Kinderseele
Das kleine Mädchen schaute mich mit großen Augen an, der Blick traurig und anklagend. Den Kopf hielt es leicht geneigt, die Schultern hochgezogen. Was ist mit dir, fragte ich, warum siehst du so unglücklich drein? Es antwortete mir nicht, schien meine Stimme überhaupt nicht wahrzunehmen, hielt mich aber weiterhin mit seinem Blick gefangen. Wie alt mochte das kleine Mädchen wohl sein, ich schätzte es auf 5 bis 6 Jahre. Die Haltung verriet Unsicherheit, Ängstlilchkeit, doch am meisten verwirrte mich dieser Blick, so schwer, traurig und sehnsüchtig, melancholisch. Dieser Ausdruck passte einfach nicht zu einem kleinen Mädchen, warum spielte, lachte und schrie es nicht wie andere Kinder, es wirkte so wenig lebendig. Am liebsten hätte ich mich abgewandt, mich dieser leidvollen Stimmung entzogen, doch ich spürte, dass es wichtig war, zu bleiben, dass es schon zu oft mit seinem Kummer allein gelassen worden war.
Also hockte ich mich auf den Boden, so dass wir auf Augenhöhe waren. Lange Zeit betrachtete mich das Mädchen misstrauisch, dann öffnete es die Augen weiter, sein Blick nun neugierig und weniger ängstlich. Vorsichtig streckte es die rechte Hand nach mir aus, berührte mein Haar, strich mir sanft mit zitternder Hand über meine Wange. Ich imitierte seine Bewegungen und als ich die Wange des Mädchens streichelte, legte es seinen Kopf in meine Hand, eine Träne kullerte langsam auf mein Handgelenk herab. Dann legte es seine Arme um meinen Hals, wie dünn und zerbrechlich diese Arme waren, flügelgleich. Es schluchzte zunächst kaum hörbar, dann weinte es zunehmend hemmungsloser, meine Schultern und mein Haar bald tränendurchnässt. Es zitterte am ganzen Leib und ich streichelte seinen Rücken, bis keine Tränen mehr kamen und es langsam ruhiger atmete. Das Mädchen in meinen Armen wiegte ich mich hin und her, wir beide in einem Takt, endlich im Einklang. Es löste die Umarmung ein wenig und lächelte mich an.
Ich reibe mir die Augen wie nach einem langen Schlaf, langsam werden die Umrisse schärfer, das Bild klarer, ich atme hörbar tief durch und löse meinen Blick vom Spiegel.