Was ist neu

Jake Henderson im Beinhaus

Mitglied
Beitritt
24.05.2004
Beiträge
4

Jake Henderson im Beinhaus

Jake Henderson im Beinhaus

„Es sind die verdammten Vorschriften, also schwing deinen Arsch da rein, Henderson, und sieh nach was da los ist.“ Wie um diese Anweisung zu unterstreichen spuckte Connelly eine große Ladung Kautabak aus. Sie schlug klatschend auf dem Wasser auf und schwamm dann rasch aus dem beunruhigend kleinen Bereich, der von unseren Grubenlampen erleuchtet wurde. Connelly kaute immer diesen Tabak - wir alle kauten ständig auf etwas herum um den Gestank hier unten erträglicher zu machen - aber die Geschwindigkeit mit der er jetzt seinen Priem bearbeitete, verriet seine Anspannung. `Wenn ich dieses Stückchen Tabak wäre müsste ich kotzen, wie würde dir das gefallen, Mister Geh-da-runter-Connelly?`, dachte ich und musste mich zurückhalten um ihn nicht durch ein Grinsen noch wütender zu machen. Ich räusperte mich. „Warum gehst du nicht selber rein, du bist schließlich der Vorarbeiter in diesem Scheißhaus,“ antwortete ich und stemmte die Hände in die Hüften. Connelly war zwei Köpfe größer als ich und machte den Job gute zehn Jahre länger, aber ich ließ mich nicht gerne von Leuten herumkommandieren die nicht Zwei und Zwei addieren konnten und für die die morgendliche Zeitungslektüre aus einem obszönen Kommentar über die Tittenmaus von Seite Eins bestand. Und um ehrlich zu sein: nach dem was gerade passiert war fand ich es eine gute Idee, so lange zu diskutieren bis feststand daß ich definitiv nicht derjenige von uns beiden war der in Seitenkanal 12/9 einstieg um nach Wally zu sehen.
Irgendwo in Connelly´s dickem Schädel war, unbewußt vermute ich, derselbe Gedanke abgelaufen. Er grunzte, dann beugte er sich zu mir vor und sagte in einem Tonfall den er wohl für besonders autoritär hielt: „Ganz genau. Ich bin der Vorarbeiter von uns dreien (-Drei? Wir beide wissen ganz genau daß wir nicht mehr zu dritt sind, Connelly, alter Junge!-), und ich trage die verdammte Verantwortung. Wenn Wally etwas passiert ist dann bleibt das an mir hängen, weil ich der Boss hier unten bin! Und als dein Boss sage ich dir: ab in den Schacht, Henderson, aber schnell, bevor ich die Beherrschung verliere.“ Ich schaute nach links in 12/9, aber in dem Seitenkanal in dem vor gut einer Minute Wally verschwunden war (-wie an einem Gummiband-) konnte ich nichts als schwarze Dunkelheit ausmachen. Ich schaute Connelly an. Er schwitze wie ein Schwein, aber dieses Schwein war tatsächlich mein Boss, und ich wusste daß ich drauf und dran war hier unten meinen Job zu riskieren wenn ich ihm noch länger Contra gab.

Ich war neun Monate arbeitslos gewesen bevor ich bei der Kanaltruppe von Claireston angefangen hatte, und nichts wollte ich weniger als eine Wiederholung dieser Erfahrung. Das Nichtstun hatte mich fast zum Alkoholiker gemacht, und mehr als einmal habe ich ernsthaft daran gedacht meine Frau zu erschlagen wenn sie mir zum hundertsten Mal mit diesem einen ganz bestimmten Tonfall Vorhaltungen gemacht hat. Bevor es dazu kam hatte die Stadt Claireston schließlich ein Einsehen mit dem alten Jake Henderson und gab ihm einen Job bei den Kanalratten. In den ersten Wochen musste ich buchstäblich Scheiße fressen, aber ich habe mir den mir zustehenden Respekt erarbeitet, und hey – ich war zwar auf dem College, aber am Ende zählt immer nur der Gehaltsscheck. Und der war nicht schlecht, auch wenn ich Abends eine gute Stunde unter der Dusche zubringen musste um den Gestank loszuwerden („Wie der Syphon! Du stinkst wie der Syphon vom Waschbecken!“, verkündete meine Frau immer gerne, bevor sie mir mitteilte daß sie so auf gar keinen Fall mit mir Sex haben würde...) und zu meinem Job Dinge gehörten wie die Wartungsarbeiten im alten Teil der Kanalisation von Claireston.
Der alte Teil stammte aus dem 18. Jahrhundert, also aus den Anfangstagen der Stadt. Damals hatte man wohl noch nicht damit gerechnet daß irgendwann über 500.000 Menschen dieses Fleckchen Erde besiedeln würden und hatte die Kanalisation dementsprechend ständig an die Erfordernisse der modernen Zivilisation anpassen müssen. Herausgekommen war ein über 300 Kilometer langes, verworrenes System aus Hauptkanälen, Seitenkanälen, Zu- und Abwasserschächten, Fallstrecken, blinden Bohrungen und Tiefstrecken, das jeden Kartographen in den Wahnsinn trieb. Und nicht nur das – in den vergangenen 200 Jahren hat es dem Vernehmen nach ein gutes Dutzend Kanalarbeiter wie den guten alten Jake Henderson hier ebenfalls in den Wahnsinn getrieben. Sie gingen als Männer im besten Alter runter und kamen Tage später als weißhaarige, apallische Greise wieder rauf, mit leerem Blick und einem Zittern in den Händen, das einfach nicht verschwinden wollte, egal wie lange man ihnen Elektroschocks verpasste. Manchmal kamen sie auch gar nicht wieder rauf. Das erzählten sich zumindest die alten Hasen unter den Kanalratten, und zwar immer dann wenn sie die Wartungsarbeiten im alten Teil auf jemand anderen (-wie mich, zum Beispiel-) schoben. Bisher war mir das immer egal, auch wenn es wirklich kein Vergnügen und zudem höllisch anstrengend ist im alten Teil herumzuklettern. An meinen guten Tagen steige ich in jedes verdammte Loch hier unten, aber heute ist kein guter Tag, nein mein Herr, es ist ganz und gar kein guter Tag.

Fragen wir doch mal Wally ober das nicht ähnlich sieht. Oh, warten Sie, das geht leider nicht – Wally war vor zehn Minuten in 12/9 geklettert um einen unklaren Wassermengenverlust zu untersuchen, und grade als mein fetter Vorarbeiter Connelly und ich uns wunderten wo Wally so lange steckte kam er auch schon den Schacht raufgelaufen als wären die Reiter der Apokalypse hinter ihm her. Als er uns sah fing er an zu schreien. Ich habe noch nie jemanden so schreien hören, schrill und hoch wie ein Kind. Ich verstand nicht was passiert war, aber als ich ihn hörte wusste ich daß die Lage ernst war, jawohl, so ernst wie´s nur sein kann. Ich blickte in den Schacht. Sein Gesicht strahlte weiß unter dem Lichtkegel der Lampe an seinem Helm, und sein aufgerissener Mund leuchtete fast so rot wie das Loch in dem kurz vorher noch sein linkes Auge gesessen hatte. Connelly neben mir machte einen Schritt zurück und schrie ebenfalls, ein heiserer Schrei des Entsetzens, dann rutschte er aus und fiel klatschend auf seinen fetten Hintern. Ich trat die Stufe in den Schacht 12/9 herab und streckte Wally eine Hand entgegen. Er hätte es fast geschafft, das knallende „platsch, platsch“ seiner Füße in dem flachen Rinnsal auf dem Boden des Kanals war schon fast lauter als sein immer noch anhaltender Schrei – dann aber war das Gummiband zu Ende. Mir fällt kein anderer Vergleich ein, entschuldigen Sie wenn mein Verstand diese simple Metapher für das benutzt, was passiert ist. Wally stoppte von einer Sekunde auf die andere, seine Beine flogen aus vollem Lauf heraus nach vorne bis er mitten in der Luft eine beinahe sitzende Position einnahm. Ich konnte die Sohle seiner schweren gelben Stiefel sehen, von denen das Wasser tropfte – nein, mir entgegen flog und prasselnd auf meiner Jacke landete (-nur noch diese zwei Meter, dann hätte er´s geschafft gehabt, verdammt-), dann verstummte sein Schrei und er wurde abrupt nach hinten gerissen wie eine Puppe. Sein Kopf schlug nach vorne auf die Brust und der Lichtkegel seiner Lampe beleuchtete für einen kurzen Moment den Bereich des Schachtes direkt um ihn herum. Ich weiß nicht genau was ich in jener Sekunde dort gesehen habe, der Einfachheit halber nenne ich es die Lebendige Dunkelheit, denn das beschreibt ziemlich gut was für ein Ding sich da direkt vor meinen Augen Wally holte.
Er wurde rückwärts gerissen und verschwand mit unglaublicher Geschwindigkeit rückwärts im Schacht, immer noch mit ausgestreckten Gliedmaßen in der Luft hängend. Das alles passierte so schnell als ob man bei einem Videorekorder mitten im Film die Rewind-Taste drückt. Oder als ob man mit aller Kraft ein Gummiband dehnt und dann am Punkt der maximalen Dehnung zurückschnappen lässt.
Während er rückwärts gezogen wurde Wally schlug einmal links und einmal rechts an der Wand des Schachtes an, aber so schlaff wie er war, war er (-ich hoffe es ich hoffe es ich hoffe es-) wohl schon bewußtlos. Dann verschwand der Schein seiner Lampe um eine Biegung etwa 30 Meter den Kanal hinab. Connelly und ich blickten in totale, undurchdringliche Dunkelheit. Bis auf das leise Flüstern des Wassers unter unseren Füßen war es still. Nein, nicht ganz: unter meinen keuchenden Atemzügen fluchte ich „Scheiße, Wally, Scheiße...“

Und als ob das nicht genug wäre um diesen Tag zu versauen schickte mich Connelly jetzt da rein um nach Wally zu sehen. Ausgerechnet Connelly, mit seinem nassen Arsch und dem Kautabak. Unter normalen Umständen wäre das überhaupt kein Thema gewesen, Wally war in meiner Zeit bei den Kanalratten so etwas wie ein Freund für mich geworden. „Scheiße verbindet!“ hatten wir immer gesagt und dann herzlich gelacht. Aber ich hatte heute die Lebendige Dunkelheit gesehen, jawohl, genau diese, mein Herr! - und wenn das keine gute Ausrede war, dann wußte ich es auch nicht.
„Verdammt Connelly – wir sollten raufgehen und Meldung machen!“, versuchte ich mich rauszureden, doch Connelly fasste mich hart an der rechten Schulter und schob mich zurück in die schwarze Mündung von 12/9. „Rein da, Henderson, such nach Wally!“ presste er heraus, offenbar am Ende seiner Geduld angekommen. „Wenn du nicht gehst poliere ich dir erst die Fresse und feuere dich dann wenn wir wieder oben sind!“ Ich schaute ihn an, und in seinen Augen spiegelte sich der Gedanke, der auch meinen Verstand beherrschte: Dies ist keine normale Situation. Dies ist ganz und gar keine normale Situation, und wer weiß was noch passieren wird....wer weiß was ich noch tun werde bevor das hier vorbei ist.
Ich glaube er wusste daß ich in seinen Augen sehen konnte daß es ihm so ernst war daß er mich lieber umbringen würde als selber in diesen verfluchten Schacht zu steigen. Wortlos trat er einen Schritt zurück und deutete auf das schwarze Rund von 12/9. „Na los...!“
„Dein feiger fetter Arsch wird dafür in der Hölle brennen, Connelly.“ stellte ich nüchtern und zu meinem persönlichen Triumph fest, dann drehte ich mich um und ging die ersten Schritte in die Dunkelheit. Ich justierte die Lampe an meinem Helm so, daß sie möglichst weit voraus leuchtete (-ich wollte es lieber früher sehen wenn etwas diesen Schacht hinaufkam-) und nahm das Brecheisen von meinem Gürtel in die rechte Hand. Es würde mir nichts nutzen gegen das was Wally geholt hatte, aber es fühlte sich gut an für den Moment.
Nach wenigen Metern erreichte ich einen Bereich von 12/9 in dem Wally noch selber gerannt war – das Wasser war dabei bis auf Brusthöhe an die Wand gespritzt. Der Schacht neigte sich jetzt leicht abwärts und verengte sich, so daß ich mich bücken musste (-wie soll ich so laufen, wie gut war der verdammte Glöckner von Notre Dame auf der Kurzstrecke?-), dann hatte ich auch schon die Biegung erreicht, hinter der Wally verschwunden war. Zu behaupten ich hätte Angst war von diesem Zeitpunkt an eine maßlose Untertreibung. Meine Hände zitterten so sehr daß ich Angst hatte, das Brecheisen fallen zu lassen. Mein Zwerchfell verkrampfte sich schmerzhaft bei jedem Versuch auszuatmen. Ich tastete mich vorsichtig um die Biegung und versuchte dabei, möglichst viel von dem Schacht vor mir auszuleuchten. Nach einiger Zeit, die mir wie Stunden vorkam, wurde 12/9 wieder gerade und ich hatte freie Sicht.
Vor mir erstreckten sich noch etwa 20 Meter Strecke. Dann kam eine Höhle. Zumindest sah es von meinem Standpunkt aus wie eine Höhle...direkt nach der blanken Rundung des von Menschen in den Boden gebauten Abwasserschachtes kam eine scharfzackige Kante und danach etwas daß wie ein großer Hohlraum aus blankem Fels aussah. Ein Geräusch drang von dort herauf und erfüllte den Gang, ein Geräusch wie von trockenem Reis in einer sich drehenden Metalldose, stetig und nervtötend und bis ins Innerste entmutigend. Entgegen jeden Verstandes entschied ich mich, weiterzugehen. Fragen Sie mich nicht warum, ich kann mich sowieso nicht mehr an alles was dort unten passierte erinnern. Genauso wenig wie an die letzten 20 Meter bis zum Ende von 12/9, mein Bewußtsein setzt erst dort wieder, dann aber mit einer Schärfe, die mich bisweile heute noch im Schlaf glauben lässt ich sei wieder dort unten. (Meine Frau verließ mich nachdem ich etwa fünfmal schreiend aufgewacht war und anschließend die ganze Nacht weinte wie ein kleines Kind. „Ich kann deine Augen nicht ertragen wenn du aufwachst,“ sagte sie, aber sie hat mir nie erklärt was sie damit meinte..)

Ich stand etwa auf halber Höhe an der Seite einer rund dreißig Meter hohen und fünfzig Meter durchmessenden Höhle. Schon mit dem ersten Blick konnte ich sehen daß dies keine normale Höhle war, auf eine ganz bestimmte Weise war sie zu symmetrisch, so als ob sie von innen heraus in den Fels geschmolzen war. Vorsprünge fanden sich auf allen Seiten, dazu kleine Einkerbungen die ein schwaches Licht verbreiteten, ein Licht wie von einer Grubenlampe mit einer sterbenden Batterie. Dann sah ich auf den Boden der Höhle.
Rund um einen erhöhten Mittelkreis stapelten sich Skelette. Ich meine nicht nur ein paar Skelette, sondern von der Anzahl der Schädel ausgehend wohl einige Hundert. Sie waren kreisrund um den

ALTAR (-woher weiß ich das?-)

angeordnet, und auf eben diesem sah ich jetzt Wally liegen.
Über ihm schwebte/stand/existierte die

LEBENDIGE DUNKELHEIT (-es nennt sich wirklich so, oh mein Gott-)

und fraß. Wallys Gesicht war durch seinen aufgeschlagenen
Brustkorb verdeckt, in seinen Eingeweiden wühlte die

LEBENDIGE DUNKELHEIT (-es ist so alt, so verdammt alt-)

und seine Hände kratzten im Todeskampf mit den Nägeln über den rauhen Stein des

ALTARS

während das rasselnde Geräusch an diesem Ort beinahe schmerzhaft an- und abschwoll und schließlich sogar meine eigenen rasenden Gedanken übertönte, die sich wirr überschlugen während sie den schrecklichen Dingen vor mir aus unerklärlichen Gründen Namen gaben. Die richtigen Namen.
Das Wasser aus 12/9 floss zwischen meinen Füßen hindurch, rieselte ein paar Meter hinab und zerstob zwischen den Schädeln und Brustkörben unter mir. Mir wurde bewußt daß mein Verstand ebenso wie das Wasser zwischen den Knochen dieses Raumes zerrinnen würde (-es hat angefangen und es geht schneller wenn man darüber nachdenkt-) wenn ich länger hierblieb, doch es dauerte sowieso nicht sehr lange bis es mich bemerkte.
Die

LEBENDIGE DUNKELHEIT (-es hat mich nicht gesehen, es hat mich gerochen-)

am Boden der Höhle veränderte sich. Ich meine nicht ihre äußere Form, denn sie hatte keine – vielmehr spürte ich körperlich, wie sich ihre Aufmerksamkeit wie ein bösartiger, greller Suchscheinwerfer auf mich richtete. Besser kann ich es nicht erklären. Das Geräusch verstummte, vollkommene Stille erfüllte diesen Ort, zehn Meter unter Claireston und doch in einer ganz anderen Dimension. Ich machte mir in die Hose.

„Was ist das hier?“, dachte ich.
Mein Gedanke schien in der Stille widerzuhallen.

Dann war die Stimme in meinem Kopf, klar und laut:

Dies ist das Beinhaus.
Lauf. Jetzt.

Ich war noch nie das was man „schwer von Begriff“ nannte. Wenn es drauf ankam habe ich immer meinen Mann gestanden, aber es war auch schon immer eine der Stärken des guten Jake Henderson zu wissen wann es Zeit war, einen umgehenden Rückzug anzutreten. Dies war die Zeit, oh ja, dies war ganz sicher die Zeit!
Noch bevor es sich in Bewegung setzen konnte war ich auf dem Absatz umgedreht und rannte. Ich rannte wie ich noch nie in meinem Leben gerannt bin, und der alte Henderson hatte tatsächlich mal Glück an diesem ansonsten völlig beschissenen Tag. Ich hatte Glück daß ich nicht auf dem glitschigen Boden von 12/9 ausrutschte. Glück, daß mir nicht der Helm mit der Lampe vom Kopf flog und mich in der Dunkelheit zurückließ, Glück daß ich die Biegung so sauber lief wie ein Rennwagen eine Spitzkehre nimmt. Und ich glaube daß ich Glück hatte daß dieses Ding dort unten gerne spielte, denn sonst hätte ich nicht den Vorsprung gehabt den ich brauchte. Aber letztendlich, meine Damen und Herren, hat mich das fette Schwein Connelly gerettet, auch wenn er auf diese ehrenvolle Erwähnung sicherlich gerne verzichtet hätte.
Ich lief die Biegung von 12/9 an der Innenseite, und obwohl der Schacht nicht sehr hoch war war er doch breit genug um zwei Männern nebeneinander Platz zu bieten. Connelly drückte sich erschrocken an die Außenseite des Schachtes als er mich kommen sah, seine Helmlampe blendete mich (-du Vollidiot, jetzt sehe ich nichts mehr-) als ich an ihm vorbeilief. Ich hörte ihn hinter mir: „Henderson, verdammt - was ist da vorne-“, doch ich war schon weiter und dann traf er mit dem Ding aus dem

Beinhaus

zusammen, und trotzdem er sehr außer Atem war brachte er einen mehr als passablen Schrei zustande. Eigentlich schrie er sogar sehr laut, und nach dem Geräusch zu urteilen dass ich hinter mir hörte hatte er auch allen Grund dazu.
Ich schoß aus der Öffnung von 12/9 wie ein Projektil aus dem Lauf, prallte an der gegenüberliegenden Wand hart an und fiel zu Boden. Ich schätze, es sah aus wie im verdammten Zirkus, wo sie Leute aus dieser übergroßen Kanone abfeuerten – nur daß hier nicht Bozo der Clown den Abzug betätigte, sondern Mister Leibhaftige Dunkelheit höchstpersönlich. Zu meiner eigenen Überraschung lachte ich beim Gedanken daran. Dreckiges Wasser brannte in meinen Augen, aber ich rappelte mich hoch und lief weiter in die Richtung aus der wir Ahnungslosen Drei kurz zuvor gekommen waren. Connellys Schrei begleitete mich noch ein Stück, dann verstummte er abrupt.
Ich erinnerte mich an seinen Kautabak und dachte `Snack mit Füllung`, und irgendwie schaffte ich es, gleichzeitig zu laufen und zu kotzen.

Ich weiß nicht mehr wie lange ich lief, aber im Bericht der Polizei ist als Zeitpunkt des Unfalls 12:19 Uhr angegeben, also muss ich noch etwa eine halbe Stunde unterwegs gewesen sein. Die Cops fanden auf der Lower Fourth Street einen offenen Gullydeckel, nur 35 Meter von der Stelle entfernt an der mich ein Wagen der Stadtwerke anfuhr und mir beide Beine sowie eine ganze Handvoll Rippen brach. Ich schätze daß ich aus diesem Gully gekommen bin wie ein Derwisch, Mister Henderson aus der höllischen Haubitze, die Zirkusattraktion schlechthin. Der Fahrer sagte aus, ich sei „völlig kopflos“ über die Fahrbahn gerannt und habe ihm keine Chance zum Ausweichen gelassen. Ich vermute dass er nicht gelogen hat.
Die Rippen sind gut verheilt, ebenso das linke Bein. Das rechte Bein macht mir immer noch Probleme, aber im Haus habe ich einen Rollstuhl, und die Versicherung hat mir gerade genug bezahlt um die nötigsten baulichen Veränderungen durchzuführen. Von diesem Geld habe ich auch die Steine gekauft mit denen ich die Tür zum Keller zugemauert habe.
Ich kann nicht auftreten ohne im rechten Bein stechende Schmerzen zu haben, und wenn ich länger als zehn Minuten stehen muss wird es Zeit für zwei oder drei Aspirin für den alten Jake Henderson. Man könnte sagen daß ich in letzter Zeit mehr von diesen wirklich nicht guten Tagen habe, aber immer wenn sich die Depression ins Zimmer schleicht sage ich mir selber (-manchmal auch laut, es tut gut die eigene Stimme zu hören-) daß es doch wirklich Schlimmeres gibt als einen schlecht verheilten Oberschenkelknochen. Den ALTAR zum Beispiel.
Aber auf das Bein kommt es auch nicht wirklich an - ich werde ohnehin nie wieder irgendwo rumklettern, und schon gar nicht unter der Erde. Ich habe bei den Kanalratten gekündigt, sie hätten mich mit Sicherheit sowieso rausgeschmissen nachdem fest stand daß Wally und Connelly verschwunden waren und es auch blieben. Drei Viertel der Belegschaft sind damals nach dieser Geschichte im alten Teil der Kanalisation rumgeklettert und haben jeden Stein umgedreht. Möglich, daß sie auch vor 12/9 gestanden haben. Möglich, daß sie reingeschaut haben. Und gut möglich, daß sie weitergegangen sind. Einfach so. Ich weiß es nicht, und ich werde es auch niemals herausfinden.
Denn der Teufel soll mich holen wenn ich mich jemals wieder in eine Kanalisation begebe.

Hahaha. Wissen Sie was? Ich glaube das würde er sogar.

 

Mein erster Beitrag

Guten Abend!

Hocherfreut habe ich heute festgestellt dass es tatsächlich eine Webseite ganz allein für Kurzgeschichten gibt. Noch während ich auf meine Registrierungsbestätigung gewartet habe ist dieses (Mach-?)Werk entstanden, mit dem ich mich heute bei euch vorstellen möchte. :D

Eigentlich wollte ich etwas völlig anderes schreiben, aber die Idee dafür spare ich mir auf bis ich sie richtig ausgearbeitet habe. Die Geschichte "Jake Henderson im Beinhaus" entstand aus meiner unerklärlichen Faszination für den Begriff "Beinhaus", den ich vor einiger Zeit irgendwo gelesen habe. Ein "Beinhaus" - was ist das? Was könnte es sein? So oder ähnlich bin ich in der Vorbereitung der Story den Begriff angegangen.
Gleichzeitig ist die Geschichte ein Gehversuch im klassischen Stephen-King-Stil und meine Verneigung vor diesem "Großmeister des Schreckens". So ist bitte auch die Tatsache zu verstehen daß ich in der Geschichte einige der typisch King´schen Versatzstücke verwendet habe und dass sie augenscheinlich in den USA spielt.

Einige Worte zu Rechtschreibung: es fällt mir schwer, Dinge die ich quasi "in the flow" (diesem Zustand in dem die Finger wie von selbst über die Tastatur rasen) geschrieben habe zu korrigieren. Auch bin ich zeitweise sehr inkonsistent was den Gebrauch von alter / neuer Rechtschreibung angeht. Bitte weist mich darauf hin! ;)

Ansonste wünsche ich euch so viel Spaß mit der Geschichte wie ich ihn heute schon mit einigen eurer Geschichten hatte!

Man liest sich!
Space Lord

 

Heya Space Lord,

wie es aussieht habe ich die Ehre dich als Erster auf KG.de willkommen zu heißen. ;-)

Deine Geschichte ist in der Tat sehr kingtypisch, wobei ich mich vor allem auf den Stil beziehe. Die Flucherei des Ich-Erzählers, die in Klammern eingeschobenen Gedanken, die Einbeziehung des Lesers sind ein paar dieser Punkte. Kann gefährlich sein, sich so nah an einen bekannten Stil zu halten, aber mir hat's ganz gut gefallen.
Ganz ehrlich, wenn ich den Stil nicht so leserlich gefunden hätte, hätte ich die Story sicher nicht in einem durchgelesen. Mich hat ein bisschen gestört, dass es eine Weile brauchte, ehe ich mich im Text zurechtfand. Ich mag es zwar, wenn eine Geschichte in medias res beginnt, aber hier war mir das Setting irgendwie nicht ganz klar. Wer sind die Männer, was haben sie für einen Job, warum müssen sie wo rein, das waren so in etwa die Fragen die mir beim Lesen des ersten Absatzes durch den Kopf schossen. Fiel mir nicht so leicht reinzukommen. Ob das jetzt nur an meiner Verpeiltheit liegt oder an deinem Text klärt sich hoffentlich durch die Meinungen weiterer Leser. ;-)

Fragen wir doch mal Wally ober das nicht ähnlich sieht.
-> "ob er"
Er wurde rückwärts gerissen und verschwand mit unglaublicher Geschwindigkeit rückwärts im Schacht
Wortwiederholung, besser vermeiden.
und nach dem Geräusch zu urteilen dass ich hinter mir hörte hatte er auch allen Grund dazu.
"dass" -> "das"

Ein paar Mal springst du zwischen alter und neuer Rechtschreibung hinterher und man könnte ein Dutzend Kommas über den Text regnen lassen, ansonsten fielen mir keine gröberen Patzer auf.

Tut mir Leid dir für deinen Einstand keine detailliertere Kritik liefern zu können, aber vielleicht übernimmt das jemand anderes für mich. ;-)

Tatá,
Ginny

 

Hi Space Lord,

zunächst einmal herzlich willkommen! Wollte eigentlich schlafen gehen, doch dann ist mir folgender Satz ins Auge gefallen:

Gleichzeitig ist die Geschichte ein Gehversuch im klassischen Stephen-King-Stil
Oh ja, Jesus, das ist sie. Das ist sie wirklich. (Könnte auch von King sein, oder?!)
Ist zwar schon lange her, dass ich was von ihm gelesen habe, aber ich glaube, das oben genannte hättest Du nicht erwähnen zu brauchen.

Zu Deiner Geschichte selbst: Sehr spannend und flüssig erzählt; und auch die Art, wie Du mit den Worten ´spielst´, wie Du Sätze verschachtelst, zeugt von einem großen Spaß am Schreiben. Jesus, wenn sie nur nicht so verdammt King mäßig wär ...
King war mein absoluter Autor, das muß ich hier gestehen; und mit Sicherheit hab ich auch einiges von ihm abgekupfert (Stilmäßig meine ich), aber Deine story könnte tatsächlich von ihm sein.

Ich habe das Gefühl, das Du wirklich sehr gut schreiben kannst - Kompliment - aber Du solltest doch ein ganz klein wenig Deinen eigenen Stil erarbeiten. Vielleicht sehen das Andere ja anders. Du hast ja schon die typischen King-Versatzstücke (wie Du sie nennst) ´angedroht´; aber für meinen Geschmack waren es zu viele.

Auch der Teil in der großen Halle hat mich doch sehr an "ES" erinnert. War es da am Ende nicht genauso? Als die Kinder durch die Kanalisation irrten und das wahre ´Ich´ des Clowns entdeckten? (Wie gesagt, ist schon lange her)

Fazit: Sehr sauber geschrieben; nur eben zusehr an den Master of horror angelehnt.

Hier noch ein paar Kleinigkeiten, die mir beim Lesen ins Auge gestochen sind:

und zu meinem Job Dinge gehörten wie die Wartungsarbeiten
...und zu meinem Job gehörten Dinge wie ...
Fragen wir doch mal Wally ober das nicht ähnlich sieht
... ob er ...
Mir fällt kein anderer Vergleich ein, entschuldigen Sie wenn mein Verstand diese simple Metapher für das benutzt, was passiert ist.
Hallo Herr King! Finde, das muss hier nicht rein; es bringt unnötig aus dem Lesefluß.
Sowas passt, wenn Du bereits am Anfang der Geschichte den Leser direkt ansprichst. Aber da es hier das erste mal war, bringt es einen raus.
Aber letztendlich, meine Damen und Herren, hat mich das fette Schwein Connelly gerettet
Nee...

Das war´s auch schon. Wie gesagt, denke, wenn Du Deinen eigenen Stil gefunden hast, wirst Du bestimmt ein super Schreiberling... ;)

Lieben Gruß! Salem

 

Ginny-Rose schrieb:
Ganz ehrlich, wenn ich den Stil nicht so leserlich gefunden hätte, hätte ich die Story sicher nicht in einem durchgelesen. Mich hat ein bisschen gestört, dass es eine Weile brauchte, ehe ich mich im Text zurechtfand. Ich mag es zwar, wenn eine Geschichte in medias res beginnt, aber hier war mir das Setting irgendwie nicht ganz klar.
Vielen Dank für die Blumen! Die Ungewissheit im ersten Absatz war Absicht meinerseits. Ich persönlich mag es, am Anfang einer Geschichte einen relativ vagen "Knochen" hingeworfen zu bekommen - etwas, dass mich genug reizt um gierig weiterzulesen. :D Das ist natürlich nicht jedermanns Fall, ich werde in einer den kommenden Stories einen anderen Einstieg versuchen, vielleicht ist das dann mehr nach deinem Geschmack.

Ginny-Rose schrieb:
"dass" -> "das"
Also wirklich...auf gerade diese Stelle habe ich ungefähr 10 Minuten Nachdenken verschwendet und sie trotzdem falsch fabriziert! :hmm:

Ginny-Rose schrieb:
und man könnte ein Dutzend Kommas über den Text regnen lassen
Die Kommata...ja ja. Ich hab in der Schule meine einzige "Fünf" in Deutsch in der Arbeit über Zeichensetzung kassiert (damals in der sechsten oder siebten Klasse?) und versuche seitdem, das damals erfolgreich nicht gelernte nachzuholen. Bin für jede Hilfe dankbar! :Pfeif:

Auf jeden Fall: Danke für die Anregungen, Ginny! :)

Man liest sich!
Space Lord

 

Salem schrieb:
Zu Deiner Geschichte selbst: Sehr spannend und flüssig erzählt; und auch die Art, wie Du mit den Worten ´spielst´, wie Du Sätze verschachtelst, zeugt von einem großen Spaß am Schreiben. Jesus, wenn sie nur nicht so verdammt King mäßig wär ...
King war mein absoluter Autor, das muß ich hier gestehen; und mit Sicherheit hab ich auch einiges von ihm abgekupfert (Stilmäßig meine ich), aber Deine story könnte tatsächlich von ihm sein.
Hallo Salem!
Wie gesagt: diese Geschichte ist eine stilistische Verbeugung vor King, und auch wenn ich mir angesichts seines erheblichen Einflusses auf meinen Stil schwertue einen eigenen Ansatz zu entwickeln, so habe ich mir dies für die nächsten Geschichten auf jeden Fall vorgenommen. Es wird mir nicht zu 100 Prozent gelingen, aber ich werd es versuchen. Bei Jesus, ich werd es versuchen, Mister Salem! :D

Salem schrieb:
Auch der Teil in der großen Halle hat mich doch sehr an "ES" erinnert. War es da am Ende nicht genauso? Als die Kinder durch die Kanalisation irrten und das wahre ´Ich´ des Clowns entdeckten? (Wie gesagt, ist schon lange her)
Du hast Recht, das war ganz eng an "Es" angelehnt. Auch wenn die hölzerne Tür, die Spinne und die Totenlichter fehlten - das war King wie er hätte sein können - wenn er nicht genialer wäre als ich. :)

Salem schrieb:
Das war´s auch schon. Wie gesagt, denke, wenn Du Deinen eigenen Stil gefunden hast, wirst Du bestimmt ein super Schreiberling... ;)
Vielen Dank! :shy:

 

auch wenn ich mir angesichts seines erheblichen Einflusses auf meinen Stil schwertue einen eigenen Ansatz zu entwickeln, so habe ich mir dies für die nächsten Geschichten auf jeden Fall vorgenommen. Es wird mir nicht zu 100 Prozent gelingen
Das soll es doch auch gar nicht. Finde den King-Stil ja auch selbst klasse. Meinte nur, Du sollst nicht alles von ihm übernehmen. Ein bißchen King sollte doch in jedem von uns stecken ... ;)

Salem

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom