hagia sophia
Hagia Sophia
Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit hatte Atilla Celik viel Geld für Schuhe ausgegeben, und sich Bequemlichkeit für 100 Euro geleistet. Weiße Turnschuhe von Adidas. Sein Herz blutete. Bei einem Aufenthalt in der Türkei ist es ratsam, nicht wie der letzte Punk herum zu laufen. Man sollte sich gut anpassen. Atilla gesteht, er ist bequem. Er passt sich gerne an.
Am ersten Morgen nach seiner Ankunft am Atatürk – Flughafen in Istanbul, war er voller Energie und sehr nervös. Es gab Tee, ein paar Oliven, Pastirma - den türkischen Schinken - und etwas Weißbrot. Genug eigentlich, um vor Ehrfurcht vor dem Geschmack in die Knie zu gehen. An seinem ersten Tag wollte Atilla ziellos abhängen. Er hatte Sezen Aksu auf den Ohren und eine innere Zufriedenheit, die er in Deutschland nie erreicht, als die Sonne bereits sehr früh zu bomben begann und den Platz vor der Hagia Sofia zum flimmern brachte.
Atilla malte sich soeben aus wie es wäre, wenn er eines der Minarette besteigen und ein Song von Elvis zum besten geben würde, als unversehens drei kleine, sonnengegerbte Mini–Schuhputzer vor ihm, standen. Er wußte sehr wohl, dass das eine unangenehme Erfahrung werden konnte. Atilla, hoch konzentriert, nahm die Sonnenbrille ab und setzte seine Stumpfmiene auf.
Der älteste in der Bande sprach. Der Junge mit den endlos dunklen Augen und dem Ernst eines alten Mannes sah dabei Atilla fest in die Augen.
„Sollen wir deine Schuhe putzen? Los Abi, lass mich deine Schuhe putzen.“
Atilla verspürte bei den neuen, weißen Schuhen nicht die geringste Lust und wies sie ab.
„Verschwindet.“
Die schlauen Augen des Jungen entdeckten die Camel-Schachtel in Atillas Hemdtasche.
„Schenkst du mir eine Zigarette? Ich hatte schon so lange keine mehr.“
In der Überzeugung, dass Nikotin vermutlich das Harmloseste ist, was Istanbuler Straßenkinder rauchen und weil Atilla glaubte, sie damit los zu werden, verteilte er eine Runde Kippen. Irgendwie fühlte er sich wie ein osmanischer Kolonialherr dabei und amüsierte sich plötzlich prächtig.
Von seinem Großvater hatte Atilla die Krämerseele geerbt, von seiner Großmutter die Großmannssucht.
Nun verteilte er öffentlich Zigaretten an Minderjährige.
Das verkrüppelte Mädchen, welches aussah wie die Miniaturausgabe von Ornella Muti, zündete sich die Camel mit einem Streichholz an. Ornella hustete zufrieden und rotzte auf den Boden, während sie sich eine dunkle Strähne aus dem Kindlichen Gesicht strich.
Der Wortführer klemmte sich seine Zigarette hinter ein Ohr und gab nicht nach.
„Du hast mir ein Geschenk gemacht, also will ich dir ein Gegengeschenk machen. Ich putze deine Schuhe umsonst, Abi.“
Das amüsierte Atilla, dekadent und versnobt wir er nun mal gestrickt war. Er hielt den Jungen an, seine Schuhe nur zu putzen, weder mit Farbe noch mit Ölen sollte er arbeiten.
Atilla bemerkte es viel zu spät, aber der Junge zerstörte seine weißen, neuen Adidas Schuhe. Dieser verdammte, kleine Zigeunerteufel, dachte Atilla.
Mit billiger weißer Wandfarbe eingeschmiert waren seine geliebten Samba ruiniert. Jetzt hieß es, mit Würde aus der Nummer heraus zu kommen. Atilla schluckte seinen Ärger herunter.
Die Kinder streckten ihm ihre schmutzigen Hände entgegen.
„Was denn noch, ihr Gangster?“
„Dreihunderttausend Lira.“
Ziellos daher wanderndes Augenpaar. Schweißporen öffneten sich, lauter werdende Stimme.
„Pft, dachte es wäre ein Geschenk. Dachte es wäre umsonst. Wollt ihr mich verarschen?“
„Im Leben ist nichts umsonst.“
Die Kleinen lachten. Von wegen ihr Biester, dachte Atilla.
„Verpisst euch, oder ich trete euch in den Hintern, ihr Köter.“
Wie auf Kommando setzte sich die winzige, verkrüppelte Ornela auf den Boden und begann zu weinen. Zudem raufte sie sich sehr überzeugend die Haare.
Die Situation wurde brenzlig, denn die Ausgeburt der Hölle begann zu kreischen.
„Du Betrüger willst uns unseren gerechten Lohn nicht zahlen. Gott soll dich verfluchen. Krumm sollst du wachsen, wie meine Füße. Da schau her.“
Plötzlich war Atilla umgeben von einem halben Dutzend dieser kleinen Mörder. Die Touristen wurden auf ihn aufmerksam. Erste zornige Seitenblicke erreichten ihn.
„Beruhige dich, sakin ol. Ich bezahl ja. Aber nur was auf eurem Kasten steht. Dreißigtausend.“
Jetzt begannen alle Kinder zu schreien. Ornella kreischte am lautesten.
„Du Dieb. Wie sollen wir unsere arme Mutter ernähren, wenn solche Leute wie du uns um unser Geld betrügen?“
Jetzt begannen alle zu weinen, zu zischen und sich mit den Händen auf den Kopf zu schlagen.
„Bastard“, schimpfte ein übergewichtiger, amerikanischer Tourist in Khaki Bermudashorts.
„Scheiß Yankee“, rief Atilla zurück.
„Blutegel“, raunte ihm ein Schwabe ins Ohr und tippte ihm dabei auf die Brust.
„Lern erst einmal Deutsch, und fass mich nicht an, du Dreckskerl, hast ja keine Ahnung“, gab Atilla Kontra. Eine Schwedin lispelte unmissverständlich eine Beleidigung daher. Die Rede war von Polizei.
Im Hintergrund saßen zwei elegante Istanbuler Damen auf einer Parkbank und kringelten sich, wobei sie ihre Gebisse festhielten. Sie kannten zweifellos das Spiel.
Um eine Millionen erleichtert, verließ Atilla den Platz, jedoch ohne es zu versäumen, dem kleinen Mädchen mit einem anerkennenden Blick in die Augen seinen Respekt zu bezeugen. The Oscar goes to Ornella Muti.