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Morgen wird die Sonne wieder scheinen

Seniors
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24.04.2003
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Morgen wird die Sonne wieder scheinen

Mein ganzes Leben lang. Mein ganzes verdammtes Leben lang!

Was mich früher glücklich gemacht hat, ist zu einer Verdamnis ohnegleichen geworden. Diese alte Schreibmaschine...soll ich durch das Anschlagen der Tasten eine gesteigerte Produktivität erlangen, oder wollen sie mir durch sie einfach bloß zu verstehen geben, wie unwichtig ich bin; wieviele andere es außer mir noch gibt?
Natürlich kann ich den Rest bloß erahnen. Der Raum - der Kerker - ist schalldicht. Meine Ohren sind mit der Zeit taub geworden. Zeit. Gibt es überhaupt Sekunden, die verstreichen, oder ist einer meiner "Nachbarn" für diese Lüge verantwortlich? Mein Aufgabenbereich ist ein anderer. Paradox, wie alles kommen kann. Das Wetter als solches ist willkürlich. Manchmal betitele ich mich selbst als Meteorelogen und muss dabei lachen. Wenn die da draußen wüssten. Das anbrausende Gewitter, vorhergesagt aus einem Raum - einem Kerker - ohne Fenster. Interessieren sich die Menschen für den Wetterbericht der letzten Woche? Wissen sie überhaupt noch, ob es geregnet hat? Mit 98prozentiger Wahrscheinlichkeit gibt es morgen Sonnenschein. Als wenn die Sonne nicht immer scheinen würde (tut sie das?) Ich widerrufe die Prognose. Die Strahlen brennen sich durchs Fleisch der ganzen Zombies, die außer ihrer Bräune und den Cocktails an der Strandbar nichts kennen. NICHTS!
Einst, bevor man mich dieser Hölle präsentierte, hörte ich ein Vöglein singen. Damals dachte ich, es trällere sein Lied ausschließlich für mich, doch mittlerweile kenne ich den Unterschied zwischen Ursache und Wirkung. Wir sitzen auf einer kleinen Billardkugel, durch Kriege blitzeblank poliert und den dreidimensionalen filzlosen Tisch nicht begreifend. Da wundert sich noch jemand über die Dämlichkeit. Ja, ich meine nein. Morgen regnet es ganz sicher und wer daran zweifelt, der soll halt trotzdem vor die Tür gehen, oder auf einen anderen Kanal umschalten. Zapping. Ich habe einen Fernseher hier drinnen. Sein weißes Rauschen prägt das Wetter. Ob ich der einzige bin, der sich für solchen Nonsens die Finger wund schreibt?
Ich sitze in der Kommandozentrale des Planeten. Hier unten existieren weder Tage noch Nächte. Ein schlaues Kerlchen wie ich weiss das. Ab und an, ich habe keine Ahnung, ob die Abstände regelmäßig sind (habe keine Uhr - keine Uhr), holen sie meine vollgeschriebenen Blätter ab. Nicht persönlich. Ein kleiner Roboter greift mit seinen Zangen danach. Er bringt mir auch mein Essen. Einmal habe ich nach ihm getreten und er fiel um, das Essen über seine metallische Brust; ich musste grinsen. Dann stand er wieder auf und verabreichte mir eine Injektion. Welches Jahr wir wohl haben?
Ich schaue auf das leere Blatt vor mir. Dann denke ich kurz nach und schreibe schlussendlich doch "Sonne...ganz viel Sonne und sehr heiss. Anderswo wird es kalt werden. Katastrophen" - Wie lange sie das Wetter wohl schon steuern? Es ist ein Irrtum, anzunehmen, ich steuere es. Es sind die Tabletten, die ich mit dem Wasser einnehme.
Ich glaube manchmal, das Gott sich abgewandt hat und es deshalb gebildete Leute wie mich geben muss, die in dieses unterirdische Labyrinth verschleppt werden. Irgendwer muss doch das Geschick unseres Geschlechtes mitlenken. Ich nehme einen Schluck aus meinem Glas und plötzlich fühle ich mich berauscht. Ekstatische Wellen reinster Motivation schwappen über meinen Verstand hinweg und ich ergänze das bereits Geschriebene um einige weitere Wörter. Ich muss mich beeilen. Der Roboter öffnet schon die schmale Luke in der Tür.
"Morgen soll das Wetter die Menschen glücklich machen. Ausnahmsweise einmal. Keine Katastrophen."
Zu meinem Erstaunen hält der kleine Blechkumpan plötzlich inne und bewegt sich nicht mehr. Meine Hände waren glatt, als ich hier ankam. Mittlerweile sind sie faltig geworden, doch die Kraft des Wassers ermöglicht es mir, ihn beiseite zu schieben und durch die Luke hindurch zu schlüpfen. Erst Sekunden später wird mir bewusst, das er eine Waffe in seinen Zangen gehalten hat. Es bleibt mir keine Zeit (Zeit) darüber nachzudenken. Der Korridor ist eine Ewigkeit lang. Hier gab es nie ein Wetter. Die anderen sind alle tot und die Roboter - es müssen tausende sein - verharren still. Vielleicht sind auch sie nun an einem besseren Ort.

An der Oberfläche angelangt, bestaune ich die schöne Waldlichtung. So haben sie es also gemacht. Als Bunker getarnt. Raffiniert.
Meine Augen schmerzen und es gewittert. Wundert mich nicht. Ich habe das Gewitter veranlasst.
Über den Kronen der Bäume ragen viele Wolkenkratzer heraus. Alle brennen sie. Wie sehr sich die Welt verändert hat seit dem letzten Mal.
Zuerst bemerke ich die Uniformierten gar nicht, die sich mir nähern.
Warum ich noch lebe, wollen sie wissen.
Die gute Nachricht zuerst. Ich wäre einer der seltenen Fälle, die gegen das Nervengas immun sind. Die schlechte verheimlicht mir der Mann, der eine ziemlich moderne Waffe im Anschlag hält.
"Wer bist du? Einer von diesen Bekloppten?"
"Nein", sage ich.
"Ich bin der Wetterfrosch."
Er betätigt den Abzug.

 

hi, ehemaliger bzw sinngemäßer Nicknamenvetter

die Geschichte hat mir gefallen, soviel dazu ;) , vor allem der Erzählstil hat es mir angetan. Die Gedankenwelt des armen Kerls hast du sehr gut hinbekommen, wie er mit seinem Schicksal hadert, aber gleichzeitig genau das tut, was von ihm verlangt wird.

Tja, trotzdem bleibt alles ziemlich mysteriös. Warum ist er an diesem Ort? Wer hat ihn dort hingebracht? Was ist eigentlich zum Schluss passiert?
Fragen über Fragen, über die der Leser in aller Ruhe grübeln kann. Ein paar geschickt gemachte Andeutungen, aber keine Lösung. (Und das ist gut so! ;) )


mfg
Kerberos

 

Hallo Cerberus,

auch mir hat Deine Geschichte gut gefallen, auch wenn sie an einigen Stellen etwas wirr zu schein scheint - aber das entspricht wahrscheinlich der Gemütsverfassung Deines Prots ;) Auch wenn Du die Geschichte an einer Stelle spielen lässt, von der aus die Welt gesteuert wird, wird sehr schön deutlich, dass der Mann nicht mehr ist als eine Marionette und keinen freien Willen hat. Das Ende bzw. die Flucht des "Wetterfroschs" habe ich auch nicht so ganz verstanden...

Ein paar Fehler sind mir noch aufgefallen:

Was mich früher glücklich gemacht hat, ist zu einer Verdamnis ohnegleichen geworden.
Verdammnis
Als wenn die Sonne nicht immer scheinen würde (tut sie das?)
Hier fehlt der Punkt am Satzende
Ich glaube manchmal, dass Gott sich abgewandt hat und es deshalb gebildete Leute wie mich geben muss, die in dieses unterirdische Labyrinth verschleppt werden.

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo euch beiden und erstmal sorry für die so späte Antwort!

@Kerberos

Nett von dir, dass du deinen Nick geändert hast. Wirklich gestört hat mich der alte zwar nicht, da bei mir noch eine Zahl hintendran hängt, aber die Verwechslungsgefahr war schon gegeben, da hast du Recht.
Ansonsten danke fürs lesen und kommentieren. Das Ende löse ich ein Stückchen weiter unten auf.

@Juschi

Ich bin froh, dass du (wie Kerberos) meine Intention hinter dem Text erkannt hast. Diesbezüglich hatte ich doch einige Zweifel.
Was den Schluss angeht :

Der Prot. ist ein Gefangener eines totalitären Regimes, welches selbst das Wetter steuert. Die Zelleninsassen stehen im symbolischen Sinne für eine Art Amt, von dem die willkürliche Kontrolle ausgeht, ohne das die "Mitarbeiter" dort die Auswirkungen ihres Handelns jemals zu Gesicht bekommen. Irgendwann schließlich fallen irgendwelche Truppen in das Land ein (daher die brennenden Wolkenkratzer) und setzen die unterirdische Zentrale außer Gefecht. Ich wollte an dieser Stelle nicht zu sehr ins Detail gehen, da ansonsten der philosophische Gedanke möglicherweise in den Hintergrund gerückt wäre.

Beste Grüße

Cerberus

 

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