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Nach der Reifeprüfung

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27.02.2004
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Nach der Reifeprüfung

Ich vermisse dich.
Da, jetzt hab ich es gesagt. Solange hab ich geschwiegen, mir eingeredet, es mache mir nichts aus, alleine in der Stadt zu sein in der wir beide wohnen.
Jetzt habe ich es zugegeben.
Eingestanden.
Schwäche gezeigt.
Nicht auszudenken, hast du mal gesagt, du zeigst Schwäche?
Wann war das noch? ... Ja. In Griechenland.
Vor so vielen Monaten ...
Griechenland.

Das Hotel passte perfekt zu uns. Achtzehn Schüler, allesamt mit bestandener Reifeprüfung, dazu bereit, zwei Wochen lang ausgiebig zu feiern.
Die Hotelbar bot gute Cocktails zu vernünftigen Preisen an, der Pool war groß genug und nachts beleuchtet, das Personal sah über einiges hinweg.
Wirklich ideal. Das Wetter war herrlich, nur Sonne den ganzen Tag, Hitze, die uns faul werden ließ und da: das Meer.
Es war einfach wunderbar.
Nach den Stunden am Pool oder am Strand - das Nachtleben. Eine einzige Party.
Eben perfekt.
Jeden Tag das gleiche tun: aufstehen, trinken, anziehen, schwimmen, ins Dorf essen gehen, trinken, schwimmen, umziehen, feiern. Mehr gab es nicht, mehr wollten oder brauchten wir nicht.
Erst abends gestattete ich mir, dich anzusehen.
Wie positiv du dich verändert hattest: Längere Haare, muskulöser Körper, selbstbewusster auftretend, du bist eine angenehme Erscheinung gewesen.
Tagsüber wollte ich mich vor dir verbergen. Wollte nicht mit dir konfrontiert werden.
Nachts sind alle Katzen grau, auch hier. Nach ein paar Cocktails vergaß man gewöhnlich, mit wem man wirklich sprach.
Und ich vergaß, mich zu schämen. Tanzte. Lachte. Lockte.
Das konnte ich. Die Hüften schwingen, das Haar werfen, anzüglich lächeln.
Nur bei dir wurde ich stiller. Wandte mich ab von dir.
Wenn du mich berührt hättest, ich hätte mich kaum halten können.
Da du keine Anstalten machtest, wirklich mit mir zu tanzen oder zu reden, konnte ich schneller aufgeben.
Warum ich mich so verhielt?
Selbstschutz.
Ich wusste, ich konnte dich nicht haben, doch sahen wir uns jeden Tag und ich… verliebte mich in dich.
Ich wusste, du gabst nichts auf mich.
Und ich wusste, dass es mir das Herz brechen würde, wenn ich zuviel in deiner Nähe wäre und du mich dennoch nicht beachten würdest.
Und doch.
Schwer nur konnte ich meine Blicke von dir nehmen.
Selbstdisziplin war leichter gedacht als getan.

Die Stunden verstrichen, alle fühlten sich wohl.
Nur ich nicht.
Immer wieder war mir übel, ganz einfach, weil mein Magen sich zusammenkrampfte, wenn ich dich sah.
Ha, das klingt nicht sehr schmeichelhaft.
Horden von Schmetterlingen tanzten nicht in meinem Bauch - nein, sie flogen Tornados.
Mein Mittel dagegen?
Balle deine Hände so fest zu Fäusten, dass deine Nägel sich tief in deine Handballen bohren.
Rechne mit Blut.
Und dennoch hatte ich Spaß, flirtete mit anderen Jungs, suchte deine Nähe, schwamm, floh vor dir…
Bis zu dem Tag, als.
Wie schwer es mir noch immer fällt, die Erinnerung zuzulassen.
Es schmerzt, daran zu denken; doch es ist ein süßer, erlesener Schmerz. Wie immer, wenn ich an dich denke.
An jenem besonderen Tag war Vollmond über Griechenland.
Ein wunderschönes Naturschauspiel; das Tiefblau des Meeres, das Nachtblau-Schwarz der Dunkelheit, das Silber des Mondes, auf der Oberfläche des Wassers reflektierend…
Ich schweife ab.
Vollmond.
An diesem Tag beschlossen wir alle, im Hotelzimmer der vier Jungs zu feiern. In deinem Zimmer.
Ein paar schwammen dann im Pool; hauptsächlich spielten wir Verstecken.
Wie kindisch. Ein Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht; es zeigt trotzdem Zufriedenheit.
Vermutlich waren wir so impertinent die Nachbarn durch das Spielen zu stören, doch wen kümmert das, wenn er jung, frei und alkoholisiert ist?
Das Licht.
Erinnerst du dich daran?
Es war zum Weinen schön.
Blau und silber waren schon immer meine Lieblingsfarben.
Ich sah das violett der Sträucher, an denen ich leichtfüßig vorbei rannte, die Lichter im Dorf, das Weiß deines T-shirts, das Gelb-Rot ihres Kleides…

Abrupt blieb ich stehen. Du. Mit einem anderen Hotelgast, einem Mädchen.
Wie peinlich, ich muss dich angestarrt haben, durch die Olivenbäume und Sträucher.
Du blicktest zurück.
Dein Gesicht spiegelte im Mondschein überraschung und erschrecken… Schuld?, wider.
Anscheinend wolltest du sie gerade küssen, doch als du mich sahst-
Mein Magen meldete sich schmerzhaft. Meine Knie wurden leicht; zu leicht, mich zu halten.
Ich glaube, ich stieß einen erstickten Schrei aus, leise, aber hörbar. Dann drehte ich mich um, lief.
Hinunter.
Wann und wo ich stehen blieb, weiß ich nicht mehr. Gedanken und Gefühle überschlugen sich in mir.
Natürlich hatte ich gemerkt, dass du dich für sie interessiert hattest.
Sie war ja auch nett: braun-rotes, schulterlanges Haar, braune Augen, eine zarte Statur…
Natürlich hatte ich es gemerkt. Dennoch wurde mir wieder schlecht.
übergeben hab ich mich nicht, ich wollte nur noch zurück, in mein Bett, vorzugsweise mit einer vollen Flasche Vodka.
Also ging ich zurück.
Noch geschockt. Ja, das war mein Zustand. Schock. Ich wählte einen anderen Weg als den, auf dem ich gekommen war. Nicht auszudenken, wenn ich dich nochmals gesehen hätte. Auch wenn ich kein Recht hatte, so zu reagieren.
Doch dein schuldiger Gesichtsausdruck…
Ich konnte, nein: durfte nicht darüber nachdenken. Zuviel bildete ich mir ein, zu blühend ist meine Fantasie.
Als ich zurück ging, durch das trockene Gras, vorbei an Bäumen und Sträucher, begriff ich, dass ich mich in dich verliebt hatte. Und im gleichen Atemzug wusste ich, dass ich es nicht wollte, nicht durfte, nicht konnte, weil ich zu schwach war.
Einmal hatte mir jemand so weh getan, dass ich von da an allem aus dem Weg gehen wollte und auf Liebe verzichtete.
Selbstschutz, schon wieder.
Ich wusste, dass ich es nicht ertragen konnte, würdest du mich ablehnen.
Da war es besser, das übel an der Wurzel zu vernichten. Dachte ich.
Plötzlich- eine Gestalt neben mir.
Laut sog ich Luft ein. Schreien konnte ich nicht.
Beruhigend deutetest du mir, wer du warst. Erleichterung im ersten, Panik im zweiten Moment. Ich fühlte mich wie ein gefangenes, hilfloses Reh, das nach einem Ausweg suchte.

Das schaffe ich nicht, schoss es mir durch den Kopf. Ich musste sehr erschrocken ausgesehen haben, du murmeltest beruhigende Worte und berührtest mich am Arm.
Ich bins, hast du gesagt. Zum Glück nahm ich mich zusammen, sonst hätte ich mit “Schlimm genug” geantwortet.
Warum ich weggelaufen bin, fragtest du.
Mindestens eine halbe Stunde hättest du mich gesucht.
Ich schwieg noch immer.
Besorgt tratest du näher.
Instinktiv trat ich einen Schritt zurück.
Ob ich dich hasse, fragtest du.
Ob es nicht offensichtlich sei, was ich fühle, dachte ich.
Anscheinend nicht.
Nach Ewigkeiten wie es schien räusperte ich mich und erkundigte mich nach deiner ‘Freundin’.
Unwichtig, was ist denn nun mit dir, fragtest du zurück.
Ich glaube, ich schloss die Augen und hätte schwören können, mein Herz setzte einen Schlag aus.
Es tut mir leid, sollte ich dich gestört haben, sagte ich. Es ist nichts. Ich… ich musste wohl erschrocken über was anderes gewesen sein. Alkohol. Eh schon wissen.
Innerlich gratulierte ich mir zu meiner festen Stimme und flehte, du würdest etwas tun.
Hier im Mondlicht siehst du ihr ähnlich; sie hatähnliches Haar und ähnliche Züge wie du, hast du gemurmelt.
Wow. Ich schluckte.
Ich hasse dich bei weitem nicht, flüsterte ich.
Da. Ein Lächeln.
Ja, du hast damals gelächelt.
Dann hast du mich umarmt.
Ich sank förmlich in deine Arme. Mein Kopf lehnte an deiner Brust, ich spürte deine Muskeln- es war so… richtig. Als ob ich ein Puzzle- Teil an seinen ihm bestimmten Platz gelegt hätte.
Deine Hand spielte mit meinem langen, braun-rotem Haar, wanderte höher, ergriff mich sanft im Nacken.
Ich sah hoch zu dir. Lange schon stand ich nicht nur mehr aus eigener Kraft, zu weich waren meine Beine, zu kraftlos aber dennoch stark fühlte ich mich.
Endlich, endlich beugtest du dich zu mir herab, um mich zu küssen.
Noch jetzt bekomme ich ein warmes Gefühl wenn ich daran zurück denke.
Dich zu küssen- herrlich.
Kurzerhand legten wir uns ins Gras. Es war zwar nicht weich, aber wir konnten entspannter reden. Mein Gesicht ruhte auf deinem Oberkörper, knapp nur vor dem deinen- nichts wollte ich verpassen.
Soviel geredet. Soviel gelacht. So wohl fühlte ich mich lange nicht.
Wir beschlossen, es geheim zu halten.
Die Tage liefen immer gleich ab, schwimmen, schlafen, feiern.
Nachts trafen wir uns.
Heimlich.
Es hatte etwas besonderes, unsere Treffen, aber das waren sie ohnehin, denn wir waren zusammen. Nachts entfaltete sich dieser Zauber, oft saßen wir nebeneinander oder in des anderen Schoß, lehnten aneinander, sprachen nichts.
Endlos und sanft waren die Nächte, umso härter das Erwachen.
Unter Tags berührten wir uns flüchtig und wie zufällig, keiner hats gemerkt, schenkten uns Lächeln die soviel bedeuteten.
Unter Tags hast du ihr nach gesehen; um vor den anderen gut darzustehen. Männlich.
Unter Tags war es schwer, nicht neben dir zu sein.
Unter Tags hast du sie geküsst und ich habe es gesehen.
Du meine Güte, es war der letzte Tag, ich weiß, und du. Hast sie tatsächlich. Geküsst.
Die anderen Burschen hatten sich versteckt, euch zu beobachten.
Ich schrie. Diesmal konnte ich es.
Du musst mit einem Blick gewusst haben, dass ich dich gesehen hatte und bereits rannte rannte rannte aber da waren auch die anderen, die dich beobachteten. Mir wars egal. Es war der vorletzte Tag an dem wir uns als Klasse sahen; dir war es zu wichtig, den Schein zu wahren.
Ich lief.
Alles in mir schrie: Verrat.
Nun hattest auch du mich verraten.
Nun war es passiert, wie vor einiger Zeit schon mal, du hast mich verraten.
Selber schuld, dachte ich. Lasse dich auf keine Männer ein.
Zurück kam ich erst am nächsten Tag, kurz vor der Abreise.

Gepackt hatte ich in kaum 30 Minuten, es war nicht viel. Meine Freunde schwiegen.
Ich wollte nicht reden.
Ich konnte nicht reden.
Die Fähre wartet auf niemanden.
An Bord suchte sich jeder seinen Platz; wir waren müde, so müde.
Ich ging an Deck. Wind. Von überall kam Wind und umschmeichelte mich.
Du kamst nicht.
Im Flugzeug - keine Chance, ungestört, unbeobachtet, ungehört zu sein.
Am Flughafen - Tränen, Abschiedsworte, vier gemeinsame Jahre endeten hier. Viele umarmten sich - wir uns nicht.
Daheim - schlafen. Vergessen.
Verdrängen.
Ich warte noch immer auf dich.

Notiz: Ich denke doch, dass das hier besser reinpasst als bei Sonstige. Sorry wegen ae, oe, ue, ss Fehler- jup, Englische Tastatur.

 

Hallo Christina,

grundsätzlich hebt sich deine Geschichte auf angenehme Art von den vielen "erliebtmichnichtunddasistsotraurig"-Geschichten hier ab. Sie ist schön und auch meistens nachvollziehbar geschrieben, man kann sich in deine Protagonistin gut einfühlen.
Leider wird mir nicht ganz deutlich, warum er seine Gefühle zu ihr verleugnet, wenn andere in der Nähe sind. Ist das eine Ablehnungsfantasie deiner Protagonistin oder verhält er sich wirklich so? Für deine Protagonistin schon, das ist mir klar, aber ihre Empfndung kann ja auch lediglich aus ihrem Selbstwertgefühl geboren sein.
Da wünschte ich mir ein paar mehr Informationen aus der Geschichte selbst. So wie du sie geschrieben hast, wäre selbst die Interpretation, dass der "Ich-Erzähler" männlich ist möglich. Außer ihrer Liebe und der Umstand, dass sie wohl normalerweise keine Schwäche zeigt, erfährt man leider nichts über die erzählende Person. Findet sie sich hässlich, zu dick vielleicht?

Wir beschlossen, es geheim zu halten.
Warum?
Du musst mit einem Blick gewusst haben, dass ich dich gesehen hatte und bereits rannte rannte rannte aber da waren auch die anderen,
Auch wenn das dreifache rannte hier ok ist, der Satz als solcher ist es nicht. Ich würde nach dem letzen rannte auf alle Fälle einen Punkt machen, um es abzusetzen. Dazwischen jeweils ein Komma.

Wäre schön, wenn du die Geschichte noch mal dahingehend bearbeitest, dass wie ein bisschen mehr über die Protagonisten erfahren. Natürlich soll der Leser noch seine eigenen Gedanken haben, aber in dieser Geschichte sind mir die Interpretationsspielräume zu groß.

Lieben Gruß, sim

 

Danke Sim fuer deine Einschaetzung der Geschichte.
Ich bin fuer deine Worte und Vorschlaege sehr dankbar.
Aeh, es geht schon um ein Maedchen, ich selbst hab mir beim Schreiben gedacht, ups, hoffentlich glaubt niemand, es ist eine Junge/Junge Geschichte, das ist es naemlich nicht.
Ich werd versuchen, das zu aendern, du hast recht.
Danke nochmal,
LG Christina

 

Oh wow.
Deine Geschichte hat mich sehr beruehrt, der Stil, in dem du schreibst ist wunderbar, du kannst echt eine Atmosphaere kreiren! Es ist fast poetisch...

Griechenland muss toll sein. So wie deine Prot alles beschreibt, kann ich mich gut hereinversetzen und ihre Gefuehle nachvollziehen.
Mir gefaellt dein Stil echt gut, diese Spielerein mit Satzzeichen und so... ganz ganz toll.
ich bin hin und weg, ich finde deine Geschichte unglaublich gut und hoffe, mehr von dir zu lesen.

Zwei Daumen ganz ganz hoch,
mfg Virginia

 

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