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Malim me amici fellent qvam inimici irrvment

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15.08.2019
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Anmerkungen zum Text

Teil einer Sammlung von Kurzgeschichten

Malim me amici fellent qvam inimici irrvment

Ein Junggesellenabschied – oh wie schön. Die Freude über unser Eintreten ist bei der jungen Frau hinter dem Tresen nicht zu übersehen. Ein kurzer taxierender Blick, der jedes der vier Mitglieder unserer Gruppe erfasst, kalkuliert in Bruchteilen von Sekunden Risiko und wie nervig dieser Abend für sie wohl werden wird. Ich kenne das, bei meinem Job läuft das nicht viel anders – ist ein Bauchgefühl beim ersten Kundenkontakt und selten liegt man falsch. Und über diese wenigen Male freut man sich dann noch wie ein Kind. Sie entspannt sich sichtbar: trotz unseres Zustandes um Eloquenz und ein gehobenes Sprachniveau bemüht, für den Laden hier ein zu fortgeschrittenes Alter und betont stilvolle und doch zugleich legere Auswahl der Bekleidung. Die Einstufung liegt nahe: hier sind mindestens drei Pädagogen anwesend – also harmlos. Ich fühle mich ihr jetzt schon näher als meiner Reisegruppe den ganzen Nachmittag über. Das lässt mich noch unwohler fühlen als ich es eh schon getan habe in meinem T-Shirt mit dem geistreichen anzüglichen Aufdruck in Latein (!), der unseren kollektiven Auftritt mit Nachdruck betonen soll. Kubb-spielen am Fluß, danach Grog in der Hafenkneipe, seit Ewigkeiten mal wieder zu einem Heimspiel im Stadion gewesen und Zwischenstop im Schnitzelparadies - abgesehen vom T-Shirt verlief der heutige Tag eigentlich ganz gut. Es gab durchaus Momente, in denen man die guten alten Zeiten wieder fühlen konnte. Angefangen hatte alles mit dem Anruf vor einem Monat. Sebastian als der Trauzeuge würde gerade die alte Posse mobilisieren für einen zünftigen Abschied Michaels hier in unserer ehemaligen freien Wildbahn und ich als einziger vor Ort wäre bei der Vorbereitung von unschätzbarem Wert. Und mitkommen sollte ich natürlich auch. Es sollte allerdings nicht zu exzessiv verlaufen, da die drei am nächsten Tag noch zum Segeltörn nach Skandinavien aufbrechen wollten. Eine ihrer Traditionen, die dies Jahr nun den Junggesellenabschied abrunden würde. Man müsse relativ früh raus und zu verstrahlt wolle man sich nicht den Weiten des Meeres anvertrauen. Das wurde den Tag über dann auch immer wieder von dem einen oder anderen verstohlen hervorgekramt – vorzugsweise, wenn die Rede auf die nächste Runde Stimmungsbeschleuniger kam und wer sie denn wohl holen würde. Damals, als die Idee erstmals aufkam mit dem Segeltrip – wir zelebrierten abends den vollendeten Umzug von Micha an seinen künftigen Arbeits- und Wohnort tief in der westdeutschen Provinz, seiner ersten Station nach dem Studium – war noch angedacht, dass ich auch mitkommen sollte.

„Aber ich hab damals einfach die Kohle nicht gehabt.“

„Hättst ja einfach nur mal das Leergut wegbringen brauchen. Reicht inzwischen bestimmt für eine Kreuzfahrt.“

Sie hatten auch nicht bei mir übernachten wollen – so auf Couch und Isomatte wäre nicht mehr jedermanns Sache. Man gewöhnt sich ja so schnell an gewisse Standards. Die Pension in der Nähe des Yachthafens hatte Sebastian lieber selber ausgesucht.

„Deine Studentenbude war schon ziemlich abgefuckt. Selbst für damalige Verhältnisse.“

„Das wär wahrscheinlich heute noch so. Aber dadurch, dass mein Lütter jedes zweite Wochenende langkommt, raff ich mich dann doch immer zu einer Grundreinigung auf. Hat alles auch sein Gutes.“

Zum Auftakt in dieser Spielstätte eine Runde lokales Pils vom Fass, aber nachdem die Wiedersehensfreude bei den anderen schon nach einem halben Glas der Ernüchterung der Gegenwart gewichen war, stiegen wir dann alle wieder auf tschechisches Flaschenbier um. Unglaublich, was für Zeug man hemmungslos und straffrei in sich reinschütten kann, wenn man jung ist. Dem Anlass entsprechend möchte ich die erste Runde Kurze mit Wodka eröffnen, muss mich nach dem Veto der anderen aber mit Pfeffi begnügen. Natürlich wollen wir spielen: Dart, Kicker, Billiard – das ganze Programm. Wie damals.

Ich war vor ihnen am Treffpunkt unten am Hafen. Ich rauchte eine, dann noch eine und ging auf und ab, um warm zu bleiben. Wenigstens kein Regen. Das akademische Viertel war noch nicht lange um, da tauchten sie auf – frisch und lebensfroh. Irgendwie fühlte ich mich underdressed – selbst innerlich. Sebastian winkte zu mir rüber, Marcus drückte mir übertrieben fest die Hand, klopfte auf meine Schulter. Micha war da etwas verhaltener. Wir waren mal richtig dicke gewesen und jetzt standen wir hier wie die Beatles auf dem Dach. Maria, die Braut, lässt schön grüßen. Wir kennen uns alle vom Studium. Sie gingen fort und man verlor sich dann schnell aus den Augen. Zwei Besuche bei ihnen, ein paar Mails, Telefonate. Irgendwann hatte er eine neue Nummer und ich war dann wohl aus Versehen nicht mehr auf der Liste derjenigen, die sie geschickt bekommen. Passiert. Er hatte mich nicht zu ihrer Hochzeit eingeladen. Und ich wäre auch nur zögernd hingefahren. Erstaunlich, dass dem Trauzeugen das nicht bewusst war – oder es war ihm egal. Sebastian strahlte jedenfalls in der Wintersonne die jetzt durch die Wolken brach und breitete seine Arme aus:

„Lasst die Spiele beginnen!“

Wir begannen mit Kubb am Hafen. Ein Ikea-Spiel für Ikea-Liebhaber - und meine Lehrer-Freunde. Sie stürzten sich mit wahrer Leidenschaft und sportlichem Ehrgeiz bis zur Grenze der Verbitterung in die Partie. Und in die nächste. Und in noch eine. Marcus holte sogar ein Bandmaß raus! Barfuß mit leeren Bierflaschen hätte das ja noch einen gewissen Charme gehabt. Da blitzen diese Bilder vor mir auf: blutverschmierte Badezimmerfliesen und irres Kichern – vier Volltrunkene auf der Suche nach Verbandsmaterial und ihrem Gleichgewicht. Moment. Wir haben das wirklich mal ausprobiert. Aber ganz sicher nicht nur unter Alkoholeinfluss. In der Hafenkneipe tauen wir wieder auf. Hier kommen wir auch zu den obligatorischen Updates unserer Leben. Micha ist Studienrat, hat inzwischen schon zwei Kinder. Sebastian ist raus aus dem Schuldienst und schon lange nicht mehr mit Christiane zusammen. Jetzt ist er Lifecoach. Seinen exquisiten Internetauftritt pflegt er offensichtlich mit Hingabe: selbst seinen heutigen Ausflug unter Freunden, die dabei schnell zu Komparsen werden, nutzte er spontan wiederholt als Beispiele der Lebensfreude, um sie seiner Community präsentieren zu können. Seine Klientel basiert im Kern auf ehemaligen Weggefährten im Schuldienst und deren Umfeld, auch wird er inzwischen gerne von größeren Unternehmen für Seminare ihrer mittleren Führungsebene gebucht. Marcus liebäugelt mit einer Kariere in der Politik. Bei der kommenden Landtagswahl steht er auf der Landesliste der Grünen. Auf einem Platz mit Aussicht, wie er betont.

„Warst Du nicht mal Pionierleiter bei der Jungen Union?“ werfe ich ein und ernte prompt die Regieanweisung Sebastians, des Masters of Ceremony: „Es gelten nur zwei Regeln heute: keine Politik. Und keine männlichen Stripper. Witze über die Grünen sind OK. Denn Grün sein ist weniger ein politisches Statement als Ausdruck eines Lebensgefühls - ab einem bestimmten Alter.“

„Und was machst Du jetzt so? Lieferst Du etwa immer noch Pizza aus?“ „Ich bin da jetzt Schichtleiter.“ „Echt jetzt?! Also Karriere bei Joeys?“ „Wir heißen jetzt Dominos. Ist nicht die große Nummer aber ich komme zurecht.“ „Willst du nicht doch noch mal was Richtiges machen? Es werden doch an Haupt- und Berufsschulen verzweifelt Lehrer gesucht – wär der Quereinstieg nichts für dich?“ „Auch für den Quereinstieg bräuchte ich irgendeinen Abschluss. Und nochmal zur Uni mit Ende dreißig? Och nö. Außerdem, warum bist du denn nicht mal an eine Berufsschule, wenn das so eine Chance ist?“

Gruppenfoto vorm Stadion. Spätestens hier spüre ich wieder dieses Scheißshirt wie es strahlend weiß meine Brust einschnürt. Aber wenigstens ist die Aufschrift auf Latein. Da fragt hier nicht mal einer nach. Marcus hatte sie gleich nach unserem Wiedersehen am Fluss mit sichtbarem Schöpferstolz ausgeteilt. Anerkennende Kommentare der anderen beiden – ich hab keine Ahnung was da draufsteht.

„Kannst mal sehen: irgendwann kann man sogar das Latinum gebrauchen. Wie oft hattest du`s nochmal versucht, zweimal?“-„Dreimal. Ich hatte mir geschworen, bei der nächsten Prüfung die ich in den Sand setze, hinzuschmeißen. Bei Latein war es dann halt so weit.“- „Oh ja - ein Mann der Prinzipien. Das warst Du schon immer.“

Ich sehe Siggi am Einlass und muss mir also keine Gedanken mehr um meine Klinge und den Flachmann in der Tasche machen. Sein befremdeter Blick auf mein Outfit und die uniformierte Begleitung provoziert das breiteste Grinsen, dessen ich habhaft werden kann. Er war einer der Gründe, warum ich das mit dem Dealen wieder bleiben ließ, während ich meine Pizzen spazieren gefahren habe. Zum einen kamen die Einschläge der Bullen immer dichter - zu viele meiner Geschäftspartner waren einfach zu dämlich. Das ist halt der Ärger mit der Provinz. Zum anderen machte mich eben auch Siggi, präsent am Einlass diverser Klubs, auf gewisse Regeln und Grenzen aufmerksam, die ich gerade dabei war zu verletzen. Bevor es richtig hässlich für mich wurde zog ich mich wieder zurück – es war den Ärger nicht wert. Und Siggi bekam meine Restbestände für etwas mehr als den Einkaufspreis. Handschlag:

„Hast du nicht noch Stadionverbot?“ – „Mach doch nur meinen Job. Bin ich etwa im Block hier?“ Ich deute auf meine Begleiter: „Eine Delegation vom Kultusministerium. Arbeitsgruppe Resozialisierung von Jugendlichen durch Gewalt im Sport. Ich führe sie zu den Brennpunkten. Hättest du vielleicht nachher auch noch Zeit für ein Interview?“

Siggis Kollege hat Marcus am Wickel. Er muss wohl provoziert haben, denn er steht schon in Socken und zeigt seine Schuhe vor, nachdem er bereits seinen Tascheninhalt ausbreiten durfte. Seine modischen Herrenslipper haben doch tatsächlich keine Stahlkappen und er darf sie wieder anziehen. Ich stehe noch bei Siggi und ermutige den Mann, seine Arbeit ja gründlich zu vollenden – ich hätte bei dem Kerl da mit diesem eigenartigen T-Shirt auch schon ein ungutes Gefühl gehabt. Das Spiel war dann egal, so wie auch die letzten paar Male, an die ich mich kaum noch erinnern konnte. Mehr Bier und je geringer die Textsicherheit umso überschwänglicher unsere Darbietung der Fangesänge. Fußball war schon Identität gebend. Auch für uns vier. Unvergessliche Momente als wir junge wilde Ossis auswärts in der westdeutschen Provinz den jahrzehntealten Staub klopften. Heute reden wir nur noch über Liverpool und die Krise bei Bayern München.

11:0. Zusammen mit Micha einmal unterm Kicker durch. Klar weiß ich noch, dass Marcus einer von diesen autistischen Nerds ist. Aber wer ahnt denn bitte, dass der Penner noch so viel Zeit findet mit den kleinen Bällen fit zu bleiben. Eine Runde Absinth. Ich werde sie ihren Sieg voll auskosten lassen.

„Ich muss mich mal frisch machen. Möchte mich jemand begleiten?“

Befremdete Blicke von Micha und Marcus. Sebastian zögert. Auf dem Weiberklo lasse ich ihm den Vortritt. Er rollt einen Fuchs für seine Bahn. Er hat wenigstens genug Feingefühl nicht einen von den mindestens fünf Grünen in seinem Portmonee dafür zu nehmen. Ich hatte in diesem Leben noch keinen in der Hand außer beim Wechseln für Kunden. Er ist voll des Lobes für mein Zeug - brennt kein bisschen - hätte er hier so nicht erwartet. So gestärkt dränge ich die anderen jetzt zu einer Partie Pool. Ich möchte endlich mal on Top sein. Micha macht den ersten Break. Die Kugeln krachen auseinander. Sieht beeindruckend aus aber wenig Ertrag. Jetzt gehe ich auf die Jagd. Es läuft. Ich zelebriere jede versenkte Kugel und beschließe, dass das Lied, welches gerade läuft heute unbedingt mein Lied ist. Jedem Stoß folgt eine Choreographie, denn auch Billard ist Kampf. Das ganze Leben ist doch nichts anderes als Kampf. Und jetzt tanze ich hier mit aggressiver Freude am Rande meiner Existenz mit einem Stock in meiner Hand auf der Jagd nach bunten Kugeln und balze um die Gunst und die Achtung von drei Fremden. Kugel um Kugel meiner Farben mache ich klar. Als ich vor dem finalen Stoß meinen Blick vom Tisch hebe, um im Augenblick meines Triumphes noch einmal jeden meiner Begleiter mitzunehmen, muss ich feststellen, dass ihre anfänglich anerkennenden Blicke irgendwann einer verwaisenden Distanziertheit gegenüber meiner Darbietung gewichen sein müssen. Mein Spiel ist nicht mehr ihres. Ich bin zu viel. Sie ziehen es vor, sich lieber untereinander ihrer alltäglichen Nöte zu versichern. Marcus größte Sorge im Moment ist seine Diplomarbeit und dass sie im gläsernen Zeitalter des Internets als Plagiat enttarnt werden könnte – just in dem Moment wo er seine ersten verheißungsvollen Schritte auf der politischen Bühne setzen würde. Eigentlich hat er nur Angst vor seiner Ex, die ihm das Ding seinerzeit geschrieben oder vielmehr montiert hatte, und die, als ihre Zeit gekommen war, pünktlich zum Referendariat kaltgestellt wurde. Michael trägt sich schwer an der Entscheidung darüber, ob der Zeitpunkt für sein Sabathjahr auch wirklich optimal gewählt sei in Hinblick auf den anstehenden Aufstieg in die nächste Besoldungsgruppe. Und Sebastian? Sein Leben verläuft vielversprechend: strahlende neue Beziehung – jung attraktiv intelligent dynamisch – und ein erfolgreicher Wechsel in die Selbstständigkeit. Aber da sind diese leidigen Unterhaltszahlungen: Relikt eines archaischen Wertesystems – dieses Gefühl, die Energien (und Mittel) der Gegenwart mit der Vergangenheit teilen zu müssen – und das ohne eine Spur der Anerkennung als Gegenleistung. Christiane. Es war eine dieser durchrauschten Nächte in einem kleinen subversiven Klub abseits der ausgetretenen Pfade samstagnächtlicher Unterhaltung. Dass ich sie noch sah grenzte an ein Wunder. Aber das Besondere war: sie sah auch mich. Keine Worte. Es war eh zu laut. Wenige Berührungen unserer Körper. Wir sahen uns einfach nur. Blicke, die kein Ausweichen einforderten und selber bestehen konnten. Mit einem Mut, den ich so an mir nicht kannte: der Mut ohne zu zögern auf das einzig Wichtige zuzugehen, genau auf sie zu, alles um mich herum vergessend, gepaart mit dem Mut auch wieder loszulassen. Wir ließen dann voneinander ab. Beim Abschied wusste ich zwar noch nicht einmal ihren Namen, aber dafür hatten sich unsere Hände berührt mit einer Energie, die auch die Erdrotation auszusetzen vermag und die Sekunden, die wir diese letzte Berührung hinauszögerten bedeuteten den Unterschied für so ziemlich alles. Mit Bedauern ließen wir einander gehen. Am Sonntag darauf versorgte ich des Abends die Partyopfer vom Wochenende mit fester Nahrung. So stand ich dann plötzlich auch vor ihrer Tür. Gerade als nach einem Infarkt der Freude sich meine Gesichtsmuskeln auf unglaubliche Art zu entspannen begannen und kindlichen Frohsinn zu erkennen gaben, trat Sebastian hinter sie:

„He, Tag auch. Siehst du Schatz: das wird aus einem der mal Deutsch/Geschichte studiert hat.“

Es tat ihr sichtlich leid und war ihr sehr unangenehm. Ich hatte es dann eilig. Sie gab viel zu viel Trinkgeld. Das war die Art von Bauchklatscher, bei der einem die Luft wegbleibt. Spätere Begegnungen hatten dann immer diese sehnsüchtig melancholische Färbung. Und heute verlangt sie also Unterhalt. Ich hätte doch auch ein gewisses Interesse an ihr gehabt – Sebastians Bilanz ist so plötzlich wie unerwartet bei mir angelangt, dass ich als Antwort nur zusammenzucke.

„Hätte ich sie nur dir überlassen. Sie war eher was für dich.“

Was folgt ist meine erste Wortmeldung – abgesehen vom Smalltalk, mit dem wir uns den Tag über die Zeit vertrieben haben. Ich wollte Lehrer werden. Ich wäre gerne jemand geworden, dem zu begegnen einen Unterschied gemacht hätte für einen jungen Menschen. Aber ich habe es nicht gepackt. Es fiel mir nicht leicht beim Studium mitzuhalten. Und da waren auch noch gewisse Ablenkungen – viel Spaß in den Nächten. Leicht verdientes Geld in diversen Nebenjobs, die auch mal schnell zum Lebensinhalt werden können, wenn man sie lässt. Und dann hatte ich nicht nur den Alkohol für mich entdeckt… Ich werde nie den Tag vergessen, als ich vor meiner ersten Klasse stand – da war einfach nur Leere in mir. Nichts. Kein Funken von einer Berufung. Ich stand nicht auf meiner Bühne sondern kam mir vor wie ein Hochstapler. Bestenfalls Mittelmaß. Der Rest war dann nur noch Formsache. Und dann sind da diese drei Typen, denen das alles scheinbar zugeflogen ist, die immer wussten, wie es läuft, wie die Spielregeln sind – die alles hatten. Und jetzt stehen sie da und jammern und suchen nach lächerlichen zehn Jahren Wege, auf denen sie sich aus ihren Verantwortungen stehlen können. Ich merke gleich, dass sie es nicht gut aufnehmen. Bezeichnenderweise ist es Michael, der mich nun fordert – den Nachmittag über hatte er das direkte Gespräch mit mir eher vermieden:

„Weißt du was das Problem mit euch ist?“ – „Wer ist „Euch“?“ – „Ihr, die ihr es nicht gebacken bekommt!“

Es würde ihm übel von uns und von unserem Sozialneid der Bildzeitungsleser, die unten hocken blieben und erwarten würden, dass alle anderen ihnen dort Gesellschaft zu leisten hätten. Leute, die nur Verachtung kennen, wo sie Dankbarkeit zeigen sollten für diejenigen, die sie auch noch als Ballast mitschleifen müssten. Leute, die nicht vermögen, über ihren Suppenteller hinauszuschauen und daher ihre Chancen nicht erkennen und zu träge sind sie zu ergreifen. Und darum wollten sie auch all jene mit nach unten ziehen, die nach Höherem strebten, diejenigen, die halt in der Lage dazu sind, genau dann Leistung abzurufen wenn sie gefordert wird.

„Muss ich es dir demonstrieren?“ – er deutet auf die mir verbliebene Acht - „Hundert Euro, dass du‘s vermasselst! Sebastian. Gib mir hundert Euro. Du weißt, ich hab nichts dabei.“ Sebastian zögert. „Sebastian?! Gib mir das Geld. Das ist die sicherste Investition die ich jemals tätigen werde und zwar mit einer außerordentlichen Rendite!“ Sebastian holt einen grünen Schein raus. Michael posiert an der anvisierten Tasche wie ein Nummerngirl in der Ringpause, legt die steife Banknote auf die Bande und blickt mich kokett an:

„Komm und hols dir.“

Natürlich versaue ich‘s. Mit Eleganz oder mit Kraft – ich kann mich nicht entscheiden und so versenke ich die Schwarze. Aber die Weiße sucht sich ihre eigene Tasche. Wie eine Metapher für mein Leben. Ich sehe Michas triumphierenden Blick und weiß es kann keine Worte mehr zwischen uns geben, die diese Kluft zwischen uns überwinden. Aber ich will, dass sie fühlen, wie es ist, ich zu sein. Mit wenigen Schritten bin ich bei ihm, habe auf dem Weg bereits das dicke Ende des Queues erhoben und zerlege erst eine der Lampen über dem Tisch, bevor ich seinen zum Schutz erhobenen Unterarm erwische. Holz bricht auf Knochen und ich greife wahllos auf den Tisch nach einer Kugel, mit der ich mehrfach auf sein Gesicht einschlage, bis sie glitschig wird von seinem Blut und von meinem. Sebastian drängt sich zwischen uns, versucht mich wegzuziehen. Ich richte mich wieder auf und wende mich ihm zu:

„Grüß Christiane bitte von mir.“

Dann breche ich ihm die Nase. Das Blut schießt hervor, spritzt auf den grünen Filz. Wie kriegen sie diese Flecken wohl wieder raus? Ich lasse ab von ihm, als ich genug habe. Marcus steht daneben und scheint nicht eingreifen zu können. Offensichtlich kein Realo. Ich bücke mich und hebe den grünen Schein auf.

„Danke für die Einladung.“ - sage ich zu niemanden bestimmten. „Kommt gut nach Haus.“

Beim Rausgehen drücke ich den Hunni dem Mädel hinterm Tresen in die Hand. Scheu nimmt sie den Schein an. Ist bestimmt auch ihr Erster in Grün. Oder es sind die wunden Knöchel der Finger, die ihn halten, die sie zögern lassen. Ich möchte ihn ihr wegen der kommenden Unannehmlichkeiten geben. Man hat ja schließlich Prinzipien.

Und außerdem: wozu braucht man Freunde, wenn es einem seine Feinde sogar besser besorgen können.

 

Hallo Juri,
ich habe deine Geschichte jetzt einmal durchgelesen und die geballte Informationsflut erschlägt mich. Du packst soviel in einzelne Sätze, verweilst bei keiner Situation, schiebst mich als Leser in Windeseile von einer Situation zur anderen, da werde ich ganz atemlos. Aber nicht unbedingt vor Ergriffenheit.
Im ersten Teil beschreibst du, was sich die Typen alles vorgenommen haben - du gibst quasi wie so eine Inhaltsangabe an - und dann erzählst du das grade nochmal in der Länge. Das ist doch doppeltgemoppelt. Da kannst du anfangs meiner Meinung nach ganz viel kürzen.
Ich fände es auch gut, wenn du der Geschichte zwischendurch etwas Ruhe schenken und nicht so durch alles durchhetzen würdest. Schreiben kannst du ja, das sieht man. Nur hast du mich einfach mit dem ganzen hier überfordert, oder um es besser zu sagen: Mir war es zu hektisch, das hat mir dann keinen Spaß mehr gemacht.

Ich habe mir den lateinischen Spruch übersetzen lassen: ob das jetzt unbedingt der Titel sein muss, sei dahin gestellt :D

Liebe Grüße
bernadette

 
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Hola @juri,

ich finde, Du machst bisschen viel Wind mit dem Latein, auch wenn sich Deine kleinbürgerlichen Protas so vom normalen Volk sehr ‚niveauvoll’ abgrenzen wollen. (Es geht ja nicht darum, dass man die Universität besucht hat und das hinausposaunt – iwo, soll nur lustig sein :D ). Durch die Großbuchstaben wirkt der Titel ziemlich protzig und unangenehm. Vielleicht gehst Du noch mal in Dich und Dir fällt ein Titel ein, der zum Lesen animiert? (Die Präsentation der dieser Art bedruckten Shirts kann im Text untergebracht werden).

Du schreibst gut, keine Frage. Ein paar vergessene Kommas spielen keine Rolle – dachte ich. Ich begann, sie aufzuzählen, in der Annahme, dass es nur wenige seien:

Ein kurzer taxierender Blick K der jedes ...
trotz unseres Zustandes um Eloquenz und ein gehobenes Sprachniveau bemüht, ...
Die Eloquenz stört mich – das ‚gehobene Sprachniveau’ reicht.
so auf Kautsch ...
Darf ich die adoptieren:)?
Runde lokales Pils vom Fass aber K nachdem die ...
Unglaublich, was für Zeug man hemmungslos und straffrei in sich reinschütten kann, wenn man jung ist.
Komm mal in mein Alter, da bezahlt man das alles doppelt und dreifach – von wegen straffrei!
... ging auf und ab K um warm zu bleiben.
... in der Wintersonne K die jetzt durch die Wolken brach K und breitete seine Arme aus:
Ist nicht die große Nummer K aber ich ...
dieses Scheißshirt K wie es strahlend weiß ...
... aber dann hab ich aufgehört, es fehlen doch zu viele.

Den Text fand ich anfangs unterhaltsam (auch wenn nix passiert:hmm:). Denn schau mal hier (nur ein Beispiel):

Marcus größte Sorge im Moment ist seine Diplomarbeit und dass sie im gläsernen Zeitalter des Internets als Plagiat enttarnt werden könnte – just in dem Moment wo er seine ersten verheißungsvollen Schritte auf der politischen Bühne setzen würde. Eigentlich hat er nur Angst vor seiner Ex, die ihm das Ding seinerzeit geschrieben oder vielmehr montiert hatte, und die, als ihre Zeit gekommen war, pünktlich zum Referendariat kaltgestellt wurde.
Das war mit zu geschwätzig. Kann mir nicht vorstellen, dass das jemanden interessiert. Tja, leider – mein Interesse entfleuchte, der Text wirkt dadurch noch länger, als er eh schon ist. Der könnte eine Straffung gut gebrauchen.

kein ausweichen - das einzig wichtige - Infarkt der Freude (oh mei!) - nach höherem

Das Blut schießt hervor, spritzt auf den grünen Filz. Wie kriegen sie diese Flecken wohl wieder raus?
Die Sorge um die Flecken kam Dir erst beim Schreiben? Bei so einer Attacke denkt man sicherlich nicht an schwer zu entfernende Blutspuren. Jedenfalls war’s für mich als Leser allerhöchste Zeit für den Twist. Der Text davor hat lange Passagen, die mich wegen ihres Smalltalk-Charakters arg langweilten.

Hast viel Arbeit reingesteckt, der Tagg ‚Satire’ wäre wohl auch angemessen. Ein Text, der von Langweilern handelt, wird keine Emotionen wecken, ist aber auf jeden Fall – was die handwerkliche Ausführung belangt – ernst zu nehmen.
Herzlich Willkommen, lieber juri!

José

 

Überschrift geändert. Ausschließliche Großschrift ist nicht erlaubt. Siehe Regeln unter "Hilfe".

 

Hallo Bernadette,
vielen Dank für Deine Rückmeldung. Auf genau solche Hinweise hatte ich gehofft, als ich mich hier angemeldet habe. Ich weiss, dass ich noch nicht da bin, wo ich eigentlich hin will - beim eigentlichen Erzählen einer Geschichte. Daher ist es für mich sehr wichtig, zu erfahren, wo meine Texte funktionieren - und wo noch nicht. Ich bin mir sicher, dass ich auch noch etwas mehr Spass für sie finde.

mit den besten Wünschen

Juri

Hallo Jose,

vielen Dank für Deine Antwort auf meinen Text!
Das nächste Mal lasse ich auch noch jemand anderen Korrektur lesen, bevor ich damit an die Öffentlichkeit trete. Verbuchen wir es für dieses eine Mal noch als jugendlichen Grössenwahn, der mit Ungeduld einhergeht ...
Da der Text Teil einer Sammlung sein wird, denke ich, dass die Überschrift ihren Zweck erfüllt. Die Grossschreibung ist der römischen Antike geschuldet - Inschriften (auch auf den Latrinen in Pompeij) waren nun mal in Grossbuchstaben gehalten. Ich sehe keinen Grund das zu ändern - aber es ist mir bewusst, was du im Zusammenhang mit dieser Seite hier meinst und damit hast Du sicher recht.
An der Entwicklung der Handlung werde ich sicher noch arbeiten müssen!

mit den besten Wünschen und vielen Dank für Deine Aufmerksamkeit

Juri

Die "Kautsch" steht übrigens schon draussen. Kannst Du gerne haben.

 

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