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Lass uns über die Liebe reden

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02.11.2001
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Lass uns über die Liebe reden

Lass uns über die Liebe reden, sagt er und fährt mit den Kuppen seiner Finger ihre Augenfältchen entlang. Himmel, wie schön ihre Wärme ist, denkt er, Sie hat kaum geschlafen letzte Nacht. Die Hitze im Haus. Der Regen, der am Morgen alles dampfen ließ. Wie müde muss sie sein. Trotzdem. Ihre Selbstverständlichkeit, da zu sein. Die Art, wie sie atmet, sich darin ganz ergibt, deshalb dazugehört zu seinem Leben.
Draußen schnauft das Vieh, grast um die Stille des Backsteinhauses. Schmetterlinge tanzen über den Haselsträuchern. Vor dem Schuppen hat sich Wasser in den Reifenspuren gesammelt. Die Sonne schwimmt darauf. Der Pick Up steht im Schatten der Akazien. Mächtige Stämme. Moosbewuchs darauf. Elefantenhautrinde. Dazwischen spannt sich der Himmel als blaues Netz. Ein Jet hat sich darin verfangen, hängt in der Gabelung eines Astes. Die schwarze Spinne schläft, bald wird ihre Beute in der Stratosphäre verblassen. Eine Silberschuppe, gewesen für den Augenblick und irgendwann vom Himmel verschluckt.

Seine Härchen auf dem Arm zittern im Sturm, der seinem Atem vorauseilt. Das Gold, mit dem sie beide ihr Ja besiegelten, hat sich in den Ringfinger seiner rechten Hand gegraben. Er hat es geschehen lassen. Er hat nichts anderes gewollt. Sie wollte er. Es ist so einfach, wenn er es genau bedenkt. So einfach. Was helfen Blicke, wenn Berührungen alles sind und heilen können.
Der Fotograf hatte sie auf den Kirchenstufen herumdirigiert.
Er hatte dabei ihren Herzschlag in seiner Hand gehalten, ein kleines, schnelles Pochen, das ihm zu gehören gewillt war. Diese Sonne damals. Das Kirchenportal hatte schon am Vormittag geglüht. Leute waren stehen geblieben, hatten ihr Lachen, ihr Kleid bewundert, hatten in die Hände geklatscht. Ich habe Lust auf dich für immer, hatte sie ihm ins Ohr geraunt, noch ehe der Fotograf fertig war mit den Aufnahmen. Am nächsten Tag fuhren sie in die Bretagne, verkrochen sich, unauffindbar für die Welt, in einem kühlen Steinhaus. Sie hatte das weiße Kleid mit, zog es über, wann immer sie die Lust dazu verspürte. Er streifte ihr es ab, wann immer sie wollten. Der französische Mond war jede Nacht als stiller Voyeur zugegen. Sie fanden uralten Calvados im Kellergewölbe. Das Meer toste während der Flut, spie Krebse und Muscheln gegen das Land, ließ sie alles rundum vergessen.
Irgendwann schlug er beim Schwimmen mit dem Kopf hart gegen die Klippen, verlor das Bewusstsein. Am nächsten Morgen blieb es finster in seiner Welt, als er die Augen aufschlug. Seine Blindheit war irreparabel und ihre Liebe zu ihm wuchs darüber hinaus, begann jenseits aller Sinne zu wandern.

Ihre Frage an ihn, ihre erste Frage an ihn, vor all dem.
Lass uns über die Liebe reden.
Sie sagten sich alles, was sie darüber wussten. Es war nicht viel gewesen, aber das Wenige hatte für die Jahre danach gereicht. Wenn das Geld knapp wurde, sprachen sie über die Liebe. Dann ging es wieder und die Welt verlor ihre dunkle Bedrohung, wurde auch für ihn hell und leuchtend. So wurden sie einig mit sich. So wurden sie eins.

Ihre Locken fallen dick in die Stirn.
Wirre, rotblonde Schnecken, denkt er, wenn er darüber streicht. Seine Finger spüren nicht das Grau darin.
Der Hund bellt, sagt sie leise.
Erwarten wir noch jemanden?
Nein, sagt er und versucht, nichts von dem hier unter dem Apfelbaum kaputt zu machen.

Das Salz vieler Tränen hat ihre Augenfältchen gegraben. Flüssiges Gold. Das Meiste davon hat sie vor Glück geweint. Glückstränen und das Lachen dazu. Von ihm ungesehen.
Augen, eingebettet in einem Lachfaltental. Doch das ertastet er.
Güte und Weisheit blitzen darin, sind dem Leben mit trotzigem Willen abgerungen.
Er weiß es. Sie spürt mehr, als sie zuzugeben vermag. Unter dem Apfelbaum denkt sie still, spricht kaum, will nur berührt werden.
Lebenszeit tickt Runde um Runde in der grünen Wanduhr. Die Küche riecht nach Eingemachtem, nach Marmelade, nach dem Hund, der jetzt bellend einem Kaninchen hinterher jagt.
Zeit. Übriggeblieben, kostbar, unwiderrufbar.
Die Gerüche, das Kaninchen, die Liebe.
Ich liebe, sagt sie.
Mich, sagt er.
Dich, ja.
Dir geht es wie mir.
Alles ist still in ihrem Haar. Der Duft darin knistert und braucht doch keine Töne. Der Ziegelboden ist warm, riecht nach Terracotta, nach Sonne, nach alten Kirschenkernen. Blumentöpfe, Blumen darin, auch Kakteen. Das Licht hängt als Schleier über den abgeernteten Feldern. Sein Blick kippt weg in diesen Schleier, löst sich auf. Alles ist gut. Er weiß sich ganz bei ihr. Die Ernte war ergiebig. Die Speicher sind voll bis unters Dach. Was haben wir geerntet dieses Jahr, kleine Frau. Es müssen riesige Mengen sein, denn es hat Tage gedauert, die Ernte einzubringen.
Ja, sagt sie, küsst ihn dabei.
Gewitterwolkentürme neigen sich gegen den Fluss, werden von Sonnenschwertern klein gehackt. An den Ufern steht Rotwild.
Ich habe eine Frau wie sie gesucht, ich hätte einen großen Fehler gemacht, sie nicht zu finden, denkt er. Ich habe sie im Licht gefunden. Jetzt geht sie im Dunkel nicht von meiner Seite.
Mauersegler haben im Giebelgebälk ein Nest aus Rinderkot gebaut.
Wenn die Welt jetzt stillstünde, ginge ich im Lachfaltental deiner Augen verloren, Liebes, flüstert er. Schläft sie, denkt er und weiß, dass es nicht so ist.

Die Liebe, ja, sagt sie leise.
Wenn man meint, ihr nachlaufen zu müssen, wird sie schneller und schneller. Uneinholbar bald. Was kann die Liebe ängstlich sein und was bin ich gerannt, weil ich meinte, nicht stillhalten zu können vor Sehnsucht nach ihr und ihren Irrtümern. Was bin ich gerannt, ich Torin. Nachgerannt. Davongerannt. Das nicht stillhalten Können war mein Irrtum.
Aber du, sagt sie und seine Fingerkuppen kreisen warm über ihre Schläfe, du bist auch sehr schnell unterwegs gewesen. Es grenzt schon an ein Wunder, dass wir beim Aufprall nicht aneinander zerbrochen sind.
Sie schenkt roten Wein in zwei Becher, hält ihm einen entgegen. In den Wäldern hinter dem Haus beginnt es lebendig zu werden. Glühwürmchen irrleuchten im Dämmer, begleiten den nach einem letztem Halt suchenden Tag hinter die Hügel. Der Hund kratzt am Eingang des Sandbaues, hat das Kaninchen nicht erwischt.

Hörst du die Wölfe, fragt er.
Die Wölfe, ja, sagt sie.
Hörst du mich, fragt er zögernd.
Dich, ja, sagt sie. Und ich sehe dich dabei.
Was siehst du?
Deine Augen, sagt sie.
Ich weiß, dass du an Wunder glaubst, spricht sie weiter. Aber an ein solches?
Bei der Geschwindigkeit, mit der wir aufeinander zugerast sind, wolltest du im letzten Moment ausweichen, habe ich recht? Jetzt danke ich deiner Geschwindigkeit, die das Ausweichen verhindert hat.
Ich sehe dich vor mir und es bedarf keiner neuen Wunder. Du als das eine ist jenes, welches greifbar blieb. Er spricht leise, möchte weinen, tut es nicht.
Es war nicht zu verhindern gewesen, was geschah, sagt er. Es geschah nur. Auch in der Bretagne geschah es. Es geschah so plötzlich, dass es gerade deshalb richtig war. Damals war es die Ahnung, jetzt wissen wir es. Das Kirchenportal glühte in der Sonne und die Bilder waren danach überbelichtet, wertlos. Was sind schon Bilder? Momente mit vergilbten Rändern, nichts weiter. Unser Moment dauert an, wird uns überdauern, weil wir ihn Liebe nennen. Wir haben das Sehen nicht notwendig. Das Reden hat uns bis hierher gebracht.

Ich liebe dich, sagt sie.
Mich, fragt er, oder das Dunkel, in dem ich lebe?
Die Wölfe sind nahe, sagt sie.
Die Wölfe kennen uns, kleine Frau.
Lass uns über die Liebe reden, sagt sie und führt ihn ins Haus.

 

Hallo Aqua!

Ein wunderschöner, stiller und nachdenklicher Text.
Du spielst mit den Worten, der Sprache und erschaffst dabei ganz tolle Bilder und Formulierungen. Besonders haben mir die Bilder am Anfag gefallen. Die Sonne, die in den Mustern schwimmt...

Auch wei Du sei und Iihn beschreibst, die Lachfältchen, die Augen, all diese liebevollen Details machen den Text für mich einfach lesenswert.

Ja, was sit jetzt mit der Liebe...ist das Sehen wichtig? Das Reden? Das Berühren? ODer ist alles unwichtig...aber was bleibt dann? Ich werde den Text sicher noch öfter lesen...

Einfach nur schön.

liebe Grüße
Anne

 

Hallo Aqualung,
kann mich Anne nur anschliessen, wieder ein wunderschöner, melanchonischer Text von Dir, der trotzdem auch Hoffnung gibt. Wenn man jemanden wie Dein Prot an seiner Seite hat, scheint das Sehen unwichtig zu werden.
Du hast mir wieder einmal beim Lesen wunderschöne Bilder in meinen Kopf gezaubert. Danke.
Eine kleine Sache:

Das Meer toste währen der Flut...
während

Liebe Grüsse
Blanca

 

Hallo Mäuslein, hallo Blanca,

ich danke euch beiden für die sehr aufrichtende Kritik.
Nun, was ist das mit der Liebe? Sehen, reden, spüren?
Was bleibt, was geht? Augen, Hände, Nase? Was ist wichtig? Ich denke, dass alles dazugehört, aber ruhig manches zum Gelingen fehlen darf.

Habs ausgebessert, Blanca, danke.

Liebe Grüße - Aqua

 

Hallo Aqualung,

eine schöne und ungewohnt helle Geschichte von dir, die ich da heute auf meiner sentimentalen Suche nach "vermissten Autoren" gefunden habe.

Und hell ist sie, obwohl dein Prot in der Dunkelheit lebt. Die Liebe strahlt aus deinen Menschen. sie glänzt still und ruhig, spiegelt sich und man kann sie betrachten, ohne davon blind zu werden. Das hat mir sehr gut gefallen.
Nur an einer Stelle habe ich mich gefragt, ob du dort absichtlich die Liebe deines männlichen Prot selbst beschrieben hast oder ob es ein Versehen war.

Ich liebe, sagt sie.
Mich, sagt er.
Dich, ja.
Dir geht es wie mir.
Ich nehme an, der Prot wollte die Erwiderung der Liebe zum Ausruck bringen, aber in dieser Konstellation sagt er mit "Dir geht es wir mir" "Schön, dass du mich liebst, ich liebe mich auch".

Vielleicht wolltest du aber auch genau das, denn sich selbst lieben zu können ist eines der Geheimnisse, auch andere lieben zu können und in ihre Liebe zu vertrauen.

Ach, wäre es schön, mal wieder neue so tolle Geschichten von dir hier lesen zu können.

Wehmütige und liebe Grüße, sim

 

*seufz*

Ich hab die Geschichte schon ein paar mal gelesen, war aber jedesmal zu ergriffen um etwas dazu schreiben zu können... aber ich versuchs.

Eine wunderschöne Geschichte, die mit leisen Tönen grosse Bilder malt. Du hast es geschafft, eigene kleine Weisheiten in diese Bilder einzuarbeiten, fängst deine Geschichte in Details ein und machst sie dadurch lebendig. Nach und nach entfaltest du die Geschichte deiner Protagonisten, ohne jemals die Momentanaufnahme der beiden zu vernachlässigen... beide Ebenen spielen ineinander und machen deine Geschichte zu dem, was sie ist.

Danke

 

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