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Nemos Bruder
„Oh, sieh mal Papa, da ist Nemo!“
„Du hast Recht. Es ist ein Clownfisch, wie Nemo. Gefällt er dir?“
„Klar, Papa!“
„Dann, mein kleiner Adam, sollst du ihn bekommen!“
Adam hüpfte lachend in die Luft. „Hurra, ich kriege Nemo!“
„Aber noch nicht jetzt!“, erwiderte sein Vater leise. „Es dauert nicht mehr lange, dann ist Weihnachten und…“
„Aber Papa, ich will Nemo jetzt schon haben! Guck mal, Nemo schaut mich an. Er mag mich bestimmt. Und wenn wir jetzt noch länger warten, kommt ein böser Mann, der ihn kauft und danach aufisst. Dann wärst du Schuld daran!“
Adams Vater seufzte. Er wusste, er würde nichts damit erreichen, wenn er seinem Sohn jetzt erklärte, dass Clownfische nicht gegessen wurden. Und er wusste auch, dass, wenn sie ohne Fisch aus dem Laden gingen, der Kleine ein fürchterliches Geschrei veranstalten würde. So wählte er das kleinere Übel. Glücklicherweise hatte er schon ein Aquarium besorgt, sodass es keine Probleme geben sollte, den Fisch zu Hause unterzubringen.
So kamen sie wenig später daheim an, mit einem glücklichen Adam, der seine Augen kaum von dem Clownfisch wenden konnte, der eigentlich Hiko hiess. Doch das interessierte Adam nicht, er nannte seinen Fisch weiterhin Nemo.
Das Aquarium war ganz schön, bloss fühlte sich Hiko darin furchtbar einsam. Anfangs genoss er es, dauernd von Adam beobachtet zu werden. Das Menschenkind schaute dem Clownfisch manchmal stundenlang zu, und sobald Hiko einmal eine besondere Bewegung vollführte, klatschte Adam in die Hände und rief begeistert: „Super, Nemo!“ Woraufhin Hiko Angst bekam und sich zwischen den Pflanzen versteckte. Doch es dauerte meist nicht lange, bis eine kleine Hand durch das Salzwasser rauschte und Hiko zu packen versuchte. Der Fisch floh dann einschüchtert in das kleine Häuschen, wo ihn Adam nicht erreichen konnte. Mit der Geduld eines Engels wartete Adam darauf, dass sich Hiko wieder hervorgetraute.
In den ersten paar Tagen fand Hiko keine Ruhe. Immer wieder kam Adam, der ihn erschreckte, ihm Angst einjagte und der ihn fütterte und pflegte.
Doch Hiko vermisste die Spiele mit seinen Artgenossen, vermisste besonders Bha, seine beste Freundin.
Hiko schwamm nur noch den Scheiben entlang, um einen Ausgang aus dem Gefängnis zu suchen, doch natürlich fand er keinen. Bald verlor Adam das Interesse an dem traurigen Clownfisch. Er kam nur noch zum Aquarium, um seinen Nemo zu füttern, manchmal vergass er auch das. Das Wasser wurde immer seltener gewechselt, doch im Grunde war das Hiko egal.
Heute war das Geschrei fast unerträglich. Adam feierte seinen siebten Geburtstag mit seinen lärmenden Freunden.
Hiko verkroch sich in die hinterste Ecke seines Aquariums, doch es brachte nichts. Die Gekreische drang zu ihm durch und Panik erfasste ihn. Hastig schwamm er hin und her, der Scheibe entlang, noch fieberhafter auf der Suche nach einem Fluchtweg als sonst. Doch wie immer war seine Mühe erfolglos.
So war Hiko heilfroh, als die Meute ins Wohnzimmer ging, um dort einen Film zu schauen. Adam hatte von seinen Eltern endlich ein Exemplar von „Findet Nemo“ geschenkt bekommen.
Ungefähr zwei Stunden später wurde Hiko von lauten Kinderstimmen geweckt.
„Seht, das ist mein Nemo!“, erklärte Adam seinen Freunden stolz.
„Darf ich ihn mal streicheln?“, fragte ein Mädchen schüchtern.
„Nein, das mag er nicht“, antwortete Adam fachkundig.
„Hast du es denn schon mal probiert?“, wollte ein anderes Mädchen wissen.
Adam winkte ab. „Hast du schon mal einen Fisch getroffen, der gern gestreichelt wurde?“
Die beiden Mädchen schwiegen, dafür meinte ein ziemlich grosser Junge: „Ich find das gemein von dir, Adam!“
„Was findest du gemein?“
„Dass du ihn gefangen hältst. Du hast doch gesehen, Nemo war auch nicht gerne eingesperrt!“
„Aber, was soll ich denn machen?“
„Du musst ihn ins Klo werfen und hinunterspülen!“, erklärte der Junge.
„Ja, dann kommt er nach Hause ins Meer!“, meldete sich ein mageres Mädchen zu Wort.
„Gut!“, sagte Adam und fischte Hiko mit beiden Händen aus dem Aquarium. Mit dem zappelnden Clownfisch rannte er ins Badezimmer und warf Hiko ins Klo.
„Gleich bist du frei!“, lächelte Adam und drückte auf den Spülknopf.
Das Wasser wirbelte um Hiko herum und er holte verzweifelt Luft. Alles drehte sich, er wusste nicht mehr, wo oben und unten war und langsam wurde ihm sterbenselend. Alles in ihm zog sich zusammen und hätte er weinen können, so hätte er geweint. Der Sog des Wassers war zu stark, sodass er dagegen nicht ankämpfen konnte. Hiko wusste, dass er hier niemals lebendig rauskommen würde. Das Wasser war schmutzig und er konnte nicht mehr atmen. Dennoch schnappte er verzweifelt nach Luft, ohne Erfolg. Die Augen weit aufgerissen gab er sich seinem Schicksal hin.
Hikos Körper trieb zur Oberfläche, wo er mit dem Bauch nach oben liegen blieb. Nun konnte ihm nichts mehr geschehen, denn es war vorbei. Endgültig.
Hiko war tot.