen so eine Armlänge ins Psychotische, ins Delir. Aber sie haben irgendwo, meiner Meinung nach, wie Psychotisches an sich, eine Wahrheit über die Welt des Psychotikers. Also, der Satz ist psychotisch, aber er ergibt Sinn, für mich zumindest.

Mir kommt der Text sehr raw vor, aus einem Wurf. Das mag ich an ihm, das gibt ihm eine gewisse Power. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass du noch nicht stark genug poliert hast, dass du noch nicht auf die Essenz des Textes gekommen bist. Für mich stecken auch noch zu viele Füllworte drin, zu viel Abwegiges. (In meinen Kürzungsvorschlägen siehst du, was ich rausschmeißen würde)

Zwei innertextliche Paradoxien haben mich ein wenig gestört.
Erstens: Er kommt zu seinen Eltern rein, aber erst später merkt er, wie viele Fliegen in der Wohnung sind. Das müsste er schon beim Reingehen merken.
Und: Erst ist der Garten grün und gut bewässert, dann innerhalb von Stunden vertrocknet. Das hat etwas Traumartiges und wirkt wie eine Metapher, aber wenn du die Naturgesetze im Kosmos Geschichte beliebig sprengst, kannst du schnell deine Leser verlieren. Denn es ist nicht mehr möglich mitzudenken, vorauszudenken und abzuschätzen, wenn einfach alles passieren kann, verstehst du, wie ich's meine? Würde dafür plädieren, die grundlegenden Naturgesetze der Welt, was Zeit, Raum, Natur etc. angeht, einzuhalten. (Oder meintest du, dass er den vertrockneten Rasen erst sehen kann, als er darauf steht?)

Du weißt, ich bin Minimalist, streckenweise zumindest, und auch, weil ich einfach Lust hatte, habe ich den Text mal in Gänze so runtergekürzt, wie ich ihn runterkürzen würde. Nimm dir, was dir guttut. Habe das aus Spaß für mich selbst irgendwo runtergekürzt, ich erwarte nicht, dass du etwas annimmst.

Vom Brand hatte ich in den Nachrichten gelesen. Natürlich hat es etwas Schockierendes, wenn sich ein Unglück vor der eigenen Haustür zuträgt. Plötzlich hat man das Gefühl, im Mittelpunkt eines größeren Zusammenhanges zu stehen. Genau genommen war es nicht meine Haustür, sondern die Haustür meiner Eltern, meines alten Zuhauses – immerhin stand mein Name an der Klingel. Als ich am Berliner Südkreuz aus dem Zug stieg, um die letzten Stationen mit der S-Bahn zu fahren, bemerkte ich die Gewitterfliegen, die zwischen den Haaren auf meinen Armen und Beinen krochen. Doch das Gewitter, das den Brand hätte löschen können, ließ seit Wochen auf sich warten.
Vorschlag:
Natürlich hat es etwas Schockierendes, wenn sich ein Unglück vor der eigenen Haustür zuträgt. Plötzlich hat man das Gefühl, im Mittelpunkt eines größeren Zusammenhanges zu stehen. Vom Brand hatte ich in den Nachrichten gelesen. Als ich am Berliner Südkreuz aus dem Zug stieg, bemerkte ich die Gewitterfliegen, die zwischen den Haaren auf meinen Armen und Beinen krochen. Das Gewitter, das den Brand hätte löschen können, ließ seit Wochen auf sich warten.

Als ich die Haustür aufschloss, war zunächst alles wie früher. Meine Mutter machte mir eine Apfelsaftschorle mit zu viel Sprudel. Mein Vater faltete seine Zeitung zusammen und dann noch einmal und noch einmal und noch einmal und legte sie auf den lackierten Küchentisch und gab mir einen Kuss.
„Der Grunewald brennt“, sagte ich, als wäre das eine geeignete Gesprächseröffnung.
Meine Eltern bestätigten mir diese Tatsache.
„Furchtbar“, stellte ich fest.
Sie wiederholten das Wort wie Schauspieler in einer Komödie.
„Ich wollte bei euch sein, wenn es passiert“, sagte ich.
„Es ist in der Zeitung“, erwiderte mein Vater. „Plötzlich steht man im Mittelpunkt dieser Sache.“
„Der Klimakrise“, korrigierte ich, als hätte mein Vater das auszusprechen nicht über die Lippen gebracht, was ausgemachter Unsinn war.
„Willst du es sehen?“, fragte meine Mutter.
„Ich dachte“, sagte ich. „Aber jetzt, wo ich hier bin … weiß nicht.“
Mein Vater deutete auf seinen Unterarm, sah mich an und runzelte die Stirn.
„Ach, die stören mich nicht“, sagte ich. „Nur ein paar Gewitterfliegen.“
Vorschlag:
Als ich die Haustür aufschloss, war zunächst alles wie früher. Meine Mutter machte mir eine Apfelsaftschorle mit zu viel Sprudel. Mein Vater faltete seine Zeitung zusammen, legte sie auf den lackierten Küchentisch und gab mir einen Kuss.
„Der Grunewald brennt“, sagte ich.
„Furchtbar“, bestätigten mir meine Eltern.
„Ich wollte bei euch sein, wenn es passiert“, sagte ich.
„Es ist in der Zeitung“, erwiderte mein Vater.
„Willst du es sehen?“, fragte meine Mutter.

Als meine Eltern außer Haus waren, ich allein in unserer großen Küche saß, tat ich nichts, außer in den gut bewässerten Garten zu starren, den meine Mutter mit grünem Daumen pflegte. Alles wie immer: Die Wicken, der Oleander, die Rosen, der Apfelbaum, die Linde, die Kastanie, der Rhododendron, die Hortensien. Ich bemerkte nicht, wie sich etwas Kleines, Flinkes meiner Hand näherte. Erst als es auf ihr krabbelte, entdeckte ich das Insekt: Eine Kakerlake von der Größe einer Schreckschusspatrone. Kurzentschlossen schlug ich mit der flachen Hand drauf und tatsächlich zerplatzte der kleine Körper augenblicklich und mit einem Geräusch, das ungefähr so klingt: Krrk. Verwundert stellte ich fest, dass es sich um eine mir unbekannte, wenig widerständige Art handeln musste. Was mich am meisten ekelte, war nicht der Umstand, dass ihre Innereien an meiner Hand klebten, sondern, dass diese Szene sich hier im Haus meiner Eltern zutrug. Das war nicht wie früher. Kakerlaken hatte es hier nie gegeben, das wusste ich. Um den Schrecken zu verarbeiten, toastete ich mir ein Brot, wobei ich auf kleinste Bewegungen achtete. Doch das Brot blieb Brot: braun, ruhig, beständig. Und selbstverständlich wusch ich mir vor der Zubereitung gründlich die Hände.
Vorschlag:
Als meine Eltern außer Haus waren, starrte ich in den Garten. Ich bemerkte nicht, wie sich etwas Kleines, Flinkes meiner Hand näherte. Erst, als es auf ihr krabbelte, entdeckte ich das Insekt: Eine Kakerlake von der Größe einer Schreckschusspatrone. Ich schlug ich mit der flachen Hand drauf und der kleine Körper zerplatzte. Verwundert stellte ich fest, dass sich diese Szene im Haus meiner Eltern zutrug. Kakerlaken hatte es hier nie gegeben.

Wenig später konfrontierte ich meine Eltern mit dem Vorfall.
„Die kommen aus dem Garten“, sagte meine Mutter.
„Aber die gab’s doch früher nicht.“
„Ja, früher“, meinte mein Vater. „Aber die Kakerlaken sind nicht das größte Problem.“
Vorschlag:
Später konfrontierte ich meine Eltern.
„Die kommen aus dem Garten“, sagte meine Mutter.
„Aber die gab’s doch früher nicht.“
„Die Kakerlaken sind nicht das größte Problem", meinte mein Vater.

In den folgenden Stunden beobachtete ich, wie meine Eltern mit je einer Fliegenklatsche goldglänzende Fliegen erschlugen. Dass die Fliegen so zahlreich waren, musste ich übersehen haben. Ihre schmierigen Überreste wischten sie mit Taschentüchern von den Fensterscheiben. Wie Tennisspieler hielten sie sich jederzeit zum Schlag bereit. Klar schloss ich mich ihrer Sache an. Wo ich konnte, erschlug ich Fliegen – manchmal mehrere auf einen Streich – gelegentlich kam mir auch eine Kakerlake unter die Finger. Die Sache mit den Gewitterfliegen hatte sich ebenso wenig gegeben. Zunehmend ekelte ich mich auch vor ihnen. Wo ich sie bemerkte, zerquetschte ich sie auf der Haut oder streifte sie mir ganz einfach von Armen und Beinen.
Vorschlag:
In den folgenden Stunden erschlugen meine Eltern goldglänzende Fliegen mit Fliegenklatschen. Ihre schmierigen Überreste wischten sie mit Taschentüchern von den Fensterscheiben. Zunehmend ekelte ich mich vor ihnen. Wo ich Gewitterfliegen bemerkte, zerquetschte ich sie auf der Haut oder streifte sie mir von Armen und Beinen.

Wie meine Eltern das Problem mit den Kakerlaken und Fliegen tolerieren konnten, war mir ein Rätsel, wahrscheinlich hatten sie sich bloß an diesen Zustand gewöhnt. Ihre Maßstäbe hatten sich verändert und das scheinbar auch über das Insektenproblem hinaus. Anderen mag es wie eine Kleinigkeit erscheinen, sie mögen sich fragen: was will er mit diesem Fleckchen Grün? Doch eben das war der springende Punkt. Der Rasen in unserem Vorgarten war – und das sah ich erst, als ich selbst darauf stand – völlig vertrocknet, braun und überhaupt unansehnlich. Ich rieb mir die Gewitterfliegen von den Armen, ohne mich zu vergewissern, ob überhaupt welche da waren. Als erwartete ich das Gewitter. Als läge da nicht umsonst eine Spannung in der Luft, die dazu führte, dass der ganze schwitzende Körper juckte und nach Erlösung schrie.
Vorschlag:
Wahrscheinlich hatten sich meine Eltern an diesen Zustand gewöhnt. Ihre Maßstäbe hatten sich verändert. Der Rasen in unserem Vorgarten war völlig vertrocknet, braun und unansehnlich. Ich rieb mir die Gewitterfliegen von den Armen. Als erwartete ich das Gewitter. Als läge da nicht umsonst eine Spannung in der Luft, die dazu führte, dass der Körper juckte und nach Erlösung schrie.

„Willst du nicht zum Abendessen kommen?“, fragte meine Mutter. Ich hatte mich in mein altes Zimmer zurückgezogen in der Hoffnung, Abstand von den unliebsamen Neuerungen zu gewinnen, die mich ereilt hatten. Noch war es zu früh, abzureisen.
„Vielleicht später“, sagte ich nur. Die Schritte entfernten sich von der Tür.
Bereits schaute ich nach einer Zugverbindung, die mich noch heute in mein neues Zuhause bringen konnte. Das war in Halle und hundertachtzig Kilometer entfernt und sicher gab es auch dort Kakerlaken, Fliegenplagen und Dürre. Halle aber war nicht meine Heimat und vielleicht schmerzte der Gedanke deshalb weniger. Doch wegen einer Zugstörung fiel die letzte Verbindung aus und außerdem kam ich mir einigermaßen lächerlich vor, so buchstäblich vor der Realität fliehen zu wollen.
Vorschlag:
„Willst du nicht zum Abendessen kommen?“, fragte meine Mutter.
„Vielleicht später“, sagte ich nur. Die Schritte entfernten sich von der Tür.
Ich schaute nach einer Zugverbindung. Doch wegen einer Zugstörung fiel die letzte Verbindung aus. Außerdem kam ich mir lächerlich vor, vor der Realität fliehen zu wollen.

Als ich endlich zur Ruhe gekommen war, bemerkte ich, dass zwei Fliegen im Zimmer kreisten. Wie konnte das sein? Die Tür war doch verschlossen. Wie waren sie also ins Zimmer gelangt? Oder hatten sie gar nicht erst hineinfinden müssen, waren hier womöglich erst geschlüpft oder auf andere Weise zum Leben erwacht? Ich hätte sie jagen, mit einer Zeitung meines Vaters erschlagen oder in einem Glas nach draußen geleiten können. Doch die Initiative fehlte. Unentschlossen beobachtete ich ihr Kreisen. Ein kaum vernehmbares sssss, das so in der Luft hing. Ich ließ sie fliegen.


In der Nacht wurde ich geweckt, ich spürte, wie sich etwas auf mir bewegte. Als ich das Licht einschaltete und die Decke lüftete, sah ich, wie sich darunter einige der fremdartigen Kakerlaken tummelten, wie sie auf meinen Pyjama krabbelten und über meinen Körper. Ich hätte schreien müssen, sie zumindest abschütteln oder zerquetschen, doch ich ließ sie gewähren. Sogar auf die Hand nahm ich eine von ihnen und besah sie mir genau. Bald verstand ich, dass sie es auf die Gewitterfliegen auf meinen Armen und Beinen abgesehen hatten. Ob sie sie fraßen, fiel mir schwer zu beurteilen. Jedenfalls gesellten sie sich zu ihnen. Auf einmal fühlte ich mich selbst wie eine Gewitterfliege, die in einem wohlwollenden, ja geradezu symbiotischen Verhältnis zu jenen Kakerlaken stand. Mit diesem versöhnlichen Gedanken endlich fiel ich in tiefen, erholsamen Schlaf.

Vorschlag:
Ersten Absatz streichen

In der Nacht wachte ich auf. Ich spürte, wie sich etwas auf mir bewegte. Als ich das Licht einschaltete, sah ich, wie einige Kakerlaken auf meinem Pyjama krabbelten. Ich hätte schreien müssen, doch ich ließ sie gewähren. Sogar auf die Hand nahm ich eine und besah sie. Bald verstand ich, dass sie es auf die Gewitterfliegen auf meinen Armen und Beinen abgesehen hatten. Auf einmal fühlte ich mich selbst wie eine Gewitterfliege. Mit diesem Gedanken fiel ich in tiefen Schlaf.

Am nächsten Morgen fuhr ich noch vor dem Frühstück mit dem Auto meiner Eltern, einem ausgedienten VW Phaeton, in Richtung Grunewald. Nahe der Avus stellte ich den Wagen ab und gelangte über Betriebsgelände, Parkplätze und Absperrband in den Wald. Der Geruch ähnelte dem von Lagerfeuer und unweigerlich musste ich an Stockbrot und einen mit Federschmuck und Ledertracht verkleideten Mann aus einem beliebigen Freizeitpark denken. In der Ferne sah ich Rauchschwaden aufsteigen. Hier blieb ich stehen und schaute dem Spektakel zu. Dabei verspürte ich eine Mischung aus Trauer, Neugier und dem unbestimmten Gefühl, im Mittelpunkt eines größeren Zusammenhanges zu stehen. Etwas krabbelte an meinen Armen und Beinen. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass sie schwarz waren vor Gewitterfliegen. Was, wenn sie bloß immer mehr werden würden, das Gewitter aber nur ein leeres Versprechen war? In ebendiesem Moment brach der Himmel auf, es donnerte, blitzte, und in der Ferne brannte der Grunewald. Doch der Regen, der das Feuer hätte löschen können, blieb aus.
Vorschlag:
Am nächsten Morgen fuhr ich vor dem Frühstück mit dem Auto meiner Eltern, einem ausgedienten VW Phaeton, in Richtung Grunewald. Nahe der Avus stellte ich den Wagen ab und gelangte über Betriebsgelände, Parkplätze und Absperrband in den Wald. Der Geruch ähnelte dem von Lagerfeuer. Unweigerlich musste ich an Stockbrot und einen mit Federschmuck verkleideten Mann aus einem Freizeitpark denken. In der Ferne sah ich Rauchschwaden aufsteigen. Etwas krabbelte an meinen Beinen. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass sie schwarz vor Gewitterfliegen waren. In diesem Augenblick kam mir ein eigenartiger Gedanke: Könnte es sein – auf eine paradoxe Weise, jenseits menschlicher oder wissenschaftlicher Perspektive, also rein hypothetisch – könnte es da sein, dass Qualm die Luft reinigt? Was, wenn das Gewitter aber nur ein leeres Versprechen war? In ebendiesem Moment brach der Himmel auf, es donnerte und blitzte. In der Ferne brannte der Grunewald. Doch der Regen, der das Feuer hätte löschen können, blieb aus.


Sehr gerne gelesen!

Beste Grüße
zigga

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Carlo,

Aber so ganz bin ich mir auch nicht sicher, ob du dem Text ne faire Chance gegeben oder ihn in (zugegeben anständiger) Kritikerinnenmaniere einfach bis auf den letzten Muskelstrang seziert hast.
2. Naja, ich hab geschrieben, was mir auffiel und warum.
1. Selbstverständlich, wie meinst du das? Ich spiele den Ball aber mal zurück: Hast du ihm eine faire Chance gegeben? Sorgfältig konstruiert, ausgearbeitet und nachediert? Den Eindruck habe ich nicht.

Das ist keine rein in Handlung aufgelöste Szene. Das sind erzählte Szenen. Und das ist meine Erzählposition. Why not?
Nicht nur Why not?, sondern eigentlich genau die Erzählhaltung / Form, die ich am liebsten bzw. fast ausschließlich lese. Aber das an sich hab ich nicht kritisiert.
weil ein Teil des Berliner Grunewalds brennt (August 2022) – lebensgefährlich war das für den Großteil der Berliner nicht. Aber ein Fanal vor der eigenen Haustür irgendwo schon.
Ja, faktisch mag das so gewesen sein. Ich bleibe aber dabei: deine Verwendung und Positionierung von 'vor der Haustür' ist missverständlich, führt nicht sinnvoll (= im Sinne, wie du den Text gelesen haben möchtest) in die Geschichte ein, macht Verortung schwierig und ist imA auch motivisch überfrachtet.

Obwohl ich weiß, dass sich Bezüge zwischen Sätzen weit auslegen lassen und man auch einfach hie und da Transfer von Lesern erwarten kann und das nicht immer zu Lasten des Textes geht, sondern manchmal auch zugunsten einer erratisch Stimmung, die – lässt man sich darauf ein – auch sehr geil sein kann.
Absolut! Aber was trägt hier der potenziell falsche (oder zumindest missverständliche) Bezug Intelligentes, Vielschichtiges, Kniffeliges zur Geschichte bei? Einfach Bezüge verziehen, damit es schräg klingt, hat ja keinerlei Nutzen. Wenn man mit Formen spielt und Verwirrung stiften will, sollte die doch etwas Sinnvolles zur Geschichte beitragen - nicht einfach Stolperstein sein, weil es falsch klingt / klingen kann, oder?

Lieber Carlo, eigentlich kritisiere ich ja so ziemlich das Gleiche wie andere hier. Nur eben, dass denen der Text grundsätzlich mehr gefällt als mir. Daher verstehe ich nicht ganz, wieso du grad mich fragst, ob ich dem Text eine Chance gegeben hab. Es ist nicht so, dass ich jeden Text lieben oder mögen muss, nur, weil ich ihm eine Chance gebe (was ich bei jedem Text hier im Forum tue). Du sagst selbst, du hättest ihn auf einer Zugfahrt runtergeschrieben (ich nehme nicht an, von Paris nach Berlin ;)), und verstehe nicht richtig, warum du dich wunderst, dass man das auch liest. Deinen Antworten nach zu urteilen hast du sehr viele Bilder, Assoziationen und Ideen im Kopf, die es aber nicht oder nicht adäquat aufs Papier geschafft haben. Mir scheint, dass du - momentan (!) - noch nicht gut überblickst, was genau es ist, das da quasi noch im Zwischenraum hängt. Weißt du, was ich meine?

hast du dich eigentlich nach der isländischen Hexe Katla benannt?
:D
(die für ihre magischen Unterhosen bekannt ist ...).
Weil: She was a large, bad-tempered woman? :lol: Hey, ich nenne mich doch nicht nach einer Mönchsfantasie. Und wie sollten nordische / karelische Frauen hexen, wenn sie Unterwäsche tragen? ;) Da hatte der was missverstanden. Oder zensiert. Nee, mein Nick ist ein kleiner Scherz: Weil ich online oft für einen Mann gehalten werde, hab den weiblichen Namen eines finn-schwedischen Musikers genommen. Vllt. auch groß und schlecht gelaunt *gn*. Finntroll (schwed. für 'finnische Hexe', um den Kreis zu schließen) sind selbstironisch, machen voll Laune und haben sich in all den Jahren keinem großen Label angeschlossen, um kreative Kontrolle zu behalten. Ich weiß, so arg genau ... :p

Ich wünsche dir einen schönen Sonntag, ganz herzliche Grüße aus der helsinkier Waschküche,
Katla

 

Hallo Carlo Zwei,


Natürlich hat es etwas Schockierendes, wenn sich ein Unglück vor der eigenen Haustür zuträgt. Plötzlich hat man das Gefühl, im Mittelpunkt eines größeren Zusammenhanges zu stehen.
Ein überlegenswerter Gedanke! Es kommt wohl auf die Art des Unglücks an, ob man das so empfindet.
bemerkte ich die Gewitterfliegen, die zwischen den Haaren auf meinen Armen und Beinen krochen. Doch das Gewitter, das den Brand hätte löschen können, ließ seit Wochen auf sich warten.
Eine gelungene Verknüpfung zweier Szenarien.
Mein Vater faltete seine Zeitung zusammen und dann noch einmal und noch einmal und noch einmal und legte sie auf den lackierten Küchentisch
Da sage jemand noch, dass Wiederholungen immer schlechter Stil sind. Sie können auch Stilmittel sein.:teach:
„Der Klimakrise“, korrigierte ich, als hätte mein Vater das auszusprechen nicht über die Lippen gebracht, was ausgemachter Unsinn war.
Da bin ich über eine kleine Doppeldeutigkeit gestolpert: Ist die Klimakrise ausgemachter Unsinn oder ist es Unsinn das nicht aussprechen zu können? (Vielleicht ein rein persönlicher Lese-Irrweg).

Größe einer Schreckschusspatrone.
Wäre ein allgemeiner bekannter Vergleich nicht angebrachter?
Doch das Brot blieb Brot: braun, ruhig, beständig. Und selbstverständlich wusch ich mir vor der Zubereitung gründlich die Hände.
Hier wird schon das drohende Unheil in Gedanken gefasst: Die Beobachtung zeigt die Besorgnis, dass es hier auch ganz andere Möglichkeiten gibt. Ansprechend!
Ihre Maßstäbe hatten sich verändert
Das nennt man wohl Anpassung oder Resignation, was bleibt ihnen auch sonst.
Auf einmal fühlte ich mich selbst wie eine Gewitterfliege, die in einem wohlwollenden, ja geradezu symbiotischen Verhältnis zu jenen Kakerlaken stand.
Ich könnte verstehen, wenn sich der Protagonist (warum auch immer) in einem symbiotischen Verhältnis sieht - aber nicht, warum als Gewitterfliege (abgesehen davon, woher er weiß, wie sich so eine Fliege fühlt).

Ein angenehm ruhig und unaufgeregt geschriebener Text. Diese Ruhe kontrastiert schön das langsam anwachsende Unheil. Diesen Anpassungsmechanismus der Protagonisten könnte man noch ein wenig mehr hervorheben, schließlich geht es um ein zeitübergreifendes, existentielles Verhalten der Menschen.

Fands ansprechend,

Grüße,

Woltochinon

 

Hey @zigga

unredlich, unredlich so lange mit einer Antwort zu warten. Hat Textarbeit ein Verfallsdatum? Wahrscheinlich nicht. Trotzdem braucht es einige Zeit und Muße, um sich wieder einzudenken – das ist eigentlich nicht nötig, wenn man nur eben etwas schneller Antwort und nicht gefühlt ein halbes Jahr später; in diesem Sinne ... hatte dir ja schon geschrieben: schulisch absorbiert und dabei mehr 'Textarbeit' (Klassenarbeiten etc.) als mir lieb war ... Aber das möchte ich ändern. Tut mir leid, dich/euch (Katla auch) so lange warten gelassen zu haben.

Ich vermisse den Satz über den Rauch, von dem er denkt, er könne vielleicht die Luft reinigen
Für mich stecken auch noch zu viele Füllworte drin, zu viel Abwegiges

Ja, verstehe ich. Ich habe manchmal einfach krass Lust auf diese weirden Wendungen. Nur stehe ich scheinbar nicht völlig dahinter. Sonst würde ich mich vielleicht nicht immer wieder zu minimalistischen Alternativen hinreißen lassen. Das Weirde macht ja immer eine ganze Menge auf. Viele kommen damit auch als Lesende gar nicht klar. Ist sehr schwierig, das auszuloten. Das mit den Füllwörtern sehe ich in einer ähnlichen Ecke. Da funktioniert es nur in dem Fall noch weniger.

Das mag ich an ihm, das gibt ihm eine gewisse Power. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass du noch nicht stark genug poliert hast

Ja, das ist wahrscheinlich so. Bzw. ist es wohl einfach nicht der Text, in dem der gesamte Hinschmalz steckt. Es ist ein trauriges Eingeständnis, dass sich mit Kunst, wenns wirklich großartig werden soll, (bei mir zumindest) keine halben Sachen machen lassen.

Er kommt zu seinen Eltern rein, aber erst später merkt er, wie viele Fliegen in der Wohnung sind. Das müsste er schon beim Reingehen merken.

Ja das stimmt. Lässt sich nicht schön reden :D

Erst ist der Garten grün und gut bewässert, dann innerhalb von Stunden vertrocknet. Das hat etwas Traumartiges und wirkt wie eine Metapher, aber wenn du die Naturgesetze im Kosmos Geschichte beliebig sprengst, kannst du schnell deine Leser verlieren
Oder meintest du, dass er den vertrockneten Rasen erst sehen kann, als er darauf steht?

Ja, Letzteres. Es sollte dadurch natürlich trotzdem so ein Befremden entstehen. Wie wenn man ein frisches Stück Obst auf dem Tisch liegen sieht und erst auf den zweiten Blick bemerkt, dass darunter schon Maden krabbeln.

Natürlich hat es etwas Schockierendes, wenn sich ein Unglück vor der eigenen Haustür zuträgt. Plötzlich hat man das Gefühl, im Mittelpunkt eines größeren Zusammenhanges zu stehen. Vom Brand hatte ich in den Nachrichten gelesen. Als ich am Berliner Südkreuz aus dem Zug stieg, bemerkte ich die Gewitterfliegen, die zwischen den Haaren auf meinen Armen und Beinen krochen. Das Gewitter, das den Brand hätte löschen können, ließ seit Wochen auf sich warten.
Als ich die Haustür aufschloss, war zunächst alles wie früher. Meine Mutter machte mir eine Apfelsaftschorle mit zu viel Sprudel. Mein Vater faltete seine Zeitung zusammen, legte sie auf den lackierten Küchentisch und gab mir einen Kuss.
„Der Grunewald brennt“, sagte ich.
„Furchtbar“, bestätigten mir meine Eltern.
„Ich wollte bei euch sein, wenn es passiert“, sagte ich.
„Es ist in der Zeitung“, erwiderte mein Vater.
„Willst du es sehen?“, fragte meine Mutter.
Als meine Eltern außer Haus waren, starrte ich in den Garten. Ich bemerkte nicht, wie sich etwas Kleines, Flinkes meiner Hand näherte. Erst, als es auf ihr krabbelte, entdeckte ich das Insekt: Eine Kakerlake von der Größe einer Schreckschusspatrone. Ich schlug ich mit der flachen Hand drauf und der kleine Körper zerplatzte. Verwundert stellte ich fest, dass sich diese Szene im Haus meiner Eltern zutrug. Kakerlaken hatte es hier nie gegeben.

Danke für die Komplett-Überarbeitung. Was für ein Geschenk :-) und für mich auch eine super wertvolle Erfahrung den Text so umgeschrieben zu sehen. Ich habe mir zwischenzeitlich deine Version des Textes abgespeichert. Geht natürlich auch einiges Kolorit verloren; aber clean ist es, mehr on point. Bin noch etwas unschlüssig, wie ich es handhaben soll; was ich mir da von dir klaue und wo ich bei der alten Form bleibe. Aber es ist beeindruckend, wie gut du das eingedampft hast!

Lieber Zigga, noch ein spätes Danke für diesen Mega-Kommentar. Und an der Stelle auch eine zweite Entschuldigung für die späte Antwort.
Beste Grüße und einen guten Rutsch dir!
Carlito


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Liebe @Katla ,

tut mir leid, dass ich dich während unseres Austauschs, dann erst mal so wortlos stehen gelassen habe. Hatte dir ja schon ein wenig geschrieben. Lag, wie gesagt, gar nicht am Austausch, sondern einfach wirklich an dieser Unverträglichkeit des Arbeitslebens mit dem Privatvergnügen. Das muss und soll sich ändern. Mein Neujahrsvorsatz; mark my words! :D

Selbstverständlich, wie meinst du das? Ich spiele den Ball aber mal zurück: Hast du ihm eine faire Chance gegeben? Sorgfältig konstruiert, ausgearbeitet und nachediert? Den Eindruck habe ich nicht.
Du sagst selbst, du hättest ihn auf einer Zugfahrt runtergeschrieben (ich nehme nicht an, von Paris nach Berlin
;)
)

Wahrscheinlich nicht. Habe schon zu Zigga geschrieben. Es ist ein Jammer, dass gute Kunst, so aufwendig herzustellen ist. Warum kann man nicht einfach etwas genialischer sein und das einfach aus dem Ärmel schütteln. Wäre doch viel schöner für alle Beteiligten :lol:
Ich denke, das ist kein schlechter Text; aber wahrscheinlich ist er einfach nicht fein genug. Und es ist selbstverständlich gut, hohe Erwartungen an unser Handwerk zu haben.

Ja, faktisch mag das so gewesen sein. Ich bleibe aber dabei: deine Verwendung und Positionierung von 'vor der Haustür' ist missverständlich, führt nicht sinnvoll (= im Sinne, wie du den Text gelesen haben möchtest) in die Geschichte ein, macht Verortung schwierig und ist imA auch motivisch überfrachtet.

Ja, da ist überall was dran. In Ermangelung einer schöneren Lösung halte ich noch da dran fest. Aber wenn ich etwas habe, wird es ausgetauscht – und jetzt habe ich es auf jeden Fall noch einmal mehr auf dem Schirm.

ganz herzliche Grüße aus der helsinkier Waschküche

Beste Grüße aus der Hauptstadt der Republik, wo immer du mittlerweile auch bist :-)

Carlo

 

Hallo @Woltochinon ,

vielen Dank für deinen Kommentar :-) gar nicht sicher, ob wir schon mal das Vergnügen hatten(?). Freut mich, dass du was mit dem Text anfangen konntest.

„Der Klimakrise“, korrigierte ich, als hätte mein Vater das auszusprechen nicht über die Lippen gebracht, was ausgemachter Unsinn war.
Da bin ich über eine kleine Doppeldeutigkeit gestolpert: Ist die Klimakrise ausgemachter Unsinn oder ist es Unsinn das nicht aussprechen zu können? (Vielleicht ein rein persönlicher Lese-Irrweg).

Du hast recht. Ist mir tatsächlich nicht aufgefallen. Dabei glaube ich, dass da sogar schon jemand drauf hingewiesen hatte, ich es aber einfach nicht, gesehen habe. Habe ich geändert.

Größe einer Schreckschusspatrone.
Wäre ein allgemeiner bekannter Vergleich nicht angebrachter?

ich mag, dass es eben diese Assoziation des Erzählers ist. Eine Schreckschusspatrone kann ja auch so etwas wie einen Warnschuss enthalten.

Auf einmal fühlte ich mich selbst wie eine Gewitterfliege, die in einem wohlwollenden, ja geradezu symbiotischen Verhältnis zu jenen Kakerlaken stand.
Ich könnte verstehen, wenn sich der Protagonist (warum auch immer) in einem symbiotischen Verhältnis sieht - aber nicht, warum als Gewitterfliege (abgesehen davon, woher er weiß, wie sich so eine Fliege fühlt).

ja, sehe ich ein. Ist für mich an der Stelle so eine surreale Wendung. Vielleicht zu viel des Guten. Behalte ich im Auge.

iese Ruhe kontrastiert schön das langsam anwachsende Unheil. Diesen Anpassungsmechanismus der Protagonisten könnte man noch ein wenig mehr hervorheben, schließlich geht es um ein zeitübergreifendes, existentielles Verhalten der Menschen.

Danke. Und ja, die Sache mit der Anpassung, das sollte der eigentlich Kern der Story werden. Mal schauen ... Die Gewitterfliegen sind ja im Grunde die Boten des Unheils. Ich muss sehen, ob ich sie wirklich mit diesem Anpassungsmotiv in Einklang bringe und das nicht aufgesetzt wirkt.

Danke dir für deinen Kommentar!
Liebe Grüße
Carlo

 

Hiermit stimmt irgendwas nicht:

als hätte mein Vater das auszusprechen nicht über die Lippen gebracht.

Sowas hier ...

Ich bemerkte nicht, wie sich etwas Kleines, Flinkes

Ist das formal richtig? Ich mag sowas nicht. Bei mir wär das ein doppeltes etwas, vielleicht sogar etwas Kleines und Flinkes oder ein kleines Flinkes.

Ich hätte schreien müssen, sie zumindest abschütteln oder zerquetschen, doch ich ließ sie gewähren. Sogar auf die Hand nahm ich eine von ihnen und besah sie mir genau.

Find ich gut.

im Mittelpunkt eines größeren Zusammenhanges zu stehen

Find ich schief.

Etwas krabbelte an meinen Armen und Beinen.

Etwas krabbelte an deinem Bein? Entlang? Mein Nachbar. Seine Küche. Etwas krabbelte an seinem Küchentisch. Herum? Darunter? Darauf? Auf?!

Aus dem Augenwinkel sah ich, dass sie schwarz waren vor Gewitterfliegen.

Aus dem Augenwinkel? Dem linken? Betrachtest du dein rechtes Knie? Auch: Ein verschwommenes Bild, oder? Du erkennst die Gewitterfliegen? Weil du sie siehst, oder weil sich das aus dem (Kon-)Text ergibt?

Natürlich, plötzlich, zunächst, das machst du gerne. Trotzdem, oder vielleicht auch weil wegen, guter Text. Auch wegen sowas:

und dann noch einmal und noch einmal und noch einmal

 

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