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Serie Mikesch - Der Mantel meiner Tante (2)

Seniors
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20.10.2002
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Mikesch - Der Mantel meiner Tante (2)

Der Mantel meiner Tante Martha lag, in eine durchsichtige Plastikhülle verpackt, auf dem Sofa. Martha war vor einigen Tagen gestorben, nach zweiundachtzig Jahren war sie eines Morgens einfach nicht mehr aufgewacht.
Ihren Mantel, fast ungetragen, hatte sie, neben ein paar anderen Kleinigkeiten und einer alten Spieldose mir vererbt.

Ich konnte mich daran erinnern, wie ich als kleines Mädchen mit dieser Spieldose Stunde um Stunde spielen konnte, die Melodie „Für Elise“, ganze Nachmittage lang. Abgegriffen war das stumpfe Gehäuse und von Rissen durchzogen. Ich klappte den Deckel vorsichtig zurück, um die vertrauten Klänge zu hören.

Die Erinnerung an Tante Martha kam mit der Melodie. Die Lieder, die sie mir vorgesungen hatte. Die langen Spaziergänge. Der Geruch ihrer kleinen Wohnung und nach heißem Kakao. Das schmale Gesicht mit dem Lächeln, ihre Fröhlichkeit. Ihre lustigen grünen Augen.
Unser letztes Gespräch kam mir in den Sinn, vor ein paar Monaten. Ich hatte ihr von Mikesch erzählt, dem kleinen rot-weißen Kater, den ich an einem kalten Herbstabend in einer Mülltonne gefunden hatte, und der mittlerweile meine komplette Wohnung auf den Kopf gestellt hat. Sie hatte so lachen müssen, als ich ihr erzählt hatte, wie Mikesch zu Weihnachten auf den Christbaum geklettert ist und alle Stohsterne angenagt hat.

Sachte klappte ich den Deckel wieder zu. Mein Blick fiel auf den Mantel. Nerz. Das ganze Zimmer roch nach Mottenkugeln. Und nach Tod. Wie viele Tiere hatten für dieses Stück ihr Leben lassen müssen? Glänzend, wie neu lag er auf dem Sofa, ich scheute mich, ihn anzufassen. Dennoch zog ich die Plastikhülle herunter. Brauner, zarter Glanz.
Unentschlossen betrachtete ich den Pelz.

Ein klägliches Miauen unterbrach meine Gedanken. Ich öffnete Mikesch die Türe und er strich mir um die Beine, fing an zu schnurren, als ich ihn auf den Arm nahm. Er war schwer geworden, ein großer, stolzer Kater, mit der dünnen Stimme eines Kätzchens. Ich gab ihm frisches Futter und zog mir dann die Jacke an.
Ich wollte einen Spaziergang machen, um an der frischen Luft über diesen Mantel nachzudenken.

Als ich aus der Wohnungstüre trat, empfing mich ein eisiger Wind. Ich zog den Kragen meiner Jacke enger zusammen, bereute es schon, dass ich keine Mütze aufgesetzt hatte. Ich lief los in Richtung Park, wollte zu dem kleinen Teich, in dem im Sommer die Enten schwammen. Jetzt würden die alten Trauerweiden von Raureif überzogen sein, das Wasser zugefroren.

Der Pelzmantel ... Was sollte ich mit diesem Mantel nur anfangen? Irgendwie schreckte ich vor der Berührung zurück, ich würde ihn nie tragen wollen. Schuldgefühle? Ich hatte ihn geerbt, nicht gekauft. Diese Tiere waren bereits tot, nichts würde daran mehr etwas ändern ... Dennoch ... ein Mantel aus Tod.
Kurz kam mir der Gedanke, dass ich ihn auch in die Kleidersammlung geben könnte, viele Menschen könnten einen warmen Mantel gut gebrauchen und würden sich wahrscheinlich über dieses Kleidungsstück sehr freuen. Diese Idee verwarf ich jedoch schnell wieder, ich wollte den Mantel meiner Tante nicht irgendjemandem in die Hände geben, der sie nicht einmal gekannt hatte.

Mittlerweile war ich bei dem Teich angekommen. Was sollte ich nur machen? Den Pelz in die hinterste Ecke meines Schrankes hängen, mit Mottenkugeln versorgen und verstauben lassen? Tragen wollte ich ihn nicht.

Lange stand ich auf dem groben Kies, der den Teich umsäumte, ohne eine Entscheidung getroffen zu haben. Als der Wind stärker wurde, an meinen Haaren riss, als die Sonne langsam tiefer sank und die Schatten der Weiden länger wurden, kehrte ich schließlich um.
Ich sperrte die Wohnung auf, rief nach meinem Kater. Normalerweise kam er immer, sobald er mich am Flur hörte, um mich zu begrüßen. Wo war er diesmal? Ich zog Schuhe und Jacke aus, betrat das Wohnzimmer.

Mikesch blickte mich mit goldenen Augen an. Er lag mitten auf dem Mantel.

Mittlerweile habe ich mich schon daran gewöhnt, dass in einer Ecke meines Wohnzimmers ein brauner Berg liegt, der bis vor kurzer Zeit noch ein Mantel war. Jetzt ist es der Lieblingsplatz meines Katers, der sich in dem Pelz versteckt. Ein herrlicher Schlafplatz für jede Katze, weich, warm und kuschelig.

Meine Mutter hat mich vor einigen Tagen besucht – sie war entsetzt. Wie pietätlos! Das Erbe von Tante Martha!
Mikesch und ich haben uns nur angesehen, ich musste lächeln.

Jetzt liegt er zufrieden irgendwo in diesem Berg aus Pelz, nur ein zartes weißes Ohr kann man erkennen. Aber er schnurrt.
„Für Elise“ klingt aus der alten Spieldose.

Wir denken an Tante Martha.

 

Maus wieder auf dem Weg, der der ihre ist. Es begann damit ja schon vor geraumer Zeit. Dann kam das mit der Schokolade und manche, die glaubten, denken zu wollen, sprachen von einem irregeleitet Sein. Jetzt also das.
Texte mit dieser momentanen Dichte tun kg.de gut.
Ich werde deine Geschichte wieder lesen, Anne.
Die mit den Himmelsschafen übrigens auch.

Liebe Grüße - Aqua

 

Servus Maus!

Wenn ich zornig bin, meine Werte durcheinander gewirbelt werden von vielen großen Worten, dann Anne, dann werde ich diese außergewöhnliche Geschichte mit all ihren wunderschönen kleinen Worten lesen und glücklich sein.

Einen besonders lieben Gruß an dich - Eva

 

manche, die glaubten, denken zu wollen, sprachen von einem irregeleitet Sein
Aqua, wovon sprichst Du? :eek:

Liebe Anne!

Ich finde Deine Geschichte wunderschön! :thumbsup:

Die Frage, was man mit so einem Pelzmantel, den man nicht tragen aber auch nicht hergeben will, weil er doch von der geliebten Tante ist, hat der Kater hier mit ganz feinem Gespür gelöst! :)

Und die Mottenkugeln sind damit auch überflüssig, denn der Kater paßt bestimmt auf, daß da keine Motten sind. :lol:

Ach ja, "Wie Pietätlos!": > Wie pietätlos!

Alles liebe,
Susi

 

Von meiner bösen Kritik bei Maus' Geschichte von der Schokoladentafel spreche ich, Susi. So einfach ist das.

Liebe Grüße an dich - Aqua

 

Liebe Maus-Maus,

ich kann mich den anderen einfach nur anschließen – wunderschöne Geschichte! Mikesch hat das Problem auf Katzenart ganz einfach gelöst. Es war schön, von deinem Katerchen wieder was zu hören! :)

 

Hallo Maus,

wunderbar erzählt, ganz gleich ob es um eine Natur- oder Gefühlsbeschreibung geht. Die alltäglichen Dinge des Lebens verknüpfst Du mit Inhalten, die den Sachen erst ihren wahren Wert zuordnen.
So decken wir den Mantel des Vergessens über das Geschehene, doch ohne Ignoranz, mit einem lächelnden Blick in die Zukunft.

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo alle zusammen!

Vielen Dank für das Feedback, ich freu mich sehr, dass die Geschichte so gut angekommen ist!

lieber Aqua, ich freu mich sehr, wenn die eine oder andere Geschichte so gut ist, dass Du sie nocheinmal lesen möchtest. Danke. *soschlechtistdieschockoladeaberauchnichtgrummel*

liebe Eva, danke Dir. Es müssen nicht immer die großen Worte sein.

liebe Susi, auch Dir vielen Dank. Ja, eine Lösung, mit der man leben kann :), so einfach ist das Leben manchmal. "pietätlos" - nur ein Fehler, ich werd immer besser :)

liebe Anna, liebe Liz, danke für die Anwort. Ich freu mich unheimlich, dass der Text so gut ankommt. Liz: das mit dem Kater - ein bisserl davon ist extra für Dich. Du hattest dir eine Fortsetzung gewünscht...

lieber Wolto, auch Du hast es gelesen und es hat Dir gefallen, danke für die Antwort.

Danek für Eure Gedanken, ich habe mich sehr gefreut!

Liebe Grüße an Euch alle, Anne

 

Hallo Maus!

Nun, ich kann mich meinen Vorgängern nur anschließen. Ich bin zwar nicht so eine Katzenfreundin, aber ich habe die Geschichte ebenfalls sehr genossen. Sie ist zwar nicht auf "große Worte" oder eine bestimmte Aussage angelegt, dennoch empfinde ich sie ganz und gar nicht als oberflächlich.

Gerade heitere, "leichte" Geschichten zu schreiben halte ich eigentlich für ziemlich schwierig. In diesem Sinn: Gut gelungen! :)

klara

 

Hallo Anne,

kurz und knapp, eine ganz wundervolle Geschichte. Mehr gibt es, glaub ich, nicht zu sagen.

Gruß
deMolay

 

Liebe Klara, lieber deMolay!

Vielen Dank für Eure Antworten, ich freue mich sehr über die Rückmeldung.

liebe Grüße, Anne

 

Hallo Maus,
wirklich schöne Geschichte. Besonders gut haben mir die Sätze gefallen:
"Mikesch und ich haben uns nur angesehen" und "wir denken an Tante Martha". Einen winzigen Kritikpunkt hätte ich: mir würde "Martha war vor einigen Tagen GEstorben" besser gefallen als "VERstorben". Ich finde, verstorben klingt persönlicher, und die Protagonistin scheint ja ein enges Verhältnis zu ihrer Tante gehabt zu haben. Verstorben klingt für mich nach Todesanzeige.
Gruß,
Ellen

 

Liebe mausige Maus Maus Maus,

der Titel, Mikesch , hatte es mir angetan,weshalb ich deine Geschichte angeklickt habe.
Hat mir ausnehmend gut gefallen, sie bringt Ruhe ins eigene Gemüt und ich habe auch gar keine Zeit, dir lange zu schreiben, ist ja auch schon alles gesagt, weil ich mich jetzt meinem Kater Max widmen möchte.
Eigentlich schön, dass wir unseren Katzen erlauben, ihre Vorstellungen von den Werten auf dieser Erde ein wenig mit in unsere Stuben zu tragen. :)

Lieben Gruß
elvira

 

Hallo Ellen, liebe lakita!

ach, schön, dass ihr die Geschichte nocheinmal aus der Versenkung geholt habt. Beim jetztigen lesen sind mir die ganzen Wiederholungen und so im Text aufgefallen - da muss ich nochmal überarbeiten.
Ich hab mich sehr über das Lob gefreut. :bounce:
Ich denke, das ver werde ich auch ins ge ändern, da hast Du recht, Ellen.
Beste Grüße an Kater Max!

liebe Grüße
Anne

 

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