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Nachtszenen aus einer Cocktailbar
Wiesel, fliesel, husch, husch, husch. Die schlanke Kellnerin eilt zwischen den Tischen hin und her. Ihr blondes, langes Haar schwingt weich im Nacken. Ein angenehmer Hauch von Parfüm, Marke Aromatix-Elixier, verwirrt für einen Augenblick mein Nasenloch, als sie wieder einmal an meinem Rücken knapp vorüber streicht und hinter der Bar verschwindet. Zwei Krügel Bier, der Zapfhahn schwitzt. Auch auf Danaes Stirn steht ein einsamer Tropfen Schweiß. Sie wischt ihn noch schnell weg, stellt noch drei bunte Cocktails, so milchig weiß verschäumt, auf das Tablett, und streicht dann wieder an mir vorbei. Sie lächelt mich wie eine Eva an. Ich bin entzückt. Ich fühle mich wie Adam in seinem nicht mehr ganz so einsamen Paradies.
Auch mir ist heiß. Die Bar ist voll gestopft mit durstigen Leuten. Der Sommer Zweitausendundvier hat endlich doch noch zu seinem gewünschten Gesicht gefunden. Die Nacht hat sich schon vermittet in der pflasterheißen Stadt. Ich träume von einem kühlen Bad an einem einsamen See mit ihr, Danae. Doch damit wird es wohl noch lange Nichts. Vor acht Uhr früh hat das Smaragd am Samstag noch nie geschlossen.
Der Cocktail-Kellner bricht sich fast die Hände ab, so schnell kreuzen sie von den Gläsern zu den Flaschen, zu fruchtigen Spalten Obst, und das Eis hüpft wie von selbst aus seinen Boxen. Ein Oval von Glas, mal fünf, halb voll mit Trockensekt, vererdbeert sich auf kugeligem Eis zu einem Traum, den ein riesiges Stück Melone mit buntem Schirmchen oben drauf verziert. Der Göttermet nennt sich natürlich „Erdbeertraum“.
Da schrillt schon der nächste Wunsch über die Theke: zwei leicht bekleidete Blondinen lehnen heiß daran und ahnen sehnsuchtsvoll einen geilen und so megakühlen „Sex on the beach“ herbei. Der gewiefte Barmixer grinst und weiß, wovon sie träumen und lässt eine Schaufel Splittereis im hohen Flötenglas verschwinden, einen großen Bananenlikör darauf verrinnen, dann ein Schuss weißer Kokosmilch, ein zweifacher Bacardi-Rum, einfach irr, dann ein fruchtig-fleischiger Ananas-Juice zum Verdünnen. Eine Flasche Grenadine-Sirup springt von ganz oben vom Regal herab und lässt den Trink am Glasesrand granatapfelrot verschimmern. Eine ganze Scheibe Ananas steckt sich oben drauf. Dann sieht Gertschi die beiden Mädchen lächelnd an. Noch ein süßes Schirmchen, seine Augen fragen dann, ob sie auch noch je eine halbe Banane mögen? Natürlich mögen sie und so fallen dann die geschnittenen Bananen zum Lustverzehr bereit in die schon randvollen Gläser. Auf dem Teller liegen Serviette und der lange Löffel bereit.
Die zwei Mmmmhhhs an der Bar übertönen dann auch klar den Lärm der Musik. Die Augen leuchten auf: der letzte Urlaub vom Juni in Tunesien erinnert sich herbei. Ja, genau so ist er, der Sex am Strand, gewesen. Der helle Mond von Afrika, umzingelt von seinen so lendenbelüsternden Sternen, lächelte dazu. In den Nächten damals schien es fast, als läge es nur an seinem Willen, die so oftige Wildheit des Meeres in ein flaches Wellengekräusel bei Ebbe zu bestillen. Und diese Urlaubsnächte waren lang gewesen – in Tunesien.
Ja, Gertschi weiß, von was die Beiden träumen. Auch ich kann ihren Traum aus ihrem Grinsen, ihren Augen lesen. Gertschi und ich, wir grinsen uns dann wissend an. Doch keine Zeit: „Hey, Gertschi, lass mal eine Runde Tequila rüber, mit vier Orangen und Zimt, zwei mal Salz und die Kleine da mag es mit Zitrone.“ Na, wenn es nicht komplizierter ist, wusch, wusch, und das Mördergesöff steht auch schon da auf einem Tablett oben auf dem Tresen. Danae greift danach und serviert geschwind.
Zwei ältere, schon leicht ergraute Herren haben sich von weit her in unsere kleine Stadt verirrt, und wohl auch in ihrer Zeit geirrt. Sie wollen nichts Besonderes. Sie haben Durst nach einem großen Bier. Trumer Pils vom Fass oder irgendein anderes aus Flaschen? Vom Fass, na klar, und noch dazu ein Trumer, na, besseres Bier gibt es wohl nicht. Danae lässt den Gerstensaft langsam aus dem Zapfhahn in die leicht schief gehaltenen Krügerl fließen und setzt dann noch ein appetitliches, weißes Häubchen drauf. Und zisch mal zwei, der Durst muss wohl groß gewesen sein. Das halbe Glas ist leer.
Es stellt sich dann heraus, die Beiden waren arme Austrianer aus dem fernen Wien. Dem FC Superfund Pasching ist sein UEFA-Cup-Test super gelungen. Sie haben die reichen Austrianer erbarmungslos mit Zwei zu Eins „verspeist“ und seitdem laufen sich die Zwei mit ihrem Frust in der fremden Stadt die Hacken wund. Auf diese gute Nachricht hin muss auch ich einen Tequila trinken. Ich lade mich gleich selber ein.
Halt! Halt! Nicht so schnell! Ich komme ja mit dem Schreiben nicht mehr nach. Doch „Coco Loco“ nennt sich der nächste Wunsch. Drei kleine, süße Schülermädchen werden von einem Lachorkan zur Tür herein geweht. Ihre Fröhlichkeit steckt sogar den halb vergreisten Dichter an, haha, von dem die Worte vor dieser dreifachen überdimensionalen Blusenverbusung in die unerreichbarsten Geisteszonen fliehen. Ich stehe ja nicht so auf das Fastfood von McDonald’s, aber diese seine drei Machwerke lassen sich wohl sehen.
Drei Hurricane-Gläser, gute fünfundzwanzig Zentimeter hoch und schlank behüftet, springen dem Gertschi freiwillig aus ihrem Wandgestell entgegen und lassen mich kurz darauf an den Rosaroten Panther denken. Captain Morgan Rum mit Wodka Stolichnaja und Malibu-Likör, Orangensaft, Maracuja-Sirup und oh mein Gott, schon wieder dieses so hässlich rote Grenadinenzeugs, und das Alles wild gemixt. Die Mädchenaugen verkitschen, während ihre so süß gespitzten Lippen den rosigen Zuckerlwahn durch zwei dicke Strohhalme schlürfen.
Da macht es auf einmal hinter meinem Rücken einen gewaltigen Tuscher. Der Lärmpegel steigt mächtig an. Ich fahre herum und sehe gerade noch, wie der Klemens, der Kellner aus der großen Bar von nebenan, rucki-zucki, tusch-tusch-tusch, links mal rechts und wieder links, den ersten völlig unnötigen Gewaltrabauken der Nacht zur Tür raus räumt. Das Adrenalin in seinen Adern kann man riechen. Das Lokal hält kurz den Atem an. Und für den armen, starken Klemens, der sich immer so beklagt, dass er sich sowieso nicht mehr vor den hübschen Pupperln retten kann, schlagen wieder ein paar Puppenherzen mehr.
Einfach cool, wie er das immer wieder macht. Eiskalt, ein überlegenes Grinsen im Gesicht, und obwohl Alles so tusch-tusch schnell vergeht, ist kaum exzessive Gewalt dabei. Ein paar kraftvolle Stöße mit der offenen Hand gegen die Brust. Zwischendurch ein Rempler in die Rippen. Kurz vor der Tür ein Zug an der Schulter. Der Aggressivling stolpert um sich selbst herum und nimmt die erste von zwei Stufen. Es wird wohl das Glück des Deppen sein. Und da kommt auch schon ein durch gestrecktes Bein und fährt gefühlvoll in den Deppenhintern rein. Das Glück muss heute wohl selbst besoffen sein, der Typ verknotet sein Gebein, doch er fällt nicht. Er stolpert gute zehn Meter, die Arme schlingernd, über das Stockerlpflaster hin und fängt sich dann gerade noch in Hunderlstellung am kniehohen Gemäuer eines alten Brunnen, der heute aber eine Blumenzier und von niedrigem Gesträuch bewachsen ist.
Seine Wut richtet ihn dann wieder auf. Er schimpft auf das „Scheiß Smaragd“ und droht dem Klemens den Kampf seines Lebens an. Doch als das nicht hilft und der nur lacht, und ich und ein paar andere auch, da kommt dann das „Scheiß Österreich“ daran. „Österreich ist scheiß Land!“ meint der angespitzte dunklere Herr. Als er nicht aufhört mit dem Schimpfen, gibt ihm Irgendjemand Recht: „Ja, ja, du hast ja Recht, so Recht, du lieber Ali. Österreich ist echt ein Scheißhaufen von einem Scheiß Land, darum wird es ja auch vom großen Asylantenstrom nach Europa so sehr gemieden. Die vielen, vielen Wirtschaftsflüchtlinge aus der ganzen, weiten Dritten Welt fliehen lieber wo anders hin und lassen unser so scheißbraunes Österreich links liegen. Ali, ja, du lieber Ali, du hast völlig Recht. Ist schon ein scheiß Land, dieses Scheiß Österreich. Und man trifft auch sonst kaum Fremde hier.“ Hahaha, rundum wird gelacht. Doch Ali lacht nicht mit. Er zieht ab.
Verdammt! Kaum spricht man vom Teufel, da kommt er auch schon. Zwei düstere Gestalten, schwere Goldketten um den Hals, der Breitling am linken Handgelenk ist mit Sicherheit erdealt oder mindestens gestohlen. Völlig dicht, die Puppillen verkolat riesengroß, schwer veralkt und zugeet. Sie feiern wohl den letzten großen Deal. Ihre Augen werfen Kurvenblicke. Ihre langen Beine kurven schwingend hinterher und irgendwie, man glaubt es kaum, schaffen sie dann doch die Stufen. Der Durst muss wohl mächtig sein. Dann: auch Orientierung muss wohl sein. Ich habe keine Ahnung, wie, denn ihre Blicke - sie verixen.
Doch sie finden schnurstracks an den Tresen. Gertschi ist ihr Ziel. „Hey du, Kellner, was du haben stärkste Drink? Zwei ganze Männer wollen haben. Drink soll brennen mörderisch bis runter in den Magen.“
Uff! Ich denke, das kann ja heiter werden. Gertschi fängt an ein Getränk „nur für Oberteufeln“ zu brauen. Ich schaue in der Getränkekarte nach. Es ist ein Trink zum schneller Sterben: Coruba Rum, vierundsiebzig Prozent, Marke Pfui Teufel, natürlich doppelt, na geil, Bacardi Rum, doppelt, Tequila weiß und doppelt, klar. Detto der Orangenlikör Grand Manier, so schade drum, dann Lemon-Juice, ein halbes Glas Cola, aber flüssiges, nicht dieses weiße Pulverzeugs. Die Spalte Zitrone mag nicht Recht und ekelt sich dann doch hinein.
Der Gehirnzellenkiller nennt sich kraftvoll lang „Long Island Ice Tea XXL“ und kostet satte Euro Neun-komma-achtzig. Gezahlt wird gleich, so lange sie noch können. Und: ich habe es ja vorher geahnt. Nach gut zehn Minuten geht der Erste speiben. Wir haben Glück. Er speibt nicht ins Lokal. Er schafft es noch nach draußen. Der andere wankt ihm hilflos hinterher. Ich denke, er hilft ihm wohl dabei, beim Speiben. Die halben Gläser bleiben stehen. Wir haben die beiden nie mehr wieder gesehen.
Oh, ich liebe dieses Lokal „Smaragd“. Da fallen einem immer wieder die steilsten Geschichten direkt vor die Füße und die Zeit der Warterei auf Sweet-Danae vergeht auch dabei. Da gerät sogar einem poetären Niemand, wie mir, dem buji aus kg-de, ein vor lauter Wortekitsch nur so strotzender, schmalztiegelgedichtgichtiger Prosabastard zur vollendeten Kunst. Prost! Ich trinke noch einen Tequila auf meine Inspirationsquelle, das „Smaragd“. Brrrh, grauslich, es soll ewig leben! Und keine Gnade einem Leser, einer Leserin, die da was anderes behaupten. Hahaha und zisch. Das war mal wieder eine etwas andere Geschichte mitten aus dem Leben.
© Copyright by Lothar Krist (7./8.8.2004 von 23.40 bis 05.45 Uhr im Smaragd)