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Copywrite Männergespräch

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Beitritt
14.08.2012
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Männergespräch

„Na, wie läuft's so bei dir?"
„Frag lieber nicht.“
„Hast schon mal entspannter dreingeschaut."
„Um ehrlich zu sein, mir geht’s hundsmiserabel.“
„Carola?“
„Ach die … nein, die ist momentan meine geringste Sorge. Hat am Sonntag die Koffer gepackt und ist wieder zu ihrer Mutter gezogen.“
„Dieses Miststück.“
„Ach was. In Wahrheit bin ich froh, dass ich sie los bin. Eröffnet mir neue Möglichkeiten gewissermaßen.“
„Also wo liegt dann dein Problem?“
„Ich muss bis Freitag eine Story fertig haben. So schaut’s aus.“
„Wusste gar nicht, dass du wieder schreibst.“
„Das ist ja das Problem. Ich schreib seit drei Jahren nicht mehr.“
„Dir ist aber schon klar, dass du jetzt ein bisschen widersprüchlich klingst.“
„Jessas ja …Widersprüchlichkeit ist mein zweiter Vorname, glaub ich manchmal. Könnte ich mir glatt auf die Stirn tätowieren lassen … Oh Mann! Mich muss der Teufel geritten haben.“
„Mach uns noch zwei Bier, Heinrich. Schätze, das wird ein längerer Abend … Also, dann schieß mal los, Joe. Wo drückt der Schuh?“
„Und gib uns zwei Grappa dazu. Ja, große … Tja, Kowalski, schon mal was von Copywrite gehört?“
„Copyright? Na klar. Urheberrecht."
„Nein, write wie schreiben.“
„Oh Mann! Sag nicht, dass du wieder in diesem Schreibforum mitmachst."
„Wenn's nur das wäre. Ich muss eine Story umschreiben. Neu interpretieren, covern, egal, nenne es wie du willst. Und natürlich gibt's eine gnadenlose Deadline."
„Sag mal, bist du noch zu retten? Hast du in deinem Job nicht schon genug um die Ohren? Was willst du dir denn beweisen?“
„Ach, ich weiß auch nicht … dachte halt, ein bisschen Ablenkung von der Schufterei in der Werkstatt täte mir ganz gut.“
„Als wüsstest du nicht, dass Schreiben auch eine verdammte Plackerei ist.“
„Na ja, mit der Geschichte von einem anderen als Vorlage kann’s nicht so schwer sein, bildete ich mir wohl ein.“
„Schon mal drüber nachgedacht, dir Traummännlein auf die Stirn tätowieren zu lassen? Oder gleich Blödmann?“
„Danke. Bist mir eine echte Hilfe.“
„Was heißt Hilfe? Soll ich mir jetzt etwa eine Story für dich ausdenken?“
„Genau da liegt der Hund begraben, die Storys gibt’s ja schon. Um ehrlich zu sein, eine besser als die andere. Der Typ schreibt einfach verdammt gut.“
„Und was schreibt er so? Ich meine, welches Genre?“
„Unterschiedlich. Ist sehr vielseitig, der gute Mann. In einer Geschichte zum Beispiel schwadroniert so ein verhinderter Schriftsteller über sein vermurkstes Leben, über die Möglichkeit von Parallelwelten und so Zeug. Sehr introspektiv, gleichzeitig ungemein witzig geschrieben.“
„Noch zwei, Heinrich. Ach was, stell uns die Flasche her ... Parallelwelten, hm, klingt nicht unspannend … da müsste sich doch was draus machen lassen.“
„Dachte ich anfangs auch, wie ich’s gelesen hab. Mir ist da auch spontan ein Beginn dazu eingefallen. Wart mal, ich hab das noch in meinem Notizbuch … Hör mal zu:
Ich wusste schon lange, dass mein Leben weniger großartig war, als ich es mir gewünscht hatte, doch als mich Carola sitzenließ, verging mir das Lachen endgültig. Ich sei impotent, meinte sie, jeder kleine Junge ficke besser als ich, und überhaupt, ich sei der allergrößte Versager, ob ich da in letzter Zeit mal drüber nachgedacht habe, und ob ich glaubte, sie würde ihre besten Jahre mit einem Hungerleider verplempern wollen, sie sei schließlich keine zwanzig mehr, und wie lange sie sich dieses Trauerspiel noch antun solle und so weiter. Als wäre es meine Schuld, dass ich mein Gerät bei ihr nicht mehr hochkriegte. Wer hätte mit der Kuh auch schlafen wollen?
„Hähä. Klingt verdammt autobiografisch."
„Sehr witzig ... Hab das dann eh wieder verworfen, einfach weil mir der Protagonist gleich von Beginn an unsympathisch war. Ein richtiger Scheißkerl. Ich meine, wer redet denn so von seiner Frau? Und überhaupt, eigentlich will ich momentan gar nicht in der Ich-Perspektive schreiben. Da mangelt es sehr schnell an der gebotenen Distinktion.“
„Distinktion?“
„Abgrenzung.“
„Verstehe.“
„Jedenfalls hab ich dann eine andere Story entdeckt, wo ein Junge von einem Sprungturm springen will, von ganz oben, um ein Mädchen zu beeindrucken. Und sich dabei natürlich vor Angst halb in die Hose macht. Ein wirklich großartiges Psychogramm eines Halbwüchsigen. Wie er da oben steht, hin und hergerissen zwischen Panik und Imponiergehabe, also das ist schon sehr packend geschildert.“
„Und? Springt er?“
„Selbstverständlich springt er. Es geht schließlich um ein Mädchen.“
„Und dann?“
„Nichts dann. Die Story ist aus. Ich springe, lautet der letzte Satz.“
„Klingt schon ein bisschen dürftig.“
„Ja, der Plot gibt tatsächlich nicht viel her.“
„Und wenn du das kombinierst?“
„Was?“
„Na dieses Parallelwelten-Motiv mit der Sprungturmstory.“
„Und wie stellst du dir das vor?“
„Pff, keine Ahnung … Was weiß ich, der Junge könnte springen, aber nicht unten ankommen. Also kein Aufprall im Wasser, sondern … hm, ein Sprung quasi in eine mögliche Zukunft. In eine Zukunft zum Beispiel, in der er mit dem angebeteten Mädchen längst verheiratet ist. Eine determinierte Zukunft gewissermaßen, weil sie eine kausale Folge des Sprungs ist. Wäre er nicht gesprungen, hätte er das Mädchen nicht erobert.“
„Also erst eine Szene im Schwimmbad und dann eine Eheszene Jahre später. Hm. Aber was, bitte, hätte das mit Parallelwelten zu tun? Das ist doch ein stinknormaler chronologischer Handlungsverlauf.“
„Stimmt auch wieder, hm … wie wär's, wenn du ... wart mal, hm... ich glaub, ich hab’s: Häng einfach noch eine weitere Szene im Schwimmbad dran.“
„Also erst ist der Junge ein Junge, dann ein erwachsener Ehemann und dann wieder ein Junge.“
„Ja, so was in der Art.“
„Und wozu das Ganze?“
„Weil in Wahrheit alles gleichzeitig passiert.“
„Kapier ich nicht.“
„Also ich stell mir das so vor: Der Junge springt. Dann ein abrupter Schnitt. Und jetzt die Eheszene: Aus den beiden entzückenden Teenagern sind Erwachsene geworden, und … hm … ja genau, die Frau ist fett und hässlich und der Typ selber ein Säufer. Und arbeitslos ... Und ein Haufen quengelnder Bälger raubt ihnen den letzten Nerv. Et cetera et cetera. Kurzum, eine richtige Ehehölle. Eine zutiefst erschütternde Familienszene könntest du da schreiben, hart an der Grenze zur Sozialpornografie. Dann allerdings wieder ein Schnitt und wir sind zurück im Schwimmbad. Und jetzt erst lassen wir den Jungen ins Wasser plumpsen.“
„Du meinst, das zukünftige Geschehen stellt er sich während des Sprungs nur vor?“
„Nein, das würde sich schon zeitlich nicht ausgehen. Das passiert wirklich, in einer Art alternativer Realität.“
„Alternative Realität? Alles klar, Parallelwelt quasi.“
„Schon mal was vom Hubble-Volumen gehört? Von der stetig steigenden Expansionsgeschwindigkeit des Alls? Von Dunkler Energie und n-Dimensionalität? Das sind wissenschaftliche Grundlagen, Joe, Fakten. Und diesen Fakten zufolge erscheint die Existenz annähernd unendlich vieler Paralleluniversen mittlerweile nicht mehr nur möglich, sondern sogar höchst wahrscheinlich. Und die Multiversum-Hypothese besagt im Wesentlichen, dass alle Ergebnisse gleichzeitig eintreten können, sofern ein bestimmtes Ereignis mehrere mögliche Resultate haben kann. Kannst du mir folgen?“
„Sorry, Kowalski, aber ich dachte, wir reden von einer Teenager-Romanze.“
„Tu ich auch. Denk einfach mal nach: Nachdem der Junge einen Blick in seine mögliche Zukunft geworfen hat, kann er sich anders entscheiden und zum Beispiel nicht springen. Die Kausalkette zerreißen, dem Schicksal quasi ein Schnippchen schlagen.“
„Moment. Ich dachte, er ist gesprungen.“
„Ja und nein. Er prallt zwar im Wasser auf, aber gleichzeitig steht er wieder oben auf dem Sprungturm. Der Sprung war also nur so was wie ein ... wie ein … genau, ein winziger Riss im Raum-Zeit-Kontinuum, ein kurzer Flug durch ein Paralleluniversum gleichsam … zwei Bier noch, Heinrich.“
„Das heißt, der Typ hat so was wie Entscheidungsfreiheit über sein Schicksal?“
„Genau. Nachdem er diesen kurzen Blick in die Zukunft erhascht hat und dann ewig oben herumtrödelt, wird es der Kleinen irgendwann zu blöd und schließlich lässt sie ihn einfach da oben stehen und läuft nach Hause. Und dadurch bleibt ihm das spätere Ehedrama erspart.“
„Der Typ ist also ein Feigling. Allerdings ein Feigling, der allen Grund dazu hat, ein Feigling zu sein.“
„Ist er eben nicht. Er springt nämlich tatsächlich. Allerdings erst, als das Mädchen weg ist. Er tut es nur für sich selber.“
„Du hast eine seltsame Vorstellung von einem Happyend, Kowalski, muss ich schon sagen.“
„Was soll‘s. Ist doch alles drin, was so eine Story braucht. Spannung, Konflikt, Läuterung. Nicht zu vergessen die phallische Symbolik des Sprungturms.“
„Das mag schon sein. Aber wie, verdammt noch mal, soll ich dem Leser klarmachen, was tatsächlich passiert? In Wahrheit springt der Junge ja nicht zweimal. Und wie bitte soll ich die Existenz eines Paralleluniversums plausibel vermitteln? Ich bin Metallbauer, kein Quantenphysiker.“
„Zugegeben, ist schwierig. Du musst halt die richtige Erzählperspektive wählen. Ein auktorialer, allwissender Erzähler wäre natürlich ideal. Da könntest du jede Menge Erklärungen mit einbauen.“
„Vergiss auktorial. Das ist neunzehntes Jahrhundert, aber so was von vorgestern. Das will kein Mensch mehr lesen. Schon gar nicht in einer Kurzgeschichte. Dafür würden sie mich im Forum ans Kreuz nageln.“
„Als hättest du dort noch einen Ruf zu verlieren. Darf ich Traummännlein zu dir sagen?“
„Sag meinetwegen Blödmann zu mir. Auch schon egal.“
„Aber im Ernst jetzt, Joe, da gäb’s natürlich schon noch einen dramaturgischen Kniff.“
„Und zwar?“
„Zieh das Ding als Dialoggeschichte auf.“
„Wie bitte soll das gehen? Wenn der Typ zum Beispiel oben auf dem Sprungturm steht und das Mädchen unten, werden sie sich ja wohl kaum brüllend unterhalten. Und wie zum Teufel willst du in einer Dialoggeschichte die Handlung einbauen? Oder die Figuren darstellen? Ich kann den Typen ja nicht gut davon reden lassen, wie toll er die wasserglitzernden Beine seiner Freundin findet, ihre wasserglitzernden, sonnengebräunten Beine, um genau zu sein, und erst recht ihren süßen Hintern und so weiter. Und apropos phallische Symbolik: Soll er ihr etwa erzählen, was beim Gedanken an ihren süßen Hintern mit dem Ding in seiner Hose passiert? So was muss man dem Leser zeigen.“
„Und wie willst du dem Leser ein Paralleluniversum zeigen, ohne dabei wie ein Klugscheißer zu klingen?“
„Äh, das mit dem Paralleluniversum ist ja nun wahrlich nicht auf meinem Mist gewachsen.“
„Na egal ... Es müssten übrigens nicht unbedingt die Hauptfiguren sein, die miteinander reden.“
„Sondern?“
„Keine Ahnung. Irgendwelche Nebenfiguren. Zwei Typen zum Beispiel, die in einer Bar hocken.“
„Soll das jetzt ein Witz sein? Die erzählen sich eine Teenager-Geschichte?“
„Lass es mich so sagen: Sie reden darüber.“
„Verstehe. Selbstreferenzialität als poetologische Pointe sozusagen.“
„Wenn du so willst ... Was meinst du dazu, Heinrich?“
„Ich will es mal mit Konfuzius sagen: Wer Geist besitzt, hat sicher auch das rechte Wort, aber wer nur Worte hat, besitzt darum nicht notwendig Geist. So, Jungs, und jetzt trinkt aus. Ich möchte nach Hause.“

 
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Ich empfinde deine Geschichte als kleines Geschenk an dieses Schreibforum. [...] Mir hats gefallen, mich abgeholt, wo ich bin, und für ein paar Minuten über viele Dinge nachdenken lassen. Danke!
Das ist ein schönes Kompliment, Carlo, vielen Dank dafür.
Ich weiß nicht, ob ich da jetzt im Detail rumdoktern soll; wenn du das möchtest, kann ich das noch tun.
Und vielen Dank natürlich auch für dieses Angebot, aber … na ja, ich will’s mal so sagen: Das ist mit Sicherheit kein Text, der es in die Top Ten meiner Geschichten schaffen wird. Also nicht, dass ich ihn selber nicht ernst nehmen würde, aber das ganze Konzept der Story ist so dermaßen auf das Paralleluniversum des Wk-Forums zugeschnitten, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie man daraus was „literarisch Allgemeingültigeres“ machen könnte. Will sagen, es wäre wohl im Sinne aller, wenn du deine sprachliche Kompetenz stattdessen Geschichten widmest, die es eher verdienen.

Auf jeden Fall freue ich mich, Carlo, dass du Spaß mit dem Ding hattest.

Das Verhältnis zwischen den Freunden, die Mischung aus schnoddrig und "hochgeistig", das ist wirklich sehr amüsant.
Ja, Chutney, das war auch irgendwie mein Hintergedanke. Also dass es schräg ist, wenn in einem reichlich alkoholinduzierten Kneipengespräch Begriffe wie Selbstreferenzialität, Poetologie, phallische Symbolik usw. fallen, dass zwei Typen neben all dem Smalltalk sich wie selbstverständlich in diesem typischen Literaturfeuilletonisten-Kauderwelsch unterhalten. Und natürlich wäre da noch weit mehr gegangen. Tatsächlich überlegte ich kurz, dem Barkeeper Heinrich noch ein paar wahrlich jenseitige Statements in den Mund zu legen, so in der Art: „Schon mal drüber nachgedacht, Jungs, William S. Burroughs' cut-up und fold-in Technik anzuwenden? Das textuell codierte und von diskursiven Zusammenhängen geprägte beziehungsweise hervorgebrachte Individuum würde dadurch eine neue Dimension der Eigenständigkeit erfahren, um nicht zu sagen, erführe“, usw. ...
Ich meine, Heinrich wäre nicht der erste promovierte Germanist, der letztlich als Thekenkraft und/oder Taxifahrer endet. :Pfeif:
Leider (oder zum Glück?) hatte ich dann einfach zu wenig Zeit für so’n Quatsch.

Das ist ja ein Ding. Da kommt ja noch eine Ebene rein. Das kann ich mir vorstellen, dass du da nicht widerstehen konntest.
Tja, metafiktionale Selbstreferenzialität, wie gesagt. :D

Hast du schon mal daran gedacht, was mit Kabarett zu machen?
Nein, eigentlich nicht, im wirklichen Leben bin ich ja eher ernst. (Die Humorabteilung in unserer Familie betreut mein älterer Bruder. Hin und wieder haut der ganz witzige Drehbücher raus.)

Vielen Dank für deinen Besuch, Chutney.

offshore

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