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Nachts, wenn die Vögel schweigen
Dunkelheit. Man fürchtet sich vor ihr, aber man sucht auch Zuflucht in ihr. Ohne sie kann man nicht leben, aber mit ihr ist es zugleich unerträglich. An jedem Abend wird es dunkel, und dann kommen die Zweifel. Selbstzweifel vielleicht, oder, wie in meinem Fall, Zweifel an der ganzen Welt. Man ist alleine, und man hört das Gelächter von glücklichen Paaren in der Nähe, man hört die Musik aus der großen Stadt. Nur wenige tausend Meter entfernt, die Lichter sieht man ganz deutlich. Irgendwo dort ist auch sie jetzt. Ein anderer Abend, zu einer anderen Zeit.
Wir hatten zusammen den Astronomie-Kurs unserer Schule besucht, und da sie an diesem Abend nicht abgeholt werden konnte, brauchte sie jemanden, der sie heimfahren würde. Ich war derjenige welcher, das hatte sich so ergeben. Natürlich hatte ich schon lange ein Auge auf sie geworfen, ein Mädchen wie sie war nicht alltäglich. Ihr langes schwares Haar glänzte im Mondschein. Licht, das von einem kalten Gesteinskörper in 380 000 km Entfernung reflektiert wurde, erleuchtete ihr Haar, so dass ich es sehen konnte. Sie lächelte, als wir gemeinsam zu meinem
Auto liefen. Nie hatte ich die Chance gehabt, mich mit ihr alleine zu unterhalten, aber zugleich hatte ich mich auch immer vor so einer Chance gefürchtet. "Na, erzähl doch mal was von dir", sagte sie, als wir losfuhren. "Gibt nicht viel zu erzählen", sagte ich und hoffte, dass ich es dabei würde bewenden lassen können. Ich blickte zu ihr herüber, sie lächelte leise.
"Du bist so anders" sagte sie dann. "Ich kenne niemanden, der so ist wie du. Du redest nicht viel. Irgendwie scheinst du das zu hassen, mit anderen zu reden. Du hast viel in dir, vieles bewegt dich, du bist intelligent - was ich nur weiß, weil man das halt so mitkriegt. Du interessierst dich für Astronomie, liest zuhause wahrscheinlich viele Bücher dazu, aber du hast auch heute abend so gut wie nichts geredet, obwohl du mit Menschen zusammen warst, die dein Interesse in Bezug auf den Himmel teilen. Du hast ein paar Minuten durchs Teleskop geschaut, die Aufgabe richtig gerechnet, und mir angeboten, mich nach Hause zu fahren. Wenn du jetzt wenigstens versuchen würdest, an mir rummzufummeln oder so, dann wäre das irgendwie normal.. Aber noch nicht mal das. Du bist sehr seltsam." Ich wusste nicht was ich antworten sollte, und obwohl ich etwas erwidern wollte, fand ich einfach nicht die geeigneten Worte. "Wow" sagte ich dann, ganz unverfänglich. Aber das schien schon genug zu sein, denn sie hatte noch was zu sagen. "Bitte versteh' mich nicht falsch, ich finde dich sehr interessant, wirklich, aber du machst es einem nicht leicht, dich zu mögen. Wenn du dich ein wenig öffnen würdest, wenn du den anderen ein bisschen näher kommen würdest." Sie machte eine kurze Pause, lies aber keinen Zweifel daran erkennen, dass sie noch was zu sagen hatte.
"Weißt du was? Ich will dich näher kennenlernen. Du interessierst mich. Der Abend ist doch noch jung, lass uns doch noch irgendwo hinfahren." Mein Herz schlug schneller. Wie war ich nur in diese Zwickmühle geraten? Natürlich hätte ich sie am liebsten gleich jetzt umarmt, hätte ihr meine bedingungslose Liebe gestanden, hätte ihr erzählt, dass ich nachts nur von ihr träumte und auch beim Masturbieren nur an sie dachte, aber ich konnte nicht und wollte nicht. Sie hätte über mich gelacht, wie so manches Mädchen vor ihr. Ich wäre gern ehrlich zu ihr gewesen, hätte sie gerne kennengelernt, aber die Gefahr wieder zurückgewiesen zu werden von einem so unglaublich bezaubernden Wesen war einfach zu groß. Klar, sie heuchelte jetzt Interesse oder wollte mich vielleicht wirklich besser kennenlernen, aber mir wäre es natürlich nie gelungen, ihr Herz für mich zu gewinnen. Was hatte ich ihr schon zu geben? Ich war nicht besonders schön, auch nicht mutig oder stark. Meine Augen tränten jetzt leicht, meine Hände zitterten, aber wenn ich eines gelernt hatte, dann war es das Unterdrücken von Gefühlen. "Ich würde gerne" sagte ich leise, "aber ich kann nicht." Bis hierher war es noch nichtmal eine Lüge. "Ich habe keine Zeit mehr, heute Abend." Sie hatte offenbar schon resigniert. Ich brachte sie bis direkt vor ihre Haustüre. Sie stieg aus.
"Schade, wäre sicher lustig geworden. Du bist schon wirklich seltsam. Wie auch immer, Danke dass du mich mitgenommen hast. Bis morgen." "Bis morgen" erwiderte ich leise, als sie die Türe des Wagens schon längst geschlossen hatte.