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In der C(n)ouchzone

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10.12.2002
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In der C(n)ouchzone

„Mamaaa! Sie hat’s schon wieder getan!“

Sven kam in die Küche, er hatte Tränen in den Augen. Mit der rechten Hand rieb er sich den Hosenboden, mit der linken die schniefende Nase. Ich tröstete ihn und beschloss, dass es genug war. Das fiese Möbelstück hatte zum letzten Mal seine Federkerne ausgestreckt und meinen Sohn in den Hintern gezwickt. Es war höchste Zeit, dass das zweitälteste Familienmitglied unsere Wohnung verliess.

Viele Jahre hatte die Couch treu ergeben unser zunehmendes Gewicht ertragen, diverse Nahrungs-, Spielzeug- und Kotzangriffe mehr oder weniger abgewehrt und optisch den Raum bereichert. Doch nun war sie alt, müde und zerschlissen. Risse zogen sich durch den Bezug, der an vielen Stellen abgewetzt und fast durchscheinend war, und undefinierbare Flecken bereicherten hier und da das dunkelblaue Muster der Polster. Zudem hatte sich ihr Charakter verschlechtert. Wenn wir am Wenigsten damit rechneten und uns bequem hinfläzen wollten, griffen ihre stählernen Finger lüstern durch den Bezug nach unseren Körperteilen. Immer wieder gelang es ihr auch, wichtige Gegenstände in den Ritzen zu verstecken, die dann von uns verzweifelt gesucht wurden, während sie sich ins Polster lachte. Damit sollte jetzt Schluss sein. Zuerst rief ich beim Sozialdienst Katholischer Männer an, die sollten angeblich froh über alle Zuwendungen sein und einem die Möbel sogar aus der Bude schleppen.

„Weinschmidt, hallo. Ich hätte wohl eine Couch abzugeben, könnten Sie die abholen?“

„Alter, Aussehen und Funktionstüchtigkeit?“ schnarrte eine ältere Frauenstimme. Gehörte der Dienst jetzt zur Bundeswehr?

„Ähm, sechs Jahre. Ist etwas verschlissen und die Federn werden manchmal frech..., aber’s geht noch.“

„Zu alt! Was glauben Sie, was wir für Schätzchen bekommen, da reissen wir uns nicht doppelt den Arsch auf, wenn Sie den Ausdruck verzeihen. Versuchen Sie’s beim Sperrmüll, tschüss.“

Und aufgelegt. Na toll, es lebe die Wegwerfgesellschaft! Also rief ich beim zuständigen Sperrmülldienst an, der auch nicht gerade jubelnd an die Decke sprang, jedoch versprach, Mitte der Woche einen Wagen vorbeizuschicken.

Bis zum besagten Termin herrschte eine gespannte Atmosphäre im Wohnzimmer. Irgendwie fühlte ich mich unbehaglich im Beisein der Couch, auch die Kinder spürten etwas. Wir vermieden es, auf ihr zu sitzen und wählten stattdessen die anderen, noch relativ neuen Polstermöbel. Couch wirkte bedrohlich und schien finster vor sich hinzubrüten. Ich konnte sie verstehen, schliesslich hatte ich sie hintergangen und ihr Todesurteil gesprochen, nun war sie von der Familie ausgestoßen und wartete auf den Henker.

Endlich kam der Dienstagabend, die Zeit des Abschieds war da. Die Kinder lagen im Bett und meine freundliche Nachbarin von oben half mir, das schwere Möbelstück an die Straße zu hieven. Ich überlegte, meine Helferin zu besonderer Vorsicht zu ermahnen, da Couch vielleicht noch einen Trumpf aus dem Polster zaubern könnte, um die Aktion zu vereiteln, entschied mich jedoch dagegen. Stattdessen hoffte ich, dass sich das Sitzgerät friedlich seinem Schicksal fügen würde. Bis zur Haustür lief alles reibungslos, ausser dass sich Couch verdammt schwer machte. Schnaufend und keuchend versuchten wir, dass Möbelstück durch die Tür zu wuchten, die zu schmal schien. Ein neuer Anlauf, dieses Mal leicht gekantet, und es klappte. Erleichterung schwappte in mir hoch machte sich mit einem verzerrten Grinsen durch schweissnasse Strähnen bemerkbar, dann schrie ich schmerzhaft auf. Finger am Türrahmen gequetscht, das letzte Aufbäumen eines zu Müll degradierten Möbels, so schien es mir.

Schliesslich stand die Couch auf dem Hof, wir schoben sie gemeinsam an die Hauswand, durch Rollen unter den Füssen gestaltete sich das einfach. Dann verschwand meine Nachbarin so schnell, wie sie gekommen war. Im fahlen Licht der Hoflampe wirkte Couch plötzlich viel kleiner und deplaziert. Am dunklen Himmel jagten herbstliche Wolken vorbei, bald sollte es regnen, was den Zustand der Polster auch nicht verbessern würde. Leichte Wehmut befiel mich, hatte ich das Richtige getan? Schweren Herzens sagte ich leise Adieu und ging ins Haus zurück. Als ich das Wohnzimmer betrat, schienen die Möbel anklagend auf den leeren Fleck zu deuten, wo einst ihr Gefährte gestanden hatte. Ich seufzte und schaltete die Glotze ein, um den Abend herumzukriegen.

Gut eine halbe Stunde später klingelte es an der Tür. Stirnrunzelnd überlegte ich, wer das noch sein könnte, jedoch fiel mir keine rechtschaffene Person ein. So schlich ich durch den Flur, ohne Licht zu machen, und ging ins Gästezimmer. Vom Fenster aus konnte ich auf die Straße sehen, inzwischen regnete es heftig. Vor dem Haus stand ein Kleintransporter, die Marke ließ sich nicht erkennen. Neugierig geworden raffte ich meinen Mut zusammen, ging zur Tür und öffnete.

Der Besucher hatte den Bewegungsmelder der Aussenbeleuchtung ausgelöst, und so konnte ich die Szene vom geschützten Vordach aus gut erkennen. Im strömenden Regen sass ein dunkelhaariger Mann auf der Couch und hüpfte auf und ab, wohl um die Sitzqualität zu prüfen. Ich sagte nichts, versuchte mir das Lachen zu verkneifen und beobachtete ihn weiter. Er bemerkte mich nicht, stand auf und begann, mit den Händen auf die vollgesogenen Polster zu patschen. Das Wasser spritzte anscheinend zu seiner Zufriedenheit hoch, auch der Mann selbst war inzwischen gut durchnässt. Prustend hielt ich es nicht mehr aus.

„Entschuldigung, aber was machen Sie da? Interessieren Sie sich für die Couch?“ Was offensichtlich war, aber was sollte man sonst sagen?

Überrascht drehte sich der Mann um und sah mich an. Dann grinste er, und seine weissen Zahnreihen leuchteten mir entgegen. Ein Ausländer, vielleicht Türke oder Rumäne, das hatte ich mir fast gedacht, waren sie doch als Sperrmülljäger bekannt. Er fing an zu nicken und kam ein Stück auf mich zu, mit einer Hand weiter auf die Couch schlagend.

„Couch gut! Ich nehmen, okay?“

Mein Grinsen liess sich nicht mehr verstecken. „Ja,“ sagte ich, „wenn Sie meinen. Aber ob Sie die so noch in Ihren Wagen kriegen, kann ich mir kaum vorstellen.“ Vollgesogen wog das gute Stück bestimmt eine Tonne. Und wie ich das dem Abholdienst erklären wollte, war eine andere Sache.

Er nickte begeistert weiter und gestikulierte mit den Armen von der Couch zum Auto. „Sie mir helfen? Ich geb Geld, hier schauen.“ Ein zerfledderter Schein kam zum Vorschein, sah aus wie ein Zehner.

Trotz des Köders hatte ich reichlich wenig Lust, die schwere Couch in den Wagen eines wildfremden Mannes zu wuchten und dabei klitschnass zu werden. „Das Schweigen der Lämmer“ hatte gezeigt, wohin Hilfsbereitschaft führen kann. Aber insgeheim fand ich es eine gute Sache, weil Couch dadurch noch anderen Menschen nutzen konnte und nicht gleich auf der Halde landete. Irgendwie beruhigte das mein Gewissen, damit konnte doch auch ein Möbelstück leben, oder? Ausserdem war der Mann klein und wirkte nicht gefährlich, eher komisch.

Also zog ich mir Schuhe und Jacke an und trat an seine Seite. Er stand anderthalb Köpfe kleiner neben mir und rieb sich die Hände. Ich hätte nicht gedacht, dass er sein Grinsen noch verbreitern konnte, aber so war es. Zwei Mann, zwei Ecken, rollten wir die Couch vom Hof. Jetzt wurde es problematisch, da unsere Straße ein leichtes Gefälle aufweist. Das Heck des Wagens stand dabei in abschüssiger Richtung. Ganz ließ sich der Serienmörder nicht aus meinem Kopf verbannen, daher übernahm ich die Rolle des Schiebers, während er mit einer Hand die Klappe öffnete und ächzend in den Transporter kletterte. Gott war das Biest schwer, mittlerweile klebten mir die klatschnassen Haare am Schädel.

Der Schnäppchenjäger hockte nun auf der Ablagefläche und beugte sich hinunter, um die Couch nach oben zu ziehen. Dies erwies sich schwieriger als gedacht, und der Mann ächzte und begann, mit seltsamen Worten zu fluchen. Ich stand derweil still und hielt nur gegen, sollte er doch sehen, wie er es anstellte, nasser konnte ich eh kaum werden.

Dann hatte er das Möbelstück endlich mit beiden Händen zu packen und hob es langsam an. Ich schob stärker und fast schien es, als wollte uns der Kraftakt gelingen, als der Mann wegrutschte und ihm die Couch aus den Händen glitt, wobei er das Gleichgewicht verlor und aus dem Wagen stürzte. Mit einem matschenden Laut landete er auf dem Polster und ich staunte nicht schlecht, als sich das Gewicht in meinen Armen verdoppelte. Ich begann, die regenglatte Straße abwärts zu rutschen. Es war unmöglich für mich, auf der Stelle zu bleiben, also sprang ich instinktiv mit den Knien auf die Lehne, um nicht von der Couch plattgemacht zu werden.

Mit uns beiden an Bord gab’s für das rebellische Sitzmöbel kein Halten mehr, und die Fahrt begann. Unaufhaltsam rollten wir die Straße hinab, ich hielt mich krampfhaft fest und hoffte nur, dass alle Nachbarn schon schliefen und ich heil wo auch immer ankam. Der kleine Spermüllmann hatte seine gute Laune nicht verloren, er grinste erst und ließ mich wissen, dass es Knoblauch zu Abend gegeben hatte.

"Andere Möbel besser!" hörte ich ihn noch sagen, dann sprang er behende ab.

Ich konnte es nicht fassen und blickte ihm nur ungläubig hinterher. Seelenruhig ließ er mich links rollen und lief zum Wagen, aus dem plötzlich noch mehr Männer auftauchten, die ich vorher wohl wegen der Dunkelheit nicht bemerkt hatte. Alle zusammen verschwanden sie im Haus, während ich noch rund zehn Meter bis zum Bordstein vor mir hatte.

Meine Garderobe unterm Arm des kleinen Mannes war das Letzte, das ich sah, bevor ich ins Beet des Nachbarn fiel und die Couch mich unter sich begrub.

 

Moin Peterchen,

Deine Geschichte fand ich recht gut. Einige schöne Formulierungen sorgen doch für einen gewissen Grinseffekt. Auch wenn ich nicht wirklich lachen konnte/mußte, war es doch ganz unterhaltsam. Positiv fiel mir auf, wie du die Couch personifiziert hast (teilweise, indem du einfach den Artikel weggelassen hast und sie schlicht Couch nennst).
Die Pointe hat mir auch gut gefallen, da sie ziemlich überraschend kam, aber nicht unlogisch ist. Außer, daß die Kinder im Bett sicher irgendwie auf den Raub reagieren würden. Um Hilfe schreien oder (wenn älter und besonnener) sogar die Polizei rufen.

Sven kam in die Küche, er hatte Pipi in den Augen.
Sehr Umgangssprachlich. Paßt nicht so recht in den sonstigen Stil der Geschichte. Ich würde Tränen draus machen (oder irgend eine Metapher)
Der Bewegungsmelder hatte seine Arbeit getan, und so konnte ich die Szene vom geschützten Vordach aus gut erkennen.
Da konnte ich dir nicht mehr so ganz folgen. Meinst du damit, daß das Licht im Hof durch die Bewegung des Fremden angegangen ist?
„Andere Möbel besser!“ waren die letzten Worte, die ich vernahm, bevor ich ins Beet des Nachbarn fiel und die Couch mich unter sich begrub.
Das paßt irgendwie vom zeitlichen Ablauf nicht. Ich meine, die beiden rutschen ja mit der Couch ne ganze Weile, bevor der Fremde abspringt. Dann rennt er ins Haus und kommt später wieder raus. Während dieser Zeit rollt die Couch ja immer weiter. Wenn der Fremde dem Protagonisten jetzt noch was sagt, muß er wohl ziemlich laut schreien, um ihn noch zu erreichen...
Vielleicht könnte er das ja schon sagen, bevor er von der Couch abspringt.

Insgesamt aber eine nette Geschichte, die mich gut unterhalten hat.

 
Zuletzt bearbeitet:

Tag Gnoebel,

erstmal danke für die wohlwollende Kritik! Zu den angesprochenen Punkten:

- Die Kinder müssen nicht unbedingt wach werden, schliesslich gab es ja keinen Lärm

- Pipi passt wirklich nicht so ganz, ändere ich noch

- Ja so war's mit dem Bewegungsmelder gemeint, aber die Formulierung ist nicht so der Hit, mal sehen

- Über die kurze Zeit des Finales hatte ich mir auch so meine Gedanken gemacht, es ist wohl etwas knapp. Andererseits rollt die Couch auch nicht dermassen schnell *grübel*... Deine Idee, dass er es schon beim Absprung sagt, ist gut. Dann sieht sie nur noch aus der Ferne, wie die Sachen rausgeschleppt werden.

Hab mich der Punkte angenommen, hoffe so ist's runder!

Grüße vom Peter

 

Hm, Gratulation, ich hae gut gelacht... besonders gut fand ich die Personifizierung des Miststückes :D
Genau so etwas habe ich bei unserem letzten Umzug auch mitgemacht... *argh* Ich fühle voll mit deinem Prot!
Nur der Schluss gefällt mir nicht so gut. Im ersten Moment noch mit der Couch den Weg die Straße hinunter, dann auf einmal im Bett des Nachbarn? Wartet das auch auf den Sperrmüll?

Ansonsten, Daumen hoch!

 

Ich habs jetzt nur noch mal überflogen, aber deine Änderungen gefallen mir durchweg sehr gut. Macht die angesprochenen Stellen runder und plausibler.

dann auf einmal im Bett des Nachbarn?
hehe... ich bezweifle, daß der Nachbar in seinem Beet schläft :D

 

Hallöle!!!

Ich habe deine Geschichte mit einem dicken Schmunzeln auf den Lippen gelesen... Hat mir sehr gut gefallen!!! Von mir gibts keine Kritik, :sealed: weil ich des eh nicht fachgerecht könnte... :teach: Dazu bin ich zu frisch in diesem Gebiet unterwegs...

Liebe Grüße, rolligirl

 

Hi Leute,

dafür dass ich die Story an einem Abend runtergeschrieben hab und sie noch online korrigiert habe, scheint's ja ganz gut geworden zu sein.

@vita
Ts ts, woran du gleich immer denkst! Hoffe "Beet" macht das Ende für dich plausibler. Obwohl auch nicht schlecht, wenn der Nachbar ebenfalls Sperrmüll hat.

@rolligirl
Auch für deine Segnung danke! Als Kritiker bin ich mir auch nicht so sicher, finde es aber gut, wenn man überhaupt Reaktionen bekommt. Nicht jeder kann Rechtschreibgenie, Satzbaumeister und Formulierungskünstler in einem sein.

 

Amüsanter Text, auch wenn ich mich an der Ausräumung der Wohnung etwas gestört hatte. Vielleicht, weil mir während der Schlitterfahrt ein wenig die Klarheit abhanden kam. Hat mir gefallen.

 

Nabend cbrucher!

Schön, dass ich auch dich amüsieren konnte! :) Die Rutschpartie auf dem Möbel ist gewollt etwas chaotisch, aber nachdem ich mir das bildlich vorgestellt hatte, musste es einfach so enden.

Schönen Abend noch!
Peter

 

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