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Kalt hier.

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30.08.2004
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Kalt hier.

Suchend wandert ihr Blick durch das Zimmer. Betastet hektisch das große Gemälde über der Sitzgruppe, die Unmengen von Karaffen und Flaschen auf dem Sideboard, die vielen CDs, die sich neben der Musikanlage stapeln. Ihre Finger nesteln am weich-fließenden Stoff ihres eleganten schwarzen Abendkleides, streichen durch ihre Haare, krallen sich im weichen Leder der Couch fest. Sie fühlt, wie langsam schleichend ein Gefühl in ihr aufsteigt und ihr die Kehle zuschnürt. Nervosität, eine nicht greifbare und nicht bezwingbare Unruhe, die von ihren Gedanken Besitz ergreift. In ihrem Kopf pulsiert es, Bilder schießen hin und her in ständig wechselnder, immer gleicher Folge. Was mache ich hier? Was soll das alles? Fragen, auf die sie keine Antwort findet. Auf die sie keine Antwort finden kann. Weil es keine gibt. Sie versucht, sich die Situation von außen vorzustellen. Ein Blickwinkel, als ob sie über dem Zimmer schwebt und von oben auf sich selbst herab sieht. Eine junge Frau im schwarzen Cocktailkleid, eine rote Pashmina-Stola um die Schultern drapiert. Highheels, in denen jeder Schritt zuviel tödlich ist. Ihre langen dunklen Haare fließen über ihren Rücken und verdecken ihr Gesicht. Neben ihr ein attraktiver Mann im grauen Anzug. Verständnisvoller Blick, sympathische Grübchen, gewinnendes Lächeln. Und doch, sie kann keine wirkliche Verbindung zwischen sich und dieser an sich harmonischen Szene ausmachen. Es ist, als schaute sie auf eine Andere herunter, nicht auf sich selbst. Sie fühlt sich fremd, und das in einem Moment, in dem sie glücklich sein sollte.


Erschrocken schaut er sie an. In ihren Gedanken völlig verloren, hat sie hörbar laut geseufzt. „Was hast Du?“, kommt sofort seine besorgte Nachfrage. Was ich habe? Gute Frage, denkt sie im Stillen. Wenn ich das wüsste – es wäre mir sehr damit geholfen. Was kann ich Dir antworten? Dass ich mich nicht wohl fühle? Dass es mir hier zu eng wird? Ich das Gefühl habe, gleich ersticken zu müssen, so eingeengt von der perfekten Idylle, die mir nur noch deutlicher zeigt, was eigentlich fehlt? „Mir ist kalt“, stößt sie hilflos hervor. Noch ehe sie zu Ende gesprochen hat, hält er eine warme Wolldecke in der Hand, die er behutsam um sie legt. „Warte, ich mach auch gleich noch das Fenster zu“, fügt er hinzu und nimmt ihr jegliche Verbindung zur kühlen Nachtluft. Jener Luft, nach der sie sich im Moment so sehnt. Sie verkriecht sich immer tiefer in die kuschelige Decke, die sie eigentlich gar nicht braucht, und hofft, darin verschwinden zu können. Nur weg hier, raus, fort. Wie kann er ahnen, dass es nicht die Kälte der Luft ist, die sie zum Frösteln bringt? Dass es die Kälte dieser Welt ist, in der die Gänsehaut auf ihren Armen ihren Ursprung hat? Die Kälte zwischen den Menschen, die auch ihr Herz einzufrieren droht? Kann er sich das vorstellen? Und kann sie ihn dafür verurteilen, dass er es sich nicht vorstellen kann? Nein, das ist nicht fair. Das Leben ist nicht fair. Sie darf ihm nicht die Schuld daran geben, und doch fühlt sie, wie seine Gegenwart zunehmend eine diffuse Wut in ihr hervor ruft.


Ihre Lippen beginnen zu zittern, als sie an diesem Punkt ihrer Gedanken angelangt ist. Erst unmerklich, dann immer stärker. Sie hat keine Kontrolle mehr darüber. Ihre Schultern zucken, die Wolldecke rutscht herunter. Auch den Pashmina-Schal wirft sie von sich. Sie spürt, wie ein Meer aus Salz ihre Augen erobert. Die erste Träne bahnt sich ihren Weg vom inneren Augenwinkel aus entlang der Nase, über ihre Wange. Schnell die Haare davor, er darf nichts merken. Er würde es nicht verstehen. Er hat das nicht verdient. Sanft spürt sie seine Hand auf ihrer nackten Schulter, sie bewegt sich leise tastend vorwärts, streichelt auf und ab, beruhigend. Wie durch Watte dringen seine Worte an ihr Ohr. „Kann ich irgendetwas für Dich tun?“ Ja, lass mich gehen. Lass mich einfach gehen. Schau mich nicht mit Deinen großen grauen Augen fragend an, sei nicht traurig, mach Dir keine Gedanken. Es geht nicht um Dich, Du kannst nichts dafür. Es geht einfach nicht. „Ich habe Durst“, antwort sie zögernd mit vor Unsicherheit bebender Stimme. Mit einem Satz ist er von der Couch aufgesprungen. Schon auf halbem Weg in die Küche, ruft er ihr zu „Das haben wir gleich, ich hol Dir was.“ Wie kann er ahnen, dass es nicht der physische Durst ist, der sie umtreibt? Dass sie nach dem Leben dürstet? Ihr Dasein endlich richtig auskosten will? Gedanken und Gefühle zum Ausdruck bringen will statt sie herunter zu schlucken und mit dem schalen Nachgeschmack im Mund weiter zu existieren? Trotz ihrer Angst vor dem, was kommen mag, war sie sich noch nie so sicher: Dies hier, das ist es nicht. Es ist nicht das, worauf sie ihre Erwartungen, Hoffnungen und Träume gesetzt hat. Noch hat sie die Wahl, wer weiß, wie lange noch. Ihr Herz einfrieren und so kalt werden wie die Welt um sie herum. Oder ausbrechen, noch einmal von vorn beginnen, auf eine bessere Zukunft setzen. Und wieder: Was kann er dafür, dass er diesem Anspruch nicht genügt? Wie kann sie ihn dafür büßen lassen, dass er nicht verstehen kann? Das ist wirklich nicht fair. Das Leben ist nicht fair.


Verwirrt beginnt sie, in ihrem kleinen, bestickten Handtäschchen zu kramen. Ihr Kosmetikspiegel kommt ihr in die Finger. Sie öffnet ihn, betrachtet sich, sieht das Bild einer fremden Frau, das sie unmöglich mit sich selbst in Einklang bringen kann. Die Spuren der Unsicherheit sind unter einer Maske von zur Schau getragener Coolness verschwunden. Die Tränen der letzten Nacht verborgen unter einer dicken Schicht Make-up. Ihr viel zu rot geschminkter Mund öffnet sich. Staunend. Fragend. Sprachlos. Der Verschluss ihrer Halskette ist nach vorn gerutscht. Das bedeutet, dass man untreu ist, hat ihr mal jemand gesagt. Sie ist untreu. Untreu sich selbst gegenüber. Die junge Frau im Spiegel hat nichts mit ihr zu tun. Sie weiß nicht, was sie hier eigentlich tut. Ob es richtig ist oder falsch. Zu viele Fragen. Zu wenige Antworten.

Als er mit zwei halbvollen Gläsern Rotwein in der Hand aus der Küche zurück kehrt, ist das Zimmer leer. Leer bis auf einen Zettel auf dem niedrigen Couchtisch, auf dem mit rotem Lippenstift geschrieben steht

LEB WOHL​

 

hallo du!
fand dein geschichte sehr gut!
mir gefallen deine assoiationen, deine ideen, deine metaphern...!

Wie kann er ahnen, dass es nicht der physische Durst ist, der sie umtreibt? Dass sie nach dem Leben dürstet? Ihr Dasein endlich richtig auskosten will?

...finde ich besonders schön!
ansonsten finde ich, dass du die gefühle der frau super rübergebracht hast, man kann sie verstehen, mit ihr fühlen. man fühlt sich aufeinmal auf ganz zerissen... :)

wirklicu gut gmacht...

auf rechtschreibunng habe ich jett gar nicht so geachtet, aber schlimmes ist mir nicht aufgefallen! :D

vielleicht könntest du aber die gedaken der frau kursiv drucken, zum besseren "lesen"?!

liebe grüße
frotte

 

Hallo Frotte,

die Idee, die Gedanken der Frau in Kursiv zu schreiben, war echt gut. Danke dafür und für Deine Tipps diesbezüglich - wie Du siehst hab ich es nach einigem Rumprobieren doch ganz gut hinbekommen! ;)

Lieben Gruß, Lady_Lariscaya

 

Liebe Lady:)
keine ursache...noch in kleiner wunsch, auch wenns jetzt schon fast nervig wird...vielleicht könntest du, falls du mal zeit hast, noch kleine absätze machen...einfach jeweils vor dem "denekn" oder wie dus halt für richtig hälst:)
erleichtert einfach das lesen und macht das ganze etwas übersichtlicher!

die zugegeben manchmal etwas pingelige frotte ;)

 

Liebe Frotte,

erst mal danke für Deine Nachricht und die neue Anregung. ;) Allerdings hab ich mich dagegen entschieden, meine Geschichte in noch mehr Absätze zu untergliedern. Habe mir eben mal angeschaut, wie das dann so aussehen würde, und ich muss sagen, für mich macht es einen zu sehr "zerstückelten" Eindruck. Es soll auch deutlich werden, dass die kursivgedruckten Gedanken der Frau in direktem Zusammenhang mit dem sichtbaren Geschehen stehen, dass dies alles parallel abläuft. Sorry, aber da würden mich persönlich zu viele Absätze irgendwie stören.

Danke & liebe Grüße an Dich, Lady_Lariscaya

 

brauchst dich nicht zu entschuldigen, deine "rechtfertigung" klingt für mich sehr plausibel, aber aucb ohne: es ist ja deine geschichte:)
liebe grüße
frotte

 

Hi...
Sehr schön geschrieben. Mir gefallen deine Worte, dein Spiel damit.
Hat mir wirklich gut gefallen.
Am Ende hätte ich es schön gefunden, wenn nicht eine Aktion die Geschichte schließt (find ich ein bisschen aprupt und vorhersehbar) sondern eine gedankliche Lösung ( die natürlich mit einer Handlung einhergehen kann).
Mir fehlte am Schluss ein wenig Gänsehaut, verstehst du?
Trotzdem: Selten so gute Emotionen gehabt beim Lesen.Glaub ich bin anspruchsvoll;)

 

Hallo sonnensterben,

vielen Dank dafür, dass Du mir Deine Meinung zu meiner Geschichte geschrieben hast. Hab mich sehr gefreut, dass sie Dir gefallen hat. :) Was den Schluss der Geschichte betrifft - ich glaube, ich weiß ungefähr was Du meinst. Ein vorerst nur gedankliches Leb Wohl wäre vielleicht besser gewesen als ein schon in der Geschichte in die Tat umgesetztes. Nun ja, ich werd mal weiter drüber nachdenken, vielleicht ändere ich das ja noch ein bisschen um, mal sehen.

Lieben Gruß, Lady_Lariscaya

 

Hallo Lady,

tja, ich kann mich nur anschließen: sehr schöne traurige und wortgewandt geschriebene Geschichte, die ich gerne gelesen habe. Die bedrückende Stimmung und die innere Verzweiflung der Prot sind sehr gut getroffen und erzeugen beim Lesen schon fast Beklemmung - das ist dir phantastisch gelungen. :thumbsup:

Ich finde, dass der Schluss so bleiben kann, denn ich persönlich hatte einfach das Gefühl, dass deine Prot diese Gefühle nicht das erste Mal durchlebt und einfach jetzt an den Punkt gekommen ist, wo sie sagt: jetzt nicht mehr.
Aber das ist natürlich eine rein subjektive Meinung ;) Schließlich muss die Geschichte auch dir gefallen, und ein anderer Schluss wäre vielleicht auch schön.

Wie auch immer, mir hat sie gefallen.

Liebe Grüße,

Ronja

 

Hallo Felsenkatze,

auch Dir möcht ich ganz herzlich für Deine tolle Kritik danken! Ich freu mich wirklich sehr, dass meine Geschichte hier so vielen Leuten gut gefällt! :)

Ich hab mich inzwischen auch dazu entschlossen, den Schluss so zu lassen, wie er jetzt ist. Auch wenn ich die Anregung von sonnensterben richtig gut fand, aber letztendlich gefällt mir die Geschichte auch so, wie sie ist, und ich hänge auch ziemlich am letzten Absatz. Deswegen bleibt alles so, wie es jetzt ist. ;)

Lieben Gruß, Lady_Lariscay

 

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