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Helft den Vögeln im Winter – Version 2
Wir haben mal in einem alten Haus den Dachboden ausgeräumt. Es war ein wirklich altes Haus mit einem eingesunkenen Dach. Es sah baufällig und heruntergekommen aus, so als ob schon längere Zeit niemand mehr darin gewohnt hätte. Der alte Eigentümer war gerade verstorben und der neue wollte das Haus nun komplett räumen und sanieren.
Die Beauftragung der Räumung ging schnell über die Bühne. Wir konnten den einen oder anderen Schein nebenher gut gebrauchen und unsere Bedenken bezüglich der Baufälligkeit wurden mit einem in Aussicht gestellten Erfolgsbonus vom Tisch gekehrt. Wir hatten ein Wochenende Zeit und traten den Job mit gemischten Gefühlen an.
Mißtrauisch die Stiegen begutachtend, setzten wir unsere ersten Schritte. Die Stiegen knarrten und ächtsten bei jedem Schritt und drohten mit Bruch. Auch, wenn es niemand zugegeben hat, hatten wir alle Angst, auf der Treppe durchzubrechen.
Der Dachboden sah im Taschenlampenlicht dann aber zum Glück besser aus, als die Treppe. Irgendwie vertrauenerweckender. Unsere Befürchtung vor dem Job war, daß wir nur auf den Deckenbalken würden gehen können. Die Abstände zwischen den Balken alter Häuser sind ziemlich groß und tragen nicht das Gewicht eines Menschen und von uns war niemand eine Ballerina mit perfektem Gleichgewichtssinn. Unter Last auf einem zwanzig Zentimeter breiten Balken balancieren ohne Fehltritt... Wir hatten alle ein ungutes Gefühl, aber der Erfolgsbonus lockte. Unser ungutes Gefühl, oder jedenfalls meins, besserte sich, als ich den Boden dann sah. Soweit ich ihn mit meiner Taschenlampe ausleuchten konnte, waren überall Bretter verlegt und es stand eine Menge Gerümpel herum.
Unsere Aufgabe war es, alles rauszuschaffen, in den Sperrmüllkontainer am Giebel. Der Kontainer stand günstig unterm Dachbodenfenster. Unser Auftraggeber wollte keinen Blick auf die Gegenstände von Dachboden werfen. Sollte uns irgendwas gefallen, dann sollten wir es mitnehmen. In zwei Tagen würden die ersten Arbeiter kommen und mit der Sanierung beginnen, also keine falsche Scham, weg mit dem Krempel. Seine letzten Worte zu dem Thema waren:“Es sind nicht meine Erinnerungen, die auf dem Dachboden stehen. Ich habe das Haus nur gekauft.“ Ich werde immer wieder gefragt, warum wir nicht als erstes alles inspiziert haben. Tja, unser Zeitrahmen war eng und beim Raustragen würde doch eh alles durch unsere Hände gehen.
Am ersten Tag schafften wir es nichteinmal, die Hälfte des Dachbodens leer zuräumen, unsere Zusammenarbeit hatte sich aber eingespielt und wir wußten, worauf wir zu achten hatten und könnten das Tempo am zweiten Tag dann also steigern.
Der zweite Tag begann auch vielversprechend, mit kühlem Wetter. Wir würden heute noch eine Menge kleine Sachen aus dem Dachbodenfenster werfen, ein paar kleinere Schränke, Stühle und Tische. Um schneller zu sein, würden wir alles möglichst zusammenstellen, die Tische umdrehen und dann mit kleinen Sachen beladen. So würde wir nur einmal gehen müssen und könnten viele kleine Wege einsparen. Wir hatten uns daher so eingeteilt, daß die einen nur alles zusammenstellen, während die anderen den Stapel wegtragen und rausschmeissen. Zwischendurch würden sich die Teams abwechseln. Es ging wieder richtig hart, unter Termindruck, zur Sache.
Nach einem Teamwechsel, als wir wieder am räumen waren, ich war gerade in der Trägergruppe glaube ich, hörte ich plötzlich jemanden lachen. Es war kein einfaches, kurzes Lachen, wie über einen halbwegs guten Witz. Es war eines von diesen Lachen, bei denen man nicht mehr aufhören kann. Bei denen man sich halbwegs beruhigt, die schmerzenden Bauchmuskeln hält und um Gottes Willen aufhören will zu lachen und dann fast schon aufgehört hat, nur noch flach und leise lacht. Dann erinnert irgendwas wieder an den Grund der Heiterkeit, ein Gesicht, eine Bewegung, eine Erinnerung, irgendwas, und man lacht wieder lauthals los, die Tränen laufen aus den Augen wie das Wasser die Niagarafälle runter, das Gesicht ist verkrampft, die Lachmuskeln schmerzen. Eins von diesen Lachen, die zehn Minuten und länger dauern und aus denen man so schwer wieder herauskommt, hörte ich.
Natürlich rannten wir gleich alle hin, neugierig wie wir waren. Der Lachende war nicht schwer zu finden. Der Dachboden war übersichtlich geworden und wir hatten alle ein ausgezeichnetes Gehör. Da lag er. Er war beim Lachen auf den Hintern gefallen und hatte sich dann lang ausgestreckt und lachte immernoch, als wir kamen. Die Tränen rannen aus seinen Augen, er versuchte sie wegzuwischen, aber es half nichts, sie wuchsen sofort wieder nach. Auf unsere Frage, die wir alle gleichzeitig stellten, was denn so witzig sei, deutete er immer wieder nur in eine Ecke auf einen hellen Gegenstand, ein Brett oder ein Schild, und wieherte weiter. Einer von uns ging hin, es war ein Schild, und las. Man sah, wie das Lachvirus seine Gesichtsmuskeln angriff und als er das Schild weiterreichte, lachte er auch schon aus vollem Hals. Jetzt wollten alle das Schild haben und versuchten gleichzeitig zu lesen. Dummerweise stand ich auf der falschen Seite und sah die Schrift nur auf Kopf. Es war gebrochene, altdeutsche Schrift. Ich versuchte natürlich auch, das Schild zu mir zu ziehen und es umzudrehen, es war aber ziemlich staubig und die anderen zerrten wie ich daran herum und hielten fest und lasen und fingen an zu lachen. Ich will es nicht so spannend machen, auf dem Schild stand: „Helft beim Vögeln im Winter“. Das Schild war auf alle Fälle alt, ein Emaileschild mit einer dicken Staubschicht und alter, gebrochener Schrift. Ob es jemals irgendwo öffentlich gehangen hat und ob die Passanten das gleiche gedacht haben wie wir? Keine Ahnung. Vielleicht war es nur ein Fehldruck, wer weiß. Jetzt liegt es wahrscheinlich wieder auf irgendeinem Dachboden oder im Keller eines Freundes.
Klar wollte jeder das Schild haben und alle stritten miteinander wie kleine Kinder. Am Ende wurde es ein feucht-fröhlicher Abend und am nächsten Tag hatte niemand ernsthafte Blessuren, also wurde irgendwie eine Einigung erzielt. Anfangs hatte ich auch mitgestritten, aber ist ein Schild Streit unter Freunden wert? Das Schild verstaubt irgendwo, eine Erinnerung hat man aber immer dabei und kann sie als Geschichte niederschreiben.
Bei einem Spaziergang vor ein paar Tagen habe ich mal wieder ein Schild gesehen „Helft den Vögeln im Winter“. Ein bekanntes Schild mit einem alt hergebrachten Ausspruch, hat sicher jeder schon mal irgendwo gesehen. Doch über mein Gesicht huschte ein Lächeln und mir fiel meine Geschichte wieder ein, die ich mal erlebt habe. Helft beim Vögeln im Winter. Was haben die Passanten gedacht, was würden sie heute denken? Ein sinnvolles Schild, ein Aufruf an die Hilfsbereitschft. Ob man die Akteure mit Decken unterstützen sollte? Das Lachen ist wieder im Anmarsch, Schluß jetzt.....