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- 06.11.2005
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Ich könnte Spinnweben abpausen...
Ich könnte Spinnweben abpausen, wenn mein Bleistift nur einen Hauch mehr Dünne besäße. Aber er bläht sich auf, wächst und wächst, schlägt mit seinem Kopf gegen die Säcke voller Kohlen. Sein Radiergummiköpfchen welkt unter meinem Speichel dahin. Die metallische Fassung, welche meinen Mundinhalt gegen die ewige Leere eingetauscht hat, kratzt an den rußigen Scheiben. Neonfische schwimmen durch die Deckenleuchten. Hunderte Din-A4-Seiten, sanft mit den Motorsägen des Turbokapitalismus’ aus den Tropenbäumen herausgeschnitzt, randvoll beschrieben mit Absätzen unsichtbarer Tinte. Die Ketten reiben, kratzen, ihr Rost frisst sich in die Handgelenke. Pochende Wasserrohre, von Ferne das Gurgeln einer Kaffeemaschine. Eine halbe Scheibe harten Graubrotes liegt noch vor mir. Dort, wo die Zähne den letzten Bissen herausgerissen haben, sammelt sich das morsche Mehl der Mühle Fäulnis.
Es gab Zeiten jenseits des Kunstlichtes. Zeiten, in denen wir auf Schreibtischen tanzten, uns gegenseitig mit Adjektiven der Euphorie beschossen und wenn der Freitagnachmittag kam, jeder von uns mit einem Bounty zwischen den Lippen nach Hause fuhr. Vor höheren Feiertagen auch mal mit einem Snickers. Ergonomisch geformte Sitzgelegenheiten. Koffeinspendende Brühvollautomaten für alle erdenklichen Genüsse des Schulhofes, den der Rektor „Kaffee“ bewacht. Wir durften sogar auf unseren Flachbildschirmen die Ergebnisse der Fußballweltmeisterschaft live mitverfolgen.
Aber was ist geblieben von den alten Zeiten? Die Neonfische verlieren ihre Schuppen, regenbogenhäuten sich vor mir, ich kann nichts mehr erkennen. Mein Thron aus Kohlen schmerzt an jeder Hämorrhoide, Feuer unterm Arsch macht zudem der Mann mit der Peitsche. Der Radiergummi zerfleddert in tausend Stücke und legt sich sanft über die Karies. Ein Blick auf die Seiten vor mir – die unsichtbaren Absätze werden weniger, lassen das Blatt leerer erscheinen, schmecken nach Ideenlosigkeit.
Wäre ich doch schon Chefredakteur!