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Mircea Eliade: 19 Rosen

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31.08.2008
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Mircea Eliade: 19 Rosen

Der Erzähler, ein Sekretär des großen rumänischen Schriftstellers Pandele, wird in einen Strudel aufregender Ereignisse hineingezogen, als sein Meister sich der Dramaturgie zuwendet. Warum hatte er sich vorher nie darum bemüht? Stimmte das überhaupt? Wenn er schon einmal Theaterstücke geschrieben hatte, wo waren diese jetzt? Und warum hatte er damit aufgehört?

Pandele wirft sich mit aller Kraft in diese letzte Aufgabe, das Theater – aber was bedeutet das für ihn?
Orpheus hat das Theater erschaffen, sein Gang in die Unterwelt war erfolglos, er konnte Euridike nicht erlösen – erst Christi Höllenfahrt hat die Leidenden befreit – „Theater als ritueller Akt, Erkenntnis, sakrale Handlung, einzige Chance, die absolute Freiheit zu erkennen, die mit den Freiheiten gesellschaftlicher, wirtschaftlicher oder politischer Natur nichts gemein hat.“

Der Meister raucht neunzehn Zigaretten, eins und neun, Ursprung und Vollendung, die Rolle des Theaters, den Kreis schließen, „am Anfang war das Ende.“

Pandeles Theater ist ein Akt, der die Zuschauer zur Erleuchtung führen soll; mit einer Gruppe junger Schauspieler arbeitet er an mehreren Theaterstücken, der Erzähler hat die Aufgabe, die kaum zu entziffernden Manuskripte abzutippen und dem Verlag zu übergeben.

„Wenn Hegel recht hat, sind wir verloren.“ Eliade hängt die Latte hoch; ein Schlüsselerlebnis Pandeles ist die Lektüre des Werkes über die Gnosis des deutschen Philosophen Leisegang; das hat der Autor in altgriechisch geschrieben ; eine Übersetzung in irgendeine andere Sprache existiert nicht. Wer hier Eliades Gedanken zu den Ursprüngen verfolgen will, müßte schon vom Fach sein, oder es auf das nächste Leben vertagen. Auch das ist vielleicht im Sinne des Autors.

„Durch das Schauspiel vermag die Aufschlüsselung der symbolischen, demnach der religiösen Bedeutung der Ereignisse jedweder Art zu einem Instrument der Erleuchtung … zu werden.“ Die Stücke wirken beängstigend, „wem ist nicht bange an der Schwelle der Erlösung? Auch Jesus hatte Angst…“

Pandeles Theaterstücke werden für die Aufführung am 24. Dezember vorgesehen, dann aber abgesetzt, stattdessen wird Christi Geburt inszeniert – der Geheimdienst und seine Spitzel mischen sich ein.

Auf einer Schlittenfahrt am Heiligen Abend führt Pandele seine Schauspieler und den Erzähler in einen tiefen Wald, zu einem Forsthaus, wo er am 24. Dezember 1938, vor dreißig Jahren, eine Liebesnacht verbracht hat, die sein Leben aus der Bahn geworfen hat … der Erzähler geht voraus ins Haus, die Kerzen brennen, eine reich gedeckte Tafel wartet auf die Gäste... er legt seine Kleider ab und setzt sich; später wird er auf einem Baumstumpf sitzend, halb erfroren, aufgefunden … Pandele ist verschwunden. Die Sekuritate kümmert sich um den Fall, denn Pandele ist für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen, sein Verschwinden ist unangenehm für das rumänische Regime…

Der Erzähler wird verhört, doch niemand versteht, was passiert ist. Der Wald wurde schon 1942 gefällt, das Forsthaus abgerissen, wo ist der Erzähler gewesen, am Heiligen Abend 1968? In welchem Wald ist Pandele verschwunden? Und wohin? „…weil ich nicht begreife, was am Heiligen Abend geschehen ist: wie ich in jener Nacht auf einem Baumstumpf gelandet bin, wie die anderen verschwunden sind. Ich bin mir jetzt klar darüber, daß wir alle vier etwas Unvorstellbares erlebt haben, in einem fremden Raum, in einer aufgehobenen Zeit…“

Pandele ist in eine anderen Welt entrückt, aber er schickt noch jedes Jahr Blumen: neunzehn Rosen zu jedem Hochzeitstag des Erzählers, im zweiten Jahr nach Pandeles Verschwinden versucht der Erzähler den Überbringer der Rosen abzufangen, ein Junge geht pfeifend die Straße entlang, er sagt: "ich muß heute in eine Prüfung über moderne französische Literatur und diesen Satz interpretieren“, er holt einen Zettel aus der Hosentasche, "nous sommes condamné à la liberté.”

Man kann diesen Roman weder nacherzählen noch sicher interpretieren, man kann nur staunend vor den vielen Fragen stehen, die er aufwirft. Inhalte der Philosophie der Antike und der Gnosis werden mit christlichen Symbolen verknüpft, auf einem Teppich aus archaischen Mythen, die Rolle des Waldes für die Transzendenz in die andere Welt, die Vereinigung der Liebenden, das einsame Haus im Wald … ein Gewebe aus Märchenstoff, kontrastiert durch die profane Welt der Geheimdienste des realen Sozialismus … hier geht es nicht um den mysteriösen Plot; Eliade liefert keine Fantasystories, obwohl es so wirkt; es geht um den philosophischen Gehalt, ein Buch, das man alle paar Jahre wieder lesen kann, wenn man mehr über die Hintergründe weiß, um jedesmal mehr oder neues zu verstehen.

Es gibt leichtere Einstiege in das Werk Mircea Eliades; der autobiographisch gefärbte frühe Roman „Nächte in Serampore“ schildert schon das Verirren in einem Wald, der nur in der Vergangenheit existiert hat, und den Übergang in eine andere Zeit darin; eine kurze Unterweisung in den Wirklichkeitsbegriff der Veden, sehr empfehlenswert zur "ersten allgemeinen Verunsicherung". Auch "Auf der Mantuleasasstraße" beschreibt schon die Irritationen des Geheimdienstes durch übersinnliche Vorgänge. "Bei den Zigeunerinnen" behandelt ebenfalls eine Zeitreise, diesmal verschlägt es einen bemitleidenswerten alternden Klavierlehrer für eine Nacht in ein Bordell; als er morgens wieder nach Hause fährt, sind viele Jahre vergangen. In der Erzählung "Im Schatten einer Lilie" geht es ebenfalls um den Gedanken der Flucht in eine andere Welt. Aber wenige seiner Romane erzählen so kurz und geschlossen von seiner Botschaft, daß die wahre Freiheit in dieser Raumzeit nicht zu finden ist.

Mircea Eliade (geb. 1907 in Bukarest; gest. 1986 in Chicago), rumänischer Religionswissenschaftler, Philosoph und Schriftsteller. 1928 bis 1931 in Indien, dort Dissertation über die Geschichte des Yoga (Yoga. Unsterblichkeit und Freiheit. Insel Verlag, 1977, 515 S.). Seit 1957 lehrte er als Professor für Religionswissenschaften an der University of Chicago, wo er 1986 starb.

 
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Hallo Setnemides,
dieser Text könnte so wohl vielleicht auch in Zeitschriften wie "Literaturen" stehen. Das ist ein Kompliment natürlich, aber auch eine Kritik. Das ganze ist eine Rezension nach "Schema F", ich wüsste nun nicht, warum ich mir das Buch durchlesen sollte, bzw. was genau hat dich gepackt beim lesen, was hat dich fastziniert. Das geht durch den neutralen Stil einer Rezension verloren. Das "muss" man wohl eben so machen- für mich ist eine Rezension dann eher unspannend.
Gut zusammengefasst hast du aber den Inhalt, auch der Aufbau und Stil ist gut und sinnvoll- wenn man "Literaturen" erwartet. Aber eher uninteressant, wenn man die Begeisterung für ein Buch erspüren möchte. Das ist aber letztlich geschmackssache.

Den Absatz über die "Titel" fand ich so etwas verwirrend, vielleicht hättest du da im text vorher klarer drauf verweisen sollen (?) und dieses französische Zitat wirkt so an dieser Stelle nicht nachvollziehbar (was wohl daran liegt, dass ich das Buch nicht kenne). Ist eben die Frage, ob das dann sinnvoll ist, das so zu bringen oder vielleicht noch etwas mehr darauf einzugehen.

Schönen Sonntag,
Minsc :)

 
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Hallo Minsc,

nein, das muß man nicht so machen. Ich mache es so, weil mich Klappentexte langweilen, die nur wie ein "Trailer" Appetit machen sollen; die Rubrik hier heißt nicht "Empfehlungen" oder "Buchtipps", sondern "Rezensionen". Ich habe mich bemüht, wenig preiszugeben und mich doch - soweit möglich - kritisch mit dem Inhalt zu befassen. Das führt mich allerdings nicht zur Präsentation von Inhalten, sondern zu Fragen - davon gibt es in meinem Text einige, und das ist für Rezensionen atypisch, bestimmt nicht "Schema F". Auch der Schluß des Romans ist so eine Frage, oder ein Rätsel, allerdings eines, das leicht zu lösen ist; die Antwort folgt schon aus meinem kurzen Text.
Wen die Fragen interessieren, der hat vielleicht Interesse an diesem oder einem anderen Roman von Eliade bekommen - die Rezension ist gedacht, an dem Autor insgesamt Interesse zu wecken - an wem die Fragen vorbei gehen, der kann es abhaken. Jedenfalls habe ich ihn dann vor der Enttäuschung bewahrt, diesen Roman zu lesen und nichts damit anfangen zu können, was ja mit einem kurzen "Appetizer" leicht möglich wäre.

Gruß Set

 

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