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Hausbesuch

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27.11.2003
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Hausbesuch

Hausbesuch

Gehe ich hin oder gehe ich nicht hin? Du fragst als gäbe eine Alternative. Du kennst die Antwort, längst kennst du sie. Sie stand fest, noch ehe du dir die Frage stellen konntest. Der Weg auf die unwiderrufliche Hausnummer zu. Ein letzter Zweifel: Gehst du hin, machst du dich schuldig, noch kannst du umkehren, wissend, daß du dich treiben läßt. Endlich stehst du vor dem Schild mit der Nummer, die sie dir gesagt hat in dieser Kneipe. Sechsundneunzig hat sie gesagt und du hast gefragt „wie, sechsundneunzig?“ und sie hatte „ja“ gesagt. Nach dem zweiten Lesen der Namensschildchen fällt dir eine Name auf: „Langnase“. Du lachst. Nach dem vierten Lesen fällt dir kein Name mehr auf und du fragst dich, warum hat sie dich angelogen. Wollte sie dich nur auf die Probe stellen, ein Spielchen spielen. Blödsinn, denkst du, sie hatte einen anderen Eindruck auf dich gemacht. Andererseits war sie noch recht jung. Sie hatte etwas Unbeugsames und zugleich Verletzliches in ihrer Offenheit. Sie hatte sich noch keinen Schutzpanzer zugelegt, wie du. Sie war einfach da, ohne zu fragen. Du empfandest solche zugänglichen Menschen immer abstoßend oder sie machten dir Angst. Dann hattest du sie einen Blick hinein werfen lassen in dein Schneckenhaus.
Als du umkehrst redest du dir ein, daß du erleichtert bist. Besser hätte es nicht sein können. Du warst zur verabredeten Zeit am verabredeten Ort und sie ist nicht da gewesen oder hat dich belogen oder dich ausgetrickst oder… du hast die Nummer falsch verstanden. Die Straße jedenfalls mußte die richtige sein, Straßennamen verwechselt man nicht, nur Zahlen. Du hättest zufrieden nach Hause gehen können und so tun als wäre nichts gewesen. Aber du fühlst dich schlecht. So muß es jemandem gehen, der ein Auto klauen will und dann feststellt, daß kein Benzin drin ist oder das Auto kaputt. Während du zurück gehst, überprüfst du alle Namensschildchen auf dieser Straßenseite mit den Neunziger Nummern. Irgendwas mußte doch stimmen an dieser Zahl. Vierundneunzig, zweiundneunzig, neunzig, nichts. Dann muß aber die sechs richtig sein. Du gehst weiter zurück, sechsundachtzig, sechsundsiebzig, sechsundsechzig. Enttäuscht fährst du nach Hause. Unterwegs versicherst du dir, daß du alle Möglichkeiten ausgeschöpft, alles versucht hast. Zu Hause angekommen fällt dir das Telefonbuch in die Hände, das Straßenverzeichnis, der Stadtplan. Du schwitzt. Es gibt keine ähnlich klingenden Straßennamen, kein Eintrag im Telefonbuch. Dann kommt dir die rettende Idee. Einhundertsechsundneunzig! Bei dem Lärm in dieser Kneipe hattest du die Hundert überhört. Auf dem Weg zur Einhundertsechsundneunzig freust du dich als würde sie schon vor die stehen. Du läufst die ganze Straße von Anfang bis Ende, um diese Nummer nur ja nicht zu übersehen und liest am letzten Haus die Zahl Einhundertzweiundfünfzig. Die Großstadt ist einfach nichts für dich, wärst du auf deinem Dorf geblieben, denkst du dir. Dann besinnst du dich. Ein letztes Mal. Dieser Aufwand ist dir bereits peinlich. Einen weiteren Mißerfolg verkraftest du nicht. Dir fällt ein, du hast die neunziger Nummern auf der gegenüberliegenden Straßenseite noch nicht überprüft. Tatsächlich. Treffer schon bei der dreiundneunzig. Plötzlich schießt dir ein Gedanke durch den Kopf, er schmerzt. Wahrscheinlich ist sie gar nicht mehr da, du bist zwei Stunden zu spät, Frauen warten nicht oder sie tun wenigstens so. Dir ist klar, sie wird die Tür nicht öffnen, jetzt nicht mehr, nicht für dich. Du setzt dich in das Café gegenüber. Dein stolzer Blick geht hinüber auf dieses Haus, in dem sie vielleicht schläft oder auf dich wartet. Ich könnte einfach aufstehen und hinüber gehen zu ihr, denkst du dir. Jetzt geht die Tür auf – ist sie es, es könnte sein: langes schwarzes Haar, groß, und dieser Gang, nicht elegant aber stolz, so wie du ihn bei Frauen mit langen Röcken und dicken Pullovern oft siehst. Sie kommt näher. Nein. Wenn sie das sein soll, dann wirst du dort niemals klingeln. Sie ist es nicht.

 

Hallo Heiner,

nachdem ich mich erst an die Perspektive in deiner Geschichte gewöhnt habe, hat mir dieser Stil recht gut gefallen.

Die Idee fand ich an und für sich auch ganz schön, aber ich fand, dass etwas mehr Hintergrundwissen der Geschichte nicht schaden könnte.
Zum Beispiel schreibst du am Anfang, dass er Zweifel hat, ob er sich überhaupt mit der Frau treffen soll. Warum hat er Zweifel? Hat er Angst vor Enttäuschung? Ist er möglicherweise verheiratet?

Sehr schön fand ich wiederum, wie du geschildert hast, wie er es einfach nicht fassen kann, dass sie ihn offensichtlich versetzt hat. Wie er immer noch hofft, dass er einen Fehler gemacht und etwas falsch verstanden hat.

Das Ende fand ich auch gut. Es lässt offen, ob er sie vielleicht doch noch trifft oder ob er sie sich aus dem Kopf schlägt. Damit regst du zum Nachdenken an.

LG
Bella

 

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