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In Memoriam - Neue Version

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02.01.2002
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In Memoriam - Neue Version

Für viele Menschen ist ein Friedhof ein unheimlicher Ort. Nicht für mich. Ich gehe gern dorthin. Vor allem in den kälteren Jahreszeiten kümmere ich mich regelmäßig um das Grab meiner Großmutter. Ich lockere die Erde auf, zupfe Blätter aus den Blumen, säubere den Stein. Als Großmutter starb, war ich ein Kind, ich besitze nicht viele Erinnerungen an sie. Wenn ich ihr Grab pflege, habe ich das Gefühl, etwas für sie tun zu können, auch nach ihrem Tod mit ihr verbunden zu sein. Es ist ein gutes Gefühl. Ich stehe oft vor ihrem Grab, die Hände in den Taschen vergraben, und hoffe, dass sie weiß, dass ich sie nicht vergessen habe. Niemand sollte vergessen werden.

An einem Nachmittag war ich früher fertig als gedacht. Ich schlenderte über die Wege, blieb hin und wieder vor einem besonders kunstvoll angefertigten Stein stehen und suchte nach bekannten Namen. Mein Herz wurde schwer, als ich die Kindergräber erreichte. Kleine, weiße Grabsteine und Engelstatuen reihten sich aneinander, geschmückt mit Spielzeug, das keine Kinderhand mehr berühren würde. Ich las einige der Inschriften, in denen verzweifelte Eltern eine letzte Botschaft an ihr verlorenes Kind richteten und fragte mich, wo die Gerechtigkeit geblieben war.

Ich hatte mich bereits zum Gehen gewandt, als ich etwas Helles hinter einem Busch hervorschimmern sah. Ich strich die Blätter beiseite und entdeckte ein Kreuz. Dunkles Moos hatte sich in das einst weißgestrichene Holz gegraben. An manchen Stellen blätterte die Farbe ab. Der Name war nicht mehr zu erkennen. Kein Spielzeug. Keine Inschrift. Ein, zwei Minuten lang stand ich da und betrachtete das kümmerliche Grab. Der Wind raschelte in den Zweigen. In der Nacht würde es gefrieren. Wer immer dieses Kind gewesen war, es verdiente ein wärmendes Licht.

Ich holte die erst zur Hälfte abgebrannte Kerze vom Grab meiner Großmutter aus der Tasche hervor und zündetete sie an. Ihre winzige Flamme rührte mich. Wie lange mochte es her sein, dass hier ein Licht geflackert hatte? - Ich konnte das Grab nicht so zurücklassen. Ohne weiter zu überlegen, kniete ich nieder und kramte Schaufel, Lappen und einen kleinen Rechen aus der Tasche. Die harte Erde wurde umgegraben, das Holzkreuz vom ärgsten Schmutz befreit, die vermoderten Blättert entfernt, der Busch zur Seite gedrängt. In einem Abfalleimer fand ich einen Blumenstrauß, beim Brunnen eine Plastikvase und stellte beides dazu.

Nach etwa einer halben Stunde besah ich mein Werk. Viel hatte ich in der kurzen Zeit nicht leisten können. Das einstige Weiß des Holzes war verloren, die Blumen ließen bereits die Köpfe hängen, die Vase hatte einen Sprung. Und doch: Wo auch immer die Eltern dieses kleinen Engels waren, warum auch immer sie sich nicht mehr kümmern konnten oder wollten - wer an diesem Grab vorüberging, würde denken, dass es zumindest einen Menschen gab, der dieses Kind nicht vergessen hatte.

Als ich zurücktrat, stieß ich gegen einen Mann. Seine Kleidung wies ihn als Friedhofswärter aus. Sein Blick ruhte auf dem bescheiden hergerichteten Grab.

»Ich bin keine Verwandte«, hörte ich mich sagen, »aber mir hat das Kind so Leid getan und da habe ich mich ein wenig darum gekümmert. Es scheint keine Angehörigen mehr zu haben.«

Der Mann lächelte - ein trauriges Lächeln, das ich nie vergessen werde.

»Nein«, entgegnete er. »Die kleine Lisa hat niemanden mehr.«

Er drehte sich zur Seite und wies auf die gegenüberliegende Gräberreihe.

»Das letzte Grab rechts«, sagte er leise. »Wenigstens liegt ihre Mutter nicht so weit weg.«

 
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So. Wie versprochen habe ich die Geschichte überarbeitet. Vergesst die vermurkste erste Version bitte, aus der werde ich mal beizeiten eine neue basteln, die dann mehr in den Gruselbereich geht.

Die jetzige Version hat ein neues Ende, hoffentlich weniger Füllwörter und ich habe versucht sie flüssiger zu gestalten - ich hoffe, sie ist jetzt zumindest ein wenig besser als vorher, aber ich bin für kritische Anmerkungen natürlich nach wie vor dankbar.

Ginny

 

hi ginny,

ja, eine wunderbare geschichte. ich habe die alte version zwar nicht gelesen, aber dein text hat mich beruehrt. vielleicht, weil ich mich auf friedhoefen wohl fuehle...

vita

 

Hallo Ginny!

Habe richtig Gänsehaut bekommen, beim Lesen deiner Geschichte! Sie stimmt ein wenig traurig, aber wie vita bereits gesagt hat: Eine wunderbare Geschichte!

Gruß,
ebsista

 

Hey Ihr Beiden ...

Traurig machen soll die Geschichte und es freut mich, wenn das bei euch so rüberkam. :-)
Hab eben noch ein paar kleine Verbesserungen vorgenommen.

Danke fürs Lesen und Kommentieren!

Ginny

 

Hi Ginny!

Dass du die Geschichte stimmungsvoll und einfühlsam geschrieben hast, weißt du ja bereits durch die alte Version – daher zum neu bearbeiteten Inhalt:

Die Verwirrung, die ich beim Lesen der alten Version hatte, hab ich nun nicht mehr – gleichzeitig fehlt mir aber an dem Text irgendwas, nämlich das Mysteriöse, das Geheimisvolle. Ich finde, das hat die Geschichte erst interessant gemacht.
Die alte Version hat auch noch Freiraum für Interpretationen gelassen. Diese neue Version ist zwar stimmig, dafür aber leider weitaus banaler, alltäglicher und belangloser.
Vor allem die mysteriöse Erscheinung der Mutter, die du durch einen ganz gewöhnlichen Friedhofswärter ausgetauscht hast, wenn ich das richtig verstanden habe, vermisse ich.

Schade ... ohne dich entmutigen zu wollen muss ich gestehen, dass mir die alte Version doch irgendwie besser gefiel.

Viele Grüße,

Michael :)

 
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Hey Michael,

du frustrierst mich. :-(
Da war ich eigentlich sicher dass die neue Version besser ist als die alte, glaube ich eigentlich immer noch ... stilistisch sowieso und inhaltlich - hm, du hast natürlich damit Recht, dass sie nun "alltäglicher" und "banaler" geworden ist. Ich mag das ja auch, wenn das Ende geheimnisvoll ist. Ich hatte allerdings das Gefühl, dass ich das mit dem Geist in der Erstfassung nicht deutlich genug rübergebracht habe, wurde ja auch von genug Lesern bemängelt. Die Idee an sich habe ich dann für diese Geschichte aufgegeben und jeden übernatürlichen Touch rausgenommen und werde das vielleicht in einer anderen Story verwenden. Bei der hier hatte ich irgendwie nicht das Gefühl diesen geheimnisvollen Schluss angemessen umsetzen zu können.

Danke aber fürs nochmalige Lesen. :-)

Ginny

 

Hi noch mal,

mir persönlich gefiel der übernatürliche Touch in deiner Geschichte, sodass ich eben enttäuscht, dass du ihn herausgenommen hast – andere Leser könnten das aber natürlich wieder ganz anders sehen.

Jedenfalls tut es mir Leid, dass ich dich mit meiner Kritik enttäuscht habe, aber ich denke, eine ehrliche Meinung ist dir wohl lieber als Schönrederei, oder?

Vielleicht liest ja noch ein anderer Leser beide Versionen und vergleicht sie miteinander. Meine persönliche Meinung muss ja nicht gleich mit der der Allgemeinheit übereinstimmen, oder? ;)

Viele Grüße,

Michael :)

 

Hallo Ginny,

Wieder mal eine hervorragende Geschichte von dir. Wie meine Vorredner schon sagten, sie macht traurig und berührt zugleich. Ich hatte jetzt richtig Gänsehaut, und ein wenig war mir zum heulen zumute, so hat es mich ergriffen. Ich kann deine Geschichten (noch) nicht über Ausdruck, Grammatik etc. beurteilen, das lass ich lieber sein, bis ich mich in diese komplizierte Thematik der Kritik besser eingearbeitet habe. Aber Ginnylein, ich sag es gerne immer wieder, von dir kaufe ich ein Buch wenn es mal eines geben sollte, da kannst du Gift drauf nehmen!

Was ich bei dir schön finde, ist, dass man immer das Gefühl hat, dass du es alles selbst erlebt hast, und du es aus tiefstem Herzen erzählst. So fühlt sich der Leser selbst so, als würde er an deiner Stelle auf dem Friedhof stehen.

 

Hallo Ginny,
das ist jetzt die zweite Geschichte, die ich innerhalb zwei Tagen von dir gelesen habe (fleissig, ne?) und muss sagen, dass mir diese hier auch richtig gut gefallen hat. Ich kannte die erste Version nicht, um zu vergleichen, aber bei dieser hier habe ich richtig Gänsehaut beim Lesen bekommen. Ich habe als Kind jahrelang gegenüber von einem Friedhof gewohnt und bin oft einfach nur so da herumspaziert und habe mir die Namen und die Geburts- und Todesdaten angeschaut. Da könnte man bestimmt noch manche Geschichte drüber schreiben. Ja, stimmt eigentlich, *gleichinsgrübelkomm* :D

LG
Blanca

PS: Gibts eigentlich die alte Version noch irgendwo?

 

@die Krähe: Menschenskind, da wuselst du hier auf KG.de herum und ich hab es noch nicht bemerkt ... Schande über mich. ;-))
Und so wie du dich auf meine Geschichten gestürzt hast denken jetzt sicher alle, ich hätte dich dafür bezahlt. <g>

Nein ehrlich, ich freu mich sehr, wenn dir der Text gefallen hat. Vor allem das hier ist schön zu lesen:

Was ich bei dir schön finde, ist, dass man immer das Gefühl hat, dass du es alles selbst erlebt hast, und du es aus tiefstem Herzen erzählst. So fühlt sich der Leser selbst so, als würde er an deiner Stelle auf dem Friedhof stehen.
:-)

@Blanca: Auch dir lieben Dank.
Und wenn du jetzt auch eine Friedhofsgeschichte schreibst, will ich ne Widmung. <g>

Die alte Version dieser Geschichte existiert noch und zwar hier im Archiv . Vergleich sie ruhig - aber ich gehe mal davon aus, dass du meiner Meinung bist und die neue Version dir besser gefällt. <g>

Ginny

 
Zuletzt bearbeitet:

@Ginny, ;) ja, ich will hier auch mal mein Glück versuchen, nur trau ich mich noch nicht wirklich....

Außerdem hab ich ja erst 19 Beiträge, da hab ich hier noch nicht viel "Schaden" angerichtet. ;) Und damit es alle anderen wissen, ich lese Ginnys Geschichten nur zu erst, weil ich sie kenne *grins* und weil sie gut ist :thumbsup:

 

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