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Kopfsprung

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29.06.2018
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Kopfsprung

Die dralle Frau, die der Mann am Tresen, der selten ins Hexenwerk kommt, nicht mehr als jung bezeichnen würde, beugt sich mit ihrem engen, roten Kleid und einem Ausschnitt, der zeigt, was er nicht verbergen soll, beim Spülen der Biergläser weiter vor als notwendig. Sie hat dem Mann am Tresen schon das zweite Bier gezapft, ihre Blicke haben sich getroffen, aber über das Notwendige hinaus haben sie noch nicht miteinander gesprochen. Es ist luftig-warm draußen, Spätfrühling und noch früh am Nachmittag, drinnen trotz der offenen Tür schummrig. Es riecht nach den Toiletten im Untergeschoss und nach dem gestrigen Abend. Es riecht auch nach dem Abend vor dem gestrigen Abend und nach allen anderen Abenden, an denen die Besucher Bier verschütten, und spät abends, wenn das Rauchverbot von der Wirtin aufgehoben wird, Zigaretten anzünden. Die Stereoanlage in der hintersten Ecke des Raums spielt eine Mischung aus Rockmusik der vergangenen Jahrzehnte.
»Dieser Track ist gut gealtert, der hat immer noch was«, sagt der Mann am Tresen zu der Drallen, die den Kopf hebt, ihn anlächelt und erwidert: »Bei denen war ich letztens auf einem Konzert.«
Es entspinnt sich ein Gespräch über Musik, Konzerte und Festivals, während der Mann am Tresen das dritte und vierte Bier trinkt, nur unterbrochen von kurzen Gängen der Drallen nach draußen, um die beiden in der Sonne sitzenden Stammgäste zu fragen, ob sie noch einen Wunsch haben. Der Mann am Tresen sieht ihr jeweils nach, ihrem wiegenden Gang mit den ausladenden Hüften, der den Schlitz im Kleid aufspringen lässt, er sieht ihre spitzen Schuhen mit den hohen Absätzen und stellt sich vor, wie es wäre, mit der drallen Frau zu schlafen. Er ist Mitte vierzig, in keiner Partnerschaft, dunkelhaarig mit deutlichem Graueinschlag und trägt seine Lederjacke, die ihm schon seit vielen Jahren das Gefühl eines bevorstehenden Abenteuers gibt, dafür muss er nicht einmal rauchen.
Der Mann am Tresen ist gelangweilt. Sein Leben ist nicht ausgefüllt: er hat mit Anfang dreißig ein beträchtliches Erbe zugesprochen bekommen, das ihn finanziell unabhängig gemacht hat, so dass er seine Tätigkeit als Fachanwalt für Verkehrsrecht aufgegeben hat. Er hat einige Freunde, aber weder Kinder noch eine erfüllende Aufgabe. Er mäandert durch sein Leben mit Phasen von Exzessen, die ihren Ausgangspunkt oft in der Kneipe gegenüber, im Meyer’s, nehmen. Mit Phasen von Askese und Sport und Phasen der Beschäftigung mit Literatur, klassischer Musik und Malerei. Zuletzt beschäftigt er sich beinahe obsessiv mit russischer Literatur, die er im Original liest und mühsam übersetzt.
Der Mann am Tresen bin ich.
Von draußen kommen die beiden Stammgäste herein, der eine sichtlich genervt vom anderen, der ihm in einem schwer verständlichen Englisch, ich bin mir nicht sicher, ob es Irisch ist, seine Meinung über die Filme von Quentin Tarantino aufdrängt und die Dralle gleichzeitig dazu bringen will, die Soundtracks zu den Filmen aufzulegen. »Nee, mache ich nicht, Connor, hier gibt’s keine Wünsche, weißt Du doch.« Connor heißt er, wahrscheinlich also doch ein Ire.
Heute Vormittag kam mir eine Idee wieder in den Sinn, die ich als Kind oft hatte. Ich möchte ein anderer sein, nein nicht einer, zehn andere. Ich möchte mich hineinversetzen, ich möchte denken, was sie denken, fühlen, was sie fühlen, ihre Freude und Sorge mir zu eigen machen.
Ich bestelle einen Campari-Orange, wende meine Aufmerksamkeit nach innen und versuche, die Musik und die Unterhaltung der anderen Gäste als Hintergrundgeräusch dafür zu nutzen. Aber gerade jetzt kommt ein unangenehmer Mensch mit zwei Kötern herein, Bulldoggen oder so.
Ich bleibe nicht mehr lang, »zahlen, bitte!«

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Ist immer ein cooler Auftritt, wenn ich mit Schalke und Preußen einreite. Schalke heute leider mit Maulkorb, Preußen mit dem Halstuch, das Bine ihm umgebunden hat. Ist ein echter Schatz, die Bine, nur ‘n bisschen häuslich geworden in den letzten Monaten, weiß gar nicht was los ist. Meine beiden springen direkt auf ihren Stammplatz, auf die Sessel unter dem Dartspiel, und Preußen leckt sich erstmal seine Eier, »ha, genau so geht das, guter Junge.«
Am Tresen sitzt ein Fremder, sonst sind nur Harro und Connor da, der Spasti. Schnucki sieht geil aus heute wieder, das Kleid hat sie schon ein paar Tage nicht mehr angehabt, zeigt wirklich alles, was ein Mann sich wünschen kann.
»Hey Schnucki, gibt’s noch Suppe?«
»Extra für dich gemacht, mein Starker.« Die zwinkert mir zu, als stünde sie auf mich, aber das ist gut für’s Geschäft, schon klar.
Setze mich mal an den Tresen zwischen Harro und den Fremden mit der Aktentasche, neben Connor hab ich keinen Bock, der kaut mir sonst wieder ‘n Ohr ab. Ist ein richtiger Idiot, labert nur von Filmen und Musik und hat wirklich Null Ahnung von Fußball. Wohnt schon fast zwei Jahre hier und war noch nie im Stadion, weiß gar nicht, was Harro mit dem zu belabern hat.
»Heute gibt’s meine gute Hühnersuppe, lass dir schmecken, Starker.«
»Machste mir ‘ne Cola dazu, Schnucki? Ich trinke heute kein Bier, fahr’ nachher noch ‘ne Runde mit der Mopete.«
Der Heini mit der Aktentasche haut ab, hab’ ich mehr Platz. Mahlzeit.

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Ich fasse es nicht, bringt er die Schabracke mit – zum Elternsprechtag, muss erst mal ‘n Schluck nehmen, boah reg’ ich mich auf. »Sie soll doch auch hören, wie wir helfen können«, bla bla bla, ich krieg’ gleich ‘n Kackreiz.
Aber Frau Merkling hat nur mit uns gesprochen, das hat sie sicher gemerkt, die blöde Kuh, fand ich gut. Klar, Samuel hat ein paar Probleme, aber daran ist ja wohl sein Vater Schuld, hätte ja zu Hause wohnen bleiben können. Sich von mir aus im Puff abreagieren, wie die anderen auch, aber nein, bändelt mit der hochnäsigsten Tussi an, die ich je gesehen habe, Frau Doktor auch noch, irgendwas mit Kunst oder so, ist die Bilderärztin, oder was? Zieht auch noch mit der zusammen, dann kaut er mir ‘n Ohr ab, wie er Sammy vermisst und sein Anwalt erpresst mich dann mit dem Unterhalt gegen das Wechselmodell, was das schon für ein bescheuertes Wort ist.
Jetzt ist Sammy jede zweite Woche bei denen und in der Schule kackt er ab. Drei Fünfen, davon zwei in Hauptfächern, Mathe und Deutsch, und eine in Sozialverhalten, das war vor zwei Jahren noch nicht so. Mathe ist auch echt schwer, aber Deutsch wird er ja wohl lernen können, kann ja jeder, sogar diese Arabertypen.
Konnte gar nicht richtig zuhören eben, Bodo sah gut aus in seinem Anzug, die Pissfletsche hat sich eingehakt bei ihm. Ich hab extra mein engstes Kleid angezogen, soll er sehen, was er vermisst, der Penner. Erst mal raus hier, Zigarette und einen kleinen Schluck aus dem Flachmann, das tut immer gut.
Mist, wo hab ich eigentlich meinen Mantel aufgehängt, oh Kacke, oben an der Klasse, da steht Bodo aber noch mit der Tussnella und quatscht mit Frau Merkling, gehe ich eben noch mal hoch. Was sagt sie jetzt? » ... ist das Wechselmodell aus meiner Erfahrung eher nicht förderlich, der Junge braucht ein stabiles Umfeld und ein ruhiges Zuhause.«
»Sag ich doch, dämlicher Arsch, Sammy braucht Dich und die Fotze nicht, ich kümmere mich um ihn, ich krieg’ das schon gewuppt.« Ups, das war laut, die gucken ganz bedröppelt, Frau Merkling auch.
Bodo sieht so kalt aus, was hat er denn? »Manu, wir müssen uns unterhalten, mein Anwalt hat Dir geschrieben und letzte Woche war ein Termin beim Jugendamt, da bist Du wieder nicht gekommen.«
Leck mich, schnell den Mantel und weg, ich hab hier nichts zu bereden. Vielleicht spendiert mir ja einer ‘n Schnaps im Hexenwerk oder im Meyer’s.
Scheiße, Absatz abgebrochen, aber es ist ja nich’ weit.

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Alder, was schwabbelt das. Wenn ich den Bauch nicht einziehe, kann ich neben dem Nabelpiercing eine Fettwulst mit den Fingern greifen, voll eklig, ich würde mich auch nur dissen. Gucke gleich, ob noch mal was kommt, hab erst dreimal heute. Direkt nach dem Mittagessen zuletzt, Mama hat nichts gemerkt, die war mit ihrem Macker und seinem Sammy beschäftigt, dem Nullchecker. Ich kann das inzwischen so leise, das kriegt keiner mit. Dann ein Kaugummi gegen das Maulpesto und alles ist wieder gut.
Nicki hat es neulich geschafft, hab’ das Foto geliked, unter fünfunddreißig, geil, das ja wohl echt mal Size Zero, Checkerbraut die. Ich bin die fetteste von allen, ‘ne richtige Schwabbelkuh, voll krass ungeil.
Und in die Klinik gehe ich auf keinsten, da können sie mir reinstressen, wie sie wollen. Die mästen dich dort wieder hoch und alles war umsonst. Hab Veronika voll nich’ wieder erkannt, als sie rauskam, die hatte bestimmt fünfzig Kilo, sah aus wie alle anderen, genauso fett und ungesund.
Muss mich mal setzen, kann nicht mehr laufen.
Wenn ich richtig dünn werde und mir mit achtzehn endlich die Titten und die Tattoos machen lassen kann, kriege ich bestimmt einen geilen Typen ab, nicht so ‘ne Anabolikafresse, vielleicht eher so ein Geschäftsmann mit Swag, wie den, der da gerade aus der Bank kommt. Hat bestimmt jede Menge Kohle und ein Haus mit Pool und Putzfrau und allem. Das wäre cool.
Heute esse ich auf jeden Fall nichts mehr.

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Was das alles kostet, der Anwalt nimmt 240 die Stunde, der Steuerberater sicher auch, aber das ist es hoffentlich wert am Ende. Der Banker hat auch keine Eier, wenn es mal drauf ankommt. »Der Vorstand wird über die Refinanzierung am Dienstag auf der nächsten Sitzung entscheiden, aber ich muss sehen, dass die neunhunderttausend bis Montag eingehen, sonst nehme ich es von der Tagesordnung.« Fuck. Ich hoffe, er hat nicht gesehen, wie mein Augenlid gezuckt hat, das hab’ ich seit ein paar Wochen, keine Ahnung woher. Neunhunderttausend, so weit hätte es nie kommen dürfen. Neunhunderttausend unversichert an so einen Dödelladen, da steckt ja gar nichts hinter. Tom’s Diner - Steak Burger and Salad, schon klar, Thomas Kaschinski, schon klar. »Neunundzwanzig Läden in der Region und bald deutschlandweit«, hat er mit erzählt und Steffen, mein Vertriebsmann, hat genickt dazu, war sein erster großer Abschluss, ‘n fetter Neukunde macht sich immer gut in der Probezeit.
Wo steht eigentlich mein Auto? Ach ja, im Parkhaus dahinten. Was aber auch für Typen unterwegs sind tagsüber, mannmannmann.
Neunhunderttausend, vierhundert waren es nach der Erstlieferung, die Auskünfte waren okay, Zahlungsziel 30 Tage, 2%, ganz normal. Dann der Urlaub in Südafrika, in dem scheiß Park klappte das Internet nicht und ich hab auch ehrlich gesagt gar nicht mehr dran gedacht, dass die nächsten Lieferungen rausgehen, man muss ja auch mal Urlaub machen.
Los jetzt, geh ran, Kaschinski, die Nummer habe ich so oft gewählt die letzten Tage, ich kann sie vorwärts und rückwärts im Schlaf aufsagen. Geht natürlich nicht ran, Wichser.
Habe es jetzt mit Patrick so weit, dass wir uns geeinigt haben, war ‘ne doofe Zeit, am Ende war keiner zufrieden, so ist das mit Kompromissen. Aber das ist auch nicht das richtige Business für ihn, er macht jetzt ‘ne Fortbildung, irgendwas mit Coaching oder Feng Shui oder alles zusammen, hab’ nicht genau hingehört. Kümmert sich auch viel um’s Muttchen. Mit der Umfinanzierung zahle ich ihn aus, dann kann ich allein entscheiden und er hat seine Ruhe.
Sechs Euro für siebzig Minuten parken, die ticken ja auch nicht mehr richtig, kein Wunder, dass kein Mensch Geld hat und bei Kaschinski meine Burger futtert.
Los jetzt, geh’ mir nich’ auf’n Piss, fahr vorwärts, Du Honk. Mann, der ist zu doof, das Parkticket reinzustecken, steckt seinen Schwanz wahrscheinlich auch in ‘ne Klorolle. So, jetzt Gas und ab zum Club, neun Löcher schaffe ich heute noch und danach brenne ich mir einen, aber so was von.
Was hinkt denn da für eine Tussi über den Bürgersteig? Ach so, Absatz abgebrochen, das sieht aber bescheuert aus.
Das Kleid hat der vor fünfzehn Kilo aber auch mal besser gepasst.

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Wahlwiederholung, düdüb, »hallo?«, »ja, bin jetzt da.« Wie ich das hasse, diese Schnitzeljagd, als ob man mir nicht trauen könnte, »ich mache Dir auf, wenn Du da bist, ruf mich dann noch mal an.« Ein ganz normales Wohnhaus, viele Fahrräder davor, sieht nach Studenten aus, sie hat sicher keinen Gewerbeschein. »Girlfriend6« stand in der Annonce, was immer auch das bedeuten soll, ich hatte noch nie eine Freundin.
»Okay, dritter Stock, rechts«. Vor mir geht eine junge Frau die wenigen Stufen zum Erdgeschoss hoch, sieht aus wie eine Osteuropäerin, »Mobiler Pflegedienst Sana« steht auf dem Poloshirt, sie geht links in die Wohnung, sicher kein einfacher Job. Dritter Stock also, kein Lift. Die Tür ist angelehnt, niemand zu sehen, ich gehe rein, da kommt sie. »Hallo, schön, dass Du da bist, komm rein«. Ganz hübsch ist sie ja und sehr jung. In ihrer Anzeige nennt sie sich Jessica und behauptet, sie mache das nur nebenbei, sei eigentlich Erzieherin, ich will das mal glauben.
Ich gebe ihr die achtzig Euro für die halbe Stunde, abgezählt schon zu Hause, mein Portemonnaie wollte ich nicht mitnehmen, man weiß ja nie, wo man hingerät. Hab noch hundert in kleinen Scheinen in der Hosentasche, vielleicht brauche ich ja was für Extras.
»Willst Du noch mal ins Bad?« Das fragen sie alle, ich höre darin immer eine Aufforderung. Habe zwar gerade noch zu Hause geduscht, aber das sagen sicherlich auch alle, also gehe ich rein. Ein Waschbecken, eine Dusche, eine kleine Batterie von Nivea für alle Körperbereiche, sogar Rasierschaum. Ich wasche mir nur die Hände und zerknülle ein Handtuch für den Anschein.
Im Flur erwartet sie mich, »wir gehen da drüben rein.« Ein breites Bett, darauf ein großes Handtuch, hoffentlich frisch, man weiß das nie so genau. An der Wand eine Art Regal oder offener Schrank, eine Stange mit Dessous, Stiefel in mehreren Varianten in der Ecke, sogar einige Dildos im Regal. Ich stehe unschlüssig neben dem Bett, ich warte auf ihre Aufforderung.
»Zieh Dich schon mal aus, ich komme gleich.« Neben dem Regal steht ein Stuhl, darüber lege ich meine Sachen, die Unterhose behalte ich an. Würde mich nicht wundern, wenn gleich der Urologe reinkommt und sich den Handschuh anzieht, alle Lust, die ich vor zwei Stunden noch hatte, als ich sie anrief, ist weg.
Da kommt Jessica rein, zieht sich ganz aus, schade, dass sie so gelangweilt guckt. Auch keine Dessous, Freundinnen tragen die offenbar nicht. Ich lege mich auf das Bett, sie zieht mir die Unterhose runter und wirft sie auf den Boden, das passt mir nicht, aber ich sage nichts. Sie legt sich neben mich, stützt sich seitlich ab, ihr Busen vor meinem Gesicht und krault mit der Hand über meine Brust. Ich nehme ihre Nippel in den Mund, spiele daran mit der Zunge, sie knetet jetzt meinen Schwanz mit ihren lackierten Fingernägeln, das sieht gut aus im Spiegel an der Decke. Küssen lässt sie sich nicht, das stand schon in der Anzeige.
Sie holt ein Gummi raus, nimmt es zwischen die Zähne und beugt sich über mich. In einem Rutsch ist es drüber, das hat gut geklappt. Sie hat ihn jetzt im Mund, fährt mit dem Kopf hoch und runter, ihre Haare kitzeln auf meinem Bauch. Jetzt muss ich doch was sagen, »mach langsam, bitte, ich will noch in Dich rein.« Sie wirft sich auf den Rücken, macht die Beine breit, leckt sich zwei Finger ab und befeuchtet sich. Ich schiebe ihn hinein, sie umklammert mich mit den Beinen, schaut zur Seite und stöhnt, etwas künstlich natürlich, aber das macht nichts. Es geht schnell heute, nach kaum einer halben Minute bin ich so weit und lasse mich auf sie fallen. Sie dreht sich weg, hält den Pariser fest, zieht meinen Schwanz raus und steht schon neben dem Bett. Sie zieht ihn ab, knotet ihn zu und gibt mir ein Tuch von der Küchenrolle neben dem Bett. Dann zeigt sie auf einen Klappeimer in der Zimmerecke, »kannst Du hinterher da rein werfen«. Als ich mich umdrehe, zieht sie schon ihre Jeans hoch, »geh’ gern noch mal ins Bad.« Aber ich will nur noch raus.
Keine drei Minuten später stehe ich wieder auf der Straße, mir wackeln etwas die Knie und ich habe einen schlechten Geschmack im Mund. Ich werde mir im Theatercafé die Hände waschen und dann ein Buch kaufen, ich habe Lust auf eine Biographie, vielleicht Wittgenstein.
Hoffentlich ist die Buchhandlung noch nicht zu.

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Im Gesprächskreis haben uns alle gut zugeredet, »natürlich schafft Ihr das, das wird euch wieder verbinden« und so. Aber die wissen nicht, wie das ist. Doch, die wissen es auch, aber es tut immer noch so weh.
Klaus hat mir versprochen, dass wir direkt wieder heimgehen, wenn ich möchte. Und er darf nichts sagen und nicht mit mir schimpfen. Er war ja schon ein paarmal wieder, ich noch nie. Er hat seinen Arm um mich gelegt, das tut gut – früher sind wir oft so gegangen. Es wird schon langsam dunkel, vielleicht kommen wir ja auch zu spät, dann sieht uns keiner beim Reinkommen. Zum Glück kein Mozart heute. Don Giovanni war es damals, ich hatte schon bei der Ouvertüre so eine Vorahnung, hab’ aber nichts gesagt. Als dann im zweiten Akt der Anklang von Figaros Hochzeit gespielt wurde, wurde mir schwarz vor Augen, eine Mutter spürt so etwas.
Klaus wollte anschließend noch ins Theatercafé und mit den Erkenhoffs über die Aufführung sprechen, das haben wir sonst immer gemacht, von ihm kann man eine Menge lernen, aber ich wollte nicht. Als wir die Haustür öffneten, spürte ich, dass Benny nicht daheim ist, ich kann nicht sagen, wieso.
Der Rest des Abends ist noch immer verschwommen, die beiden Polizistinnen an der Tür mit den ernsten Gesichtern, der Arzt, die Poster über Bennys Bett, in das sie mich gelegt haben, ich wollte das wohl unbedingt.
Da vorn ist das Theater, sieht aus wie immer, heute Operette, Friederike von Lehár, Klaus wollte einen leichten Einstieg. Vor dem Meyer’s stehen die Raucher draußen, da war schon immer viel los. Klaus drückt mich an sich, er weiß, dass ich lärmende Menschen nicht mehr ertrage. Ich habe ja eingesehen, dass ich mal wieder raus muss, fast zwei Jahre nur Therapie und Gesprächskreis, das ist auf Dauer nicht gut.
Mein Kleid ist mir zu groß geworden, es fühlt sich sogar so an, als ob die Schuhe nicht mehr richtig passen. Zwölf Kilo habe ich abgenommen, aber doch nicht an den Füßen. Am Eingang ist keiner mehr, ein paar stehen noch in der Halle, wir gehen direkt auf unseren Platz. Klaus hat das Abo weiterlaufen lassen, ist jetzt das einundzwanzigste Jahr. Operette mochte ich eigentlich nie, aber ich wollte heute nichts sagen.
Klaus schlägt vor, dass wir die Plätze tauschen, ich sitze jetzt links von ihm, meinetwegen. Neben mir ist frei, das Ehepaar war immer sehr nett, aber die Frau sah schon damals krank aus, hoffentlich geht’s ihr gut. Klaus stellt das Opernglas vor unserem Platz an die Brüstung. Wir brauchen es selten, aber er hat es immer dabei – ein Geschenk seines Vaters zum Abitur. Der war auch so ein Verrückter – fast siebenhundert Schallplatten, oft dicke Boxen, sind sicher ein Vermögen wert. Dazu mindestens drei Regalmeter Bücher – in Franz Lehàr wäre er niemals gegangen, er ließ nur die italienische Oper gelten. Ihn vermisse ich auch, aber seine Frau, die dämliche Kuh: »Besser aufpassen hättet ihr sollen«, wie soll das denn bitte gehen, auf einen 17-Jährigen aufzupassen? Hoffe, ich sehe sie nie wieder.
Mir ist kalt, aber jetzt gehen die Lichter aus, es geht los.

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Die beiden Spitzen schneidet man ab, legt die Knoblauchzehe dann auf ein Brett und drückt mit der Breitseite eines Kochmessers darauf, anschließend lässt sie sich ganz einfach schälen. Komisch, dass mir das jetzt wieder einfällt, aber es funktioniert. Ich habe das im Fernsehen gesehen, da war mein Kurtchen schon im Krankenhaus, er war so allergisch auf Knoblauch, dass ich sogar den Fernseher hätte umschalten müssen, wenn er dabei gewesen wäre. Ich nehme gleich noch eine zweite und dritte, ich mag den Geruch, wenn ich sie in heißem Olivenöl anschwitze. Das habe ich vorgestern gekauft, eine Flasche vom besten Öl, das sie hatten, fast vierundzwanzig Euro – das hätte Kurt niemals erlaubt. Ihm reichte das Sonnenblumenöl für zweineunundvierzig, es musste immer billig sein.
Und jetzt ist er nicht mehr da und Herr Albinger auf der Bank hat mir gesagt, wie viel Geld wir haben, ich konnte es gar nicht glauben. Vierzigtausend schenke ich meinem Jungen und Mona, die können das bestimmt gebrauchen, ich komme auch so klar, die Witwenrente reicht, die Miete ist niedrig. Hm, wie das duftet, jetzt zwei Zwiebeln dazu, kleiner stellen und dann Zucchini, Auberginen und Schafskäse. Das habe ich schon so lang nicht mehr gegessen, für Kurt war Stielmus schon exotisch.
Und ständig das Fleisch, ich konnte es nicht mehr ertragen am Ende. Wenigstens donnerstags haben wir fleischfrei gemacht, was das nicht eine Idee von dem Langhaarigen von den Grünen? Egal – jetzt versuche ich, wie das mit dem Couscous geht, und dann esse ich auf dem Balkon. Noch so eine verrückte Idee, ist aber so ein schöner Tag heute. Ich nehme das Leinentuch, das haben wir zuletzt vor fünfundzwanzig Jahren bei der Silberhochzeit benutzt und seitdem aufbewahrt – es hätte ja etwas drankommen können.
Nach dem Essen lese ich noch ein wenig, Volksmusiksendungen werde ich ganz sicher niemals wieder ansehen in meinem Leben. Ich habe mir die Erzählungen von Thomas Mann noch einmal gekauft, Kurtchen hat die alte Ausgabe irgendwann weggeworfen, »liest ja doch keiner mehr«, hat er gesagt.
Nochmal Händewaschen im Bad, der neue Lippenstift macht mich richtig fraulich, das ist eine schöne Farbe. Vielleicht gehe ich doch mal zum Tanztee mit Inge, warum nicht?

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»Mann, was stellt die sich wieder an.« Letzte Woche habe ich schon gesagt, dass ich mal wieder ins Meyer's möchte, da war ich früher drei- bis viermal die Woche und kannte alle, wirklich alle. Natürlich nicht irgendwelche Studenten oder Typen, die nur mal so da waren, aber sonst wirklich alle. Sarah war nie in Kneipen, die kennt das nicht, schon klar, hatte sie in ihrem Profil ja auch nicht angegeben, hätte ich mal besser gucken sollen. Aber ich hab auch keinen Bock, jedes Wochenende irgendwelche Leute von ihr zu treffen oder, noch schlimmer, mit denen zu kochen. Da werde ich nur müde und komme mir so alt vor, wie die Freunde von Sandra vielleicht sind.
Sie ist schon ‘ne halbe Stunde im Bad und macht sich zurecht, immerhin. Ich mixe noch einen schnellen Vodka-Lemon, heftige Mischung, ist nur noch wenig Lemon da. Wenn ich es richtig weiß, mein dritter, die beiden Biere zähle ich mal nicht, das war ja noch Nachmittag. Ich trage mein weißes Segelclubhemd, drei Knöpfe offen, das kam immer gut an, die Jeans hat sie gewaschen, meine schwarzen Budapester sind wie immer blank geputzt. Das Jacket hängt schon über dem Stuhl, vielleicht ist Ursula ja auch da – man hab ich Bock, die mal wieder zu sehen. Klar, Sarah ist mein Schatz und tut alles für mich, aber alter Schwede, was Ursula früher gemacht hat, da kommt keine mit. Scheiße, Glas schon wieder leer, im Bad ist es noch ruhig – ein kleiner geht noch, hat sie ja nicht mitgekriegt, was ich schon getrunken habe. Das gefällt ihr nicht, ich weiß das, aber leck mich, mir gefällt’s.
Außerdem ist dann alles viel leichter und die Weiber sind auch hübscher – und geiler sowieso. Die Uschi, das waren Zeiten, wenn wir uns jetzt sehen, müssen wir immer warten, bis alle weg oder total blau sind, bevor wir auf dem Gang zum Klo knutschen und fummeln können. Runter in den Vorratskeller will sie nicht mehr, Luigi hat mir den Zweitschlüssel gegeben, dem macht keiner was vor, vielleicht klappt’s ja irgendwann doch noch mal.
Mein Schatz kommt aus dem Bad, endlich. Sie strahlt mich an, vielleicht hat sie ja doch Lust, das würde es ausnahmsweise mal leichter machen, bin ja nicht ihr Animateur. Man kann doch auch mal aus sich heraus Spaß haben, oder nicht?
Scheiße, das Jacket hängt am Stuhl fest, der kippelt etwas, aber das kann ja mal passieren.
»Hast Du schon was getrunken?«
»Nur einen Kleinen, komm, lass losgehen.« Ich lege ihr die Hand auf dem Rücken, schiebe sie raus, draußen winke ich nach ‘nem Taxi, kommt zum Glück direkt. »Ins Meyer's«, sage ich und küsse Sarah, kann schon ein Schnuckelchen sein. An der Ampel stecke ich mir ein Kaugummi zwischen die Zähne, besser so.
Im Meyer's ist die Hölle los, ich wusste es, sogar der Spinner von neulich steht am Tresen mit zwei echten Sahneschnitten, natürlich großes Hallo, als ich komme. Bin direkt mittendrin, die eine kommt mir vage bekannt vor, hat so’n Blitzen in den Augen, das gefällt mir. Vielleicht ‘n bisschen füllig in den Hüften aber Wahnsinnsmöpse in dem engen Kleid, scheint nur irgendwie zu hinken. Der Gin Tonic schmeckt hier viel besser als zu Hause, muss mal doch teureren kaufen, scheint ein Unterschied zu sein. Die Musik ist so laut, braucht kein Mensch, hör gar nicht, was sie sagt, irgendwas von ‘ner Insel, kriege gar nicht mit, welche. Was? Norderney? Phhhh, kann sein, kann nicht sein, wann war ich denn da? Und wo ist Sarah überhaupt? Der Spinner hat ‘ne Runde bestellt, Kurze, schmecken scheußlich, aber ich revanchiere mich mit ‘nem Flaming B-52 - immer wieder ‘n geiler Effekt, hab mir vor ‘n paar Jahren mal heftig die Schnauze verbrannt, aber die Ladys mögen das, sieht cool aus.
Die Freundin von ihr steht jetzt neben mir, brüllt mir irgendwas ins Ohr, ob da auch ‘n Dreier geht mit den beiden? Wo ist Sarah? Sollte gleich mal ‘n Kaffee bestellen, hoffentlich ist sie nicht sauer, aber hier kann mich sich ja wohl mal richtig amüsieren. Luigi winkt rüber, heißt ja eigentlich Ludwig, die alte Socke, aber Luigi ist natürlich besser, faselt immer was von ‘nem Sportwagen und Haus am Strand und so’n Kack, aber scheißegal, hört eh keiner zu.
Sarah steht auf einmal da und will gehen, och nee.
»Was, nach Hause, jetzt schon? Guck mal, wir amüsieren uns hier gerade so gut und Uschi kommt vielleicht auch noch. Also ich würde gern noch bleiben, ist das okay?« Bussi rechts und links, »bis nachher, komm gut heim, nimm ‘n Taxi«.
So, erst mal was für die Kondition, Vodka-Bull, ekelhaft, aber komm, jetzt kommt’s drauf an, nicht schlapp zu machen, hab jetzt richtig Bock auf ficken.
»Wie heißt ihr eigentlich, ihr beide?«
Die eine brüllt mir »Manuela« ins Ohr, die andere irgendwas anderes, hab’ ich direkt vergessen, ist ja auch egal. Den Song kenne ich, »la_laa, la_la_laa ...« hab ich die jetzt angespuckt?, scheißegal, lecke ich ihr ab, oh Zunge im Mund, Alter die knutscht aber heftig, flinke Zunge ist immer gut, ich zieh die mal ganz ran. Ob die wohl mit runter kommt? Hab ich den Schlüssel eingesteckt? Wie spät ist es eigentlich?
Scheiße, muss mal kurz vor die Tür, ist mir schlecht, da steht Sarah ja noch, lässt sich von so einem Spacken anlabern, was’n das für’n Wichser?, macht meine Frau an. Ruckzuck bin ich da, sehe noch Sarahs große Augen, der Typ steht mit dem Rücken zu mir, aber nicht lange, da liegt er auf dem Boden, dämlicher Honk.
Sarah kann froh sein, so einen Kavalier wie mich an ihrer Seite zu haben, ganz alte Schule.

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Erst mal raus hier und ‘ne schnelle Runde laufen, hab ich von Mieke gelernt: so weit und so schnell gehen, bis man nicht mehr kann, dann noch ein bisschen und auf dem Rückweg die Aufmerksamkeit auf das Thema lenken. Meine Aufmerksamkeit brauche ich gar nicht zu lenken, die ist ohnehin immer beim selben Thema.
Teamleiter oder Schriftsteller – beides geht nicht, das habe ich gemerkt. Einundzwanzig Jahre bei der Versicherung, Sachbearbeiter, Referent, Teamleiter, stellvertretender Abteilungsleiter, Abteilungsleiter und in drei Jahren vielleicht Bereichsleiter. Fettes Gehalt, fette Altersvorsorge, Sicherheit ohne Ende, aber keine Zeit für mich und überhaupt keine Kreativität. Vorgaben für alles. Dass man überhaupt noch auf’s Klo kann, wenn man möchte, wundert mich manchmal.
Am Wochenende dann die Bücher, am liebsten Novellen, gern Romane, immer mit Anspruch, eine interessante Geschichte, interessantes Umfeld, kluge Gedanken in kunstvollen Sätzen. Hab’s auch zwei-, dreimal versucht mit kleinen Geschichten, im Netz ein paar Ermutigen erhalten, die Freunde haben sich auch positiv geäußert, aber wie ehrlich ist das? Und was soll ich damit anfangen?
Ganz reinstürzen würde ich mich wollen, jeden Tag mindestens vier bis sechs Stunden, fünf Tage die Woche und dann nach einem Jahr sehen, was rausgekommen ist. Christine aus meinem Schreibkurs hat es auch geschafft, Buchvertrag bei Ullstein, hat aber auch ein Hammerthema.
Wenn ich ein Jahr aussetze, ist die Karriere weg, alles was ich in mehr als zwanzig Jahren aufgebaut habe, hat dann ein anderer. Ich könnte wieder einsteigen, aber das würde keiner Ernst nehmen. Da braucht man schon einen richtigen Grund, ‘ne fiese Krankheit und eine lange Reha oder so, aber dann wirst Du hinterher mit Samthandschuhen angefasst und fühlst dich wie kurz vor Garden Leave, will ich auch nicht.
Sicherheit gegen Freiheit, gab es da nicht mal einen Wahlslogan »Sicherheit und Freiheit«? Geht das überhaupt? Für mich jedenfalls nicht. Muss ja noch elf Jahre die Raten zahlen für das Haus und Jessi und Frederick wollen noch studieren. Und was ist denn das für ein Vorbild, ein Vater, der in Sack haut, weil er sich verwirklichen will? Mit was denn? Mit einem Buch, das kein Mensch braucht? Was habe ich schon zu erzählen?
Mein Vater hat auch nicht an sich gedacht, fünfundvierzig Jahre in der Bank, zwei Jahre Rente, dann Klappe zu, kurz und schmerzlos, fertig. Vielleicht soll man auch nicht mehr wollen, als man wollen soll, es ist bestimmt nicht gut, sich gegen das Universum aufzulehnen, das für mich einen Platz in der drittgrößten Versicherung des Landes vorgesehen hat. Mit Kantine, Check-ups, Karrierecoaching, dickem Bonus zu den vierzehn Gehältern und Dienstwagenregelung ab Bereichsleiterebene. Ist schon richtig so, meine Geschichten schreibe ich dann im Urlaub oder wenn ich in Rente bin. Morgen ist AC für die Standortbestimmung und dann zwei Tage Strategiemeeting, Thema Kundenbegeisterung mit ‘nem externen Coach, soll mehr als fünftausend kriegen für die beiden Tage, mal sehen.

Nein, ich trinke nicht noch ein Bier im Meyer’s, ich werde heimgehen und die Unterlagen für das AC noch einmal durchgeben. Ist das Sarah aus dem Literaturzirkel, die da vor dem Meyer’s steht? Hab die schon ewig nicht mehr gesehen, wie schön.
»Sarah, schön Dich zu sehen, hallo ...«

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Einen Teller hole ich mir noch, dann haue ich ab. Das Curry schmeckt gut, muss mal fragen, wie sie es gemacht hat. Die Besoffenen torkeln schon durch’s Wohnzimmer und grölen sich »Es tut mir leid, Pocahontas« ins Ohr, ich bleib mal besser in der Küche. Da steht sogar ein Mettigel, kenne ich noch von den Parties meiner Eltern, megakrass retro – hat noch keiner angerührt, sieht wirklich eklig aus.
Merke jetzt langsam, dass ich zu wenig geschlafen habe, der Job an der Tanke geht ziemlich auf die Knochen. Ist zwar nur kassieren, aber die Nachtschicht von zehn bis sechs ist ganz schön lang. Gestern musste ich sogar schon um acht anfangen, einer war krank, zwölf Stunden am Stück, das ist ja eigentlich gegen alle Arbeitszeitgesetze. Aber der Chef hat mir Dreißig extra zugesteckt und einen anderen Namen in die Liste eingetragen, so eng sieht der das alles nicht. Heute nur von sechs bis zehn, wollte noch auf die Party. Trinkgeld gibt’s natürlich nie, aber vorhin war so’n Typ im 911er da, hat sich ‘ne Flasche Gin vom Besten gekauft, neunundsechzig Euro, mir ‘n Hunderter gegeben und gesagt, »ist jetzt auch schon egal« und ich solle dafür bei Tom’s Diner essen gehen. Mache ich aber nicht, bin Vegetarier.
Jule hat eben so schön rübergelächelt, die ist wirklich nett. Die Mädchen stehen alle auf mich, aber ich kann mit denen nichts anfangen, sexuell meine ich. »Hab’s versucht und mich auch angestrengt«, wie es in dem neuen Song heißt. Heiße zwar nicht Vincent, aber Victor ist ja nah dran, fand ich ganz lustig. Der Typ mit dem Bart hat sich eben an mich gedrückt, als wir in die Küche gegangen sind, scheint ein Spanier oder so zu sein, unterhält sich mit zwei anderen, da hört man den harten Akzent raus. Der gefällt mir, hat ‘n coolen Style.
Was ist jetzt los? Die Musik ist auf einmal aus, oh, die Bullen an der Tür, leiser machen, schon klar. Ich sollte wirklich abhauen, muss morgen das Referat so weit kriegen, dass es nur noch Kleinigkeiten sind Am Wochenende komme ich eh zu nichts, die Eltern kommen, keine Ahnung, was das wieder soll. »Junge, wie läuft’s denn mit den Mädchen?«, ich höre es jetzt schon.
»Hi, ich bin Jorge«, er streckt mir seine behaarte Hand hin, »hi, ich heiße Victor«.
»Was machst Du so, Victor? Du stehst hier so allein.« Dunkle Augen, schwarze Haare, er ist wirklich Spanier.
»Ich wollte gerade abhauen, muss morgen früh raus« entgegne ich, aber ich höre mich nicht überzeugend an.
»Ach komm, Du siehst aus, wie ein Mann, der ein bisschen Spaß haben will, komm mit mir mit, ich gehe noch auf eine andere Party, da ist viel mehr los.« Zwinkert er mir zu oder bilde ich mir das ein? Er trinkt in einem Zug aus und legt mir die Hand auf den Oberarm, »Victor, komm mit mir, ich beiße nicht.«
Wir poltern durch’s Treppenhaus runter, ich hab mich gar nicht verabschiedet. Draußen rempelt er mich an, ich muss lachen und mich abstützten, die ganze Reihe Fahrräder fällt um.
Er grinst mich an und ich wuschele ihm durch die Haare.

- - -

Früher schlug die Kirchturmuhr auch nachts, zumindest zu den vollen Stunden. Jetzt weiß ich nicht, wie spät es ist. Hinter dem Vorhang ist es ganz dunkel, die Uhr in der Küche tickt gleichmäßig. Hoffentlich wird der Sommer nicht so heiß wie im letzten Jahr, da bekomme ich schlecht Luft. Die Erfrischungstücher sind mir runtergefallen, ich hätte jetzt gern eins, die muss mir Svetlana nachher aufheben. Svetlana, ich habe immer noch nicht verstanden, wo die eigentlich herkommt, Ukraine, Weißrussland – ist das nicht dasselbe? Jetzt kann ich nicht mehr fragen, das wäre zu peinlich. Die ist so nett zu mir. Wenn ich mir überlege, was die Deutschen denen angetan haben.
Ob ich wohl an das Wasserglas komme? Ich sage immer noch Wasserglas, ich Dummchen, dabei habe ich aus einem Glas schon lange nicht mehr getrunken, mir trauen sie nur noch Schnabelbecher zu.
Die langen Nächte sind die schlimmste Zeit, ich hoffe ja immer, wenn ich wach werde, dass der Herrgott mich zu sich gerufen hat, aber das hat er nicht, noch nicht. Tagsüber ist es besser, da komme ich an die Fernbedienung. Patrick hat mir letzten Monat einen Fernseher mitgebracht und an der Wand über dem Bett festgemacht, so ein guter Junge, hat viel zu tun mit seiner Fortbildung, nachdem er sich mit seinem Bruder endlich geeinigt hat, ich habe drei Kreuze gemacht. Die Fernbedienung habe ich nicht verstanden, aber er hat alle Tasten abgeklebt, die ich nicht brauche, und jetzt kann ich an- und ausschalten, und zwischen dem Ersten, Zweiten und 3sat hin und her. Auf 3sat laufen manchmal Opern, das war immer einer der Höhepunkte des Monats, wenn wir in’s Theater gingen, Paul und ich, vor zwei Jahren noch, zuletzt in Don Giovanni.
Nachts möchte ich nicht fernsehen, da läuft so viel Schrott, da rege ich mich nur auf. Mein Blutdruck ist ohnehin zu hoch, eine der vielen Tabletten, die ich nehme, ist dagegen – oder dafür, ich weiß nicht genau. Die anderen sind für alles andere, kann ich mir nicht alles merken, Dr. Kimbacher kommt jede zweite Woche donnerstags und sieht nach mir. Der wird auch schon alt, aber ein paar Jahre muss er noch, hat nicht genug geklebt, hat er mir mal gesagt.
Svetlana war ja gestern Abend noch da, ich hab ihr gesagt, sie soll sich die goldene Brosche aus der Schublade nehmen, »ach Muttchen«, hat sie gemeint und sich gefreut, ich hab’ ja doch keine Verwendung mehr dafür.
Oh, da duscht jemand, es ist wirklich hellhörig hier, aber das macht mir gar nichts, hab ich wenigstens ein bisschen Unterhaltung.
Ich habe Durst, aber der Becher ist so weit weg, ich glaube, ich habe nicht genug Kraft, mich umzudrehen. Wenn es warm ist, muss ich immer an den Sommer denken, als wir mit der Schule fertig waren und mit der Pfarre nach Österreich gefahren sind. Wir vier Mädchen den ganzen Tag beieinander, fesch waren wir, die Mannsbilder haben uns alle hinterhergesehen. Die höchsten Berge sind wir hochgelaufen, oben auf der Hütte frische Milch getrunken und Speckjausen gegessen, damals war ich so lebendig. Die anderen drei werd ich bald wiedersehen, so Gott will.
Draußen auf dem Hof sind Stimmen, das müssen die Studenten sein, die sich im vierten Stock die Wohnung teilen, da ist immer was los. Ich weiß nicht, wie die heißen, das wechselt ja auch immer, aber Leben im Haus ist immer gut. Ui, das hat gescheppert, einige der Fahrräder sind umgefallen, habe schon drauf gewartet, das passiert andauernd.
Vielleicht mache ich den Fernseher doch mal an, es dauert sicher noch, bis Svetlana kommt.

- - -

Spät ist das wieder geworden, hätte ich nicht gedacht heute, aber die sollten wirklich einen Sous-Chef einstellen. Ich werde das bei der nächsten Besprechung noch einmal sagen, der Jungkoch hat ja gerade mal ausgelernt im Paolo, der kann mir praktisch kaum etwas abnehmen. Und eine Spülhilfe brauchen wir zusätzlich und zwei Leute für den Service. Das Theater war voll und es kam mir vor, als würde jeder noch was essen wollen. Das ist aber auch ‘ne Schnapsidee, im Theatercafé eine saisonale, mediterrane Karte anzubieten, »Das Beste aus Frankreich, Italien und Spanien«. Soll irgendwie zur Theaterspielzeit passen, hat der Chef gesagt, keine Ahnung warum, war da noch nie, aber das führt dazu, dass wir jetzt zwölf Hauptgerichte haben – zwölf, und alle frisch gekocht. Morgen werden wir mindestens vier streichen, die spinnen ja wohl.
Nächste Woche ist mein vierzigster, hab eigentlich gedacht, mit Mona wegzufahren, nach Hamburg in ein Musical oder so, aber das geht nicht, muss mich um Mama kümmern, jetzt wo Kurt gestorben ist. Hatte ja auch mal gedacht, mit vierzig noch nicht dreistellig zu wiegen, aber das wird auch nichts. Hundervierzehn letzte Woche, Schiete.
Ich hoffe, Mona ist nicht mehr wach. Ich hoffe, Mona ist noch wach. Ich hoffe ... »Hallo Dickie«, sie ist noch wach und ruft aus dem Schlafzimmer, ich habe noch nicht mal die Tür wieder zugemacht.
»Hej, Du schläfst ja noch nicht, lass mich schnell duschen, dann komme ich.«
»Bei den Studenten oben ist ‘ne Party, ich war schon mal eingeschlafen, bin aber wieder aufgewacht. Hab die Polizei gerufen und dann konnte ich nicht wieder einschlafen« sagt sie, »findest Du mich spießig?«
»Ach wo, Du brauchst Deinen Schlaf, bist ja morgens immer die erste im Buchladen.«
»Und mein Daumen tut weh, der pocht so, habe ich mir heute Morgen an der Tür geklemmt.« Ich puste drauf, manchmal ist sie wie ein kleines Kind, noch so ein Thema.
Hier im Haus haben die das nicht gern, wenn man so spät noch duscht, ist sehr hellhörig, aber was soll ich machen, und außerdem, mit der Party oben ist das ja wohl auch egal. Im Bad steht das Fenster offen, hat Jana wohl vergessen zuzumachen. Alter Schwede, was läuft denn da bei dem? Wenn das mal nicht ´ne DVD ist, so was läuft nicht im Fernsehen, nicht mal nachts. Die eine reitet den ab und die andere sitzt auf seinem Gesicht – wow, das würde mir auch mal gefallen. Aber das wird wohl nichts mit hundertvierzehn Kilo auf der Waage, jedenfalls nicht ohne viel Kohle, und das geht nur mit eigenem Restaurant - und dafür braucht man Startkapital.
Aaaah, heißes Wasser und richtig prasseln, so mag ich das. Nehme gleich noch schnell ‘ne Viagra, bin etwas schwächlich in letzter Zeit, Mona denkt sonst, das liege an ihr. Oh Schiete, hab’ ja keine mehr, hab’ Kalle die letzten gegeben, der wollte doch nach Thailand. Hätte er auch da kaufen können, Mist.
Oh, jetzt schläft sie, gut für sie. Dann mache ich mir noch etwas zu essen und gucke eine Staffel »Walking Dead«, kann ohnehin jetzt noch nicht schlafen.

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Fuck, Fuck, Fuck.
Drei Ticks vorm Knock-out greift mein Stopp-Loss, ich bin raus und dann dreht das Ding. Fast fünfzigtausend wären es gewesen am Ende, statt zweieinhalb Minus. Hab alle Positionen geclosed, ist wirklich nicht mein Lauf gerade. Erst senkt die Fed die Zinsen doch nicht, dann entziehen sie Biodoc die Genehmigung für die klinische Phase und gestern profit warning und capital increase bei der MORAG, ich bin echt am Arsch. Achtzig sind noch über, aber es waren mal über dreihundert.
»Wie macht man an der Börse ein kleines Vermögen? Man nimmt ein großes Vermögen und fängt an zu spekulieren.« Fuck you.
Hab’ mich von den Algos abledern lassen, klassischer Anfängerfehler, hat er beim Seminar damals noch ganz klar gesagt, direkt am ersten Tag: »Versucht nicht, smarter zu sein als der Markt. The market is always right.«
Morgen gehe ich mit zehn auf Dollar/Yen und zehn, höchstens fünfzehn auf englische Staatsanleihen, die laufen mindestens zehn Pips hoch, das habe ich im Urin.
Apropos, muss erstmal pissen, kann eh nicht mehr schlafen. Was ist denn da oben schon wieder für ein Lärm die ganze Nacht? Student müsste man noch mal sein. Ach nee, heißt ja jetzt Studierender.
Dämliche Lesben überall, verhunzen unsere schöne Sprache.

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»Sammy, heute Mittag nach der Schule, möchten dein Vater und ich mit dir sprechen, ist das okay?«
Boah, ich will nicht mit der sprechen, ich will zurück zu Mama. Ist aber erst Mittwoch, muss noch viermal hier schlafen, bei der doofen Hexe und bei Papa. Und natürlich bei Valerie, die muss nach jedem Essen brechen, die ist krank.
»Sammy, leg mal bitte das Handy weg, wenigstens beim Frühstück. Hast Du gehört, was ich gesagt habe?«
»Mhm.«
»Sammy, wir wollen wirklich nur Dein Bestes, wir haben gestern mit Frau Merkling gesprochen und Dein Papa und ich möchten mit dir darüber reden.«
»Mhm. Kann ich heute mein Trikot in der Schule anziehen?«
»Ich weiß nicht, ich glaube nein. Oder hattest du das schon mal an?«
»Weiß nicht.«
»Iss mal dein Müsli auf, du musst gleich los.«
Will aber nicht aufessen, kippe das in die Spüle, merkt sie gar nicht, liest ja schon wieder ihr Buch »Das Bild an der Schwelle. Motivische Studien zum Fenster in der Kunst nach 1945«. Boah, langweilig.
Wenn ich groß bin, lese ich keine Bücher, ich spiele nur Fußball und Playstation, das wird cool.

- - -

Spät dran bin ich heute, schon fast zehn nach neun, obwohl ich so früh wach war, mein Nachbar hat so spät noch laut ferngesehen. Ich muss mich beeilen, ich weiß doch, dass sie wollen, dass ich komme. Die Sonne scheint zwar, hat aber noch keine Kraft, ich hole den leichten Trenchcoat von der hinteren Garderobe, ziehe den Lippenstift nach und stecke 30 EUR ein, mehr brauche ich nie. An der Treppe passe ich auf, ich halte mich gut am Handlauf fest, Frau Krüger ist letztes Jahr gefallen und kann nur noch im Bett liegen, die Arme, ich kann mir das nicht leisten. Draußen geht ein leichter Wind und die LKW fahren noch in der Fußgängerzone, bis zehn Uhr dürfen sie liefern. Ich bin um kurz vor halb zehn am Laden, die nette junge Frau faltet gerade das Schaufenster und schiebt es zur Seite, sie lächelt mich an. »Guten Morgen« sage ich, aber sie kniet schon in der Ecke, arretiert die Fenster und passt hoffentlich auf, dass sie sich nicht die Finger klemmt.
Schnell gehe ich durch, an den Zeitschriften vorbei, die die Praktikantin noch einräumt, vorbei auch an den Reiseführern und den Ratgebern. Hinten bei der Belletristik nehme ich heute den dritten Rundtisch, gehe gegen den Uhrzeigersinn herum und greife aus der zweiten Reihe das sechste Buch. Die beiden Zahlen habe ich mir beim Frühstück zurechtgelegt, das hilft mir, mich schnell zu entscheiden. »26 EUR« zeigt die Kasse nach dem Scannen an, ich habe heute den Bon mit der Nummer 2, ich lasse mir das Wechselgeld in Eurostücken geben, dann habe ich gleich etwas für die Kellnerin.
Im Café gegenüber ist mein Platz unter der Balustrade frei, jetzt kommt der schöne Moment. Aber erst muss ich noch bestellen: »Nur ein Leitungswasser, bitte, ich bin gleich wieder weg.« Ich reiße die Folie auf und entferne sie, öffne das Buch, die Bindung knackt leicht, die Seiten lösen sich, ich klappe es in der Mitte auf und stecke die Nase hinein. Herrlich, es gibt nichts Schöneres für mich. Es ist ein dickes Buch, es liegt schwer in den Händen, das Papier reibt an meiner Nase, ich nehme noch einen Atemzug. Dann blättere ich das erste Kapitel auf, meistens schaffe ich es, Titel und Autor nicht zu lesen und beginne mit der Lektüre. Diesmal hat das erste Kapitel einundzwanzig Seiten, es beginnt auf der Seite neun, ich lese jeden Satz einzeln, halte kurz inne, lese die letzten drei oder vier Worte noch einmal und dann den folgenden Satz. Übergänge sind mir wichtig, die Anschlüsse der Worte aneinander.
Es ist offenbar ein deutsches Buch und spielt in einem Dorf in Brandenburg, vielleicht eine Familiengeschichte, das erste Kapitel verrät nicht immer alles, das mag ich sehr. Auf der Seite dreißig klappe ich das Buch zu, ich versuche, den Titel des zweiten Kapitels nicht zu lesen. Ich sehe mir den hinteren Klappentext an, auf dem die Autoreninformationen abgebildet sind. Eine junge Frau, es gibt sogar ein Foto, ich hatte auf einen Mann getippt, aber darin bin ich nicht gut. Viele Preise hat sie gewonnen, die hat sie sicher auch verdient. Und der Text auf der vorderen Umschlagseite verrät, dass es kein Familien-, sondern ein Gesellschaftsroman ist, das wird noch interessant.
Ich lege das Eurostück auf den Tisch, das Wasser habe ich nicht angerührt. Die beiden Radfahrer lasse ich vorbei, der Brunnen plätschert so erfrischend heute. Der Platz ganz links in dem obersten Regal, das ich erreichen kann, ist wieder frei, ich freue mich für den Empfänger, es ist sicher ein gutes Buch.
Es werden ja viel zu wenig gute Bücher gelesen.

- - -

Eine Art Tresen ist vor das Fenster gebaut, daran stehen Hocker, auf dem Boden mit eher großem Abstand festgeschraubt, was es schwierig macht, ein Gespräch zu führen, der ideale Platz für mich. Wenn ich das Café Paolo morgens kurz nach der Öffnung betrete, hole ich zunächst einen Espresso doppio von der Bar, lasse ihn anschreiben, lege Brille, Buch und Wörterbuch zurecht, und beuge mich über den nächsten Abschnitt. Seit einiger Zeit russische Klassiker, meist DDR-Ausgaben, immer im Original.
Um Viertel vor zehn kommt die ältere Dame aus der Buchhandlung gegenüber, das aktuell erworbene Exemplar trägt sie noch verschweißt bei sich. Sie setzt sich draußen, seitlich vor mir, auf einen freien Stuhl und bestellt ein Glas Leitungswasser bei der jungen Studentin, die Paolo als Aushilfe da hat. Dann öffnet sie die Folie mit den Fingernägeln der rechten Hand, schlägt das Buch in der Mitte auf, hält es vor ihr Gesicht und atmet tief ein.
Wie meist bin ich zu abgelenkt, um weiterlesen zu können, und versuche einen Blick auf den Titel zu erhaschen. Ein gebundenes Buch, ein seriöser Verlag, Belletristik zweifellos, aber Autor und Titel sind heute nicht zu erkennen. Und dann liest sie, nachdem sie das Wasser bekommen hat, konzentriert und ohne aufzusehen, das gesamte erste Kapitel in ungefähr zwanzig Minuten durch. Meine Augen sind in dieser Zeit auf das weißgraue Haar an ihrem Hinterkopf geheftet, das sich während dessen nicht einmal bewegt. Anschließend liest sie die Autorenangaben und den Klappentext, schlägt das Buch dann zu, legt ein Euro-Stück auf den Tisch, erhebt sich, überquert die Straße und stellt das Buch links in das öffentliche Bücherregal an dem kleinen Brunnen, in das zweite Fach von oben. Immer in das zweite Fach von oben, immer links, immer ganz außen. Jeden Montag, jeden Dienstag, jeden Donnerstag und jeden Freitag, seitdem ich in das Café komme. Ich bin mir sicher, dass sie dies auch am Mittwoch und am Samstag tut. Niemals gehe ich ihr hinterher, wenn sie hinter dem Brunnen in der Gasse verschwindet oder sehe nach dem Buch, aber fast immer ist es beim nächsten Besuch verschwunden und hat eine Lücke hinterlassen.
Ich bestelle einen Milchkaffee und wende mich wieder meiner Aufgabe zu. Ich muss noch immer sehr viele Vokabeln nachsehen, das dauert. Erst, nachdem ich zehn Seiten durchgegangen bin, stehe ich auf, strecke den Rücken durch, hole die Übersetzung heraus und lese in einem Zug die gleiche Stelle noch einmal auf Deutsch. Dabei markiere ich mit Bleistift die Abschnitte, die ich in einem dritten Durchgang mit dem Russischen vergleiche. Danach packe ich die Bücher in die Tasche und greife mir eine Zeitung.
Als Kind habe ich oft geträumt, in die Rolle eines anderen zu schlüpfen, für eine gewisse Zeit ein anderer zu sein. Vorhin dachte ich wieder daran, wie es wäre, von meinem Kopf in einen anderen zu springen und mal zu schauen, wie es wohl in dieser älteren Dame aussieht, die hier jeden Tag ein Buch einstellt. Schade, dass das nicht geht.
Ich bestelle das Tagesmenü, wie immer ohne das Dessert. Und nachher werde ich auf dem Heimweg noch ein oder zwei Bier trinken – im Hexenwerk.

 

Hallo @MarcCaesar,

quid pro quo, wie man so schön sagt. Ich bin gerade angehalten worden, mehr zu kommentieren, was ja auch ganz richtig ist.
Vielleicht kannst du mit meiner bescheidenen Meinung etwas anfangen. :)

Die dralle Frau, die der Mann am Tresen, der selten ins Hexenwerk kommt, nicht mehr als jung bezeichnen würde, die sich selbst aber so fühlt, beugt sich mit ihrem engen, roten Kleid und einem Ausschnitt, der zeigt, was er nicht verbergen soll, beim Spülen der Biergläser einige Zentimeter weiter vor als notwendig.
Den Satz finde ich unglaublich verschachtelt. Ist das Absicht? Man muss sich sehr konzentrieren, um die verschiedenen Aussagen überhaupt noch zu erfassen. Wenn du eigenständige Sätze daraus machen würdest, würden die Sätze mMn mehr Kraft entfalten.
Sowas wie "Die dralle Frau beugt sich beim Spülen der Biergläser einige Zentimeter weiter vor als notwendig. Ihr enges, rotes Kleid mit einem Ausschnitt, der zeigt, was er nicht verbergen soll.." und so weiter. Es folgen noch viele weitere zu lange Sätze.

Es riecht auch nach dem Abend vor dem gestrigen Abend und nach allen anderen Abenden, an denen die Besucher Bier verschütten, und spät abends, wenn das Rauchverbot von der Wirtin aufgehoben wird, Zigaretten anzünden.
Das ist sehr bildhaft, ich kann mir den Geruch gut vorstellen und ich mag die Formulierung "es riecht auch nach dem Abend vor dem gestrigen Abend."

der hat immer noch was« sagt der Mann am Tresen
Komma vor sagt

und Festivals während der Mann
Komma vor während

Er hat einige Freude
Freunde

Er mäandert durch sein Leben mit Phasen von Exzessen, die ihren Ausgangspunkt oft in der Kneipe gegenüber, im Meyer’s, nehmen.
Das mäandert gefällt mir gut.

Der Mann am Tresen bin ich.
Den Satz fand ich sehr überraschend und interessant, zuerst in der neutralen Perspektive zu schreiben und dann zur Ichperspektive zu wechseln: mir gefällts.

Ist immer ein cooler Auftritt, wenn ich mit Schalke und Preußen einreite. Schalke heute leider mit Maulkorb, Preußen mit dem Halstuch, das Bine ihm umgebunden hat.
Hier habe ich mich mit dem Szenenwechsel extrem schwer getan. Musste ein paar Mal nachsehen, ob ich jetzt in der falschen Geschichte bin, habe aber dann kapiert, dass er sich die Existenz des Mannes mit den zwei Hunden vorstellt. Oder liege ich falsch?

Extra für Dich gemacht, mein Starker.
Dich klein geschrieben, auch die weiteren.

Ich fasse es nicht, bringt er die Schabracke mit –
Den zweiten Szenenwechsel bringe ich jetzt gar nicht mehr unter. Es wird klar, dass sich der Protagonist in weitere Existenzen versetzt, aber in welche? Die Frau hinter dem Tresen eventuell?

An der Stelle bin ich ausgestiegen. Vielleicht liegts auch daran, dass ich Perspektivenwechsel nicht besonders mag.
Ich verstehe, dass der Protagonist sich wünscht, in andere Existenzen zu schlüpfen und sich vorstellt, was in deren Köpfen vorgeht.
Die Idee an sich ist interessant, auch dass sich Stil und Sprache je nach Perspektive ändern, finde ich gut. Es sind aber für meinen Geschmack zu viele Perspektivenwechsel, der Text für meinen Geschmack zu lang und es gibt keinen Spannungsaufbau.

Ich denke - wie gesagt nur meine persönliche Meinung -mit kürzeren Sätzen und einem insgesamt kürzeren Text würdest du viel gewinnen.
Vielleicht hat dir meine Meinung ja ein bisschen geholfen.

 

Vielen Dank @sveit,

die von Dir genannten Punkte sehe ich mir gern an. Die Geschichte ist ziemlich lang - absichtlich - und erschließt sich mit den letzten Sätzen - auch absichtlich.

Insofern ... äh, naja - Danke eben :-)

 

„Je est un autre.“
Rimbaud​

Hoppela, das ist mal ein Einstand über 28 Seiten Standardmanuskript, die Zeile zu 60 Zeichen Courier 12 pt., der Type der guten alten Schreibmaschine, und 30 Zeilen je Seite, was dem geneigten Leser Kondition und Sitzfleisch zugleich abverlangt, ohne dass wir darüber vergessen dürfen, dass die Erinnerungskultur, die dem Leser unterstellt werden darf, will er dem Text von der „drallen Frau“ zu Anfang bis zum abschließenden „Hexenwerk“ aufmerksam folgen, gepflegt werden muss, denn die anfänglich zu erleidende akute Adjektivits und Beschreibungsliteratur wird zwischen

Heute Vormittag kam mir eine Idee wieder in den Sinn, die ich als Kind oft hatte. Ich möchte ein anderer sein, nein nicht einer, zehn andere.
[...]
Als Kind habe ich oft geträumt, in die Rolle eines anderen zu schlüpfen, für eine gewisse Zeit ein anderer zu sein. Vorhin dachte ich wieder daran, wie es wäre, von meinem Kopf in einen anderen zu springen und mal zu schauen, wie es wohl in dieser älteren Dame aussieht, die hier jeden Tag ein Buch einstellt. Schade, dass das nicht geht.
gehörig entschädigt und belohnt.

Nun gut,

lieber MarcCaesar

und damit erst einmal herzlich willkommen hierorts!,
die ersten Absätze leiden unter akuter Adjektivitis und hätten mich nahezu rausgeworfen, aber diese Leidenszeit hat sich gelohnt! Nun soll aber keiner erwarten, hier einen jungen Rimbaud in der Hölle vorzufinden, wie‘s mein Eingangszitat vortäuschen könnte, nein, es ist ein einfacher Angestellter vor der Frage und dem Traum, weniger Dichter als nur Schriftsteller zu werden

Teamleiter oder Schriftsteller – beides geht nicht, das habe ich gemerkt. Einundzwanzig Jahre bei der Versicherung, …
der mit Vorgaben leben muss und sich nach schöpferischer Freiheit sehnt und hier in seinem Debüt eine wahrhafte Maskerade (i. S. der „persona“) ausfüllt. Ich werd, wie immer, den Teufel tun, das alles nachzuerzählen, denn die Nacherzählung gehröt auf die Schulbank, um das Gedächtnis zu trainieren – und das ist bei mir noch recht gut in Form, so dass ich mich jetzt auf die Flusenlese beschränke, es ist noch einiges – sehn wir mal ab von der Behandlung der Adjektivitis – zu tun und geht gleich mit Flüchtigkeit los
»Dieser Track ist gut gealtert, der hat immer noch was«[,] sagt der Mann am Tresen zu der Drallen, …
was ich nicht mal erläutern muss, klappt es doch zumeist mit dem Abschluss der wörtl. Rede – wobei – ganz im Vertrauen gesagt – solche frühen Flüchtigkeiten direkt zu Anfang erst recht aufmerksam machen auf weitere Flüchtigkeit ...
Aber weiter im Text
Es entspinnt sich ein Gespräch über Musik, Konzerte und Festivals[,] während der Mann am Tresen das dritte und vierte Bier trinkt, nur unterbrochen …

Zwote Flüchtigkeit (die zuschnappende Fälle-Falle schließ ich an sich aus)
Der Mann am Tresen sieht ihr jeweils nach, ihrem wiegenden Gang mit den ausladenden Hüften, der den Schlitz im Kleid aufspringen lässt, er sieht ihre spitzen Schuhe[...] mit den hohen Absätzen und stellt sich vor, wie es ist, mit ihr zu schlafen.
Die Vorstellung – also den Appendix schlage ich zudem als indirekte Rede „wie es sei“ oder Konj. irrealis „wie es wäre“ (je nach Grad der möglichen Verwirklichung) vor.

Was für

Er ist Mitte vierzig, in keiner Partnerschaft, …
als korrekt gilt, gilt auch hier
Sein Leben ist nicht ausgefüllt: er hat mit Anfang [d]reißig ein beträchtliches Erbe zugesprochen bekommen, …
sind die Zahlenangaben doch verkürzte „vierzig“ und „dreißig“ Jahre!

Von draußen kommen die beiden Stammgäste herein, der eine sichtlich genervt vom anderen, der ihm in einem schwer verständlichen Englisch, ich bin mir nicht sicher, ob es Irisch ist, seine Meinung …
Hm, „gälische“ (keltische) Dialekte wie Walisisch, Schottisch und Irisch unterscheiden sich aber doch erheblich von westgermanstischen Idiomen ...

Ich bleibe nicht mehr lang, »zahlen, bitte[. / alternativ: !]«
Flüchtigkeit, zudem klingt das, bitte schön!, nach mehr als einer bloßen Aussage -
und gleich gilt‘s wieder, den Punkt einzufangen, doch zuvor ist „erst mal“ aueinander zu schreiben (ist ein verkürtes „erst einmal“)
Meine beiden springen direkt auf ihren Stammplatz, auf die Sessel unter dem Dartspiel, und Preußen leckt sich erstmal seine Eier, »ha, genau so geht das, guter Junge«.

Ohne Kommentar
»Heute gibt’s meine gute Hühnersuppe, lass Dir schmecken, Starker«.
»Machste mir ‘ne Cola dazu, Schnucki? Ich trinke heute kein Bier, fahr’ nachher noch ‘ne Runde mit der Mopete.«

Erster Tipp: Flüchtigkeit abstellen, konzentrierter arbeiten oder Manuskript erst mal liegen oder von anderem Korrektur lesen lassen und sich die eigene Ausage merken:

Mathe ist auch echt schwer, aber Deutsch wird er ja wohl lernen können, kann ja jeder, sogar diese Arabertypen.
(Selbst Gauland und die Störchin können manierlich ...)

Mist, wo hab ich eigentlich meinen Mantel aufgehängt, oh Kacke, oben an der Klasse, da steht Bodo aber noch mit der Tussnella und quatscht mit Frau Merkling, …
Da ist wohl einiges an Nutella erbrochen worden, „Tusnelda“ ist ein uralter Name germanistischer Zunge

Ich bin die Fetteste von allen, …
bloßer superlativ, die „fetteste“,
wie auch hier praktiziert
Und in die Klinik gehe ich auf keinsten,
, aber kein bleibt kein, da gibt‘s dann weder komp. Und schon gar keine superlative Endung (selbst wenn im Faust dergleichen vorkommt, da ist es aber die wörtl. Rede und sein Schöpfer stellt sich tot … reagiert nicht mehr auf Anfragen.

..., die Auskünfte waren ok, Zahlungsziel 30 Tage, …
»OK, dritter Stock, rechts«.
Verrat uns mal, was „Oklahoma“, der US-Staat wird so ohne Punkt und Komma abgekürzt, in der Geschichte zu suchen hat?

„Okay“ wird i. d. R. mit Punkt hinter beiden Buchstaben bgekürzt (ob als Majuskel oder Minuskel, Jacke wie Hose) und dann frag ich mich, was das für eine Abkürzung sein soll, die 25 % länger ist als das ausgeschriebene, vierbuchstabige Wort, zwo Buchstaben plus zwo Punkte, zuzüglich der Leerstelle zwischen dem ersten Punkt und dem zwoten Buchstaben mach fünf Zeichen … Aküspra ist nicht immer ein Segen

Dann der Urlaub in Südafrika, in dem scheiß Park klappte das Internet nicht und ich hab auch ehrlich[...]gesagt gar nicht mehr dran gedacht, …
ehrlich gesagt: immer auseinander!

Hab noch Hundert in kleinen Scheinen …
Minuskel!
Da kommst Jessica rein, zieht …
..., »mach langsam[,] bitte, ich will noch in Dich rein.«

, wie das duftet, …
Wie spricht man das aus? Beim „hm“ [hm:] weiß ich das, aber [m:] bleibt [m:] Aber da setztu noch eines drauf
Phhhh, …
das würd ich gern in Lautschrift lesen ...

..., hab mir vor ‘n paar Jahren mal heftig die Schnauze verbrannt, aber die Ladies mögen das, sieht cool aus.
„Ladys“

»Wie heißt ihr eigentlich, ihr beiden?«
„ihr beide“, eigentlich. Aber wörtl. Rede wahrscheinlich gewissenhaft protokolliert …


Das Curry ist schmeckt gut, muss mal fragen, …
Da waren wahrscheinlich zwo Formulierung (ist gut vs. schmeckt gut) im Kopf, aber ein Verb reicht

Nachts möchte ich nicht fernsehen, da läut so viel Schrott, …
wäre je reine Poesie, Schrott läuten zu lassen, aber Du meinst wohl eher, dass da Schrott „läuft“, gelle?

Wir vier Mädchen den ganzen Tag beieinander, fesch waren wir, die Mannsbilder haben uns alle hinterher gesehen.
„hinterhergesehen“

Draußen auf dem Hof sind Stimmen, das müssen die Stundenten sein, …
Nächste Woche ist mein Vierzigster, …
s. o., eigentlich der „vierzigste“ Geburtstag, mein „vierzigster“!

..., aber das geht nicht, muss ich um Mama kümmern, jetzt wo Kurt gestorben ist.
Fehlt was, mutmaßlich ein mich

Mona denkt sonst, das liegt an ihr.
Konj., zumindest „das liege ...“, mit Zweifeln eher „läge“

Student müsste mal noch mal sein.
Warum zwo „mal“, oder sollte das erste ein „man“ sein?

Nun, 90 % der Flusen werden gefunden sein (solltestu selbst noch mal durchsehn), dass ich wie bestellt schließe mit Deinen Worten

Diesmal hat das erste Kapitel einundzwanzig Seiten, …

Schau‘n mer ma‘, wie der Kaiser so sagt,

Friedel

 

Lieber @Friedrichard,

ich hatte gehofft, dass Du Dich drüber hermachst - habe ja schon einiges an Schelte von Dir erhalten, denn

Hoppela, das ist mal ein Einstand über 28 Seiten Standardmanuskript, die Zeile zu 60 Zeichen Courier 12 pt

ein Einstand ist es nicht, ich bin schon ein Jahr hier und Du hießest mich bereits willkommen, dennoch Danke.

Danke auch dafür, dass Du Dich durchgeschlagen hast und nicht zwischendurch aufgegeben hast, denn die Auflösung - auch wenn Du sie geahnt haben dürftest - kommt erst am Ende.

Ich habe die Flusen, auf die Du hingewiesen hast, abgesaugt - aber eine Sache stehen lassen:

aber kein bleibt kein, da gibt‘s dann weder komp. Und schon gar keine superlative Endung

Habe das aus einem Jugendsprache Lexikon übernommen und bedeutet "auf keinen Fall." Du wirst ja hier als Senior geführt, auch wenn Du es im Herzen nicht bist - aber wie ich es herauslese, sprichst Du auch nicht die aktuelle Jugendsprache - ich auch nicht, daher habe ich mich inspirieren lassen.

Und die altgermanische Thusnelda habe ich im abwertenden Zusammenhang schon las Tussnella gehört - lass mir die bitte durchgehen.

Zitat:
Der Name wurde zu Unrecht als negativ besetzte Bezeichnung für Ehepartnerinnen, Lebensgefährtinnen und Dienstbotinnen benutzt. Aus Thusnelda entstand "Die Tusnelda" und schließlich "Die Tussi". (Wikipedia)


Adjektive habe ich einige, wenige gestrichen, von anderen mochte ich micht nicht trennen.

Herzliche Grüße und ein gaaaaaanz dickes

Dankeschön

P.S. Dass schon wieder Hunde auftrauchten, hat Dich vielleicht hergeführt - da hast Du ja einen sechsten, siebten und achten Sinn für.

 

ich hatte gehofft, dass Du Dich drüber hermachst - habe ja schon einiges an Schelte von Dir erhalten, ...
manchmal erfüllt sich halt die Hoffnung,

lieber MarcCaesar -

aber ich hatte tatsächlich nicht auf'm Programm, dass wir uns schon begegnet sind. Aber ein Willkommen mehr hat noch keinem geschadet, was ja schon mal ganz beruhigend ist.

Ich habe die Flusen, auf die Du hingewiesen hast, abgesaugt - aber eine Sache stehen lassen:
- was Dein gutes Recht ist und ich könnt ein bisschen Kannakdeutsch sprechen (Pidgin und Kreolisch natürlich besser) - aber was die Jugend heute so spricht ... Ach ja, die Enkelgeneration wird's anders richten ... Aber dass Du die Tusnelda mit th find ich bemerkenswert. Denn selbst im Althochdeutschen gibt's fürs teaaitsch tatsächlich noch einen einzigen Buchstaben, obwohl ich mir sicher bin, dass von den Niederlanden und Friesländern bis hinab zu den Allemannen und Baiern keiner mehr das teaaitsch korrekt aussprach ... Und bei uns modernen Leuten sitzt man immer noch gerne auf dem Thrönchen.

Herzliche Grüße und ein gaaaaaanz dickes

Dankeschön


Ich hab zu danken!

Tschüss und bis bald

Friedel

 

Nabend @MarcCaesar ,
gleich vorab, ich habe den Text nicht beendet, nach einer Weile nur noch quergelesen und die Pointe verstanden.
Klar, der Text ist lang, aber ich bin ja kein Lese-Goldfisch, also ist das normalerweise kein Grund für mich aufzuhören.
Was mich aber gleich geschüttelt hat, war der erste Satz:

Die dralle Frau, die der Mann am Tresen, der selten ins Hexenwerk kommt, nicht mehr als jung bezeichnen würde, beugt sich mit ihrem engen, roten Kleid und einem Ausschnitt, der zeigt, was er nicht verbergen soll, beim Spülen der Biergläser weiter vor als notwendig.
Der Satz ist echt hart (weil sehr verschachtelt) und du machst den Einstieg für mich als Leser so schwer. Dabei bleibt dein Stil ja nicht die ganze Zeit so, aber der erste Satz, damit kriegst du mich, oder eben nicht.

Es ist luftig-warm draußen, Spätfrühling und noch früh am Nachmittag, drinnen trotz der offenen Tür schummrig.
Noch so ein Satz, der womöglich sogar grammatikalisch richtig ist, aber er klingt sperrig und ich musste ihn mehrmals lesen, um zu sehen, wo es hingeht mit den Satzgliedern.
Hier dachte ich, wäre sogar eine Liste möglich, statt der jetzigen Form. Könnte sogar ein Stilmittel sein, um den Erzähler dieses Stückes zu charakterisieren.

Es ist: luftig-warm draußen, Spätfrühling, früh am Nachmittag, drinnen trotz der....

Er ist Mitte vierzig, in keiner Partnerschaft, dunkelhaarig mit deutlichem Graueinschlag und trägt seine Lederjacke, die ihm schon seit vielen Jahren das Gefühl eines bevorstehenden Abenteuers gibt, dafür muss er nicht einmal rauchen.
das letzte Satzglied ... würde es nicht mit einem "und" besser verbunden sein? Oder, wenn du schon auf Schachteln stehst, dann mit dem ; arbeiten, um die verschiedenen Glieder sinnig zusammenzubringen?
Der Mann am Tresen bin ich.
Das fand ich wieder toll und es hat mich dazu gebracht, noch eine "Person" weiter zu lesen.

Heute Vormittag kam mir eine Idee wieder in den Sinn,
Gehört das "wieder" nicht vor das "eine Idee"?

Beim Überfliegen habe ich gesehen, dass es dir recht gut gelungen ist, den Personen verschiedene Stimmen zu geben und auch der Titel gefällt mir (er wirkt am besten, wenn man ihn erst nicht checkt, so wie ich in Goldfischmanier).

Was bleibt, ist allerdings der Fakt, dass sich da noch so tolle Stimmen, Charaktere, Abgründe, Komik und Schicksale verbergen können ... wenn du den Leser am Anfang verlierst, dann kommt er nicht bis dahin. Ich habe überlegt, ob es geholfen hätte, wenn am Anfang ein wenig mehr geschieht und weniger beschrieben wird. Dadurch ist momentan das Tempo raus und deine Bilder allein sind nicht herausragend genug, um mich zu fesseln. Oder du wechselst als Einstieg schneller die Positionen, damit man schneller erkennt, worum es im Text geht. Oder du beginnst, sofort mit einem einleitenden Satz zum Kern des Textes "Ich habe mir schon immer überlegt, wie es wäre...".
An sich brauche ich die Beschreibung des Abends und der Kneipe nicht am Anfang. Das kann ja immer noch später kommen.
Zu Beginn, braucht es einen Hook.
Ein "Hey Du, ja es sind viele Wörte, aber Alter Schalter, ich verspreche dir, es wird ein toller Ritt."

man liest sich
huxley

 

Dank Dir sehr @Huxley für Deine Hinweise - auch wenn Du nicht zu Ende gelesen hast, die Pointe hat sich Dir immerhin erschlossen (das geht bei weitem nicht jedem so).

Ich werde mir den Text demnächst noch einmal vornehmen, das braucht vielleicht einen ganz neuen Anlauf, mal sehen.

Herzlichen Dank und viele Grüße

Marcus Bender

 

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