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Ich war es

PHE

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25.08.2001
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Ich war es

"Ich war es, Herr Kommissar. Ich gestehe, ich war es!"
"Ganz recht, Heinz, du warst es."
Scholl kannte diesen Mann schon seit Jahren. Seit gut fünf Jahren, um etwas genauer zu sein. Seit seiner Versetzung in diese Stadt. Immer wenn etwas passiert war: Er war es. Jedes Verbrechen, das geschah: Er war es. Und da nutzte auch die Tatsache nichts, daß der Täter schon längst hinter Schloß und Riegel war. Man hatte einfach den Falschen und er war es eben.
Es war für ihn eine Abwechslung zu den Stunden auf der Bank. Man fühlte sich wichtig und der Kaffee schmeckte.
"Kaffee?" Scholl hielt die Kanne in der Hand.
"Sehr gerne, Herr Kommissar, wenn es nicht so viele Umstände bereitet."
Natürlich nicht. Scholl freute sich fast auf diese Gespräche mit Heinz. Ein Fall wäre kein Fall ohne dieses Intermezzo. Scholl füllte die Tasse, bedruckt mit dem Wappen der Stadt, und stellte sie neben Heinz auf die Schreibtischkante.
Die Tage waren zu heiß und die Nächte zu kalt für einen März. Es war früher Nachmittag und die Sonne stahl sich gerade in Scholls Zimmer.
"Nun erzähl doch mal, wie hast du es gemacht?"
Der Kommissar durfte Heinz duzen. Nur er, niemand sonst. Wieso Scholl dieses Privileg hatte, wußte er nicht, aber er vermutete, daß er jemandem aus Heinz Vergangenheit ähnlich sah.
Der junge Beamte, der das Gespräch mitprotokollieren sollte, ließ die Finger knacken und griff sich einen Bleistift. Scholl hielt diese Gespräche mit Heinz für eine gute Übung, für den Protokollanten und auch für sich selbst.
"Es war spät in der Nacht. Rauhreif hatte sich schon auf den Wiesen gebildet."
Heinz gab nicht einfach nur die Informationen wider, die er in der Zeitung gelesen oder sonst wo aufgeschnappt hatte, nein, er pflegte sie auszuschmücken und manches hinzuzufügen, so daß man am Ende nicht mehr wußte, was Tatsache und was Erfundenes war. Und wahrscheinlich wußte es auch Heinz nicht mehr.
Er hatte in seinem Leben schon viel erlebt. Davon zeugte auch die Narbe auf seiner Wange. Ein Dolch hatte sie durchstochen. Der Russe, wie Heinz zu sagen pflegte, der Scheiß-Russe im Scheiß-Krieg war das gewesen. Und die Erinnerungen an diesen Scheiß-Krieg versuchte er im Alkohol zu ertränken.
"Ich hatte nicht schlafen können. Manchmal wache ich mitten in der Nacht auf und kann mich an jede Einzelheit der Alpträume erinnern. Doch in dieser Nacht konnte ich erst gar nicht einschlafen. So bin ich einfach rausgegangen. Runter zum Main. Ich bin einfach gelaufen. Richtung Bürgel und weiter nach Rumpenheim."
Heinz hatte schon den größten Teil seines Haupthaares verloren und der Rest war weiß wie Schnee. Er ließ es einfach auf den Kragen fallen. Die Falten auf seinem Gesicht ließen jedes Gebirge erblassen und die geplatzten Äderchen zeugten von seinem stetigen Alkoholkonsum. Und doch war er kräftig und durchtrainiert. Sein Körper war kein bißchen gebeugt von der Last der Jahre und seine Augen waren klar und blitzten spitzbübisch, wie die eines Pennälers.
"Die Sterne funkelten am Himmel. Es war eine sternenklare Nacht, wissen Sie?"
Ja, Scholl wußte es. In dieser Nacht war auch er nicht zum Schlafen gekommen. Nachtschicht in der Einsatzzentrale und dann der Leichenfund am Morgen. Der Körper eines Mädchens war auf der Verbindungsstraße zwischen Rumpenheim und Mühlheim in der Nähe des Schlosses gefunden worden. Der Täter hatte das Mädchen geschändet und verstümmelt.
Wieso gesteht er ausgerechnet dieses Verbrechen, dachte Scholl nicht zum ersten Mal seit Heinz durch die Tür gekommen war.
"Diese Nacht war kalt und sternenklar. Ich wußte eigentlich nicht, wohin ich wollte. Aber das weiß ich ja meistens nicht. Spielen Sie eigentlich Schach, Herr Kommissar?"
"Ich kenne die Regeln", antwortete Scholl und erinnerte sich an all die verlorenen Partien. Er schaute gerne zu, wenn andere spielen.
"Das ist mehr als so manch anderer kann."
Heinz nahm einen Schluck Kaffee. Die Tasse war wieder leer. Scholl holte eine Flasche Cognac aus der untersten Schublade seines Schreibtisches und goß etwas in die Tasse bevor er sie mit Kaffee auffüllte.
"Danke, Herr Kommissar."
Heinz faßte seine Tasse nie am Griff an. Er umschloß sie mit einer Hand, manchmal auch mit beiden. So nutzte er auch noch die Wärme.
"Ich war ein bißchen bei den Stallungen. Ich liebe den Geruch der Pferde, wissen Sie. Pferde strahlen eine Kraft aus, eine unbändige Kraft. Ich war Stalljunge vor diesem Scheiß-Krieg."
Und in diesem Scheiß-Krieg kam der Scheiß-Russe. Ja, Scholl wußte.
"Ich bin dann weiter. Im 'Pferdestall' brannte noch Licht. Der Wirt kennt mich und gibt mir manchmal einen aus, so bin ich hineingegangen. Aber es war schon zu spät. Er wollte nur noch ins Bett und so wurde nichts aus dem freien Bier. Ich bin dann wieder runter zum Fluß. Die Fähre schlug sachte gegen die Mauer. Doch ich ging weiter. Ich weiß nicht, irgend etwas zog mich Richtung Schloß. Vielleicht ein Laut, vielleicht ein Aufblitzen. Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall sah ich sie zwei-, dreihundert Meter hinterm Schloß. Sie vergnügten sich im Gras. Ich wollte weiter, wollte nicht stören, doch etwas hielt mich. Der Mond war hell genug, so daß ich sehen konnte, daß sie es machten, aber etwas stimmte nicht ganz. Dem Mädchen schien es nicht zu gefallen, was der Mann mit ihr machte. Ich fragte mich sowieso, warum sie hier in der Kälte waren. Der Mann wurde heftiger, wilder, gemeiner. Das Mädchen wollte schreien, doch seine Hand war schon auf ihrem Mund. Immer heftiger bewegte sich der Mann. Und immer heftiger wehrte sich das Mädchen. Ich wollte schon hinüber rennen, ihr helfen, da sah ich das Messer. Er stach immer wieder auf sie ein. Er drang somit gewissermaßen zweifach in sie ein. Dann bewegte sie sich nicht mehr. Auch er bewegte sich nicht mehr. Er lag einfach auf ihr. Und auch ich konnte mich nicht bewegen. Mein Kopf war leer. Ich wußte nicht was ich denken, geschweige denn, was ich machen sollte. Dann stand er auf. Er machte seine Hose zu. Seine Kleidung war voller Blut, mußte sie sein. Ich sah wie er den Körper des Mädchens schulterte und sich von mir entfernte. Auch ich setzte mich in Bewegung. Ich weiß nicht warum, aber ich tat es. Er warf den Körper einfach in den Straßengraben. Der Mistkerl wollte, daß man das Mädchen schnell findet. Er ging Richtung Mühlheim. Er schaute sich nicht einmal um, ob ihn jemand beobachtet. In dem etwas abseits gelegenen Haus am Ortsrand verschwand er dann. Als ich ihn nicht mehr sah, gaben meine Beine unter mir nach. Ich saß immer noch an den Baum gelehnt als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Warum mußte ich so etwas noch mal sehen. Der Scheiß-Krieg ist doch schon längst vorbei. Dieser Mistkerl ist schlimmer als der Scheiß-Russe. Ich mußte handeln. Ich mußte etwas tun. Ich konnte zwar noch nicht klar denken, aber das machte nichts. Das mußte ich auch gar nicht. Ich ging zum Haus und klingelte. Er machte mir auf, im Pyjama. Er sagte irgendwas, fragte irgendwas. Doch ich hörte es nicht. Ich stieß ihn ins Haus, schloß die Tür. Ich schrie ihn an, fragte immer wieder nach dem Grund. Er antwortete, doch ich hörte es nicht. Ich stieß ihn immer tiefer ins Haus, bis in die Küche. Plötzlich hatte er ein Messer in der Hand. Doch da war er bei mir an den Richtigen geraten. Einen Augenblick später steckte das Messer in seinem Herzen. Dieser Tod war viel zu gut für ihn, aber, na ja ... Ich war es, Herr Kommissar, ich gestehe, ich war es."
Die Abschlußfloskel. Die gleiche Floskel, mit der er das Gespräch begonnen hatte. Die Floskel, mit der jedes dieser Gespräche begonnen und beendet wurde.
Scholl griff zum Telefon, schickte einen Wagen zum angegebenen Haus. Zehn Minuten später bestätigten die Mühlheimer Kollegen die Geschichte, zumindest deren Ende.

Heinz wurde nicht verurteilt. Er starb im nächsten Winter an zu viel Alkohol und der strengen Kälte unter der Carl-Ulrich-Brücke.

 

ich schließe mich Anna an.
wirklich super geschrieben,
nur das ende ist problematisch.
mich würde interessieren, wie lange du an dieser geschichte geschrieben hast.
Ich feile ewig lange an einer Geschichte rum und am Ende gefällt mir nicht, was ich dann habe.
Wenn es anderen auch so geht, würde mich das beruhigen.

 

Hi Jo,

Danke für die erste Kleinigkeit. Man kann eine Geschichte 100 mal durchlesen, und immer übersieht man etwas.

Zur zweiten Kleinigkeit, 'Pferdestall' heißt eine Kneipe.

Also danke noch mal...

Gruß

PHE

 

hi hallöchen!

Seit gut 5 Jahren, um etwas genauer zu sein.
5 würde ich fünf ausschreiben

Scholl füllte die Tasse, bedruckt mit dem Wappen der Stadt, und stellte sie neben Heinz auf die Schreibtischkante.
es wird übersichtlicher mit den beiden kommas

Wieso gesteht er ausgerechnet dieses Verbrechen?, dachte Scholl nicht zum ersten Mal seit Heinz durch die Tür gekommen war.
füg hier noch ein fragezeichen ein

eine schöne geschichte hast du uns hier geliefert. sehr flüssig geschrieben, gute charakterisierung, sehr spannend bis zum schluss.

fazit: tolle unterhaltung


Tama

 

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