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Nackte Splitter
Es muß ein Montag gewesen sein, vielleicht auch ein Mittwoch oder es war doch Wochenende, aber irgendwas sagte mir, daß es Montag war, sicher war ich mir aber nicht.
Ich lenkte meine Schritte durch das kalte Treppenhaus. Auf jeden meiner Schritte folgte ein aus Echos geborenes Lachen. Mir selbst war nicht zum Lachen zumute.
Weiter nach unten gehend, den Blick stumpf auf mich selbst und ins Innerste gerichtet, erreichte ich schließlich das Erdgeschoß und ich stockte, hielt mich am Geländer fest. Übelkeit schwappte plötzlich in rasender Geschwindigkeit meine Speiseröhre hoch.
Ich preßte meine Lippen fest zusammen, tunlichst darum besorgt, nichts von dem bitteren warmen Saft, welcher sich nun in meinem Munde hin und her bewegte, über meine Lippen zu lassen. Ich stützte meinen Mund mit meinen beiden Händen, es schien mir zu helfen.
Der Geschmack von Jauche legte sich um meine Zunge, ein weiterer Schwall schien sich aufzubäumen.
Mein Blick wurde unscharf. Der Flur wechselte seine Farbe von Grau auf Gelb, dann Ocker, zurück auf Gelb um schließlich in einem Ton irgendwo zwischen Grün und Braun zu verweilen.
Ich sah wie die Haustür offen stand. Warme Luft schob sich in den Flur.
Der Geruch von stinkender Haut stellte sich ein, der Jauchegeruch nahm zu.
Helles Licht prasselte ebenfalls aus dem Türspalt, direkt gegen meine Augen. Sie, die Tür, war nur angelehnt, lärmende Kinder stießen sie plötzlich ganz auf.
Es waren zwei, vier oder vielleicht auch acht. Sie drückten sich gegenseitig gegen die Wand, manche lachten, manche weinten. Einem Mädchen wuchsen Drähte aus den Zähnen.
Diese verfingen sich in der Türklinke.
Sie stürzte. Einer der lachenden Jungen begann auf sie einzutreten,
ein anderer rotzte in ein Taschentuch und stopfte es einem weiteren Jungen in den Mund,
welcher es lachend verzehrte.
Das Licht wurde zunehmend heller, der Jauchegeruch unerträglich,
immer mehr sprudelte aus meinem Hals in meinen Mund, bis ich es nicht mehr halten konnte.
Ich ließ mich fallen, rücklings auf den Boden, zwischen die Kinder, neben das nun blutende, schreiende Mädchen, zwischen die Füße der Jungen. Für eine Sekunde wurde alles still, ich hörte einen Vogel zwitschern und ich sah in die großen Augen der über mich gebeugten Kinder, in ihre erstaunten Gesichter.
Für diese Sekunde fühlte ich mich fast schwerelos. Meine Anspannungen lösten sich,
langsam öffnete ich den Mund.
Sanft floß mir langsam der gelbe Ausfluß aus dem Mund und spülte sich in mein Haar,
mir wurde wärmer und ich begann zu lächeln, schloß die Augen.
Es fühlte sich an wie das Spülen des Meeres. Salzgeruch floß in meine Nase und ich öffnete wieder die Augen.
Noch immer blickten sie mich an. Dumpfe regungslose Blicke.
Dann begannen auch sie ihre Münder zu öffnen und die Zeit, welche sich noch immer in Trance befand wachte auf und wurde schneller und schneller.
Der Jauchegeruch kehrte zurück, war niemals weg, war noch stärker hier und es floß Salz in meine Nase,
meine Ohren, der Geschmack von alter Milch aus dreckigen Kindermäulern ließ mich erneut erbrechen,
ein großer Schwall. Jemand zog mich an den Händen, schleifte mich nach draußen, das Lachen der Kinder wurde leiser, kein Vogel war mehr zu hören. Die Dunkelheit wich nun auch aus meinem Kopf.
Ich lag auf einer staubigen Straße und blickte nach oben. Grelle Sonnenblitze machten mich fast blind, konnte die Gestalt nicht erkennen, welche mich zog und schließlich liegen ließ.
Ich blickte zu meinen Füßen, dahinter das dunkle Gebäude, die Tür nur noch leicht geöffnet.
Ich konnte das kleine Gesicht des Mädchens noch sehen, welches sich das Blut aus dem Gesicht wischte und mir mit traurigen Augen nachblickte.
Noch immer liegend, den Kopf hochhaltend versuchte ich sie aufzumuntern und lächelte ihr zu.
Sie lächelte zurück, hob ihre Hand, ein gelbes Taschentuch verdeckte ihre Finger.
Ein Junge blickt mit einem feigen Blick zu mir und griff das Taschentuch.
Darunter ihre Hand, den Mittelfinger ausgestreckt, die anderen Finger abgeschnitten,
blutig gekürzt.
Sie begannen zu lachen über die vulgäre Geste und spuckten auf die Straße.
Die Tür fiel krachend zu.
Es war still.
„Es trägt sich niemals das, was sie da auf ihrem Kopfe haben. Es trägt sich nicht, das sollten sie wissen.
Tragen sie es nicht. Es trägt sich nicht zu Gute, das wußten sie doch, dass man das nicht tragen kann und darf.“ hörte ich und blickte auf einen in schwarzer Ledermontur bekleideten Polizisten. Ein gelber Motorradhelm funkelte in der Sonne, darunter ein uraltes Gesicht, das rechte Auge fest zu gekniffen, das linke weit aufgerissen.
Der Polizist saß mitten auf der Straße auf einem alten Stuhl, gebückt und in seiner Hand hielt er eine Nadel, welche er sich fortwährend in das offene Auge stach und unter dem entstandenen Schmerz immer wieder zuckte.
Schließlich blickte er mich an, Blut floß ihm aus beiden Augen und sagte
„Getragen wurde nie was.
Außer das was du tragen wirst. Es ist noch kein Fisch im Wasser gestorben.“
Er starb, sackte zusammen und hinter ihm kam eine Wand zum Vorschein.
Es steckte ein Splitter in der Wand und meine Hand glitt über sie.