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Juliette (überarbeitet)

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22.06.2003
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Juliette (überarbeitet)

Juliette war eine hübsche, zweiundzwanzig Jahre junge Frau. Doch jedesmal, wenn sie in ihrem grauen, alten Studentensofa sass und nachdachte, kam sie zum selben Schluss: Ihr Leben hatte keinen Sinn.
Der Kummer hatte tiefe Furchen in ihr Gesicht gezogen. Mit vierzehn hatte sie sich zum ersten Mal die Pulsadern durchtrennen wollen.
Es fiel ihr nun schwer, sich an all ihre Suizidversuche zu erinnern. Sie hatte zwar kein schwaches Gedächtnis, doch befürchtete sie, den verdrängten Schmerz erneut spüren zu müssen, wenn sie an gewisse Momente ihres Lebens zurückdenken musste.
Jeder Versuch, sich umzubringen, hatte auf sonderbare Weise gescheitert. Und es waren eine ganze Menge Versuche gewesen.
Sie konnte sich nicht einreden, in die falsche Richtung geschnitten zu haben. Sie hatte das Messer immer zwischen zähen Sehnen und Knochen hindurch geführt, um sich die Pulsader aufzuschneiden, da sie anders die Hauptschlagader gar nicht erreichte.
Mit vierzehn hatte sie es zum ersten und letzten Mal verkehrt gemacht und einen kurzen Spitalaufenthalt erzwungen – sowie einen Schimpfparade seitens ihrer Eltern erhalten.

Und da war noch etwas merkwürdiges. Sie trug keine einzige Narbe. Sie hatte jeden Sturz von der Brücke, von den Felsen, vom Turm, ohne Kratzer überlebt. Sie hatte eine Überdosis Drogen geschluckt und war nicht nur unversehrt, sondern auch ohne jegliche Sucht wieder ins Leben zurückgekehrt.
Sie hatte sich eine Kugel durch den Kopf gejagt, hatte die Kugel gespürt, war jedoch nicht zu Boden gefallen, nein. Sie hatte kaum mehr überrascht vor gut zwei Jahren die Pistole zurück in die Schublade gesteckt und dabei geweint wie ein kleines Mädchen, das beim Klauen erwischt wurde.
Sie war nicht unverwundbar. Wie alle Menschen wurde sie gelegentlich krank, spürte den Schmerz, wenn jemand sie schlug und Beleidigungen schufen Verletzungen in ihr, die so schnell nicht wieder verheilten.
Sie war eine Aussenseiterin gewesen; ein unbeliebtes Mädchen und eine Jugendliche am Rande des Abgrundes. Sie hatte gelitten, es hatte eine tiefe Wunde in sie gerissen, die jedoch die einzig grosse geblieben war. Immer wieder hatte diese Wunde sie in die Knie gezwungen, sie dazu gebracht sich auf die Brücke zu stellen.
Mit sechzehn sprang sie zum ersten Mal von der Brücke hinunter. Sie erinnerte sich gut daran...


"Nein!!!" Juliette schrie "Lasst mich los! Hört auf!"
Zu zweit hielten sie sie fest.
Sie war naiv gewesen, zu glauben, die Abschiedsparty einer Kameradin sei Gelegenheit, sich mit deren Kollegen zu versöhnen.
Als sie sich alleine vom Fest entfernt hatte, um am Waldrand eine Depressionszigarette zu rauchen, waren ihr die beiden hinterhergegangen.
Die Hand des einen packte ihren Unterkiefer, während er mit der Zunge an ihrer Wange leckte. Sie konnte sich nicht wehren, denn der andere, ein im Gegensatz zu seinem Kollegen eher stämmiger und grosser Typ, hielt ihr die Arme hinter dem Rücken fest. Sie spürte, wie eine Hand sich unter dem T-Shirt an ihren Brüsten vergriff, dann weiter zog, schliesslich zwischen ihren Beinen tastete.
Sie solle stillhalten und nicht schreien.
Mit Hilfe rechnen konnte sie nicht. Der Wald war zu weit von der zur Festhalle umfunktionierten Turnhalle weg. Am Waldrand verlief zwar eine kleine Strasse, doch auf der fuhren selbst am Tag keine zehn Autos vorbei. Sie war alleine mit den ekligen Typen.
Trotzdem schrie sie. Darauf versetzte ihr der eine einen heftigen Schlag an den Hinterkopf.
Sie biss fest die Zähne zusammen und hoffte, dass es bald vorbei ging, als nun auch der Typ, der sie zuvor geschlagen hatte, sie betastete. Sie hatte Lust zuzuschlagen, dem einen heftig zwischen die Beine zu treten, aber dieser hielt ihr ein Messer an den Hals.
So ertrug sie die Erniedrigung, liess es geschehen, den Mund fest geschlossen und die Augen zugekniffen. Ein paar Minuten später liessen die beiden sie los. Sie fiel hin und weinte. Sie fühlte sich so elend schwach, so schrecklich ausgenutzt.
Fast eine halbe Stunde lag sie da und dachte nach. Fast dreissig Minuten weinte oder schluchzte sie.
Dann stand Juliette auf und verliess das Festgelände. Sie wusste was sie tun würde.
Mit einem schrecklich leeren Blick in den feuchten Augen lief sie die Strasse entlang zur Autobahnbrücke.
Wenigstens würden sie ein schlechtes Gewissen haben.
Vielleicht.


Doch auch damals hatte sie es nicht geschafft. Sie war gesprungen und sie hatte den heftigen Aufprall gespürt. Sie hatte den Boden betrachtet, auf Händen und Knien gestützt hatte sie ihren leeren Blick auf die heranrasenden Autos gerichtet. Sie hatte den Tod mehrmals kommen sehen, doch jedesmal war er wieder gegangen. Schliesslich war sie aufgestanden, hatte geschrien und geweint. Sie hatte sich die Nägel in das eigene Fleisch gegraben, ein wenig Blut war hinausgeflossen und ein geringer Schmerz hatte sie daran erinnert, dass sie nicht unverwundbar war.
Aber sie war dazu verdammt, zu leben. Der Tod wollte sie nicht, er strich ihr nur immer wieder übers Haar.

Immer hatte das Leben sie festgehalten. Es waren eine ganze Menge Suizidversuche gewesen. Richtige Versuche. Das Leben quälte sie und dennoch behielt es sie.
Stirb innerlich, aber bleibe bei den Lebenden. Wie schön.
Es war alles so schrecklich sonderbar. Etwas musste dahinter stecken. Sie konnte nicht von der Brücke springen, einen Moment lang nicht sein - sie war überzeugt, im eigentlich tödlichen Moment gar nicht zu existieren, zumindest für die Aussenwelt nicht, denn sonst hätten die Autofahrer sie nicht einfach durchfahren - und dann erst, wenn die Gefahr vorüber war, wieder wie durch ein Wunder, weiterzuleben.
Und da war noch das Ereignis vor drei Wochen, und das vor einem Jahr, welches ihr so zu schaffen machte. Was war damals genau passiert? Natürlich erinnerte sie sich mühelos an ihren Schmerz und an den Selbstmordversuch.
Aber was zählte war nicht sie, sondern das, was gleichzeitig geschah.
Bevor sie erneut versuchte, sich umzubringen, musste sie Bescheid wissen. Wenn ihre leise Vorahnung stimmte, war das schon bei weitem schlimm genug.

Sie wollte versuchen, sich genau zu erinnern. Aber dazu musste sie ihren eigenen Schmerz verdrängen. Sie sah viele Bilder, die ihr immer wieder die Lust am Leben genommen hatten. Sie sah sich, als kleines Mädchen, als Jugendliche und als junge Frau. Auf jedem Bild weinte sie. Zu Hause hatte sie immer nur Krach gehabt. Ihr Vater hatte sie geschlagen. Ihre ältere Schwester war gestorben, als Juliette fünfzehn war.
Sie hatte nie eine Vertrauensperson gekannt, mit der sie über ihr Leid hätte sprechen können. Hass war ihr weitaus bekannter als Liebe gewesen.

Vor einem Jahr starb ein vierzehnjähriger Junge in der Schuldusche an plötzlichem Herzstillstand. Seine Kameraden hatten beobachten müssen, wie er nackt zu Boden fiel, keinen Ton mehr von sich gab und eine kleine Sturzwunde Blut in das Wasser mischte. Schreiend verliessen die meisten die Dusche, um Hilfe zu holen. Einige massen immer wieder den Puls und versuchten den Jungen wiederzubeatmen.
Als die Ärzte kamen war er tot.
Aber man sagte, der Junge sei sportlich und Nichtraucher gewesen. Man sagte, er habe sich ausschliesslich gesund ernährt.
Am selben Tag, hatte sich Juliette ein Fleischmesser in die Brust gerammt, hatte geglaubt, tiefen Schmerz zu spüren. Sie hatte das Fleischmesser mehrmals in der Wunde umgedreht, obschon sie geahnt hatte, dass die tödliche Verletzung, wie auch das Blut auf dem Messer, gleich wieder verschwinden würde.
Sie hatte überlebt.
Juliette hatte lange versucht, sich einzureden, der Tod des Jungen sei Zufall gewesen.
Am gleichen Tag starb auch ein wohlhabender alter Mann beim Abendessen mit einigen Freunden. Er wollte das Glas zum Trinken ansetzen, als er plötzlich Blut in den Rotwein spuckte. Das Glas fiel aus der Hand und sein regloses Haupt kippte, um dem Casimir-Reis dunkelrote Speichelflüssigkeit beizumischen.
Juliette hatte ein zweites Mal verzweifelt versucht, sich mit dem Fleischmesser das Leben zu nehmen.

Fast ein Jahr lang hatte sie diese Ereignisse verdrängt. Nun war sie überzeugt, dass sich in diesen Tatsachen Hinweise verbargen. Hinweise, wie auch sie sterben konnte.
Der Tod des alten Mannes und des Jungen waren kein Zufall und das Ereignis vor drei Wochen erst recht nicht.
Ihr eigenes Schicksal hatte sich auf eine groteske Art offenbart.

Vor drei Wochen hatte in einer Nachbarstadt ein Fest stattgefunden, welches an die Gründung des Ortes durch Siedler erinnern sollte. Daran hatte wohl kaum einer gedacht, eher noch kannte man das Gründungsjahr der Stammbeiz und feierte dieses Jubiläum mit entsprechendem Alkoholkonsum.


Zwei Kolleginnen, mit denen sie sich vertrug, begleiteten Juliette ans Stadtfest. Die eine studierte mit ihr und die andere war ihre Nachbarin. Auch Juliette kam in den Genuss alkoholischer Getränke und eine festliche Stimmung machte sich breit. In den späteren Stunden aber verschwanden Juliettes Begleiterinnen mit neuen, männlichen Bekanntschaften und liessen sie allein zurück.
Auch sie war von einem nicht übel aussehenden, selbstbewussten, blonden Mann angesprochen worden, dem keine Tube Haargel zu schade war und der zur Simulierung von Coolheit seine Zigarette selbst während dem Sprechen – und Anmachen – im Mund behielt. Der Typ war zudem recht muskulös und trug, um dies allen zu zeigen, ein enges T-Shirt.
Juliette hatte ihm schliesslich eine heftige Abfuhr erteilt, hauptsächlich wohl, da sie nicht darauf aus war, einen Aschenbecher zu küssen.
In der Hoffnung dennoch ein paar angenehme Leute kennenzulernen, begab sie sich in das Hauptzelt. Bereits als sie eintrat, bemerkte sie, wie enthusiastisch mitgesungen und mitgetanzt wurde, während eine Regionalband ihre Songs präsentierte. Auch sie gesellte sich zu der feiernden Masse und amüsierte sich ganz recht. Nur ab und zu musste sie einen Mann zurechtweisen, der die engen Raumverhältnisse ausnützen wollte, um sich gelegentlich zu vergreifen.
Doch dann bemerkte sie etwas, das ihr einen harten Schlag versetzte. Der blonde Gel-Casanova, der sie zuvor angesprochen hatte, flirtete gerade heftig mit Serena, ihrer wohl grössten Jugendfeindin und diese machte begeistert mit. Sie war bekleidet wie ein Mädchen vom Strich und Juliette fiel auf, dass sie ihr Oberteil sogar noch ein wenig weiter nach unten zog.
Sie hatte dieses Gesicht nie wieder sehen wollen, sie hatte diese Frau, die ihr Leben bei weitem am meisten zerstört hatte, beinahe vergessen. Sofort stürzten jede Menge Bilder auf sie ein; sie erinnerte sich an die Brücke, an die beiden ekelhaften Typen, die nicht davor zurückgescheut hatten, ihr überall hinzugreifen. Die ihr ein Messer an den Hals gehalten hatten.
Einer dieser beiden sah zu ihr hinüber.
Als Juliette ihm einen hasserfüllten Blick zuwarf, grinste er nur. Anschliessend stupste er die beiden Flirtenden an und wies mit dem Finger zu Juliette.
Immer wieder wandten die drei sich ihr zu, richteten einen höhnischen Blick auf sie oder ihre Kleider, um dann wieder über sie zu reden. Juliette verstand nicht viel. Ab und zu ein Wort wie 'Nutte' oder 'arrogante Dreckssau'. Den Rest konnte sie sich selbst erdenken.
Dann trat ihre Jugendfeindin, die Hand des Blonden haltend, drei Schritte auf sie zu und hiess sie zu verschwinden.
Doch das konnte Juliette nicht. So leicht wollte sie sich nicht demütigen lassen.
Aber es wurde immer schlimmer. Sie konnte nichts tun; wenn sie blieb wurde sie ausgelacht, wenn sie ging ebenfalls.
Das eklige Arschloch kam auf sie zu und spuckte sie an. Dann streckte er die Zunge heraus, zugleich verachtend und pervers. Und er machte Greifbewegungen mit der Hand.
Es waren zwei Leute um sie, die ihr Leben zerstört hatten. Und die anderen, die sie nicht kannte, wurden durch Bilder aus der Vergangenheit ersetzt. Ihr Vater, der sie schlug, ihre Mutter, die ihr verbat mit Männern auszugehen, die sie jeden Schritt verfolgte und immer wissen wollte, was sie tat. Ihre Schwester, tot. Kollegen, die sie auslachten, weil die Lehrerin sie vor der ganzen Klasse lächerlich machte.
Sie hatte wieder ein Tief, aus dem sie nicht herauskam. Mit der linken Hand griff sie sich in die Tasche und holte einen kleinen roten Gegenstand heraus. Ein wenig zitterte sie dabei. Im gleichen Moment, in dem der andere überrascht einen Schritt zurück ging, ebenso Juliettes Feindin, klappte sie die Klinge auf.
In solch grosser Gesellschaft hatte sie noch nie versucht, sich das Leben zu nehmen. Vielleicht gelang es heute.
Sie stiess das Metall durch die Haut in das Fleisch und spürte eine Welle des Schmerzes, die jedoch verschwand, als sie die Hauptschlagader durchtrennte.
In Strömen floss das Blut hinaus - aus dem Mund des kräftigen Blonden, der Hand in Hand mit Juliettes Feindin dastand.
Juliette zog das Messer wieder hinaus und begann zu weinen.
Kein Blut auf dem Messer, keine Wunde am Unterarm.
Alle blickten entsetzt auf den nun zu Boden fallenden Typen. Niemand verstand was passiert war.
Ein Toter lag am Boden, aber dieser Tote hatte keine äussere Wunde - und auf Juliettes Sackmesser klebte kein Blut.
Juliette war unschuldig.
Sie hatte sich getötet und ein anderer war für sie gestorben.


Juliette war sich nun sicher, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte. Sie hatte den Beweis am Fest und ein Jahr zuvor erhalten.
Sie war zwar neun Jahre lang unfähig geblieben, sich selbst umzubringen, doch sie hatte getötet. Häufig. Sie hatte nachgezählt. An die vierzig Mal. Immer, wenn ihr Leben unerträglich geworden war und sie ihrer aussichtslosen Lage ein Ende bereiten wollte, ergriff sich das Schicksal jemand anderes und zwang Juliette zurück ins Leben.
Sterbt für mich, die ich nicht leben will.
Der kleine Junge in der Dusche... und vierzig andere.
Hatte sie es nicht die ganze Zeit gewusst? Hatte sie sich geweigert, zu denken?! Hatte Gott all dies zugelassen?
Gab es diesen Gott überhaupt?

Und jetzt? Musste sie sich damit abfinden unsterblich, aber dennoch verletzlich zu sein? Vor drei Tagen war ihre scheinbar ehrliche und erste Liebe zu Bruch gegangen.
Nach neun Tagen.
Vielleicht war es ihre Schuld gewesen, vielleicht seine. Auf jeden Fall hatte sie ihn unfair behandelt und er sie. Kurz; sie hatten nicht gepasst. Durch ihn aber hatte sie neuen Lebensmut gefasst - der mit ihm wieder verschwunden war.
Gestern hatten sie drei Unbekannte angerufen, sie schadenfreudig ausgelacht und primitive Witze erzählt.
Und einer hatte gefragt, ob sie mit ihm ins Bett gehen wolle.
Sie hatte dann mit der Nummer dieser Anrufer deren Adresse herausgekriegt. Sie wusste nun wo einer von ihnen wohnte. Vielleicht würde diese Adresse nützlich sein.

Lange hatte Juliette nun auf dem grauen Sofa über ihr Schicksal, Gott und ihr beschissenes Leben nachgedacht.
Nun hatte sie drei Anhaltspunkte für die Zukunft:
Sie wollte sterben.
Sie wollte keinen Unschuldigen umbringen.
Aber sie konnte sich nicht töten.
Und das war ein Widerspruch in sich. Juliette jedoch glaubte einen Ausweg gefunden zu haben. Die Adresse ihrer Anrufer in der Tasche ging sie zum Schrank. Dort hatte sie die Pistole aufbewahrt, mit der sie sich zum ersten Mal vor etwa zwei Jahren eine Kugel durch den Kopf gejagt hatte. Sie hatte diese Waffe nur dreimal benutzt. Nach Versuchen, sich mit ihr zu töten, ging es ihr ausserordentlich schlecht. Vielleicht lag es daran, dass sie die verschossene Kugel im Raum finden konnte, den Beweis in der Hand halten konnte, dass sie eigentlich tot sein müsste. Sie konnte nicht irgendwelchen Phantasien die Schuld geben.
Sie lud also ihre Waffe, verstaute sie in der Handtasche und ging aus dem Haus. Sie überlegte, ob sie ein Taxi rufen sollte, doch sie entschied sich, selbst mit dem Rad zu fahren.
Sie fuhr mit einer Hand, klammerte mit der anderen die Handtasche fest.

Der Typ, der sie angerufen hatte, sah ungefähr so aus, wie Juliette ihn sich vorgestellte hatte. Schwarze, nach hinten gekämmte Haare, darauf eine Sonnenbrille und fette Lippen. Sie bemerkte, dass sein Blick immer wieder an ihren Brüsten hing. Er hatte grosse, reichlich behaarte Hände, trug ein weites T-Shirt – das wohl den Zweck haben sollte, die negative Bierauswirkung zu überdecken – auf dem irgend ein Macho-Spruch geschrieben stand. Ein Bild einer nackten Frau, der es scheinbar angebunden an einen Stuhl gefiel, zierte das Shirt.
Er stand an der Türe und hatte ein Grinsen auf, das Juliette sofort als schweinisch empfand. Aus dem Haus innen riefen andere: "Was haben wir den Schönes, Billy?"
Billy wollte eine Antwort geben, doch Juliette kam ihm zuvor, sagte was er womöglich hatte sagen wollen.
"Etwas zum Abendessen!"
Dabei bemühte sie sich das schweinische Grinsen nachzuahmen.
Aus dem Innern ertönte Gelächter, Billy näherte sich Juliette um ein paar Schritte, wollte etwas sagen, doch wieder kam sie ihm zuvor.
„Du hast mich ausgelacht und dann gesagt, du würdest dich gerne zwischen meinen Beinen befinden! Siehst du, jetzt bin ich da. Kriech in dein Haus und du bekommst, was du nicht lassen kannst! Auch ich bekomme, was ich nicht lassen kann!"
Sie betonte vor allem den letzten Satz
Billy blickte ihr zuerst ein wenig überrascht ins Gesicht, dann setzte er wieder ein Grinsen auf und erklärte mit seiner rauhen, von Ironie sprühenden Stimme; er sei gespannt.

Er war jetzt noch nicht genug überrascht, aber er würde es garantiert noch werden, dachte Juliette. Was würde er mit einer toten Frau im Haus machen?
Bei all der Unlogik musste irgendwo die Logik sein. Sie konnte sich nicht töten, das war unlogisch. Aber wenn sie sich tötete und dabei immer jemand anderes für sie starb, konnte sie irgend jemanden töten und sie würde endlich sterben.
War das nicht logisch?
Es machte ihr eine gewisse Freude, dies bei besonders unerträglichen Mitmenschen der niedrigsten Gattung durchzuführen, zumindest sie eine derart verrückte, psychische Krankheit wie Nekrophilie selbst bei diesen Männern ausschloss. Auf Billys T-Shirt befand sich schliesslich lediglich eine nackte Frau und nicht eine Leiche.

Als Juliette nun ins Haus zu den anderen ging, ignorierte sie, was die Männer sagten, sie befürchtete nicht, besonders viel Weisheit zu verpassen. Den Stimmen nach waren es drei – wahrscheinlich die drei vom Telefonat. Juliette fragte sich, ob sie mit ihrer Jugendfeindin befreundet waren. War ja eigentlich ganz gut möglich.
Kaum eingetreten, stellte sich schon ein grosser, schmaler Typ vor Juliette auf und sie hätte ihn rein äusserlich gesehen für anständig halten können, hätte sie nicht gewusst, dass er von der Sorte Billy war. Er spielte Zöllner - einer von denen, die besonders dann Freude haben, wenn sie eine Frau durchsuchen können.
"Halt, was haben sie in ihrer Tasche?"
Juliette überlegte noch, wie sie die Aufmerksamkeit des 'Zöllners' auf etwas anderes als die Tasche lenken konnte, als dieser von selbst die Handtasche vergass: "Oh! Was haben wir den da Schönes?"
Er starrte Juliette auf die Brüste und lächelte.
Juliette zog nun rasch die Pistole aus der Handtasche. Ob er auch einer toten Frau gerne in den Ausschnitt sah?

Sie gab den Schuss zwischen seinen Augen ab, Blut schoss aus dem Hinterkopf und verfärbte die Wand.
Jetzt wird er ins Leben zurückgeworfen werden und ich werde sterben, dachte Juliette.
Sie schoss erneut.
Während er zu Boden glitt, hinterliess sein blutiges Haar einen roten Streifen an der Wand.

Wütend, aber immer noch von ihrer Theorie überzeugt, lief Juliette ins Wohnzimmer, wo die zwei anderen, das Entsetzen im Gesicht geschrieben, gleich auf sie zugingen. Sie realisierten die Gefahr zu spät.
Juliette erkannte den einen der beiden wieder.
Billys Kollege hatte sie mit sechzehn misshandelt. Sie hatte ihn seither nur einmal wieder gesehen; am Stadtfest.
Sie leerte die Waffe auf die beiden Männer. Dabei redete sie sich ein, dass sie dadurch sterben würde, aber das war nicht der Fall. Sie versuchte sich selbst weiszumachen, dass sie sich töten wollte, aber das war nicht mehr der Fall.
Stirb!
Und sie starben.
Aber sie blieb da.
Es gab keinen Umweg und es gab keinen direkten Weg.
Sie war unsterblich.

Bevor sie das Haus verliess stand sie noch eine Weile neben den Leichen und weinte. Mehrmals trat sie die Toten. Nicht weil sie feige war und Wehrlose schänden wollte. Sie glaubte immer noch an ihre Theorie.
Wenn du dich tötest, aber an deiner Stelle stirb ein anderer, kannst du einen anderen töten und du stirbst dabei.
Sie redete sich ein, dass sie auch den Hässlichen nicht hatte töten wollen - und irgendwie entsprach das auch der Wahrheit.

Auf dem Weg zu ihrem Fahrrad, dass sie am Strassenrand abgestellt hatte, liess sie noch ihre Tasche zu Boden fallen. Absichtlich. Die Pistole hatte sie im Haus zurückgelassen.


Schon einen Tag später wurde Juliette verhaftet. Als sie vors Gericht kam, stritt sie nichts ab, bestätigte jedoch auch nichts. Sie schwieg. Bald darauf steckte sie in der Zelle. Sie dachte über die Vergangenheit nach, während sie auf einer hölzernen Bank sitzte, wie zu Hause auf dem grauen Sofa. Sie erinnerte sich an alles, doch sie weinte nicht mehr. Es hatte so kommen müssen.
In drei Wochen würde ihr Leben zu Ende gehen. Endlich. Wenn die Welt sie schon nicht mochte, dann sollte die Welt sie wenigstens gehen lassen.
Sie wusste nunmehr, dass es fremder Hände bedurfte, sie zu töten. Während diesen einundzwanzig Tagen sprach sie mit niemandem. Selbst auf Gespräche mit dem Direktor liess sie sich nicht ein. Wenn man ihr aus der Bibel vorlas, hörte sie stumm zu und starrte den Leser zugleich traurig und böse an. Sie hielt kaum etwas von ihren Mitmenschen. Aber noch weniger hielt sie von ihrem Leben. Wenn sie starb konnte sie beides loswerden.
Die Wächter erzählten, sie benähme sich wie eine Hexe vor der Verbrennung. Mit immer mehr Unbehagen, gingen sie an ihrer Zelle vorbei und wagten nur noch selten Juliette direkt anzusehen.
Ein Feuer lodere in ihren Augen.

Willst du, dass deine Familie dich besucht?
Keine Antwort
Willst du doch noch deinen Anwalt sprechen?
Sie schwieg
Willst du überhaupt irgend etwas?
Die Anwort in ihren Augen; den Tod.

Doch die Zeit verging und Juliette wurde mit teilrasiertem Kopf in die Hinrichtungszelle geführt. Sie wusste nicht recht, ob sie sich freuen oder fürchten sollte.

Als sie angebunden wurde, flüsterte sie: "Gott möge mir helfen!"
Aber niemand verstand was sie meinte.
Irgendwo im Raum antwortete ein Hinrichtungszeuge: "Gott wird dir sicher nicht helfen, Schatz. In der Hölle wird dich der Teufel vergewaltigen!"
Juliette hörte es und zitterte. Es war wieder Serena, ihre Erzfeindin gewesen. Bilder und Tränen der Vergangenheit wollten hochkommen, doch sie unterdrückte sie.

Stattdessen begann sie zu beten:
"Gott! Gott, hörst du mich? Verzeih mir, ich habe Schlechtes über dich gesagt..."
Angebunden an ihren Stuhl flüsterte sie weiter, flehte zu Gott.

Der Gefängnisdirektor fragte, ob sie noch etwas sagen wolle.
Er erhielt keine Antwort und musste sich mit ihrem finsteren Blick zufriedengeben.

"Bereit!?" , erkundigte sich der Direktor.
Der Henker nickte; ja bereit.

"Lass es nicht zu. Bitte lass es nicht zu!..."

„Strom!“
Strom.

"Lass es nicht..."
Gott liess es zu – Wie von einer unsichtbaren Faust getroffen, fiel der Henker zu Boden. Dünne, blaue Blitze glitten Schlangen gleich um seinen Körper, liessen die Uniform knistern und plötzlich in grellem Lichte aufflammen, während der Besitzer nochmals aufschrie und eine schwarzgebrannte Hand aus den Flammen emporhob, die eine letzte verzweifelte Bewegung vollführte.
Juliette starrte ihn an.

Während die eine Hälfte im Raum in Panik geriet, begann die andere einen Verdacht zu hegen:
"Sie war es! Habt ihr ihren Blick gesehen? Diese verdammte Hexe. Tötet sie, bevor..."
Plötzlich lösten sich von der brennenden Leiche des Henkers rote und gelbe Schlangenblitze, die in Sekundenbruchteilen über den Boden und die Decke glitten.

Juliette betete immer noch.
Die Wächter zogen ihre Waffen und zielten auf sie.
In einem orangefarbenen Licht zuckte die Gestalt des Direktors mehrmals zusammen und seine Rufe erklangen erbärmlich, verschluckt vom eigenen Blut.
Schreie im ganzen Raum.
Andere, die ausserhalb gewartet hatten, stürmten nun in die Zelle und zogen ebenfalls ihre Waffen.
"Was ist los!? Was ist geschehen!?"
Keine Antwort. Auch Juliette schwieg. Ihr Blick kreiste irre zwischen den Zeugen umher, während sie noch immer betete.

Nicht für sich, sondern für die anderen.

 

Saugeil! Ich sag nur Boah ey!

mehr kann ich dazu nicht sagen... noch nicht... einfach geile Story

greetz Jay

 
Zuletzt bearbeitet:

*freu*
*michbesondersfreu*, da ich aus meiner Anfangszeit hier weiss, dass dir durchaus auch eine Geschichte gar nicht gefallen kann (an einen anderen Ort...).

Achja: Schön, dass du dich wieder mal auf der coolen Homepage(in der coolsten Rubrik) zeigst... ich bin unterdessen süchtig geworden und klag bald mal die Verantwortlichen an.

mfg Van

PS: ups Anrede vergessen: Hallo JayAdams

 

Hallo Van Horebeke,

bei allem, was ich dir zu deiner Geschichte schreibe, möchte ich vorwegschicken, dass ich sie so wie sie ist schon wirklich prima finde. Ich habe sie (trotz des Genres ;)) gern gelesen und du hast es zum Schluss immer mehr geschafft, mich in die Psyche, von Juliette zu ziehen.

Ein bisschen musstest du dich innerhalb der Geschichte allerdings selbst warm schreiben, schien mir. Das ist schade, denn nach den Diskussionen die ich hier zu ausgelutschten Themen ab und zu lese, hast du den einen oder anderen Leser sicherlich schon in deinem ersten Absatz verprellt.
Insofern lege ich, soweit ich es zu Beginn einer Rezension überhaupt schon absehen kann, hier auch besonderes Augenmerk auf diesen ersten Absatz.

Fangen wir gleich mit dem ersten Satz an. Ein erster Satz muss den Leser gleich in den Bann ziehen. Ich fürchte, das gelingt dir mit deiner Einleitung nicht. Sie ist zu nüchtern, zu beschreibend, statt erzählend, zu unatmoshpärisch. Hier würde ich dir die Gedanknen als wörtliche Rede empfehlen. Dadurch kannst du ein bisschen in die Sicht von Juliette kommen, ohne die Perspektive der Geschichte dabei vollständig zu ändern.
Beispiel:
"Es hat keinen Sinn." Juliette saß auf ihrem grauen, zerschlissenem alten Studentensofa und grübelte destruktive Gedanken. "Ich bin zweiundzwanzig, und das Leben hat noch immer keinen Sinn." Sie kam immer zu dem selben Schluss.

Der Kummer hatte tiefe Furchen in ihr Gesicht gezogen. Mit vierzehn hatte sie sich zum ersten Mal die Pulsadern durchtrennen wollen.
Ich bin zwar nicht der Meinung, dass es wirklich ausgelutschte Themen gibt, aber bei der Menge an Selbstmordgeschichten dürften hier weitere Leser das Weite gesucht haben. Ich würde glaube ich, den ganzen ersten Absatz in ihrer Gedaneknwelt fortsetzen. Dadurch könntest du mE den Leser besser einfangen (wenn du das nicht zu selbstmitleidig gestaltest), und ihre Verwunderung bessser zum Ausdruck bringen. So würdest du auch den "Glauben an ihre Theorie" zum Ende hin noch verständlicher machen.
Das "Schwache Gedächtnis" würde ich fortlassen.

Auch den zweiten Absatz würde ich noch in der Gedankenwelt Julliettes ansiedeln, als wörtliche Rede aus ihrem Kopf.

Und da war noch etwas merkwürdiges. Sie trug keine einzige Narbe.
Die Menge der Suizidversuche könntest du hier darstellen, indem du erzählst, wie sie ihre Arme betrachtet, ihre narbenlosen Arme. Sie könnte weiter an sich runterschauen oder sich vor einen Spiegel stellen, und nach den Malen ihrer versuchten Tode suchen.
Sie hatte jeden Sturz von der Brücke, von den Felsen, vom Turm, ohne Kratzer überlebt. Sie hatte eine Überdosis Drogen geschluckt und war nicht nur unversehrt, sondern auch ohne jegliche Sucht wieder ins Leben zurückgekehrt.
So klingt das leider nach einer Aufzählung, die noch nciht so richtig Spannung entstehen lässt. Dadurch verschenkst du ein bisschen von dem Gefühl, dass der Leser an dieser Stelle schon für Juliette haben könnte. Dass das Fehlen der Narben, das Fehlen der Kratzer, das Überleben der Überdosen, merkwürdig ist, darauf brauchst du uns nicht extra hinzwuweisen. Ds kommt heraus, wenn Juliette sich betrachtet.
Sie war nicht unverwundbar.
Ab hier wirst du warm. :)
Sie hatte gelitten, es hatte eine tiefe Wunde in sie gerissen, die jedoch die einzig grosse geblieben war.
Trotzdem habe ich an diesem Satz noch etwas anzumerken. ;)
Ich würde die zweite Hälfte weglassen oder umgestalten. Beim Umgestalten würde ich vielleicht einfach eine Frage stellen, wie es sein kann, dass sie sich körpelich keine Narbe zuziehen kann, dass aber ihr Herz, ihre Seele nicht vernarben, dass die Wunden frisch sind, egal wie alt der Schmerz ist, der ihr zugefügt wurde. Dadurch könntest du den Kontrast deutlicher machen (und ich liebe es durch Fragen zu erzählen ;)).
So, das war dann der Punkt, an dem du in deiner Geschichte gelebt hast, ab dem ich gebannt weitergelesen habe, ohne mich an Formulierungen zu stoßen oder auf Rechtschreibung zu achten. Erst jetzt bei der Rezension fiel mir auf, dass du ofensichtlich mit einer schweizer Tastatur ohne ß zu kämpfen hast.
Was mir noch auffiel, war, dass du es dir mit den Zeiten einfacher gemacht hättest, wenn du einen Teil der Geschichte in der Gegenwart angesidelt hättest. Du könntest zum Beispiel den Beginn ins Präsens setzen, und dann die Gegenwart an dieser Stelle wieder aufnehmen:
Lange hatte Juliette nun auf dem grauen Sofa über ihr Schicksal, Gott und ihr beschissenes Leben nachgedacht.
Vollendete Vergangenheit, wie du sie in deiner Geschichte viel benutzen musst, führt oft zu einem gewissen "Plauderton", der es schwer macht, Spannung zu erzeugen und zu halten. Deine Geschichte ist zwar grundsätzlich spannend genug. Durch einen Zeitenwechsel könntest du aber vielleicht in der so typische Past Perfect Formulierungen wie hatte ... stattgefunden oder hatte ... sehen wollen.
Diese Zeit konsequent durchzuhalten ist ohnehin sehr schwer und oft hast du ja auch darauf verzichtet, auch wenn du sie konsequenterweise hättest wählen müsen, etwas hier:
Vor einem Jahr starb ein vierzehnjähriger Junge in der Schuldusche an plötzlichem Herzstillstand.
oh, da fällt mir gerade ein Fehler auf ;)
Der Typ, der ihr angerufen hatte, sah ungefähr so aus, wie Juliette ihn sich vorgestellte hatte.
der Typ, der sie angerufen ...

So, erstmal waren das meine Anmerkungen zu einer wirklich guten Geschichte mit einem interessanten Plot, der eben nicht, wie der Anfang vermuten ließe, nur eine weitere Geschichte über Selbstmord ist.
Jedenfalls habe ich sie gern gelesen, auch wenn du den Einstieg in die Geschichte für mein Gefühl noch ein bisschen vergurkt hast.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Sim!

Schön, dass du dich so ausführlich mit meiner Story beschäftigt hast... Danke für Lob und Kritik.

Nun hab ich nur ein zeitliches Problem, um mich mehr mit den verschiedenen Teilen deines Kommentars zu beschäftigen; ich hab grad arg wenig Zeit (Advent, Schule). Werd das aber sicher noch tun und dann schreibe ich eine ganze Antwort.

Bis dahin,

mfg Van

 

So, also nochmals hallo Sim!:)

Vorerst nochmals besten Dank fürs Lob, das hört man immer wieder gerne, freut mich, dass dich (einen Horror-Tourist;)) die Geschichte insgesamt packen konnte.

Schade, dass es mir nicht gelungen ist mit dem Anfang mehr anzusprechen, zu fesseln.
Ich bin mit allen Kritikpunkten/Verbesserungsvorschlägen einverstanden, oder kann sie wenigstens nachvollziehen.

Der Anfang war unter anderem auch schon in der Erstfassung eins der grössten Probleme, vor allem das Stilistische wurde (zu recht) beklagt. So habe ich mich wohl (zu sehr) darauf konzentriert, dass die einzelnen Sätze an sich passten und nicht unschön waren und zu wenig darauf geachtet, wie die Änderung auf den Inhalt wirkte.

Gerade das Beispiel, dass du für den ersten Satz gebracht hast, hat mir gezeigt, das ein Gedankeneinstieg runder und interessanter wäre. Auch, dass sie vor dem Spiegel steht und ihre Narben betrachtet ist wirklich viel atmosphärischer. Ich werde mir Gedanken machen und wahrscheinlich(jedoch nicht als 'Juliette, zum zweiten Mal überarbeitet') den Einstig attraktiver gestalten - schliesslich will ich keine Leser verscheuchen.
Ich habe auch schon diese 'ausgelutschte Themen'-Diskussionen verfolgt und wusste natürlich Bescheid, was die Suiziggeschichten angeht. Für mich bezieht sich diese Diskussion allerdings vor allem auf die Realleben-Rubriken (Gesellschaft,Alltag,Sonstige,Seltsam)

den "Glauben an ihre Theorie" zum Ende hin noch verständlicher machen.
das ist mir sehr wichtig...
(wenn du das nicht zu selbstmitleidig gestaltest)
ich denke, das würde ja auch nicht zu Juliette passen...

Das schwache Gedächtnis kann ich weglassen(ist so nen kleiner Übrigbleibsel der von rel,criss und progman kritisierten Sätze, den ich weissnichtwieso stehen gelassen habe)

Das mit der Überdosis werde ich wahrscheinlich sein lassen, denn es unterstreicht das extrem der Situation. Auf den Turm und die Felsen kann ich verzichten, ein paar Versuche will ich dennoch erwähnen.
Bei dem Satz mit der Wunde muss ich mir noch überlegen, ob(wahrscheinlich schon) und vor allem wie ich ihn abändere. Ich verstehe aber gut, wie du das meinst.

Erst jetzt bei der Rezension fiel mir auf, dass du ofensichtlich mit einer schweizer Tastatur ohne ß zu kämpfen hast.
also das darf ich hier zwar nicht zu laut sagen, aber ich sehe in unserer Tastatur(und Rechtschreibung) diesbezüglich einen netten Vorteil. Also ist es für mich kein Kampf...:D

Mit den Zeiten hast du recht. Ich mag das Plusquamperfekt auch nicht so und es ist mir auch durch den Kopf gegangen, dass es vielleicht einfacher gegangen wäre, jedoch habe ich nicht im entferntesten bei der Überarbeitung an eine totale Umänderung gedacht. Die Gefahr hier und da etwas zu vergessen, das ganze zu vermischen war mir zu gross und auch zu umständlich. Deshalb lasse ich die Geschichte diesbezüglich wie sie ist, merke mir jedoch deine Anmerkung für künftige 'Werke'.
Konsequenterweise hätte ich es bei dem erwähnten Satz mit dem Jungen durchziehen müssen, ist mir klar, jedoch wird durch 'vor einem Jahr' (vergleiche Futur: in einem Monat fliege ich, zB.)deutlich, dass es die Zeit zuvor ist. Somit ist glaube ich das Pqpfkt fakultativ.
Rückblenden sind da noch ein anderer Fall (Wie fandest du sie? Hatte sie teils auch ein bisschen abgeändert und hoffe, dass sie wie gute Rückblenden gewirkt haben, schräggeschrieben habe ich sie nicht mehr, weil das unangenehm fürs Lesen ist...)

Fehler wird grad verbessert... (ist so typisch Mundarteinfluss, hab ihn *schäm*, glaube ich schonmal gemacht)

mfg Van

 

Hi van Horebeke,

mit deiner Geschichte habe ich mich gern so ausführlich beschäfigt, und es bringt, bei de Feedback von dir, auch immer sehr viel Spaß, so an den Geschichten "zu arbeiten".

Meine Gedanken sind meistens auch für zukünftige Geschichten gemeint. Das Risiko, bei einer kompletten Zeitumstellung noch mehr durcheiander zu bekommen ist wirklich zu groß, und deine Geschichte ist schon viel zu gut, um sie noch einmal völlig von vorn zu beginnen. :)

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Van Horebeke!

Mir gefällt die neue Version besser als die alte, aber wirklich gut finde ich die Geschichte immer noch nicht.

Ein Alternativvorschlag für den Aufbau:
Zu Beginn ermordet Juliette die drei Männer (in dem Glauben, sich selbst damit zu töten, was ich an dieser Stelle aber noch nicht verraten würde.)
Sie wird verhaftet und erzählt den ermittelnden Kripobeamten ihre Geschichte, dann aber in der chronologisch richtigen Reihenfolge (je nach deinen Vorlieben in der "Ich-Form" oder aber, neutral gestaltet, in der dritten Person).
So könntest du das Plusquamperfekt weitgehend vermeiden. Ins Präsens würde ich die Geschichte bzw. Teile davon nicht stellen.

Mit diesem Beginn hättest du einen „Anreißer“, der neugierig auf die Geschichte macht, weil man wissen will, warum Juliette diese Tat begeht. Außerdem sähe das ganze nicht nach „Selbstmordgeschichte“ aus. Ein solcher Anfang würde der gesamten Geschichte, die ja eigentlich nicht Selbstmord zum Thema hat, meines Erachtens gerechter werden.

An dieses Verhör bzw. an ihre Erzählung könnte sich dann dein Schluss anschließen, der mir aber ehrlich gesagt immer noch nicht so richtig gefällt. Das "Sie war es! Habt ihr ihren Blick gesehen? Diese verdammte Hexe. Tötet sie, bevor..." überzeugt mich nicht. Ich finde es zu unrealistisch.

Mit einem interessanter gestalteten Einstieg und einem glaubwürdigeren Schluss könnte die Geschichte meiner Ansicht nach einiges gewinnen.

Noch ein paar Details:

„Sie spürte, wie eine Hand sich unter dem T-Shirt an ihren Brüsten vergriff, dann weiter zog, schliesslich zwischen ihren Beinen tastete.
Sie solle stillhalten und nicht schreien.“
>>> Bei dem letzten Satz fehlt meiner Meinung nach etwas. So würde ich ihn nicht stehen lassen, zumindest ein „sagte/forderte einer der Kerle“ würde ich einfügen.

Fast eine halbe Stunde lag sie da und dachte nach. Fast dreissig Minuten weinte oder schluchzte sie.“
>>> zweimal das Gleiche ausgesagt, einmal würde ich streichen

„Wenigstens würden sie ein schlechtes Gewissen haben.
Vielleicht.“
>>> Würde ich streichen; denkt sie so etwas als Opfer wirklich? Ist zwar vorstellbar, passt aber für mich in dieser Geschichte nicht

„Einige massen immer wieder den Puls und versuchten den Jungen gar wiederzubeatmen.“
>>> „gar“ würde ich ebenfalls streichen, klingt nicht gut bzw. umgangssprachlich

„Gestern hatten ihr drei Unbekannte angerufen“
>>> „Gestern hatten sie drei Unbekannte angerufen“

„Sie hatte dann mit der Nummer dieser Anrufer deren Adresse herausgekriegt.“
>>> Geht das bei euch? In Deutschland ist das, soweit mir bekannt ist, nicht so einfach möglich (Datenschutz).

„das wohl den Zweck haben sollte, die negative Bierauswirkung zu überdecken“
>>> „negative Bierauswirkung“ würde ich umformulieren, das klingt sehr unglücklich

„Bei all der Unlogik musste irgendwo die Logik sein. Sie konnte sich nicht töten, das war unlogisch. Aber wenn sie sich tötete und dabei immer jemand anderes für sie starb, konnte sie irgend jemanden töten und sie würde endlich sterben.
War das nicht logisch?“
>>> Für mich ist es nicht logisch.
Dass sie nicht sterben kann, entspricht nicht den Naturgesetzen, ist also auch nicht logisch.
Dass sie sterben kann, wenn sie jemanden tötet, erscheint mir als Folge aber auch nicht logisch. Ich würde es eher so formulieren, dass sie sich fragt, ob sie auf diese Art und Weise sterben kann – aber ohne den Zusatz „Logisch“.

Soweit von mir.

Viele Grüße
Christian

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Christian!

Danke fürs (erneute) Lesen und Kommentieren!

Ein Alternativvorschlag für den Aufbau:
Zu Beginn ermordet Juliette die drei Männer (in dem Glauben, sich selbst damit zu töten, was ich an dieser Stelle aber noch nicht verraten würde.)
Sie wird verhaftet und erzählt den ermittelnden Kripobeamten ihre Geschichte, dann aber in der chronologisch richtigen Reihenfolge (je nach deinen Vorlieben in der "Ich-Form" oder aber, neutral gestaltet, in der dritten Person).
So könntest du das Plusquamperfekt weitgehend vermeiden. Ins Präsens würde ich die Geschichte bzw. Teile davon nicht stellen.
Deine Idee hat etwas, muss ich zugeben. Der Anfang wäre - keine Frage - um einiges packender.
Was mir aber dabei verlorengeht, bzw. massgebend geändert wird, ist mE die Beziehung des Lesers zu Juliette. Sie wird dadurch unsympatischer und gewaltbereit. Ich will jedoch den Leser Stück für Stück in Juliettes Situation einbringen, damit der Leser ihre Handlung - dann wenn sie erzählt wird - nachvollziehen kann. Ausserdem würde Juliette mE irgendwelchen Beamten ihr ganzes Leben sicherlich nicht so ausführlich erzählen - es sei denn, sie will freigesprochen werden und ihren Mord relativieren, was sie aber nicht will. Sie will die Hinrichtung(naiv)

Selbstmord hat meine Geschichte schon zum Thema, nebst Unsterblichkeit ist das mE sogar das Hauptthema, jedoch wohl nicht im hier eigebürgerten Sinne... je nach dem, wie man es sieht.

Danke für die Detailanmerkungen. Das mit dem anrufen habe ich sofort geändert, das 'gar' wird auch gleich gestrichen. Die anderen Änderungen gehe ich ein bisschen langsamer an(da keine 'Fehler' in dem Sinne).
Ich denke die Adresse anhand der T.nummer herauszufinden ist schon möglich (auf Computer sind ja die ganzen Telefonlisten erhältlich). 100% sicher bin ich mir aber auch nicht, im schlimmsten Falle musste J. die Listen durchsuchen, bzw. anonym anrufen, um den Namen herauszufinden und dann ists ja einfach...
Werd mir aber das Problem nochmals durch den Kopf gehen lassen.

An dieses Verhör bzw. an ihre Erzählung könnte sich dann dein Schluss anschließen, der mir aber ehrlich gesagt immer noch nicht so richtig gefällt. Das "Sie war es! Habt ihr ihren Blick gesehen? Diese verdammte Hexe. Tötet sie, bevor..." überzeugt mich nicht. Ich finde es zu unrealistisch.
Den erwähnten Satz kann ich schon umändern. An sich erscheint mir die Paniksituation jetzt glaubwürdig; blaue Blitze und eine Gefangene, die die ganze Zeit nicht spricht, sondern nur böse um sich blickt, lässt sich in solch einer Extremsituation für die Zeugen 1+1=2 schnell zusammenzählen.

Zur Logik: logisch ists nicht. Juliette ist aber davon überzeugt. Als 'gut möglich' würde ich es schon bezeichnen. Wenn man in Js Situation auf so eine Idee kommt, ist man schnell davon überzeugt. Dass irgendetwas Schlimmes ausweglos ist wird mE kein Mensch einfach so hinnehmen wollen und so entsteht in der Verzweiflung schnell einmal ein vielleicht nicht ganz gerechtfertigter Glaube an einen scheinbaren Ausweg...

Ansonsten danke ich dir nochmals für die Anmerkungen und insbesondere auch für die zu 'Juliette 1', von denen ich für die Überarbeitung profitieren konnte.
Schade, dass dich der Schluss immer noch nicht überzeugt(der mir selbst besser gefällt als der alte und den ich dank deinen Amerkungen abgeändert habe)

Soweit von mir
;)

mfg Van

 

Geschrieben von Van Horebeke
Was mir aber dabei verlorengeht, bzw. massgebend geändert wird, ist mE die Beziehung des Lesers zu Juliette. Sie wird dadurch unsympatischer und gewaltbereit.
Das würde sich sicherlich ändern (wobei sie ja ohne Frage gewaltbereit ist ...). Wenn du Juliette sympathisch darstellen willst, müsstest du diese Sympathie im Lauf der Geschichte erst aufbauen.
Es wäre ein anderer Ansatz.

Aber manchmal erscheint ein (zunächst) unsympathischer Protagonist einfach interessanter, je nach Story.

 

Dass wäre eine recht grosse Herausforderung, die Geschichte so zu gestalten, wie du es vorschlägst und zudem aus einer unsympathischer Juliette eine sympathische zu machen. - Das wäre Schreiben im Sinne hoher Kunst, äusserst geplantes Schreiben und ich befürchte, dass ich dem noch nicht gewachsen wäre. Ich sehe mich eher noch als Zufallsautor, der von seinen plötzlichen Einfällen schöpft, ohne grossen Strukturskizzen zu machen...

Also ich persönlich bin so zufrieden mit meiner Geschichte und ich werde - wohl auch aus zeitlichen Gründen und weil ich neue Ideen auf der Platte habe - sie +- so lassen, wie sie ist, auch wenn es mir klar ist, dass es auch andere, durchaus sehr interessante Wege gäbe, die Geschichte auch noch zu schreiben - ich habe zu sehr Angst davor, bei einer hastigen und nicht perfekt überlegten Umänderung zu verschlimmbessern.

mfg Van

 

Hallo Van Horebeke
Wieder einmal ein Meisterschlag. Mehr ist dazu fast nicht zu sagen. Diese Geschichte erinnert mich sehr an mich selbst?!
Liebe Grüsse
Deine Snooze

 

Hallo snooze!

Natürlich freut mich dein Kommentar sehr, und noch mehr,dass du eine (recht lange)Geschichte von mir gelesen hast. Natürlich muss ich deine Antwort anders nehmen als andere, da du mich ja kennst und so nicht die Anfangsobjektivität hast, wie andere. Was aber überhaupt nicht heisst, dass ich deinen Kommentar unehrlich finde! Ich sage daher Danke fürs Lesen und Kommentieren.

Schon? Naja, da habe ich höchstens unbewusst an dich gedacht, wobei ich entweder dich oder Juliette zu wenig kenne, um da grosse (charakterliche) Ähnlichkeiten festzustellen:D. Die Idee zu Juliette entstand ganz plötzlich, ohne grossen 'Ursprung'. Ich denke aber Juliette hat, so eigenartig sie ist, Züge vieler Menschen (ah, darin besteht die Ähnlichkeit...)

mfg Van

 

hi hallöchen nochmal!

Auch sie war von einem nicht übel aussehenden, selbstbewussten, blonden Mann angesprochen worden, dem keine Tube Haargel zu schade war und der zur Simulierung von Coolheit seine Zigarette selbst während dem Sprechen – und Anmachen – im Mund behielt. Der Typ war zudem recht muskulös und trug, um dies allen zu zeigen, ein enges T-Shirt.
Juliette hatte ihm schliesslich eine heftige Abfuhr erteilt, hauptsächlich wohl, da sie nicht darauf aus war, einen Aschenbecher zu küssen.
toll formuliert

Immer wieder wandten die drei sich ihr zu, richteten einen höhnischen Blick auf sie oder ihre Kleider, um dann wieder über sie zu reden. Juliette verstand nicht viel. Ab und zu ein Wort wie 'Nutte' oder 'arrogante Dreckssau'. Den Rest konnte sie sich selbst erdenken.
auf sowas trifft man immer wieder hm? dummheit + schönheit > intelligenz + hässlichkeit

auch wenn es nicht meine lieblingsgeschichte von dir ist, kann ich nichts bemängeln.
schöner stil, wie immer,
schöne idee, wie immer,
schöne prot, wie immer.

so, alles wie immer.

Tama

p.s.: hat mir natürlich super gefallen, sehr spannend, auch nach dem zweiten mal. :)

 

So, Urlaub bekanntlich ja vorbei für mich. Ich bin wieder da, auf kg.de, trotz theoretischer Schullast und ich werde zwischen dem Schreiben von Kritiken Stück für Stück nachholen, was ich in London nicht machen konnte: Auf die vielen lieben Kritiken hier antworten.

Hallo Tama!

Ich gestehe, wenn ich mal für kurze Zeit Internetzugang hatte und sah, dass du dich wieder auf eine meiner Geschichten gestürzt hattest, habe ich mich immer sehr gefreut.
Hat mich erstaunt, dass jemand meine 'Juliette' hervorgegraben hat. War vor einem halben Jahr wohl noch eine meiner besten Geschichten und er hat einer meiner persönlichen Lieblingsgrundideen. Stilistisch hat es allerdings aus jetztiger Sicht einige Sätze, die ich bei anderen Texten selbst kritisieren würde - trotz damaliger Überarbeitung.
Dennoch eine der Geschichten, die mir wirklich was bedeuten - auch weil ich durch das Schreiben und erneute Schreiben viel gelernt habe. Damals.

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren!
Und man hey, dass du sie gleich zweimal gelesen hast... freut mich besonders.

Liebe Grüsse,

Van

PS: Sehr netter Anfang, deine Geschichte, wirst dort die Tage mal ne Kritik bekommen!

 

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