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Mein Haus und meine Wohnung

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04.03.2004
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Mein Haus und meine Wohnung

Ich lebe in einem ganz besonderen Haus. Nach dem Eintritt empfängt einen eine verwinkelte, aber große Halle, die einige Cafés beherbergt.
Die lichte Freundlichkeit der immer randvollen Cafés passt eigentlich gar nicht zu den alten Gängen, den verwitternden Holztreppen, die in die Wohnungen (es sind doch viele Mietparteien) führen. Und diese betagten, dunklen Treppen, sind immer besetzt von durstigen Gästen, die auf den vielen Stühlen der Geschäfte keinen Platz fanden, sodass man sich immer, um in die eigene Wohnung zu kommen, an Leibern, Kaffeetassen und Bierkrügen vorbeischlängeln muss. Das ist ein zähes, schweres Vorwärtskommen, dauert wirklich ewig, man klebt förmlich fest. Man hat überhaupt immer das Gefühl, dass Schulklassen auf den Unterricht warten, so sitzen die Menschen, als ob sie nie aufstehen wollen! Das macht es alles ganz eigen, sich dort voran zu arbeiten, aber alle lachen drum und keiner ist wirklich böse.

Meine Wohnung im zweiten Stock habe ich ganz futuristisch eingerichtet. Auf dem Flur steht eine sinnliche Plastik eines avantgardistischen Künstlers, das ein Modellauto zentral stellt, das zu seinen Rädern von roten Holzteilchen umgeben wird wie Fingerzeige und auch sonst ordentlich verdrahtetes, verdrehtes Schnick-Schnack enthält.
Auf die Toilettentür habe ich das Fernsehbild eines Musiksenders projeziert und man sieht gar nciht die Quelle der Projektion, weil es so eine ausgetüftelte Konstruktion ist. Natürlich hängen um diese, natürlich weiße Tür- meine Wohnung ist grundsätzlich weiß gehalten- allerlei kleine Lautsprecher, die die Musik zum Bild geben.
Der Clou ist aber das Wohnzimmer! Es hängt scheinbar mehr außerhalb als innerhalb des immensen Gebäudes, da es komplett, das heißt links wie rechts, vorne wie hinten, selbst oben und unten verglast ist. Natürlich hat man nach oben und unten keinen Durchblick- es befinden sich dort ja auch Wohnungen-, was den Gesamteindruck ein wenig stört.
Ringsherum nutzt aber ein Café restliche Fläche als Terasse (ich habe es seinerzeit zukosten des Wohnzimmerplatzes selbst angeboten), sodass ich immer in Besuchergesichter blicken kann. Die Kulisse kann man sich nicht schöner vorstellen!
Und die Terassengäste sind ganz unterschiedlich. Die Jugendlichen wollen einen manchmal necken, sie klopfen (ab und an hämmern sie regelrecht) an die Scheibe, ziehen Fratzen oder winken penetrant.
Damit sowas nicht zu Endlosspielen ausartet (was doch passieren kann), tue ich einfach so, als habe ich nichts gesehen. Doch ertappe ich mich selten dabei, das ich auch mal wütend blicke oder schon nach meiner Pistole in der Couchtischschublade greifen möchte.
Nett anzusehen sind verliebte Pärchen, die sich vertraut ansehen, kuscheln, knutschen und spät nachts auch mal koitieren. Da macht mich das schon traurig, ganz alleine zu sein!
Am liebsten sind mir die alten Leute, die Großmütterchen und Großväterchen, die still dasitzen und alles friedlich genießen. Das ist einfach süß. Ich öffne in manchen Momenten dann Fensterteile der Glaswand und rede mit ihnen, was häufig genug dazu führt, dass es andere Cafégäste wie hartnäckige, lichtgierige Insekten zum offenen Fenster zieht. Sie wollen mitschwatzen, was mir fast die Laune verdirbt. Überhaupt suchen manche Menschen immerzu das Gespräch, blicken starr durch die Scheibe zu mir auf die Couch, auffordernd und bittend, bettelnd und flehend mit überweiten, unablässigen Augen. Da lass ich mich dann doch zuweilen auf einen Plausch mit ihnen ein- ich kann halt kaum nein sagen!

Doch was die greisen Herrschaften betrifft, hat man das Glück und man bleibt mit ihnen alleine, redet man leise und gut mit ihnen, dann, gelegentlich, spendieren sie einem einen warmen Tee oder Kaffee. Das Leben, es kann so schön sein!

 

Vielen Dank für deinen Kommentar. Es ist immer etwas schwierig, die eigenen Sachen zu interpretieren und vor allem dann, wenn man, wie hier, das Wesentliche geträumt hat. Dieses Haus und meine Wohnung sind mir im Traum begegnet und ich musste mir alles erst mal selbst erschließen.
Eine Geschichte mit ordentlicher Handlung sollte sich dann daraus nicht ergeben, weil für das Stückchen hier nur der grundsätzliche Gedankengang wesentlich ist. Es machte für mich beim Schreiben keinen Sinn, dies mit mehr Stoff aufzufüttern.
Das, was ich mir vorstellte, war: Ein ständig von Menschen umgebener, bedrohlich eingeengter Protagonist, der in Gewöhnung an diese Umstände nicht mehr in der Lage ist, realistisch das Erschreckende, das Brutale der ermordeten Intimität zu erkennen, wird nicht fähig sein, diesem Griff zu entkommen.
Daher die kindliche Naivität des Prot.
Die futuristischen Momente wie die auswuchernde Geschäftswelt, die Architektur der Wohnung und die Plastik, sollen vielleicht auch für eine Art Dystopia herhalten, in der die Menschen ohne Momente des Privaten sind, sondern gänzlich eingespannt. Man muss sich auch gar nicht an jedem einzelnen Bild präzise aufhalten. Die Zeichnung der Plastik ist mir bestimmt nicht besonders gelungen, was aber hoffentlich nicht so schlimm ist.
Die Verschiebung der Wahrnehmung ist, ohne böses Urteil, sondern nur mit Neugier, schon seit langem spannend zu beobachten:
Ein Reisender aus der Schweiz, der im 18. Jhd. das Österreich unter Joseph II. besuchte, stellte im Reisebericht fest: "In einem Land wie diesem, wo die Häuser Nummern tragen, könnte ich nie leben!" Die ersten Anfänge unter dem aufgeklärten Monarchen, die Menschen für den Staat zu erfassen und zu ordnen, werden lustigerweise schockiert aufgenommen.
Aber ich schweife ab. Es spielen sicherlich noch andere Dinge eine Rolle, von denen ich selbst nichts weiß oder die ich kaum verraten möchte, die vielleicht noch viel mehr Gewicht haben als gesellschaftsanalytische Dinge.
Ich hoffe, ich konnte dir was helfen.

Gruß, Peter.

 

Hallo Peter!

Mir ging es ähnlich wie Angua. Ich habe mich anfangs sogar gefragt, ob dies überhaupt eine Geschichte darstellt ... :shy:

Den Intimitäsverlust darzustellen, gelingt Dir gut. Und auch das Un - Bewusstsein des Erzählers für diesen Verlust kann man herauslesen - insofern geglückt, aj mehr ncoh - er ist ja zufrieden damit, scheint es als Bereicherung für sich zu erkennen. Allerdings ist die Geschichte wirklich eher als Auftakt oder anfängliche Beschreibung angekommen - und ich dachte mir: okey, gut, aber wo bleibt die Geschichte? Auch wenn das nicht Deine Intention war, hat mir etwas gefehlt, und fehlt mir immernoch, um die Geschichte gut finden zu können. Sie ist nicht rund, der Gedanke wirkt nicht zuende gedacht.
Die einzelnen Beschreibungen der Gäste wirkt momentan etwas zu aufzählerisch - jede "Gattung" Gast (Verliebte, Jugendliche ...) bekommt einen eigenen Satz und gut ist. Ich persönlich fände statt der bloßen eher oberflächlichen und allgemeinen Beschreibung Details, einzelne Erlebnisse, Episoden spannender.
Insgesamt recht sicher und gut lesbar geschrieben.

Schöne Grüße
Anne

 

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